Urteil des HessVGH vom 01.03.2001

VGH Kassel: gemeinde, kostendeckung, beitragssatz, hessen, abgabenrecht, abrechnung, ausführung, erneuerung, bemessungsgrundlage, abwasser

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TZ 1697/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 11 Abs 10 KAG HE
(Abwasserbeitrag: Aufwandsverteilung - Vorausleistungen -
Kostendeckung)
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist antragsgemäß wegen ernstlicher Zweifel an
der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 146 Abs. 4
VwGO) zuzulassen, denn die Annahme des Verwaltungsgerichts, die streitige
Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den künftigen Netzbeitrag für die
Erneuerung der Vollkanalisation in den Stadtteilen ... finde bei summarischer
Überprüfung in § 10 Abs. 2 der Entwässerungssatzung der Antragsgegnerin in der
Fassung der 7. Änderungssatzung vom 14. September 1998 eine gültige
Bemessungsgrundlage, stößt -- wie von dem Antragsteller in noch ausreichender
Darlegung geltend gemacht -- auf die folgenden Bedenken:
Den von der Antragsgegnerin vorgelegten Berechnungen zu den in der
vorgenannten Änderungssatzung festgelegten Beitragssätzen lässt sich nicht
entnehmen, dass die Antragsgegnerin an dem auf die Sammelleitungen
entfallenden Erneuerungsaufwand auch die "Neuanlieger" mit dem für sie
anzusetzenden Flächenanteil beteiligt hätte. Nach dem Prinzip der
Globalberechnung verbietet sich bei der Abrechnung einer beitragsfähigen
Erneuerung eine Aufwandsdeckung allein über Erneuerungsbeiträge der derzeit
anschließbaren "Altanlieger". Über einen entsprechend erhöhten
Schaffungsbeitrag in die Verteilung des Erneuerungsaufwands einzubeziehen sind
vielmehr auch die Anlieger, denen die Nutzung der Einrichtung im erneuerten
Zustand künftig erstmals möglich sein wird (dazu: Driehaus ,
Kommunales Abgabenrecht, § 8 Rn. 835, 870). Die Antragsgegnerin hat --
ausweislich ihrer "Globalkalkulation für die Abwasser-Sammelanlagen in ..." gemäß
Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11. September 1998 -- einen
nach Abzug der Anteile für den Vorteil der Allgemeinheit und für die Teildeckung
durch Gebühren verbleibenden Gesamtaufwand von 30.638.580,-- DM auf
4.232.749 qm Grundstücksfläche und 3.337.211 qm Geschossfläche umgelegt.
Berücksichtigt sind dabei nur die Flächen der bereits angeschlossenen und aktuell
anschließbaren Grundstücke in den vorgenannten Stadtteilen. Hiervon ausgehend
nehmen an der Aufwandsverteilung nicht teil die nach der Planung erst künftig
anschließbaren Grundstücke. Die Beteiligung dieser Anliegergruppe am
Erneuerungsaufwand ist auch der vorgelegten Kalkulation des auf das gesamte
Stadtgebiet bezogenen Schaffungsbeitrags nach Maßgabe einer "repräsentativen
Rechnungsperiodenkalkulation" nicht zu entnehmen. An der Rechtmäßigkeit der
Beitragssatzregelung in § 10 Abs. 2, 2. Unterpunkt der Entwässerungssatzung in
der Fassung der 7. Änderungssatzung bestehen daher in der Tat ernstliche
Zweifel. Der Spielraum, den die im geänderten Satzungsrecht festgelegten
Beitragssätze (2,81 DM je qm Grundstücksfläche und 5,42 DM je qm
Geschoßfläche) im Vergleich mit den als kostendeckend berechneten Sätzen (2,90
DM je qm Grundstücksfläche und 5,51 DM je qm Geschoßfläche) belassen, dürfte
zu gering sein, um die mit einer Beteiligung der erstmals anzuschließenden
Neuanlieger verbundene Ermäßigung der Beitragsbelastung für die Altanlieger
auffangen zu können.
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Zu einem weiteren Bedenken führt die Tatsache, dass die durch die 7.
Änderungssatzung eingeführte Beitragssatzregelung im Verhältnis zwischen dem
Erneuerungsbeitrag der Altanlieger und dem Schaffungsbeitrag der Neuanlieger
die Belastung einerseits der Grundstücksfläche, andererseits der Geschoßfläche
ungleich gewichtet. Der Geschoßflächenbeitragsanteil liegt beim
Erneuerungsbeitrag 1,9 mal, beim Schaffungsbeitrag dagegen 3,68 mal so hoch
wie der jeweilige Grundflächenbeitragsanteil. Diese Ungleichgewichtung der für die
Gesamtbelastung maßgeblichen Komponenten ist mit dem Prinzip der
Globalberechnung, welches eine am vermittelten Vorteil ausgerichtete
gleichmäßige Verteilung des Investitionsaufwandes auf die im Laufe der Zeit
beitragspflichtig werdenden Grundstücke verlangt (dazu: Driehaus ,
Kommunales Abgabenrecht, § 8 Rn. 863) nicht zu vereinbaren.
Angesichts der genannten Bedenken, die als solche ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründen, kommt es auf
die in dem Zulassungsantrag des Antragstellers außerdem -- letztlich durch den
Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 16. November 1991 (5 TG 1972/99) --
angesprochene Problematik der für die Stadtteilgruppen ... festgelegten
Beitragssätze (§ 10 Abs. 2 Satz 2, 3. und 4. Unterpunkt der Entwässerungssatzung
in der Fassung der 7. Änderungssatzung) nicht mehr an. Der Senat kann sich
insoweit auf Anmerkungen beschränken, die die Problematik verdeutlichen.
Ausweislich der vorgelegten Rechnungen hat die Antragsgegnerin den für die
Umstellung der bisherigen Teilkanalisation auf Vollkanalisation in den fraglichen
Stadtteilen anfallenden "Erweiterungsaufwand" jeweils gesondert abgerechnet, d.h.
speziell diesen Aufwand nach Abzug des Gemeinde- und des Gebührenanteils auf
lediglich das jeweilige Stadtteilgebiet als Abrechnungsgebiet umgelegt. Die daraus
resultierenden Beitragssätze für die "funktionelle Erweiterung der Teil- zur
Vollkanalisation" in den beiden betroffenen Stadtteilgruppen unterscheiden sich
demgemäß deutlich. Gegen dieses Abrechnungsverfahren wäre wohl nur auf der
Grundlage rechtlich verselbständigter Einrichtungen nichts einwenden. Ob für die
Entwässerung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin von dieser Konstellation
tatsächlich auszugehen ist, wird gegebenenfalls noch zu klären sein. Dass
Teilkanalisationssysteme, die neben Vollkanalisationssystemen in anderen
Ortsteilen derselben Gemeinde bestehen, als eigenständige gemeindliche
Einrichtungen betrieben und abgerechnet werden können, und dass diese
Eigenständigkeit jedenfalls solange beibehalten werden kann, als nicht -- als
Ergebnis entsprechender baulicher Maßnahmen -- die Umstellung auf
Vollkanalisation auch in diesen Ortsteilen bewirkt ist, steht außer Frage.
Möglicherweise verbietet sich sogar vor der Einführung der Vollkanalisation in
sämtlichen Ortsteilen der Gemeinde die Zusammenfassung zu einer einzigen
Einrichtung, denn Voll- und Teilkanalisationssysteme sind in Arbeits- und
Funktionsweise so unterschiedlich, dass dies eine Vergleichbarkeit schlechterdings
ausschließen dürfte (vgl. zu diesem an eine Zusammenfassung technisch
selbständiger Entwässerungsanlagen im Gemeindegebiet anzulegenden Kriterium:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 3.07.1978 -- 7 B 118 -- 124.78 --
DGStZ. 1979, 153).
Das Verwaltungsgericht meint auf Seite 3f. seines Beschlusses anscheinend, dass
es wegen der auf gut ein Drittel des endgültigen Beitrags beschränkten Höhe der
streitigen Vorausleistung letztlich dahingestellt bleiben könne, ob die in § 10 Abs. 2
Satz 2 der Entwässerungssatzung in der Fassung der 7. Änderungssatzung
festgelegten (endgültigen) Beitragssätze mit dem Kostenüberschreitungsverbot
zu vereinbaren sind. Dieser Argumentation, nach der es allein darauf ankäme,
dass jedenfalls die Vorausleistungshöhe eine Kostenüberdeckung nicht auszulösen
vermag, kann sich der Senat nicht anschließen. Bei der Erhebung von
Vorausleistungen für eine noch auszuführende bzw. in der Ausführung begriffene
beitragsfähige Maßnahme sind zwei Wege denkbar, wie dem Erfordernis der
gültigen normativen Beitragssatzregelung (§ 2 Satz 2 KAG) Rechnung getragen
werden kann. Möglich ist zum Einen -- und dies entspricht der bislang üblichen
Satzungsgebungspraxis der Gemeinden in Hessen -- die Festlegung bereits des
endgültigen Beitragssatzes und die Erhebung einer Vorausleistung auf dieser
normativen Grundlage. Ein eigens auf die Vorausleistungen zu beziehender
(Vorausleistungs-) Beitragssatz braucht sodann nicht festgelegt zu sein, denn § 11
Abs. 10 KAG gestattet die Erhebung von Vorausleistungen "bis zur Höhe der
voraussichtlichen Beitragsschuld" und damit die Zugrundelegung bereits des
endgültigen Beitragssatzes als eines Rahmens, der durch die Vorausleistung
vollständig ausgeschöpft werden kann. Die andere Möglichkeit besteht für den
Satzungsgeber darin, von einer endgültigen Beitragssatzfestlegung, nach der sich
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Satzungsgeber darin, von einer endgültigen Beitragssatzfestlegung, nach der sich
später die Erhebung des endgültigen Beitrags richtet, vorerst abzusehen und
einen Beitragssatz nur für die Vorausleistungen festzulegen, mit denen das noch
in der Ausführung begriffene Bauvorhaben vorfinanziert wird. Auch dieser Weg
genügt dem "Satzungserfordernis" des § 2 Satz 2 KAG. Der Satzungsgeber ist
nicht gezwungen, nur zum Zweck der Erhebung von Vorausleistungen schon jetzt
einen Beitragssatz festzusetzen, den er erst für die endgültige Abrechnung der
jeweiligen Einrichtungsmaßnahme benötigt. Die Festlegung eines die
voraussichtliche endgültige Beitragshöhe unterschreitenden
Vorausleistungsbeitragssatzes befreit dann allerdings die Gemeinde -- dies sei zur
Vermeidung von Missverständnissen angemerkt -- nicht von ihrer Darlegungslast.
Auch die Rechtmäßigkeit eines besonderen Vorausleistungsbeitragssatzes ist
demgemäß im Zweifelsfall durch eine hierauf bezogene Globalberechnung zu
belegen. Im vorliegenden Fall hat sich die Antragsgegnerin für die Festlegung
endgültiger Beitragssätze entscheiden. Diese stellen folglich die
Bemessungsgrundlage nicht nur für die künftige Erhebung des endgültigen
Beitrags, sondern auch für die derzeit anstehende Erhebung von Vorausleistungen
dar. Das wiederum bedeutet, dass bereits die endgültige Beitragssatzregelung
den Anforderungen des Kostenüberschreitungsverbots genügen muss. Ein Verstoß
gegen dieses Verbot kann -- entgegen den Vorstellungen des Verwaltungsgerichts
-- nicht dadurch "unerheblich" werden, dass jedenfalls die geltend gemachte
Vorausleistungshöhe die Grenze der Kostendeckung nicht überschreitet.
Da die Beschwerde wegen der dargelegten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zuzulassen ist, erübrigt sich Eingehen
auf die von dem Antragsteller außerdem geltend gemachte Divergenz im Sinne
des § 124 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 146 Abs. 4 VwGO.
Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens folgt der
Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.