Urteil des HessVGH vom 04.05.1988

VGH Kassel: öffentliches recht, vorkaufsrecht, gemeinde, bekanntgabe, kaufvertrag, bevollmächtigung, verwaltungsakt, grundstück, beiladung, gebühr

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 UE 1250/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 24 Abs 4 S 1 BBauG, § 61
VwGO, § 113 Abs 1 S 4
VwGO
(Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts; zur Frage
der notwendigen Beiladung; Erledigung der Hauptsache)
Tatbestand
Der Kläger schloß am 31. 10. 1985 mit der Firma K. K. GmbH & Co.,
Grundbesitzentwicklung und Verwaltung, mit Sitz in F. - Veräußerer - einen
Kaufvertrag über den Erwerb des Grundstücks S. A. , Flur 18, Flurstück 166/94 in B.
H. (Urkundenrolle des Notars R. L. Nr. 830 für das Jahr 1985). Der Kaufpreis für das
767 qm große, mit Vorder- und Hintergebäude bebaute Grundstück betrug
740.000,-- DM. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich einer
Vorkaufsrechtssatzung der Beklagten nach § 25 BBauG. Im einschlägigen
Bebauungsplan ist auf dem Grundstück S. A. eine Fläche festgesetzt, die mit
Fahrrechten zugunsten der Grundstücke L.straße zu belasten ist. Diese
Festsetzung dient der Sicherung einer rückwärtigen Erschließung dieser
Grundstücke.
Nach § 2 Abs. 2 des Kaufvertrages ist der Kaufpreis unter anderem fällig, nachdem
der amtierende Notar bestätigt hat, daß der Verzicht der Gemeinde auf das
Vorkaufsrecht gemäß §§ 24 ff. BBauG vorliegt.
§ 10 Abs. 2 des Kaufvertrages lautet:
"Der Notar hat die Erschienenen darüber belehrt, daß der Gemeinde
möglicherweise Vorkaufsrechte nach dem BBauG oder dem
Städtebauförderungsgesetz zustehen. Der Notar wird angewiesen, bei der
Gemeinde anzufragen, ob ein solches Vorkaufsrecht besteht bzw. ob auf dessen
Ausübung verzichtet wird."
§ 11 des Kaufvertrages lautet:
"Die Beteiligten beauftragen den amtierenden Notar, alle Genehmigungen und
sämtliche zum Vollzug dieses Vertrages erforderlichen Zustimmungserklärungen
einzuholen und für die Durchführung dieses Vertrages zu sorgen. Der Notar wird
bevollmächtigt, Genehmigungen, die ohne Bedingungen und Auflagen erteilt
werden, für die Beteiligten entgegenzunehmen.
Alle zu diesem Vertrag erforderlichen Zustimmungserklärungen sollen mit ihrem
Eingang beim Notar als zugegangen gelten und wirksam sein."
Mit am 11.11.1985 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben übersandte der
Notar der Beklagten eine beglaubigte Abschrift des Vertrages "mit der Bitte um
Erteilung der Genehmigung gemäß §§ 24 f f BBauG". Mit Formschreiben vom
22.11.1985 an den Notar R. L. teilte die Beklagte diesem u. a. mit, es bestehe ein
gesetzliches Vorkaufsrecht nach dem Bundesbaugesetz, dieses werde
voraussichtlich ausgeübt werden. Die Ausübung durch Verwaltungsakt erfolge
gegebenenfalls durch das zuständige Amt.
Mit Bescheid vom 18.12.1985, welcher vom Oberbürgermeister der Beklagten
sowie einem Stadtrat unterzeichnet und mit Dienstsiegel versehen ist, übte die
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sowie einem Stadtrat unterzeichnet und mit Dienstsiegel versehen ist, übte die
Beklagte das Vorkaufsrecht aus. Der Bescheid ist adressiert an die Firma K. K.
GmbH & Co., den Kläger sowie "die Herren Rechtsanwälte N. und L.". Ein
Absendevermerk findet sich in den Behördenakten nicht. Der Bescheid ist dem
Anwalts- und Notariatsbüro am 19.12.1985 in dreifacher Ausfertigung mittels
einfachen Briefes zugegangen.
Mit Schreiben vom 13.01.1986 teilte der Notar dem Kläger mit, er sei aus dem
Kaufvertrag nicht zur Entgegennahme des Bescheides über die Ausübung des
Vorkaufsrechts ermächtigt gewesen, vielmehr habe er gemäß § 11 des
Kaufvertrages nur Genehmigungen ohne Bedingungen und Auflagen sowie
Zustimmungen entgegennehmen dürfen. Dagegen sei die Ausübung des
Vorkaufsrechts eindeutig als Versagung der Zustimmung zu werten. Daher sei das
Vorkaufsrecht vermutlich nicht in in rechtswirksamer Form, nämlich innerhalb der
2-Monatsfrist des § 24 Abs. 4 S. 1 BBauG ausgeübt worden. In der Anlage zu
diesem Schreiben übersandte der Notar dem Kläger ein Exemplar des Bescheides
der Beklagten vom 18.12.1985. Mit Schreiben vom 17.04.1986 teilte der Notar
dem Kläger mit, die bei ihm am 19.02.1985 eingegangene Verfügung der
Beklagten habe er weder inhaltlich noch informatorisch weitergeleitet, weil er der
Ansicht gewesen sei, die Beklagte werde die Ausübung des Vorkaufsrechts den
Vertragsparteien unmittelbar mitteilen.
Mit Schreiben vom 16.01.1986 an die Beklagte legt der Kläger Widerspruch gegen
den Bescheid vom 18.12.1986 ein, den er damit begründete, der Bescheid sei
dem Veräußerer entgegen § 24 Abs. 4 S. 1 BBauG nicht innerhalb von zwei
Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrages zugegangen.
Mit Schreiben vom 17.01.1986 legte auch der Veräußerer Widerspruch ein und
begründete diesen damit, der Bescheid vom 18.12.1986 sei ihm über Notar L. erst
jetzt zugegangen.
Mit Schreiben vom 24.03.1986 nahm der Veräußerer seinen Widerspruch zurück.
Daraufhin zahlte die Beklagte an ihn den kaufvertraglich festgelegten Kaufpreis
von 740.000,-- DM. Unter dem Datum des 03.04.1986 schlossen der Veräußerer
und die Beklagte unter Bezugnahme auf den Kaufvertrag vom 31.10.1985 einen
notariell beurkundeten Auflassungsvertrag. Am 02.09.1986 wurde die Beklagte als
Eigentümerin des streitbefangenen Grundstücks ins Grundbuch eingetragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.1986 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück. Sie hat die Auffassung vertreten, der Notar R. L.
sei im Kaufvertrag zur Entgegennahme des Bescheides, durch welchen das
Vorkaufsrecht ausgeübt worden sei, bevollmächtigt gewesen. Auch die
Voraussetzungen zur Ausübung des Vorkaufsrechts hätten vorgelegen.
Mit der am Montag, dem 07.07.1986, bei Gericht eingegangenen Klage hat der
Kläger weiterhin geltend gemacht, das Vorkaufsrecht sei mangels Einhaltung der
Frist des § 24 Abs. 4 S. 1 BBauG, welche eine Ausschlußfrist sei, nicht wirksam
ausgeübt worden. Eine Vollmacht zur Entgegennahme des Verwaltungsaktes, mit
welchem das Vorkaufsrecht ausgeübt worden sei, sei dem Notar weder im
Kaufvertrag noch anderweitig erteilt worden. Ferner sei der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verletzt, da die Ausübung des Vorkaufsrechts auf die
tatsächlich benötigte Teilfläche des Grundstücks hätte beschränkt werden
müssen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.12.1985 über die Ausübung des
Vorkaufsrechts bezüglich des Grundstücks S. A., B. H. (eingetragen im Grundbuch
von B. H., Band 271, Blatt 8318, Flur18, Flurstück 166/94) in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Stadt B.H. vom 27.05.1986 aufzuheben und
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig
zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, nach dem Gesamtinhalt des
Kaufvertrages sei der Notar auch zur Entgegennahme des
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Kaufvertrages sei der Notar auch zur Entgegennahme des
Vorkaufsrechtsausübungsbescheides bevollmächtigt gewesen. Jedenfalls hätte
sich die unklare Vertragsfassung nicht zu Lasten Dritter auswirken dürfen.
Ferner ergebe sich aus einem Aktenvermerk der Geschäftsführerin, der
Veräußererfirma, die diese telefonisch bereits am 09.01.1986 vom Notar erfahren
habe, diesem liege der Ausübungsbescheid der Beklagten vor.
Das Verwaltungsgericht F. hat mit Urteil vom 10.03.1987 den Bescheid der
Beklagten vom 18.12.1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der
Beklagten vom 27.05.1986 mit der Begründung als rechtswidrig aufgehoben, das
Vorkaufsrecht sei von der Beklagten nicht innerhalb der 2-Monatsfrist des § 24
Abs. 4 Satz 1 BBauG ausgeübt worden. Die Bekanntgabe des
Vorkaufsrechtsausübungsbescheides an den Notar R. L. sei keine Bekanntgabe
gegenüber dem Veräußerer gewesen, da er dazu nicht bevollmächtigt gewesen
sei.
Gegen das der Beklagten am 28.04.1987 zugestellte Urteil hat diese am
07.05.1987 Berufung eingelegt.
Durch notariellen Kaufvertrag vom 29.07.1987 hat die Beklagte einen ca. 6 m
breiten Geländeanteil des Grundstücks S. A. veräußert.
Zur Begründung trägt sie vor, es fehle an der Klagebefugnis. Der
"Eigentumsverschaffungsanspruch" sei kein subjektives öffentliches Recht,
sondern ein klassisches Privatrecht, das auch in keiner Weise verfestigt oder
sonstwie über die obligatorische und damit interpersonelle Beziehung hinaus
verselbständigt sei. Der Käufer könne auch auf anderem Wege zu seinem Recht
kommen, nämlich durch seine Beiladung in einem Klageverfahren des
Veräußerers, der dazu zivilrechtlich verpflichtet sei. Im Hinblick auf die Erwähnung
des Anfechtungsrechts des Käufers in § 24 Abs. 4 BBauG dränge sich förmlich die
Frage auf, warum das Gesetz nicht die Wirksamkeit der Vorkaufsrechtsausübung
von der Zustellung auch an den Käufer abhängig mache, wenn es ihm
andererseits doch ein selbständiges Anfechtungsrecht zuzugestehen scheine. Die
Antwort könne nur sein, daß der Gesetzgeber den Käufer trotz einer tatsächlichen
Betroffenheit nicht als unmittelbar klagebefugt ansehe, weil er nicht in subjektiven
öffentlichen Rechten beeinträchtigt sein könne. Dieses Verständnis des § 24
BBauG erscheine sachlich zutreffend und interessengerecht.
Sollte die Klage des Käufers zulässig sein, sei der Verkäufer in den Fällen, in denen
das Grundstück bereits übereignet worden sei, als notwendig Beigeladener in das
Verfahren einzubeziehen. Das ergebe sich zwingend, weil die vom Kläger begehrte
Sachentscheidung gleichzeitig Rechte der Verkäufers aufhebe.
Wenn die Bekanntgabe des Ausübungsbescheides an den Notar nicht habe
erfolgen können, sei er dem Verkäufer nicht bekanntgegeben und damit
unwirksam und nicht etwa lediglich nicht rechtzeitig bekanntgegeben. Keine
Würdigung erfahre die Frage, ob der Notar, wenn er schon nicht Vertreter des
Verkäufers sei, jedenfalls Bote sein könne. Dafür spreche jedenfalls, daß die
Beklagte den Ausübungsbescheid an ihn in dreifacher Ausfertigung versandt habe
und dabei die drei Adressaten (Verkäufer, Käufer, Notar) jeweils gekennzeichnet
habe. Hinsichtlich des Verkäufers (und des Käufers) sei darin die Aufforderung zur
Weitergabe an die Genannten zu erblicken. Wenn aber der Notar Bote gewesen
sei, frage es sich, ob im vorliegenden Fall nicht bereits durch die telefonische
Unterrichtung des Verkäufers die Bekanntgabe erfolgt sei, die durch Aktennotiz
des Verkäufers vom 09.01.1986 bewiesen sei. Diese sei rechtzeitig gewesen. Sie
sei auch rechtswirksam. Der Einwand der fehlenden Schriftform gemäß § 71 Abs. 2
HGO könne nicht erhoben werden, denn der Bescheid sei schriftlich ergangen.
Zwar habe der Bote das Schriftstück nicht innerhalb der Frist übergeben, wohl aber
die Tatsache des Ergehens des Inhalts und die Form des Bescheides mitgeteilt.
Dies reiche zur Wirksamkeit der Bekanntgabe aus. Es genüge dem § 24 BBauG,
der nur die Bekanntgabe der Ausübung gegenüber dem Verkäufer verlange,
ebenso wie dem § 71 Abs. 2 HGO, dessen Zweck , der Schutz der Gemeinde und
ihrer Einwohner sei. Dadurch sei ein in jeder Hinsicht formgültiger und
vertretungsrechtlich ordnungsgemäßer Bescheid den Herrschaftsbereich der
Beklagten verlassen habe, sei diesem Schutzzweck Rechnung getragen.
Die Bevollmächtigung des Notars ergebe sich bereits aus dem
Grundstückskaufvertrag. Dem Verwaltungsgericht sei zu widersprechen, wenn es
behaupte, aus § 10 Abs. 2 des Kaufvertrages sei eine Bevollmächtigung nicht zu
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behaupte, aus § 10 Abs. 2 des Kaufvertrages sei eine Bevollmächtigung nicht zu
entnehmen. Die Bevollmächtigung des Notars sei nicht erloschen gewesen,
nachdem er die Zwischenverfügung entgegengenommen und den
Vertragsparteien weitergeleitet habe. Denn diese Zwischenverfügung sei gerade
keine Antwort auf die antragsgemäße Anfrage des Notars vom 01.11.1985. Wenn
man den § 10 Abs. 2 Kaufvertrag als Spezialregelung hinsichtlich des
Vorkaufsrechts ansehe, müsse man in der Beauftragung des Notars auch die
Bevollmächtigung zur Entgegennahme der Antwort sehen. Dieser Regelung
entspreche es, daß dem Notar für seine Tätigkeit - die Einholung des Zeugnisses
nach § 24 Abs. 5 BBauG - zumindest eine Gebühr in Höhe eines Zehntels der
vollen Gebühr gemäß § 146 Abs. 1 Kostenordnung - KostO - zustehe. Im
vorliegenden Fall habe der Notar darüber hinaus sogar eine halbe Gebühr verlangt,
weil er mit der gesamten Durchführung des Vertrags betraut gewesen sei. Ebenso
wie im Falle der Zeugniserteilung sei der Notar hinsichtlich der Entgegennahme
des Ausübungbescheides bevollmächtigt, da es sich um die beiden
Beendigungsmöglichkeiten des von ihm eingeleiteten Verfahrens handele. Aber
selbst wenn es zwei verschiedene Verfahren wären, lägen sie so dicht beieinander,
daß die Bevollmächtigung hinsichtlich des einen die hinsichtlich des anderen
mitumfassen müßte. Auch auf der Grundlage der ergänzenden Anwendbarkeit des
§ 11 Kaufvertrages ergebe sich keine anderes Ergebnis.
Der angefochtene Bescheid, der nichtteilbar sei, habe sich insgesamt erledigt. Die
Erledigung sei bereits durch die Übereignung des Grundstücks an die Beklagte
eingetreten. Diese sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
bereits irreversibel, da die Übereignung wegen der Mitwirkung des Verkäufers nur
eine mittelbare Folge der Vorkaufsrechtsausübung sei. Damit fehle es an einem
materiellen Folgenbeseitigungsanspruch. Die Weiterveräußerung einer Teilfläche
habe demgegenüber keine weitere Veränderung im Sinne einer Erledigung des
Verwaltungsaktes gebracht.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteile die Klage vom 7. Juli 1986
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
hilfsweise,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Ausübung
des Vorkaufsrechts bezüglich einer Teilfläche von ca. 132 qm des Grundstücks B.
H., S. A., Flur 18, Flurstück 166/94, eingetragen im Grundbuch von B.H. , Band
195, Blatt 6065, rechtswidrig gewesen ist.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze
Bezug genommen. Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die
Gerichtsakte des Verfahrens Hess. VGH - 4 R 830/88 - liegen vor und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 124, 125 VwGO ). Die Berufung ist
jedoch unbegründet, weil das Verwaltungsgericht der Klage zu Recht stattgegeben
hat.
Die Klage ist zulässig. Im Streit um die wirksame Ausübung des allgemeinen
Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 4 Satz 1 BBauG handelt es sich um eine öffentlich-
rechtliche Streitigkeit (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ). Entgegen der Auffassung der
Beklagten ist der Kläger auch klagebefugt. Die Klagebefugnis des Käufers im Falle
der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts wird seit der Entscheidung des
OVG Münster vom 13.12.1967 (IV A 1276/66 - BRS 18 Nr. 71 - DVB1. 1968, 525 f.)
in ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung bejaht
(Hess. VGH, U. v. 04.05.1979 - IV OE 39/78 -; U. v. 11.02.1983 - IV OS 57/81 - BRS
40 Nr. 105 = NVwZ 1983, 556; OVG Lüneburg, U. v. 28.02.1980 - 1 A 109/78 - BRS
36 Nr. 120; OVG Münster, U. v. 01.09.1980 -11 A 138/79 - BRS 36 Nr. 121;
BVerwG, B. v. 25.05.1982 - 4 B 98.82 - BRS 39 Nr. 96). Im Falle einer gefestigten
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, wie sie vorliegend gegeben ist, kann es
eine Neueröffnung einer abgeschlossenen Diskussion nur geben, wenn
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eine Neueröffnung einer abgeschlossenen Diskussion nur geben, wenn
überzeugende neue Gesichtspunkte das unabweisbar machen. Solche sind hier
nicht zu erkennen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in der zuletzt
genannten Entscheidung dahingehend geäußert, es liege auf der Hand, daß sich
die Ausübung des Vorkaufsrechts auch gegenüber dem Käufer als ein
(belastender) Verwaltungsakt darstelle und daß sich dieser dagegen mit
Widerspruch und Anfechtungsklage wehren könne; denn dem Käufer werde durch
die Ausübung des Vorkaufsrechts ein "vertragliches Recht auf
Eigentumsverschaffung entzogen". Wenn die Beklagte dagegen einwendet, der
"Eigentumsverschaffungsanspruch" sei kein subjektives öffentliches Recht sondern
ein klassisches privates Recht, so verkennt sie, daß die meisten durch das
Privatrecht geschützten Interessen auch zugleich durch das öffentliche Recht
gegen Eingriffe geschützt (werden), insbesondere, soweit nicht speziellere
Grundrechte betroffen sind, durch Art. 2 Abs. 1 GG sowie durch den
ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, daß der Staat nicht ohne Rechtsgrund in
private Rechte eingreifen darf (vgl. Kopp, VwGO , 7. Aufl., § 42 Rdnr. 45 m.w.N.).
Falls es noch einer Klarstellung in diesem Sinne bedurfte, ist sie durch die Novelle
1976 (Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18.08.1976, BGBl. 1976,
2221) erfolgt: Die Gemeinde darf das Grundbuchamt ersuchen, eine zur Sicherung
des Übereignungsanspruchs des Käufers im Grundbuch eingetragene Vormerkung
zu löschen, "wenn die Ausübung des Vorkaufsrechts für den Käufer unanfechtbar
ist" (§ 24 Abs. 4 Satz 5 BBauG). Die Beklagte ignoriert die ausdrückliche
Erwähnung der Anfechtbarkeit des Vorkaufsrechts für den Käufer mit der
Begründung, es handele es sich um eine dogmatisch unhaltbare Konstruktion.
Die Beklagte hat ihr Vorkaufsrecht nach § 25 BBauG nicht innerhalb der
Zweimonatsfrist des § 24 Abs. 4 Satz 1 BBauG, sondern verspätet ausgeübt. Nach
dieser Vorschrift kann das Vorkaufsrecht nur binnen zwei Monaten nach Mitteilung
des Kaufvertrages durch Verwaltungsakt gegenüber dem Veräußerer ausgeübt
werden. Die Mitteilung des Kaufvertrags durch den Notar ist bei der Beklagten am
11.11.1985 eingegangen, mithin ist die Zweimonatsfrist am 11.01.1986
abgelaufen. Der Bescheid ging jedoch der Verkäuferin erst am 20.01.1986 und
dem Kläger mit Eingang des Schreibens des Notar vom 13.01.1986 zu, dem ein
Exemplar des Bescheides vom 18.12.1985 beigefügt war.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Bescheid vom 18.12.1985 weder
dem Veräußerer noch dem Kläger mit Eingang im Anwalts- und Notariatsbüro am
19.12.1985 zugegangen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht dargelegt, daß die
Bekanntgabe des Verwaltungsaktes gegenüber dem Notar R. L. nicht geeignet
war, die Frist des § 24 Abs. 4 Satz 1 BBauG zu wahren, da der Notar nicht zur
Entgegennahme des Vorkaufsrechtsausübungsbescheides bevollmächtigt war. In §
10 Abs. 2 des Kaufvertrages haben die Vertragsparteien den Notar angewiesen,
bei der Gemeinde anzufragen, ob ein Vorkaufsrecht bestehe bzw. ob auf dessen
Ausübung verzichtet werde. Das Verwaltungsgericht hat im einzelnen dargelegt,
daß § 10 Abs. 2 hinsichtlich des gemeindlichen Vorkaufsrechts eine abschließende
Spezialregelung darstellt und sich aus dem Vertrag, insbesondere aus § 11 keine
darüber hinausgehende Bevollmächtigung des Notars zur Entgegennahme eines
Vorkaufsrechtsausübungsbescheides ergibt. Insoweit nimmt der Senat zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Urteils Bezug (Art. 2 § 6 Entlastungsgesetz -EntlG- vom 31.03.1978, BGB, I S. 446
ff., i.d.F. vom 04.07.1985, BGBl. I S. 1274). Da die Belehrung im § 10 Abs. 2 dahin
geht, daß ein Vorkaufsrecht der Gemeinde "möglicherweise" besteht, ist die in
diesem Zusammenhang geregelte Anweisung an den Notar, das Bestehen eines
derartigen Rechts zu erfragen, folgerichtig und einer Auslegung dahingehend, er
sei zu Empfangnahme des Ausübungsbescheides bevollmächtigt, nicht
zugänglich. Die dem Notar eingeräumte Vollmacht in den §§ 10 und 11 des
Kaufvertrages ist in ihrem Umfang darauf gerichtet, die Vollziehung des Vertrages
zu ermöglichen. Diese Interpretation ist keine "im Nachhinein", wie die Beklagte
meint. Entsprechend der Anweisung in § 10 Abs. 2 des Kaufvertrages ist der Notar
mit seinem Schreiben vom 01.11.1985 auch verfahren. Die Antwort der Beklagten
auf dieses Schreiben hat der Notar entgegengenommen und an die
Vertragsparteien weitergeleitet. Zu Recht ist er da von ausgegangen, daß
hinsichtlich des Vorkaufsrechtes keine weiteren Verpflichtungen und
Berechtigungen aus dem Kaufvertrag für ihn abzuleiten gewesen seien. Zutreffend
hat das Verwaltungsgericht auch darauf hingewiesen, daß anderenfalls auch die
Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist Sache des Notars gewesen wäre. Auch aus der
Gebührenrechnung des Notars kann im Zusammenhang mit § 146 KostO
entgegen der Auffassung der Beklagten keine Bestätigung ihrer Auffassung
abgeleitet werden, dieser sei seit der Empfangnahme des Ausübungsbescheides
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abgeleitet werden, dieser sei seit der Empfangnahme des Ausübungsbescheides
bevollmächtigt gewesen. Nach § 146 KostO erhält der Notar bei der Veräußerung
von Grundstücken die Hälfte der vollen Gebühr, wenn er zum Zwecke des Vollzugs
des Geschäfts tätig wird, und nur ein Zehntel, wenn sich seine Tätigkeit auf die
Einholung des Zeugnisses nach § 24 Abs. 5 BBauG beschränkt. Diese Vorschrift
enthält keine gebührenrechtliche Anknüpfung an eine Tätigkeit im
Zusammenhang mit der Entgegennahme des Ausübungsbescheides, eine
Tätigkeit, die gerade außerhalb des Vollzugs des Kaufvertrages liegt.
Wenn die Beklagte die Auffassung des Verwaltungsgericht schließlich dahingehend
zusammenfaßt, der Notar sei nicht Vertreter des Adressaten, die Bekanntgabe
habe an ihn also nicht erfolgen können, und der daraus abzuleitende Schluß sei,
daß der Bescheid dem Verkäufer nicht bekanntgegeben, also unwirksam sei, kann
auch dem nicht gefolgt werden. Fehlende Bekanntgabe mit der Folge der
Unwirksamkeit des Bescheides liegt vor, wenn der Verwaltungsakt dem
Betroffenen ohne Willen der erlassenden Behörde bekannt wird. Es ist
selbstverständlich, daß die Beklagte den an die Vertragsparteien gerichteten
Bescheid diesen durch die Übersendung an den Notar bekanntmachen wollte. Da
dessen Bevollmächtigung zur wirksamen Entgegennahme für die Vertragsparteien
nicht ausreichte, ist der Zugang bei den Adressaten entscheidend, und zwar auch
dann, wenn sich - wie sich die Beklagte ausdrückt - für die gewählte Art der
Übermittlung "die Figur des Boten" geradezu aufdrängen sollte. Dann nämlich ist
im vorliegenden Fall der Notar Bote der Beklagten (Erklärungsbote) und nicht der
Vertragspartner (Empfangsbote). Hier wie seinerzeit bei dem der Entscheidung
des Senats vom 11.02.1983 (a.a.O.) zugrundeliegenden Sachverhalt bedarf die
Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts als Erklärung, durch die die
Gemeinde verpflichtet werden soll, der Schriftform im Sinne des § 71 Abs. 2
Satz 1 HGO. Die Schriftform, die dem Schutz der Gemeinde dient, wie die Beklagte
zutreffend ausgeführt hat, hat jedoch auch zur Folge, daß die Bekanntgabe erst
mit dem Zugang des Schriftstücks selbst und nicht bereits mit der telefonischen
Unterrichtung des Veräußerers erfolgt ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist durch die Übereignung des
Grundstücks keine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache eingetreten.
Zwar fehlt nach der Übereignung, die nach dem Vortrag des Klägers in dem von
ihm vor dem Senat anhängig gemachten Eilverfahren - 4 R 830/88 - vollzogen
wurde, weil "die Sicherung der Interessen des Käufers durch Eintragung einer
Vormerkung gegen die Folgen einer unzulässigen Vorkaufsrechtsausübung ...
seinerzeit aufgrund eines Mißverständnisses nicht vorgenommen" wurde, das
Substrat für diesen Eigentumsverschaffungsanspruch auf der Grundlage des
Vertrags vom 31.10.1985. Doch treten an die Stelle dieses Anspruchs im Fall der
Aufhebung des Vorkaufsrechtsausübungsbescheides Kondiktionsansprüche nach
den Regeln über Leistungsstörungen in schulrechtlichen Verträgen (§§ 325, 281
BGB). Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 11.02.1983 (a.a.O.) dargelegt
hat, handelt es sich bei dem Ausübungsbescheid um einen
privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, durch den ein Austausch der
Vertragsparteien auf der Käuferseite stattfindet, während die weitere Abwicklung
des Kaufvertrages unverändert bleibt. Der Senat unterscheidet demzufolge
zwischen einer ersten (öffentlich-rechtlichen) und einer zweiten privatrechtlichen
Stufe (vgl. auch Schlichter in Schlichter/Stich/Tittel, Bundesbaugesetz, 3. Aufl., §
24 Rdnr. 8 am Ende). Mit der Entscheidung über die Kassation des
Verwaltungsaktes wird auch im Verhältnis zwischen der Gemeinde, dem durch die
Ausübung des Vorkaufsrechts Verpflichteten und dem Dritten über die Frage
entschieden, ob die Gemeinde in den zivilrechtlichen Vertrag eintritt oder dieser
die Grundlage (Causa) für die zivilrechtlichen Ansprüche des Klägers bzw. die
daran anknüpfenden Regelungen über Leistungsstörungen in schuldrechtlichen
Verträgen (§§ 325, 281 BGB) bleibt. Nach diesen Regelungen entscheidet sich
auch, ob und gegebenenfalls welche weitergehenden zivilrechtlichen Ansprüche
sich nach der Weiterveräußerung einer Teilfläche zwischen den Beteiligten
ergeben. Auch insoweit kann der Kläger keine Ansprüche geltend machen, solange
der Verwaltungsakt den Rechtsgrund für die Abwicklung des Vertrages zwischen
der Beklagten und dem durch die Ausübung des Vorkaufsrechts Verpflichteten
bildet. Dieser ist auch nicht als notwendig Beigeladener in das Verfahren
einzubeziehen, wie die Beklagte meint. Die Entscheidung über das Fortbestehen
des Vorkaufsrechts zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens hat
Tatbestandswirkung, die auch ohne Rechtskrafterstreckung eintritt, was allerdings
nicht ausschließt, daß im Einzelfall die einfache Beiladung (§ 65 Abs. 1 VwGO ) des
durch die Ausübung des Vorkaufsrechts Verpflichteten zweckmäßig sein mag.
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Nach alledem ist der Bescheid vom 18.12.1985 rechtswidrig und die Berufung aus
diesem Grunde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO .
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs hat aus §
167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 Zivilprozeßordnung - ZPO - zu erfolgen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor
(§ 132 Abs. 2 VwGO ).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.