Urteil des HessVGH vom 25.08.2006

VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, hessen, beschränkung, asylbewerber, asylverfahren, duldung, wohnsitzwechsel, erlöschen, aufenthalt, wohnsitznahme

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TG 1617/06.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 51 AsylVfG 1992, § 56
Abs 3 AsylVfG 1992, § 80
AsylVfG 1992
(Asylbewerber; länderübergreifender Wohnsitzwechsel;
Umverteilung; Beschwerdeausschluss)
Leitsatz
1. Der Wohnsitzwechsel eines abgelehnten Asylbewerbers in ein anderes Bundesland
setzt wegen der gemäß § 56 Abs. 3 AsylVfG fortdauernden räumlichen Beschränkung
seiner (erloschenen) Aufenthaltsgestattung eine länderübergreifende Umverteilung
gemäß § 51 AsylVfG voraus.
2. Das auf die Erlaubnis zur Wohnsitznahme in einem anderen Bundesland gerichtete
Begehren eines abgelehnten Asylbewerbers stellt eine asylrechtliche, vom
Beschwerdeausschluss des § 80 AsylVfG erfasste Streitigkeit dar.
Tenor
Die Anträge der Antragsteller/innen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die
zweite Instanz werden abgelehnt.
Die Beschwerden der Antragsteller/innen gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juni 2006 – 11 G 1553/06.A – über
die Ablehnung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes werden verworfen.
Die Antragsteller/innen haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je 1/5 zu
tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Bei den Antragstellern/innen handelt es sich um eine afghanische
Asylbewerberfamilie mit zwei weiteren, in Seligenstadt/Hessen 2004 und 2005
geborenen Kindern.
Der Ehemann und Vater, der Antragsteller zu 2., ist Ende 2002 eingereist und
nach Hessen zugewiesen worden; sein Asylverfahren ist derzeit im
Berufungsverfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem
Aktenzeichen 8 UE 30/06.A anhängig.
Seine ursprünglich tschetschenischen bzw. ukrainische Ehefrau, die Antragstellerin
zu 1., und Mutter der Antragsteller/in zu 3. bis 5. war bereits im Jahre 2000 mit
diesen nach Deutschland eingereist und nach Bayern in den Landkreis Freyung-
Grafenau zugewiesen worden. Ihre Asylverfahren sind auf Grund von Bescheiden
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29. Januar
2003 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Sie halten sich seitdem (häufig) bei
dem Antragsteller zu 2. in Hessen auf; seit 2003 bemühen sie sich vergeblich um
eine entsprechende Erlaubnis zur Familienzusammenführung. Wegen ihres
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eine entsprechende Erlaubnis zur Familienzusammenführung. Wegen ihres
tatsächlichen Aufenthalts in Hessen sind ihre in Bayern erteilten Duldungen nicht
mehr verlängert worden.
Die am 21. April 2006 von den Antragstellern/innen - sinngemäß - gestellten
Anträge,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
den Antragstellern/innen zu 1. und 3. bis 7. Duldungen zu erteilen, die die
Wohnsitznahme gemeinsam mit dem Antragsteller zu 2. in A-Stadt gestatten und
ggf. auf den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners beschränkt sind, und
ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu
gewähren,
hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main für die Antragsteller/innen zu 1. bis
5. mit Beschluss vom 7. Juni 2006 - 11 G 1553/06.A - abgelehnt.
Der einstweilige Rechtsschutzantrag sei unstatthaft, weil er eine Entscheidung in
der Hauptsache vorwegnehme und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes
keine Durchbrechung dieses grundsätzlichen Verbots erfordere. Es sei zumutbar,
die Kinder zunächst in dem ihnen zugewiesenen Aufenthaltsbereich im Landkreis
Freyung-Grafenau einzuschulen und im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache
den mit einem Umzug verbundenen Schulwechsel in Kauf zu nehmen. Die
familiären Bindungen könnten im Übrigen auch weiterhin im Rahmen von
Besuchsregelungen aufrechterhalten werden, die jeweils zum Verlassen des
zugewiesenen Aufenthaltsbereichs berechtigten.
Der Beschluss sei gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar, weil diese Vorschrift alle
Rechtsstreitigkeiten erfasse, mit denen die Aussetzung einer Abschiebung auf
Grund einer nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes erlassenen
Abschiebungsandrohung erreicht werden solle.
Dagegen haben die Antragsteller/innen am 3. Juli 2006 unter Wiederholung ihrer
einstweiligen Rechtsschutzanträge Beschwerden eingelegt und die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt.
Da eine Umverteilung nach abgeschlossenen Asylverfahren begehrt werde,
handele es sich um aufenthaltsrechtliche Angelegenheiten. Für eine nach Art. 6
GG zu erteilende länderübergreifende Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG sei
nach einem Urteil des OVG Münster vom 29. November 2005 die
Ausländerbehörde des Antragsgegners zuständig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens
wird auf die vorliegende und die Streitakte im Verfahren 8 UE 30/06.A und den dort
beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
II.
Der Berichterstatter entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87a
Abs. 2 und 3 VwGO anstelle des Senats.
Die mit dem Beschwerdeschreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 3. Juli
2006 gestellten Anträge der Antragsteller/innen auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren sind gemäß § 166 VwGO
i.V.m. § 114 ZPO abzulehnen, weil ihre Beschwerden gegen die
verwaltungsgerichtliche Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung aus
den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten.
Die Beschwerden sind gemäß § 80 AsylVfG nicht statthaft, weil es sich um
Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz handelt.
Es ist zwar fraglich, ob die auch vom Berichterstatter des Senats mit Beschluss
vom 22. August 2005 – 8 UZ 2295/04.A – geteilte Auffassung aller ausländer- und
asylrechtlichen Senate des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, dass
Rechtsstreitigkeiten über die Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen
zum Vollzug von asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohungen unabhängig
von der Kompetenzzuweisung oder einer materiell-rechtlichen Grundlage im Asyl-
oder Ausländerrecht als „Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz“ einheitlich den
verfahrensrechtlichen Sondervorschriften des Asylverfahrensgesetzes und damit
dem Beschwerdeausschluss des § 80 AsylVfG unterliegen, in Ansehung der
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dem Beschwerdeausschluss des § 80 AsylVfG unterliegen, in Ansehung der
gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. u.a. BVerwG,
Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 6/97 - NVwZ 1998 S. 299 ff. = juris) und im
Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung uneingeschränkt
aufrechterhalten bleiben kann (vgl. etwa zur Aufgabe der bisherigen
Rechtsprechung unter diesem Gesichtspunkt: OVG Saarl., Beschluss vom 26.
November 1998 - 1 V 25/98, 1 W 15/98 –juris Rdnr. 12; Hamb. OVG, Beschluss
vom 16. Februar 2005 – 4 Bs 488/04 – juris Rdnr. 5); ganz abgesehen von der
Frage, ob es vorliegend überhaupt um die Vollstreckung der
asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohungen gegen die
Antragsteller/innen zu 1. und 3. bis 5. im Sinne der obigen Rechtsprechung des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs geht.
Jedenfalls ergibt sich der asylrechtliche Charakter der vorliegenden Streitigkeiten
aber daraus, dass es den Antragstellern/innen bei sachgerechter Auslegung
gemäß § 88 VwGO ihrer einstweiligen Rechtsschutzbegehren um eine
länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 AsylVfG geht, also um eine
Entscheidung, die ihre rechtliche Grundlage als lex spezialis im
Asylverfahrensgesetz findet.
Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts der Antragsteller/innen zu 1. und 3.
bis 5. auf Grund ihrer asylverfahrensrechtlichen Zuweisung in den bayerischen
Landkreis Freyung-Grafenau ist – entgegen ihrem Beschwerdevorbringen – nach
dem rechtskräftigen Abschluss ihrer Asylverfahren nicht zusammen mit ihren
Aufenthaltsgestattungen erloschen. Diese asylverfahrensrechtliche räumliche
Aufenthaltsbeschränkung, die auch den für die örtliche Zuständigkeit der
Ausländerbehörde maßgeblichen „gewöhnlichen Aufenthalt“ bestimmt, bleibt
nämlich nach der nunmehr mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch das
Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950 <1993>) angefügten
Regelung in § 56 Abs. 3 AsylVfG auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung
weiter so lange in Kraft bis diese räumliche Beschränkung aufgehoben wird oder
der abgelehnte und vollziehbar ausreisepflichtige, aber noch nicht ausgereiste
Asylbewerber einen Aufenthaltstitel erhalten hat, zu dem gemäß § 4 AufenthG
eine Duldung nicht gehört. Die Fortdauer dieser räumlichen Beschränkung besteht
auch unabhängig davon, ob und wie lange abgelehnte Asylbewerber sich – wie hier
die Antragsteller/innen zu 1. und 3. bis 5. – faktisch außerhalb des
Zuweisungsbezirks aufgehalten haben (so zur früheren Rechtslage: OVG Berlin,
Beschluss vom 23. Oktober 2000 – 8 S 21/00 – InfAuslR 2001 S. 165 ff. = juris;
OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 16. Januar 2004 – 10 B 11661/03 – AuAS 2004 S.
130 ff. = juris; Thür. OVG, Beschluss vom 22. Januar 2004 – 3 EO 1060/03 –
InfAuslR 2004 S. 336 ff. = juris; a.A. zur früheren Rechtslage: Ns. OVG, Beschluss
vom 3. Dezember 1999 – 11 O 4393/99 – juris; vgl. zur derzeitigen Rechtslage: VG
Ansbach, Beschluss vom 15. Juni 2005 – AN 19 E 05.01526 – juris; Hamb. OVG,
Beschluss vom 19. Oktober 2005 – 4 Bs 215/05 – InfAuslR 2006 S. 32 ff. = juris
Rdnr. 13; OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 29. März 2006 – 7 B 10291/06 – juris;
Hess. VGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 12 TP 1363/06 -).
Begehrt ein solcher Ausländer – wie hier die Antragsteller/innen – etwa gemäß Art.
6 GG zum Zwecke der Familienzusammenführung eine Duldung, die ihm nicht nur
ein vorübergehendes Verlassen seines zugewiesenen Aufenthaltsbereichs gemäß
§ 58 AsylVfG, sondern die dauerhafte oder jedenfalls längerfristige
Aufenthaltsnahme in einem anderen Bundesland ermöglichen soll, kann bzw.
muss er zur Überwindung der Beschränkung des § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine
länderübergreifende Verteilung dorthin gemäß § 51 AsylVfG beantragen (vgl.
Rheinl.-Pf. OVG, Beschlüsse vom 16. Januar 2004 und 29. März 2006 jeweils a.a.O;
Bayer. VGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 24 ZB 05.1954 – juris Rdnr. 11;
Hamb. OVG, Beschluss vom 19. Oktober 2005 a.a.O. juris Rdnr. 18). Denn nach
der ausdrücklichen Regelung in § 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG i.V.m. § 4 Abs. 1
AufenthG ist die Erteilung einer bloßen Duldung nicht geeignet, die fortdauernde
räumliche Beschränkung der erloschenen Aufenthaltsgestattung gemäß § 56 Abs.
1 und 2 AsylVfG ebenfalls zum Erlöschen zu bringen (a.A. OVG NW, Beschluss vom
29. November 2005 – 19 B 2364/03 – InfAuslR 2006 S. 64 ff. = juris Rdnrn. 30 ff.).
Da im vorliegenden Fall nichts dafür ersichtlich ist, dass dieser für die
Antragsteller/innen zu 1. und 3. bis 5. gemäß § 56 Abs. 3 AsylVfG fortgeltende
asylrechtliche Sonderstatus in Bezug auf die räumliche Beschränkung ihres
geduldeten Aufenthalts aufgehoben oder sonst wie erledigt wäre, kann die von
ihnen begehrte „Umverteilung“ nur nach diesen asylverfahrensrechtlichen
Sondervorschriften erfolgen und begründen deshalb ihre Begehren
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Sondervorschriften erfolgen und begründen deshalb ihre Begehren
Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz, für die gemäß § 80 AsylVfG
die Beschwerden ausgeschlossen sind (insoweit a.A. Hamb. OVG, Beschluss vom
19. Oktober 2005 a.a.O. juris Rdnr. 7; so aber VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2.
Februar 2006 – A 12 S 929/05 – InfAuslR 2006 S. 293 f. = juris [LS]).
Danach hätten die Beschwerden auch in der Sache keinen Erfolg gehabt.
Da der Umverteilungsantrag gemäß § 51 Abs. 2 AsylVfG an die zuständige
Behörde des Aufnahmelandes zu richten und insoweit für Hessen gemäß § 3
AsylVZustVO das Regierungspräsidium Darmstadt zuständig ist, hätten die
Antragsteller/innen dort entsprechende Anträge stellen und ggf. einstweiligen
Rechtsschutz nicht gegenüber dem Antragsgegner, sondern gegenüber dem Land
Hessen begehren müssen. Zudem wäre für diese asylrechtlichen Streitigkeiten
jedenfalls nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl.
Urteil vom 2. Februar 2006 a.a.O.) gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 HS 1 VwGO das
bayerische Verwaltungsgericht örtlich zuständig gewesen, in dessen Bezirk die
Antragsteller/innen zu 1. und 3. bis 5. nach der asylverfahrensrechtlichen
Zuweisung ihren Aufenthalt zu nehmen hatten; das erscheint allerdings recht
zweifelhaft, da zum einen gerade die Pflicht streitig ist, sich am bisherigen
Zuweisungsort aufhalten zu müssen (vgl. v. Albedyll, in
Bader/Finke/Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl.2005, Rdnr. 18 zu § 52) und
da zum anderen der föderative Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland es
ausschließen dürfte, dass Verwaltungsgerichte eines Landes über die
Verwaltungstätigkeit eines anderen Bundeslandes entscheiden (vgl. Bier, in
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: April 2006, Rdnr. 16 zu § 52).
Die Beschwerden sind danach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 und § 159
VwGO i.V.m. § 100 ZPO als unzulässig zu verwerfen; Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG und § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.