Urteil des HessVGH vom 23.12.1988

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, vollziehung, öffentliches interesse, verfügung, behörde, nutzungsänderung, genehmigungsverfahren, gaststätte

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TH 4362/88
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 5 VwGO, § 83 Abs
1 BauO HE, § 87 Abs 1 S 1
BauO HE, § 2 GastG
(Keine Konzentrationswirkung einer Gaststättenerlaubnis
gegenüber einer Nutzungsänderungsgenehmigung -
Sofortvollzugsinteresse für Nutzungsverbot)
Gründe
Gegenstand des Verfahrens ist die Verfügung des Antragsgegners vom
26.09.1988, in der dem Antragsteller unter Sofortvollzug untersagt wurde, das
Anwesen Hstraße ... im Ortsteil K der Gemeinde S weiterhin als Diskothek zu
nutzen.
Der Antragsteller ist Pächter der im Eigentum der Firma B stehenden früheren
Gastwirtschaft "S", die nach Aktenlage früher als Gaststätte mit Saal betrieben
wurde. Der Antragsteller übernahm einen bereits als Diskothek geführten Betrieb,
den er als Diskothek "C" fortführte und für den er unter dem 10.02.1983 die
gaststättenrechtliche Konzession zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft
sowie einer Diskothek erhalten hat. Die Bauaufsichtsbehörde, die am Verfahren
auf Erteilung der Erlaubnis nach § 2 des Gaststättengesetzes als Fachbehörde
beteiligt worden war, hatte gegen die Erteilung keine Bedenken.
Unter dem 19.06.1986 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zwecks
Prüfung der Zulässigkeit der Umnutzung zur Vorlage prüffähiger Unterlagen auf.
Unter dem 09.03.1987 stellte der Antragsteller einen Antrag auf
Nutzungsänderung, der vom Antragsgegner mit Bescheid vom 27.03.1987
abgelehnt wurde. Sein Widerspruch wurde insoweit vom Regierungspräsidenten in
D mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 1988 zurückgewiesen. Bei dem
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ist ein Verwaltungsstreitverfahren anhängig
(Az.: IV/1 E 1085/88).
Den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 26.09.1988
hat das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 21.10.1988 abgelehnt. Gegen den
am 27.10.1988 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller am 28.10.1988
Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 21.10.1988 dem Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 07.10.1988
gegen die Verfügung der Unteren Bauaufsichtsbehörde des M-Kreises vom
26.09.1988 stattzugeben.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge des Antragstellers zurückzuweisen.
Die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (3 Akten sowie die Konzessionsakte
der Gemeinde S) liegen vor; sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
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Die gemäß §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das
Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs des Antragstellers wiederherzustellen.
Widerspruch und Anfechtungsklage haben regelmäßig aufschiebende Wirkung (§
80 Abs. 1 VwGO). Ausnahmsweise kann die Behörde jedoch die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs dadurch beseitigen, daß sie nach § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO die sofortige Vollziehung dieser Verfügung anordnet. Sie ist zu einer solchen
Anordnung aber nur berechtigt, wenn die sofortige Vollziehung der Verfügung im
öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten
erscheint. Vor Erlaß der Anordnung muß die Behörde einerseits die Interessen der
Öffentlichkeit und eines etwaigen Beteiligten an einer sofortigen Durchführung der
Maßnahme sowie andererseits die entgegenstehenden Interessen des Betroffenen
an dem Bestand der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs
gegeneinander abwägen. Eine ähnliche Prüfung hat das Gericht anzustellen, wenn
es gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen
die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes befaßt wird.
Dem sogenannten Stoppantrag ist stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt, gegen
den Widerspruch erhoben ist, offensichtlich rechtswidrig ist. In diesem Fall kann
kein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung bestehen. Umgekehrt
ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt
offensichtlich rechtmäßig, seine Anfechtung auch nicht etwa wegen eigenen
Ermessens der Widerspruchsbehörde aussichtsreich und seine Vollziehung
eilbedürftig ist, wofür sich je nach Sachgebiet, so auch im Baurecht, bestimmte
Falltypen herausbilden können. In allen anderen Fällen entscheidet bei
summarischer Beurteilung des Sachverhalts eine reine Abwägung der beteiligten
öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der
Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Auf die
Eilbedürftigkeit der Vollziehung wegen der besonderen Wichtigkeit und Dringlichkeit
einer sofortigen Vollziehung, die auch falltypisch gegeben sein kann, kann nicht
allein wegen der Belange des Betroffenen, sondern schon wegen der Wahrung des
Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Absätze 1 und 2 des § 80 VwGO nicht
verzichtet werden. Die Regel bleibt, daß sich die Vollstreckung eines
Verwaltungsaktes, gegen den Widerspruch erhoben wird, an ein abgeschlossenes
Hauptsacheverfahren anschließt. Das entspricht der langjährigen Rechtsprechung
des beschließenden Senats (vgl. Beschlüsse vom 28.06.1965 -- B IV 21/65 --
ESVGH 15, 153/154 und vom 14.07.1971 -- IV TH 25/71 -- BRS 24 Nr. 205;
ständige Rechtsprechung).
Mit dem Verwaltungsgericht ist das angefochtene baurechtliche Nutzungsverbot
zur Unterbindung einer formell illegalen Saalnutzung als offensichtlich rechtmäßig
anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Raumnutzung als
Diskothek im Verhältnis zu einer früheren Nutzung als Gaststätte mit Saal eine
rechtsbedeutsame Nutzungsänderung dar, die gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 HBO
genehmigungsbedürftig ist (Beschluß v. 31.03.1981 -- BRS 38 Nr. 152 = GewA
82,92 = Hess. VGRspr. 1982, 3; Beschluß v. 25.04.1983 -- 4 TH 12/83 -- GewA
1983, 343 = HSGZ 1983, 428). Die Baugenehmigung fehlt. Der Antragsteller
verweist zwar darauf, daß er die Diskothek seit Jahren mit gaststättenrechtlicher
Erlaubnis betreibt, die unter Mitwirkung der Bauaufsichtsbehörde erteilt wurde. Die
Gaststättenerlaubnis hat jedoch keine Konzentrationswirkung. Sie umfaßt oder
ersetzt daher nicht eine nach Landesbaurecht erforderliche Bau- oder
Nutzungsänderungsgenehmigung (vgl. VG Freiburg, Beschluß v. 23.12.1982 -- 6 K
324/82 -- NVwZ 1983, 697 mit Nachweisen der obergerichtlichen Rechtsprechung).
Eine entsprechende Auffassung wie für das Verhältnis zwischen Baugenehmigung
und Gaststättenerlaubnis hat der Senat auch für Fälle erforderlicher
Mehrfachgenehmigungen bau- und naturschutzrechtlicher Art vertreten. Auch
soweit eine Genehmigung nach Landschaftsschutzrecht erteilt ist, bleibt die ohne
Baugenehmigung errichtete baugenehmigungspflichtige Anlage formell illegal. In
diesem Fall steht die landschaftsschutzrechtliche Genehmigung einem
Einschreiten aufgrund baurechtlicher Vorschriften nicht entgegen (Hess. VGH,
Urteil v. 27.08.1981 -- 4 OE 90/77 -- NuR 1982, 226).
Zutreffend hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, daß die im Rahmen eines
Verfahrens auf Erteilung einer Gaststättenerlaubnis abgegebene Stellungnahme
der Bauaufsichtsbehörde diese auch nicht in der Weise zu binden vermag, daß sie
an der Ausübung ihrer Befugnis und der Erfüllung ihrer Verpflichtung, für
baurechtmäßige Zustände zu sorgen (§ 83 Abs. 1 HBO), zu der auch gehört, eine
unzulässige Nutzung zu verhindern, gehindert wäre.
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Die Erteilung einer von mehreren erforderlichen Genehmigungen führt
ebensowenig, wie sie eine Bindung für das oder die anderen
Genehmigungsverfahren bewirkt, zu einem Vertrauensschutz. Sind mehrere
Genehmigungen einzuholen, so kann sich erstens niemand darauf verlassen, daß
Gesichtspunkte, deren Prüfung Gegenstand eines gesonderten Verfahrens ist, in
einem anderen Verfahren mitgeprüft worden sind, auch dann nicht, wenn die
Genehmigungsbehörde in dem anderen Verfahren als Fachbehörde beteiligt
worden ist. Zweitens kann eine solche Beteiligung, -- möglicherweise unter einer
wenn nicht rechtlich, so doch faktisch eingeengten Fragestellung, -- nach dem
Willen des Gesetzgebers gerade nicht das spezielle Genehmigungsverfahren und
das formale Erfordernis einer selbständigen Genehmigung ersetzen. Demgemäß
kann der tatsächliche Verlauf einer solchen Beteiligung, so auch der vorliegende
Fall, daß die Bauaufsichtsbehörde verfügbare Informationen über die
Notwendigkeit und das Fehlen einer bauaufsichtlichen Genehmigung in das
gaststättenrechtliche Verfahren nicht einbringt, kein Vertrauen des Antragstellers,
daß die Gaststättenerlaubnis ausreiche, gegen das Recht begründen. Dies gilt,
wenn der Antragsteller die Pflicht zur Einholung einer Baugenehmigung für eine
Nutzungsänderung kennt, ebenso wie wenn er sie nicht kennt, weil Unkenntnis
allein nicht vor den verwaltungsrechtlichen Folgen des eigenen Handelns schützt.
Es obliegt dem Antragsteller als Gewerbebetreibenden und Inhaber einer
Schankkonzession, dafür zu sorgen, daß die rechtlichen Voraussetzungen für
seinen Gaststättenbetrieb vor Aufnahme seiner Tätigkeit, sei es in eigenen oder in
fremden Räumen, vorliegen. Als Erwerber eines Grundstücks mit Anlagen, die
genehmigungsbedürftig sind, hat er die Möglichkeit, sich bei dem Erwerb die
Baugenehmigung aushändigen zu lassen oder sich die Zulässigkeit der
beabsichtigten Nutzung vorher baurechtlich genehmigen zu lassen. Im Falle der
Pacht ist es Sache des Verpächters, dafür Sorge zu tragen, daß der Pachtvertrag
mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen werden kann, und Sache des Pächters,
sich dessen zu vergewissern.
Ein gesetzwidriger Zustand wird durch Zeitablauf nicht rechtmäßig, auch
rechtfertigt dieser Zeitablauf kein Vertrauen des Antragstellers darauf, daß der
Antragsgegner die unzulässige Nutzung weiterhin zuläßt. Die
bauaufsichtsbehördliche Befugnis zum Einschreiten gegen baurechtswidrige
Zustände, der eine entsprechende Amtspflicht gegenübersteht, kann so nicht
verwirkt und auch nicht in der Weise eingeschränkt werden, daß die Behörde im
Falle der Versagung der Nutzungsänderungsgenehmigung verpflichtet sein
könnte, die formell rechtswidrige Nutzung der Anlage jedenfalls bis zur Bestands-
oder Rechtskraft der Entscheidung über ihre Genehmigungsfähigkeit zu dulden.
Vielmehr kann gerade der Umstand, daß die Versagung der Genehmigung wegen
eines sich anschließenden Verwaltungsstreitverfahrens nicht in angemessener
Zeit zur Wiederherstellung rechtmäßiger Verhältnisse führt, die ergänzende
Anordnung eines Nutzungsverbots als sachgerecht und ermessensfehlerfrei
erscheinen lassen.
Die Vollziehung eines Nutzungsverbots ist regelmäßig eilbedürftig, weil nur durch
diese Anordnung die Wirksamkeit des mit der Baugenehmigungspflicht
verbundenen Nutzungsverbots gesichert werden kann. Ein Verstoß gegen die
Ordnungsfunktion des formellen Baurechts, die ihren Niederschlag in einem
präventiven gesetzlichen Bauverbot gefunden hat (§ 96 Abs. 7 HBO), reicht für die
Begründung des sofortigen Vollzugs des Nutzungsverbots aus. Dies hat der Senat
in den oben genannten Beschlüssen vom 31.03.1981 -- 4 TH 95/80 -- und vom
25.04.1983 -- 4 TH 12/83 -- auch für die Untersagung der Nutzung einer
Schankwirtschaft als Diskothek angenommen.
Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.