Urteil des HessVGH vom 07.08.1986

VGH Kassel: amnesty international, auskunft, politische verfolgung, verhaftung, ausreise, wahrscheinlichkeit, regierung, verbreitung, gefahr, ausländisches recht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UE 343/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 16 Abs 2 S 2 GG
(Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei;
Asylantragstellung und exilpolitische Betätigung in einem
KOMKAR angeschlossenen kurdischen Arbeiterverein)
Tatbestand
Der 1957 geborene Kläger reiste im Juni 1979 mit einem bis April 1981 gültigen
türkischen Reisepaß in die Bundesrepublik Deutschland ein, hielt sich dann einige
Monate illegal an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik auf und beantragte
im März 1980 die Anerkennung als Asylberechtigter. In dem schriftlich
begründeten Asylantrag berief sich der Kläger auf Diskriminierungen und
Verfolgungen der ethnischen Minderheit der Kurden in der Türkei und gab an, er
habe sich seit seiner frühen Jugend als Kurde gefühlt und für die berechtigten
Belange der Kurden gekämpft. Mehrfach sei er Diskriminierungen und
Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Lebensbedrohend sei die Situation geworden,
als er sich aktiv an der Verteilung der kurdischen Zeitung "Roja Välat" beteiligt und
auch an friedlichen Demonstrationen von kurdischen Arbeitern teilgenommen
habe. Wegen dieser Aktivitäten sei bereits eine Fahndung gegen ihn eingeleitet
worden. Mitglieder rechtsradikaler Organisationen hätten schon auf ihn
geschossen und versucht, ihn auf der Straße zu stellen, um ihn nieder zu prügeln.
Im Vorprüfungsverfahren erklärte er ergänzend, seit 1978 sei sein Heimatdorf
mehrfach von der Gendarmerie überfallen worden. Nachdem im Winter 1978/79
zwei seiner Freunde von der Gendarmerie festgenommen worden seien, habe er
sich zur Ausreise entschlossen. Seine in der Bundesrepublik lebenden Cousins H.
K. und H. Y. hätten ihm geschrieben, er könne hierher kommen. Nach seiner
Einreise in der Bundesrepublik habe er sich einen Monat bei einem Onkel in
München und etwa zwei Monate bei einem Bekannten in Stuttgart aufgehalten und
danach bei Freunden aus der Organisation KOMKAR in Frankfurt am Main.
Der Asylantrag wurde mit am 21. September 1981 zugestelltem Bescheid der
Beklagten vom 25. März 1981 abgelehnt. Mit der hiergegen am 25. September
1981 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Asylbegehren weiter und
beantragte,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. März 1981 zu
verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte unter Bezugnahme auf die Gründe des
Ablehnungsbescheides,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 19. Mai 1983 als
unbegründet ab, weil dem Kläger ein Anspruch auf Gewährung von Asyl nicht
zustehe. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß sich staatliche
Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger persönlich gerichtet hätten und daß er
bei einer Rückkehr mit politischer Verfolgung rechnen müsse. Soweit sich der
Kläger auf Beeinträchtigungen durch Mitglieder rechtsradikaler Organisationen
berufe, seien diese dem türkischen Staat nicht zuzurechnen. Die angeblichen
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berufe, seien diese dem türkischen Staat nicht zuzurechnen. Die angeblichen
Maßnahmen türkischer Jandarmas in seinem Heimatort hätten sich nicht gegen
ihn persönlich gerichtet und seien im übrigen nicht glaubhaft gemacht worden.
Schließlich zeige der Umstand, daß der Kläger erstmals bei der Vorprüfung von
einer Sympathisantenschaft zur PKK und angeblichen Überfällen der Jandarmas
berichtet habe, daß er insoweit nicht die Wahrheit sage.
Mit der auf die Beschwerde des Klägers vom erkennenden Senat zugelassenen
Berufung (Beschluß vom 26. Februar 1985 - 10 TE 533/83 -) macht der Kläger
geltend, er habe sich bereits seit 1975 an Demonstrationen für die Rechte der
Kurden in seinem Heimatort beteiligt und sei dabei mehrmals jeweils kurzfristig
von der Polizei festgehalten und einmal für zwei Tage in Polizeigewahrsam
genommen worden. Er habe zu einem lockeren Zusammenschluß von
Jugendlichen gehört, die Flugblätter der kurdischen Organisationen PKK, Rizgari
und Özgürlük Yolu verteilt und an Demonstrationen teilgenommen hätten; er
selbst habe damals mit der PKK sympathisiert. Er sei innerhalb seines Heimatdorfs
und in den umliegenden Dörfern bei der Bevölkerung als Verteiler der "Roja Välat"
bekannt gewesen. Nach der Festnahme zweier Freunde im Winter 1978/79 habe er
mit seiner Inhaftierung gerechnet und sich über einen Bekannten gegen die
Zahlung eines Schmiergeldes von 6.000,-- TL einen Reisepaß besorgt. In der
Bundesrepublik habe er zunächst auf eine Beruhigung der Lage in seiner Heimat
und auf eine Entlassung seiner Freunde aus der Haft gewartet und sofort Kontakt
mit dem Kurdischen Arbeiterverein in Frankfurt am Main aufgenommen. Nachdem
er erfahren habe, daß Gendarmen in seinem Elternhaus nach ihm gesucht hätten,
habe er schließlich Asyl beantragt. Mehrere seiner Freunde seien seit 1981 in der
Türkei inhaftiert; zweien werde die Verteilung der "Roja Välat" vorgeworfen. Im
Frühjahr 1983 habe ein Bekannter bei einem Aufenthalt in der Türkei von seinen
Eltern erfahren, daß Gendarmen öfter nach ihm fragten und seine Verhaftung
androhten. Im übrigen sei noch zu ergänzen, daß er sich jährlich etwa zwei Monate
in Diyarbakir aufgehalten habe, um dort zu arbeiten, und daß er während dieser
Zeit für den dortigen DHKD Flugblätter und Zeitungen verteilt habe. In der
Bundesrepublik habe er an verschiedenen Veranstaltungen und Demonstrationen
zugunsten der Kurden und gegen die Politik der türkischen Regierung
teilgenommen. Seit 1982 gehöre er der Folkloregruppe des Arbeitervereins
Kurdistan in Frankfurt am Main an; er trete dabei öffentlich auf und singe auch im
Chor dieses Vereins. Am 25. September und 6. Oktober 1984 sei er in
Fernsehberichten über die Kurdistan-Kulturwoche 1984 als Teilnehmer und
Mitwirkender erkennbar und sichtbar gewesen. Seit Februar 1984 sei er
Kassenwart im Vorstand des Arbeitervereins Kurdistan in Frankfurt am Main, der
der Föderation KOMKAR angeschlossen sei. Bei einer Rückkehr oder einer
Abschiebung in die Türkei laufe er deshalb Gefahr, verhaftet zu werden. Ebenso wie
andere türkische Staatsangehörige, die in den letzten Jahren in ihre Heimat
zurückgekehrt seien, habe er wegen seiner exilpolitischen Betätigung nach einer
Rückkehr mit Verhaftung, Folter und Bestrafung zu rechnen. Politische Aktivitäten
türkischer Staatsbürger in der Bundesrepublik würden von türkischen Stellen
genau beobachtet und hätten nachweislich in vielen Fällen zu Strafverfahren und
zur Ausbürgerung geführt. Zu Einzelfragen der von ihm geltend gemachten Vor-
und Nachfluchtgründe beantragt der Kläger die Erhebung weiterer Beweise (vgl.
die Schriftsätze vom 1. April und 10. Juli 1986).
Im übrigen beantragt er,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Bescheides
vom 25. März 1981 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und macht geltend, der Kläger könne trotz
seiner Betätigung im Rahmen des Kurdischen Arbeitervereins in Frankfurt am Main
ohne Furcht vor politischer Verfolgung in seine Heimat zurückkehren. Es sei nicht
anzunehmen, daß die türkischen Behörden ihn als potentiellen Regimegegner
einstufen und ihn dementsprechend mit Verfolgungsmaßnahmen überziehen
würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf
den Inhalt der Gerichtsakten und der Behördenakten der Beklagten - Tür-S-61156
- sowie der nachfolgend aufgeführten schriftlichen Erkenntnisunterlagen (S. 7 bis 9,
I. 1 bis 39, II. 1 bis 43), die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
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I. 1 bis 39, II. 1 bis 43), die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren.
Der Senat hat aufgrund der Beschlüsse vom 29. Oktober 1985 und 3. April und 13.
Mai 1986 Beweis erhoben über die Verfolgungsbehauptungen des Klägers durch
dessen Vernehmung und durch die Vernehmung der Zeugen K., K., T., Y. und M.
sowie durch Beiziehung und Einholung von amtlichen Auskünften des Auswärtigen
Amts und von amnesty international und durch Einholung von Gutachten der
Sachverständigen Roth und Taylan. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf die Niederschriften über die Beweistermine vor dem Berichterstatter des
Senats am 19. November 1985 und 24. Juni 1986, die Auskünfte vom 29. Mai und
23. September 1985 und 15. Mai und 15. Juli 1986 und die
Sachverständigengutachten vom 17. April und 8. Juli 1986 Bezug genommen. Die
in der mündlichen Verhandlung am 7. August 1986 gestellten Beweisanträge des
Klägers sind vom Senat mit verkündetem Beschluß abgelehnt worden.
I .
1. 13.02.1981 Auswärtiges Amt an VG Berlin
2. 28.04.1981 amnesty international vor dem Europarat
3. 12.06.1981 Zeugin Schuchard vor dem VG Hamburg
4. 12.06.1981 Roth vor dem VG Hamburg
5. 12.06.1981 Prof. Dr. Kappert vor dem VG Hamburg
6. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
7. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Mainz
8. 23.06.1981 amnesty international an VG Hamburg
9. 03.08.1981 amnesty international an VG Stuttgart
10. 09.08.1981 amnesty international an VG Mainz
11. 07.10.1981 amnesty international an BMdJ
12. 20.11.1981 Auswärtiges Amt an BayVGH
13. 10.11.1982 Nebez vor dem VG Berlin
14. 10.11.1982 Kaya vor dem VG Berlin
15. 11.11.1982 Taylan vor dem VG Berlin
16. 15.11.1982 Sternberg-Spohr vor dem VG Berlin
17. 15.11.1982 Roth vor dem VG Berlin
18. 16.11.1982 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
19. 03.01.1983 Auswärtiges Amt an VG Hannover
20. 18.02.1983 Max-Planck-Institut an VG Karlsruhe
21. 04.03.1983 Max-Planck-Institut an OVG Nordrhein-Westfalen
22. 18.05.1983 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
23. 12.1983 Gehring an VGH Baden-Württemberg
24. 16.06.1983 Hauser an VGH Baden-Württemberg
25. 26.08.1983 Prof. Dr. Thränhardt an OVG Berlin
26. 06.02.1984 Gutachten Sidiq an VG Hamburg
27. Mai 1984 Bericht der Delegation Fischer u.a.
28. 29.05.1984 Prof. Dr. Kappert an VGH Baden-Württemberg
29. 04.06.1984 Prof. Dr. Thränhardt an HessVGH
30. 08.06.1984 Hauser an HessVGH
31. 10.06.1984 Taylan an HessVGH
32. 13.06.1984 Prof. Dr. Götz an HessVGH
33. 13.06.1984 Auswärtiges Amt an HessVGH
34. 11.07.1984 Gehring an HessVGH
35. 21.07.1984 amnesty international an HessVGH
36. 01.10.1984 Max-Planck-Institut an HessVGH (mit Anhang)
37. 16.10.1984 Roth an HessVGH
38. 19.11.1984 Auswärtiges Amt an BMdJ
39. Sept. 1985 InfAuslR 9/85: Das türkische Sprachenverbotsgesetz (mit Anm.
Rumpf)
II.
1. 20.03.1981 Auswärtiges Amt an VG Schleswig
2. 08.04.1931 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf
3. 27.04.1981 Auswärtiges Amt an HessVGH
4. 16.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden b
5. 15.07.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
6. 23.07.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
7. 19.08.1981 Sternberg-Spohr vor VG Düsseldorf
8. 19.08.1981 Nebez vor VG Düsseldorf
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20
8. 19.08.1981 Nebez vor VG Düsseldorf
9. 24.09.1981 Auswärtiges Amt an VG Koblenz
10. 10.02.1982 Roth an VG Hamburg
11. 18.05.1982 amnesty international an RA Moos, Freiburg
12. 22.02.1983 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
13. 24.03.1983 Auswärtiges Amt an OVG Berlin
14. 20.04.1983 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
15. 24.10.1983 Auswärtiges Amt an VG Köln
16. 07.02.1984 Max-Planck-Institut an VG Stuttgart
17. 11.03.1984 Binswanger an VG Ansbach
18. 11.04.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
19. 17.04.1984 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
20. 26.04.1984 Polizeipräsident Duisburg an VG Düsseldorf
21. 05.06.1984 HMdI an Bundesamt
22. 07.06.1984 Roth an HessVGH
23. 08.06.1984 Taylan an VG Düsseldorf
24. 15.06.1984 Auswärtiges Amt an HessVGH
25. 22.06.1984 Bundeskriminalamt an VG Mainz
26. 05.07.1984 Taylan an HessVGH
27. 18.07.1984 BAfV an VG Mainz
28. 26.07.1984 BAfV an HessVGH
29. 29.08.1984 Max-Planck-Institut an VGH
30. 15.09.1984 Gehring an VGH Baden-Württemberg
31. 01.10.1984 Max-Planck-Institut an HessVGH
32. 11.10.1984 Max-Planck-Institut an VG Gelsenkirchen
33. 05.11.1984 Kappert an VGH Baden-Württemberg
34. 10.12.1984 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
35. 30.12.1984 Taylan an VG Ansbach
36. 31.12.1984 Taylan an VG Köln
37. 07.01.1985 LfV Hessen an VG Ansbach
38. 09.01.1985 Taylan an VG Stade
39. 15.04.1985 Kappert an HessVGH
40. 19.04.1985 Taylan an OVG Hamburg
41. 29.05.1985 Auswärtiges Amt an OVG Hamburg
42. 29.10.1985 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
43. 19.11.1985 Taylan an VGH Baden-Württemberg
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung des Klägers ist, ohne daß es hierzu einer gesonderten
Rechtsmitteleinlegung bedurfte, nach der Zulassung durch den Senat (Beschl. v.
26. Februar 1985 - 10 TE 533/83 -) statthaft und auch sonst zulässig (§§ 124, 125
VwGO; §§ 32 Abs. 1, Abs. 5 Satz 4, 43 Nr. 4, 45 Abs. 1 AsylVfG).
II.
Die Berufung ist aber nicht begründet; denn der Kläger kann nach der im
Zeitpunkt der Berufungsentscheidung maßgeblichen Rechts- und Sachlage die
Anerkennung als Asylberechtigter durch die Beklagte nicht beanspruchen, weil er
kein politisch Verfolgter ist (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz
2 GG).
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1;
BVerwG, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an
den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art.
16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt; insoweit kommt es entscheidend auf die
Motive für die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen an (BVerwGE 67, 195 = EZAR
201 Nr. 5; BVerwGE 68, 171 = EZAR 200 Nr. 9; BVerwG, EZAR 201 Nr. 7 = NVwZ
1934, 653). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem
Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische
Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so daß es ihm nicht
zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren; die hierbei erforderliche
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zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren; die hierbei erforderliche
Zukunftsprognose muß auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen
Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum
ausgerichtet sein (BVerwG, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096; BVerwGE 72, 175
= EZAR 200 Nr. 13). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war,
kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1; BVerwGE 70, 169 = EZAR
200 Nr. 12; BVerwGE 65, 250 = EZAR 200 Nr. 7; BVerwG, EZAR 200 Nr. 14 =
InfAuslR 1985, 276; BVerwG, EZAR 630 Nr. 22). Die Gefahr einer asylrelevanten
Verfolgung kann nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang
die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten
individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu
berücksichtigen ist (BVerwGE 55, 82 = EZAR 201 Nr. 3; BVerwGE 72, 180 = EZAR
630 Nr. 17; BVerwG, EZAR 630 Nr. 23).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen
Angaben des Klägers, der Beweisaufnahme und der in das Verfahren eingeführten
Unterlagen über die politische Situation in der Türkei zu der Überzeugung gelangt,
daß der Kläger weder vor seiner Ausreise aus der Türkei politisch verfolgt war noch
bei einer Rückkehr in seine Heimat mit politisch motivierten
Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
1. Der Kläger kann seine Anerkennung als Asylberechtigter nicht schon aufgrund
der Vereinbarung vom 30. Juni 1928 über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen
zugunsten russischer und armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von
Flüchtlingen erreichen. Da er 1957 geboren ist und erst 1979 die Türkei verlassen
hat, kann diese Vereinbarung auf ihn nicht angewandt werden, und der Senat kann
hier wie in anderen Fällen offen lassen, ob dem durch die genannte Vereinbarung
geschützten Personenkreis überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung
zusteht, nachdem das Asylverfahrensgesetz die in § 28 AuslG enthaltene
Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung
auf die erwähnte Vereinbarung ersatzlos beseitigt hat und eine Asylanerkennung
nunmehr allein an die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG knüpft (vgl.
dazu: BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5; Berberich, ZAR 1985, 30 ff.;
Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11 [15]).
2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er schon seiner
kurdischen Volkszugehörigkeit wegen politisch verfolgt wird; denn der Senat kann
ebensowenig wie das Verwaltungsgericht feststellen, daß die kurdische
Bevölkerungsgruppe in der Türkei in den hier maßgeblichen Zeiten, also bei der
Ausreise des Klägers im Juni 1979 und jetzt im Sommer 1986, allgemein dem
türkischen Staat zuzurechnenden politischen Repressalien ausgesetzt war und
noch ist (st. Rspr. d. Senats, etwa Urt. v. 21. März 1985 - X OE 282/82 - m.w.N.;
vgl. dazu auch die Nachweise über die Entscheidungspraxis des Bundesamts und
der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Bollermann, ZAR 1986, 129 [134 f.] Fn. 77 und
78).
a) Bei der Prüfung, ob die kurdische Minderheit in der Türkei asylrechtlich relevante
Repressalien zu erleiden oder zu befürchten hat, ist von dem Grundsatz
auszugehen, daß ein Mehrvölkerstaat seine staatliche Einheit und seinen
Gebietsstand sichern und dieses Selbsterhaltungsinteresse auch durchsetzen
darf, ohne daß die davon Betroffenen notwendigerweise als politisch Verfolgte
anzusehen sind; eine andere Beurteilung kann nur Platz greifen, wenn ein
Mehrvölkerstaat nach seiner Verfassung oder in der Staatswirklichkeit von der
Vorherrschaft einer Volksgruppe über andere ausgeht, die ethnischen, kulturellen
oder religiösen Eigenarten bestimmter Volksgruppen überhaupt leugnet und diese
an einer ihrer Eigenart entsprechenden Existenzweise hindert (BVerwGE 67, 184 =
NVwZ 1983, 674 und BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5), wenn er also
insbesondere mit verschiedenartigen Mitteln eine Zwangsassimilierung betreibt. In
diesem Zusammenhang bedarf es hier vor allem der Untersuchung, wie der
türkische Staat die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung behandelt,
wie sich deren Lebensverhältnisse im Vergleich zu denen der türkischen Mehrheit
in der Wirklichkeit darstellen und ob dabei etwa Unterschiede je nach der
soziologischen Herkunft, den regionalen Strukturen und dem Maß der Assimilation
der Minderheit an die Mehrheit festzustellen sind. Wie allgemein im Asylrecht
genügt dabei nicht eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des
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genügt dabei nicht eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des
individuellen Schicksals des Asylsuchenden, es kommt vielmehr auch hier auf eine
umfassende Gesamtbetrachtung der innenpolitischen Lage in dem angeblichen
Verfolgerstaat und aller irgendwie relevanten Lebensumstände der Betroffenen an.
Hierfür sollen sowohl allgemein- oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge
als auch Tatsachenbekundungen aus den oben (S. 7 ff.) aufgeführten Unterlagen
verwertet werden (vgl. dazu auch Bollermann, ZAR 1986, 78 ff.).
b) Die im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches siedelnden Kurden
erlebten nach dessen Zerfall eine wechselvolle Geschichte. Nach der Aufteilung
ihrer angestammten Heimat auf Syrien, den Irak und die Türkei und der
Zusicherung einer lokalen Autonomie und eines späteren Volksentscheids über die
volle Selbständigkeit in dem Friedensvertrag von Sèvres vom August 1920 waren
im Vertrag von Lausanne vom 21. Juli 1923 für ethnische Minderheiten wie die
Kurden keinerlei Sonderrechte mehr vorgesehen. Die Vorschriften der Art. 38 bis
45 dieses Vertrags befassen sich fast ausschließlich mit nicht-muslimischen
Minderheiten; nicht-türkische Minderheiten sind dort nicht erwähnt. Nach der
Proklamation der Türkischen Republik im Oktober 1923 und der Wahl von Mustafa
Kemal - "Atatürk" - zum Staatspräsidenten wurden verstärkt
Türkisierungsversuche unternommen. So wurden etwa kurdische Dorfnamen und
kurdische Vornamen geändert, Kurdisch als Amts- und Unterrichtssprache
verboten und die Türkei in drei ethnisch abgegrenzte Regionen aufgeteilt. Die erste
war das Gebiet, in dem die türkische Kultur in der Bevölkerung sehr stark verankert
war; die zweite war diejenige, wo die Bevölkerung angesiedelt werden sollte, die zu
türkisieren war; bei der dritten handelte es sich um Gebiete, die aus
gesundheitlichen, ökonomischen, kulturellen, militärischen und
sicherheitstechnischen Gründen entvölkert werden sollten und in denen sich
niemand mehr ansiedeln durfte. Nach der Niederschlagung verschiedener
Aufstände in den Jahren 1925 bis 1930 kam es zu großangelegten
Umsiedlungsaktionen, die teilweise in Zwangsdeportationen ausarteten. Im
übrigen belegt schon der Abschluß der oben (S.11) genannten Vereinbarung vom
30. Juni 1928, daß sich eine große Anzahl kurdischer Volkszugehöriger bereits im
ersten Jahrzehnt nach Beendigung des Ersten Weltkriegs veranlaßt sah, die Türkei
aus Verfolgungsgründen zu verlassen. Die auf Atatürk zurückgehenden sechs
kemalistischen Grundprinzipien des türkischen Staates - Nationalismus,
Säkularismus, Republikanismus, Populismus, Etatismus und Reformismus - wurden
auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgegeben. Nach anfänglichen Erfolgen
bei Demokratisierungsbestrebungen unter den Ministerpräsidenten Inönü (CHP)
und Menderes (DP) kam es im Mai 1960 zu einem Militärputsch und im Juli 1961 zu
einer neuen Verfassung, die wiederum vom Kemalismus geprägt war. In den
nachfolgenden zwei Jahrzehnten gab es in der Türkei unter den
Ministerpräsidenten Inönü (CHP), Ürgüplü (unabhängig), Demirel (AP), Erim
(parteilos), Melen (GP), Talu (unabhängig), Ecevit (CHP) und Irmak (GGP)
verschiedene Koalitions- und Minderheitsregierungen, bis im Dezember 1978 von
Ecevit das Kriegsrecht vor allem über ostanatolische Provinzen verhängt und
später auf weitere Provinzen ausgedehnt und verlängert wurde und dann nach
dem Militärputsch am 12. September 1980 General Evren mit dem "Nationalen
Sicherheitsrat" die Macht übernahm. Nach einer Übergangszeit von etwa zwei
Jahren wurde eine neue Verfassung von der Verfassungsgebenden Versammlung
erarbeitet, am 18. Oktober 1982 vom Nationalen Sicherheitsrat verabschiedet und
nach der Bestätigung in der Volksabstimmung vom 7. November 1982 in Kraft
gesetzt. Gleichzeitig wurde General Evren für sieben Jahre zum Staatspräsidenten
gewählt.
c) Verfolgung einer ethnischen Minderheit kann sich vor allem im Leugnen der
Existenz einer eigenständigen Volksgruppe äußern. Insoweit liefert bereits das
historisch gewachsene Selbstverständnis der Türkischen Republik ein gewichtiges
Anzeichen dafür, daß Kurden in der Türkei offiziell als nicht vorhanden angesehen
und damit von Staats wegen als ethnische Gruppe schlechtweg ignoriert werden.
Bei der Republik Türkei handelt es sich um einen Einheitsstaat, der auf dem
Bewußtsein einer einheitlichen Nation aufgebaut ist und schon deshalb vom
Türkentum abweichende nationale Elemente oder Bestrebungen nicht duldet.
Dementsprechend ist die Türkische Republik in der Präambel und in Art. 2 der seit
9. November 1982 geltenden neuen Verfassung u.a. als dem Nationalismus
Atatürks verbundener Staat bezeichnet und in Art. 3 betont, daß sie in ihrem
Staatsgebiet und Staatsvolk ein unteilbares Ganzes darstellt und ihre Sprache
türkisch ist. Diese Grundprinzipien der Türkischen Republik sind nach Art. 4 der
Verfassung unabänderlich. Die Unabhängigkeit und Einheit des türkischen Volkes
zu schützen, gehört nach Art. 5 zu den Grundzielen und -aufgaben des Staates,
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zu schützen, gehört nach Art. 5 zu den Grundzielen und -aufgaben des Staates,
und Art. 6 bezeichnet die türkische Nation als den uneingeschränkten und
unbedingten Souverän. Der Begriff der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und
Staatsvolk kehrt wiederholt in der Verfassung wieder, um die Beschränkung von
Grundrechten und Grundfreiheiten zu umschreiben, etwa in Art. 13 (Beschränkung
der Grundrechte und -freiheiten), Art. 14 (Mißbrauch der Grundrechte und -
freiheiten), Art. 27 (Freiheit der Wissenschaft und Kunst), Art. 28 (Pressefreiheit),
Art. 30 (Schutz der Pressemittel) und Art. 33 (Vereinsgründungsfreiheit). Diese
Vorschriften entsprechen ähnlichen Regelungen früherer Verfassungen sowie
offiziellen Verlautbarungen maßgeblicher Repräsentanten der Türkischen Republik
und politischen Äußerungen vorwiegend rechtsgerichteter Parteiführer. Das
Bekenntnis der Türkischen Republik zur Einheit des Staatsvolkes schließt die
Anerkennung eines anderen Volkstums innerhalb der Türkei und damit auch der
kulturellen Eigenarten des kurdischen Volkes aus (a.A. insoweit VGH Baden-
Württemberg, Urt, v. 16. Juli 1984 - A 13 S 692/82 -). Zwar wird in Art. 10 Abs. 1 der
Verfassung die Gleichheit vor dem Gesetz ohne Rücksicht auf Unterschiede in
Sprache, Rasse u.a. garantiert und damit die Existenz ethnischer Minderheiten auf
türkischem Staatsgebiet mittelbar bestätigt. Die Vorschriften über den Mißbrauch
von Grundrechten (Art. 14 Abs. 1) wenden sich aber gegen jeden, der u.a.
Unterschiede in Sprache und Rasse "schafft"; sie setzen also ähnlich wie die
bereits genannten Formeln von der Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk sowie
von der Souveränität der türkischen Nation eine jedenfalls im wesentlichen
einheitliche ethnische Zusammensetzung des Staatsvolks voraus. Deshalb
erscheinen diese Proklamationen einer Übereinstimmung von Staatsvolk und
türkischer Nation als unvereinbar mit der Annahme, die Türkei verstehe sich als
Vielvölkerstaat, in dem das Staatsvolk nicht in ethnischem, sondern nur in
staatsangehörigkeitsrechtlichem Sinne verstanden wird und in dem die türkische
Mehrheit möglicherweise einer oder mehreren völkischen Minderheiten
gegenübersteht. Die Idee einer Einheit von Volk und Nation läßt vielmehr von
vornherein keinen Raum für ein anderes als das türkische Volk und zwingt jeden
türkischen Staatsangehörigen, der sich nicht der türkischen Nation zugehörig fühlt,
dazu, sich entweder zu assimilieren oder sich jedenfalls soweit zu integrieren, daß
er ungeachtet seiner andersartigen Herkunft möglichst als Nationaltürke
erscheint. Letzten Endes kann dies dazu führen, daß türkische Staatsbürger
kurdischer Volkszugehörigkeit entsprechend dem unitarischen Postulat der
türkischen Verfassung ihre Volkszugehörigkeit verleugnen oder gar aufgeben.
Diese auch in der neuen Verfassung von 1982 zum Ausdruck gelangte negierende
Einstellung gegenüber den Kurden wird schließlich schon daraus deutlich, daß in
den letzten Jahrzehnten deren Existenz auch sonst offiziell geleugnet wird und nur
von "Bergtürken" die Rede ist (vgl. z.B.: Prof. Dr. Kappert, I. 5.; amnesty
international, I. 9., 10.).
d) Von allen legislativen und administrativen Mitteln, die zum Zwecke der
Verdrängung oder vollständigen Angleichung gegen eine ethnische Minderheit
eingesetzt werden können, wiegt wohl am schwersten das Verbot der eigenen
Sprache. Wird einem Menschen auf Dauer der Gebrauch seiner Muttersprache
verwehrt, wird ihm die Entfaltung seiner Persönlichkeit überhaupt entscheidend
erschwert. Zudem kann ein Volk ohne die Verständigung in der eigenen Sprache
seine nationale Identität nicht bewahren, weil seine kulturelle Eigenständigkeit
gleichermaßen von seiner Literatur und Volkskunst, von Dichtung, Erzählungen
und Theater in der eigenen Sprache wie vom Gebrauch dieser Sprache im
alltäglichen Umgang der Volkszugehörigen miteinander abhängig ist. Soweit es
das Primat der türkischen Sprache und den Ausschluß jeder anderen - und damit
vor allem der kurdischen - Sprache angeht, sind Rechtslage und Rechtswidrigkeit
seit Bestehen der Türkischen Republik zwar nicht ganz zweifelsfrei, es kann aber
andererseits auch für die letzten Jahre nicht festgestellt werden, der Gebrauch der
kurdischen Sprache sei in der Türkei praktisch verboten.
Staatspräsident Atatürk soll bereits einige Monate nach Unterzeichnung des
Lausanner Friedensvertrags vom Juli 1923, dessen Art. 39 den öffentlichen
Gebrauch jeder Sprache sichert. Kurdisch als Amtssprache verboten haben (Roth
u.a., Geographie der Unterdrückten, S. 61; GfbV, I. 26. Prof. Dr. Kappert, I. 5.:
1924). Anderen Angaben zufolge soll der Gebrauch der kurdischen Sprache
jedenfalls in der Zeit von 1924 bis 1929 (Auswärtiges Amt, I. 7.) gesetzlich
verboten worden sein; dieses Verbot ist aber danach staatlicherseits im Laufe der
Zeit nicht mehr durchgesetzt worden (Auswärtiges Amt, I. 7.). Im Jahre 1967
machte sodann der Ministerrat von einer im Pressegesetz von 1950 enthaltenen
Ermächtigung Gebrauch und verbot die Einfuhr und die Verteilung sämtlicher in
kurdischer Sprache im Ausland herausgegebener Druckerzeugnisse, Schallplatten,
29
kurdischer Sprache im Ausland herausgegebener Druckerzeugnisse, Schallplatten,
Tonbänder und dergleichen; damit war die Verbreitung von im Ausland
hergestellten Erzeugnissen dieser Art unter Strafe gestellt (Max-Planck-Institut, I.
20.; Auswärtiges Amt, I. 7.). Wenn demgegenüber von einzelnen Sachverständigen
ohne nähere Erläuterung und ohne eine Schilderung nachprüfbarer Beispiele
angegeben wird, allgemein sei der Besitz (Roth, I. 4, und 17., a.i., I. 9.) bzw. die
Herausgabe und nicht nur die Einfuhr kurdischer Schriften und Tonträger verboten
und strafbar (Prof. Dr. Kappert, I. 5. und 29.; Nebez, I. 13.; Prof. Dr. Thränhardt, I.
25), so kann dies durchaus auf Mißverständnissen und Ungenauigkeiten bei der
Einholung und Wiedergabe von Informationen beruhen; denn nach den glaubhaften
Angaben in den Gutachten des Max-Planck-Instituts (I. 20) und von Gehring (I. 23.)
wurde die Herausgabe kurdischer Zeitschriften - teilweise mit Beiträgen in
türkischer Sprache - in der Vergangenheit nur dann und nur deswegen verboten
und strafrechtlich verfolgt, weil deren Inhalt als autonomisch oder separatistisch
angesehen wurden. Die türkisch-kurdische Zeitschrift "Roja Välat" wurde zwar
zunächst wahrscheinlich allein wegen Benutzung der kurdischen Sprache verboten
(Hauser, I. 30.; Taylan, I. 31.; Prof. Dr. Götz, I. 32.; Roth, 1.37.); bei dem Verbot in
Ankara soll aber zur Begründung angegeben worden sein, die Zeitschrift sei gegen
die nationale Integrität gerichtet und diffamiere die türkischen Streitkräfte
(Auswärtiges Amt, I. 33). Insgesamt darf ohnehin in diesem Zusammenhang nicht
außer acht gelassen werden, daß die "Roja Välat" vom DHKD inspiriert war und von
dessen Anhängern vertrieben wurde und daß dieser Verein als "Ableger" der
illegalen TKSP eine kulturelle Autonomie der kurdischen Volksgruppe propagierte
und sich damit leicht dem Vorwurf des Separatismus aussetzte (vgl. dazu: Taylan,
I. 31.; Prof. Dr. Götz, I. 32.; a.i., I. 35; Max-Planck-Institut, I. 36.).
In den letzten Jahren sind die rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse für die
Benutzung der kurdischen Sprache immer mehr verstärkt worden (vgl. auch
Bollermann, ZAR 1986, 78 [85]. Gemäß Art. 3 der neuen Verfassung ist Türkisch
die Sprache des Staates Türkei; im Verfassungsentwurf vom 17. Juli 1982 hatte es
noch geheißen: "Die offizielle Sprache ist Türkisch". Obwohl die Überschrift des
Abschnitts III des Ersten Teils der Verfassung lautet "Die Einheit, Amtssprache...",
ist damit der allgemeine Gebrauch der türkischer Sprache und nicht nur die
Verwendung im amtlichen Verkehr gemeint; denn nach der ausdrücklichen
Vorschrift des Art. 176 der Verfassung kommt es insoweit allein auf den Wortlaut
des Verfassungstextes an und nicht auf die Überschriften der einzelnen
Vorschriften. Die damit erreichte Hervorhebung des Türkischen als
"Staatssprache" ist dadurch verstärkt, daß bei der Äußerung oder Verbreitung von
Meinungen und bei Presseveröffentlichungen keine durch Gesetz verbotene
Sprache verwendet werden darf (Art. 26 Abs. 3 Satz 1, Art. 28 Abs. 2) und daß in
den Erziehungs- und Lehranstalten den türkischen Staatsbürgern als
Muttersprache keine andere Sprache beigebracht und gelehrt werden darf als die
türkische (Art. 42 Absatz 9 Satz 1). Da anfangs die Große Nationalversammlung
ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hatte und ein gesetzliches Verbot
bestimmter Sprachen noch nicht bestand, waren die Vorschriften der Art. 26 und
28 der Verfassung allerdings zunächst noch nicht in Kraft getreten bzw.
gegenstandslos (Art. 177; Max-Planck-Institut, I. 20.). Inzwischen ist jedoch am 19.
Oktober 1983 das Gesetz Nr. 2932 über "Veröffentlichungen in einer anderen als
der türkischen Sprache" ergangen, das die Grundlagen und das Verfahren regelt,
"die auf Veröffentlichungen in nicht zugelassenen Sprachen Anwendung finden"
(Art. 1). Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses Gesetzes sind die Erklärung, Verbreitung und
Veröffentlichung von Meinungen in jeder Sprache verboten, die nicht die erste
offizielle Sprache eines von der Türkei anerkannten Staats ist. Art. 3 bestimmt,
daß Türkisch die Muttersprache der türkischen Staatsangehörigen ist, und
verbietet jegliche Aktivität mit der Zielsetzung des Gebrauchs und der Verbreitung
einer anderen als der türkischen Sprache sowie die Verwendung einer solchen
Sprache auf Plakaten, Schallplatten u.a.. Obwohl das Gesetz nach seiner
Überschrift und der Beschreibung seines Gegenstandes in Art. 1 nur
"Veröffentlichungen" betrifft und nur auf die allein für die Presse geltende
Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 der Verfassung Bezug zu nehmen scheint, geht
der Wortlaut der Vorschriften der Art. 2 und 3 darüber hinaus und erfaßt auch
andere als veröffentlichte schriftliche Meinungsäußerungen. Eine
verfassungsrechtliche Grundlage dafür befindet sich in Art. 26 Abs. 3 der
Verfassung, der lautet: "Bei der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen darf
keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet werden ...". Deshalb bestehen
gewichtige Bedenken gegen die Auffassung des Auswärtigen Amtes, das meint,
nur der "öffentliche" Gebrauch der kurdischen Sprache sei untersagt und der
private Bereich "nicht berührt" (I. 38). Das OVG Berlin scheint in seinem Urteil vom
18. April 1984 - 8 B 139.82 - (Umdruck S. 17 ff.) ebenfalls anzunehmen, daß nur
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18. April 1984 - 8 B 139.82 - (Umdruck S. 17 ff.) ebenfalls anzunehmen, daß nur
Veröffentlichungen in kurdischer Sprache von diesem Gesetz betroffen sind,
obwohl doch ausdrücklich auch die Erklärung von Gedanken bzw. Meinungen
erwähnt ist. Demgegenüber geht der VGH Baden-Württemberg in dem Beschluß
vom 29. Oktober 1984 - A 13 S 513/84 - davon aus, alle "Verlautbarungen" in
kurdischer Sprache seien nunmehr verboten und strafbar (so auch: Bollermann,
ZAR 1986, 129 [135]; Rumpf, Anm. in InfAuslR 1985, 252 ff.). Der erkennende
Senat läßt nach wie vor offen, ob mit dem erwähnten Gesetz auch die private
Kommunikation auf kurdisch pönalisiert und damit ein wesentlicher Teil des Alltags
der kurdischen Volksgruppe kriminalisiert worden ist. Denn es gibt derzeit keinen
einzigen Anhaltspunkt dafür, daß türkische Behörden beabsichtigen, eine derartige
Sprachregelung durchzusetzen und Verstöße auch strafrechtlich zu ahnden,
obwohl das Gesetz Nr. 2932 jetzt schon seit annähernd drei Jahren in Kraft ist
(ebenso: VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; Rumpf, a.a.O., S. 253). Für diese
Einschätzung der Rechtspraxis sind die folgenden Überlegungen maßgeblich.
Im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst
wurde seit jeher auf den Gebrauch der türkischen Sprache Wert gelegt; seit
September 1980 wurde das Monopol der türkischen Sprache insoweit auch
durchgesetzt, wie etwa die Anordnung des Kriegsrechtskommandanten für
Diyarbakir und andere Provinzen vom 17. Juli 1982 deutlich macht (vgl. Anhang zu
I. 27.; Auswärtiges Amt, I. 18; Nebez, I. 13; Kaya, I. 14; Roth, I. 17.). Darüber hinaus
ist nach der Türkisierung der Vor- und Familienname und der Ortsnamen auch
heute die Registrierung kurdischer Vornamen nicht erlaubt (Kaya, I. 15., S. 11;
Nebez, I. 13; Prof. Dr. Thränhardt, I. 25.). Anders als in der Schule, im Rundfunk
und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen bei privaten
Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr in den von Kurden bewohnten
Siedlungsgebieten bisher allgemein üblich und zumindest bis 1983 weder verboten
noch gar strafbar (Auswärtiges Amt, I. 7., 12., 19., und 22.; Gehring, I. 23; Hauser,
I. 24.; Fischer u.a., I. 27.; Prof. Dr. Kappert, I. 28). Bei dem hohen Anteil von
Analphabeten unter den Kurden und bei deren vergleichsweise schlechter
Schulausbildung bleibt vielen Kurden die türkische Sprache ohnehin auch nach
Schulbesuch und Militärdienst weitgehend fremd und unbekannt. Aus diesem
Grunde wurden bereits seit den 50er Jahren in den östlichen Provinzen
Internatsschulen eingerichtet, in denen vorwiegend kurdische Kinder im Sinne der
kemalistischen Ideologie erzogen und ausgebildet und damit natürlich ihren
kurdischen Volkstum weitgehend entfremdet wurden (Kaya, Anhang zu I. 14.; Roth
I. 17). Unter diesen Umständen wird es jedenfalls in absehbarer Zukunft kaum
möglich sein, von jedem türkischen Staatsangehörigen den Gebrauch des
Türkischen zu verlangen. Bis dem entgegenstehende Anzeichen bekannt werden,
hält es der Senat deshalb nicht für notwendig, die Auslegung und Anwendung des
Gesetzes Nr. 2932 weiter aufzuklären.
e) Neben dem Gebrauch der Sprache ist für den Bestand und die Erhaltung einer
eigenständigen Nationalkultur die Pflege von Brauchtum und Sitte wichtig und
letztlich unerläßlich. Auch in dieser Hinsicht unterliegen die Kurden vielfältigen
Beschränkungen.
Sie können zwar grundsätzlich ungehindert ihre Nationaltracht tragen, kurdische
Volkslieder singen und ihr Newroz-Fest sowie andere bäuerliche Feste feiern und
sich auch sonst als Kurde zu erkennen geben - angesichts ihrer kurdischen
Sprache und ihres Akzents beim Gebrauch der türkischen Sprache können sie ihre
Herkunft ohnehin kaum verbergen -; wenn sie ihre kurdische Volkszugehörigkeit im
völkischen oder gesellschaftlichen Bereich und ihr Verlangen nach politischer
Autonomie oder gar nach Loslösung vom türkischen Staat ostentativ bekunden,
laufen sie Gefahr, von der Polizei oder anderen Sicherheitskräften des
Separatismus bezichtigt zu werden (a.i., I. 10., 12.; Hauser, I. 24. ; Prof. Dr.
Kappert, I. 5. und 28.; Kaya, I. 14; Gehring, I. 23.; Sternberg-Spohr, I. 16.; Prof. Dr.
Thränhardt, I. 25, und 29.; GfbV, I. 26; Fischer u.a., I. 27; Anlage zu I. 30., Prof. Dr.
Götz, I. 32.; Roth, I. 37). Wann sie vor derartigen Verdächtigungen und damit
verbundenen Verfolgungsmaßnahmen sicher sein können, ist nicht zweifelsfrei
festzustellen. Wegen des bloßen Bekenntnisses zu ihrer Volkszugehörigkeit sollen
sie nach Angaben des Auswärtigen Amtes allerdings nicht von staatlicher
Verfolgung bedroht sein (I. 6., 7. und 22.). Bestraft worden ist wegen eines solchen
Bekenntnisses bisher nur ein ehemaliger Minister aus der Regierung Ecevit (Prof.
Dr. Kappert, I. 5.; Auswärtiges Amt, I. 6., 7. und 12.; a.i., I. 5., 11.).
f) Im engeren Zusammenhang mit Ermittlungen und Verfolgungen wegen des
Verdachts des Separatismus stehen die vor allem nach dem Militärputsch
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Verdachts des Separatismus stehen die vor allem nach dem Militärputsch
unternommenen Razzien, die der Suche nach Waffen und dem Aufspüren
Krimineller dienen, die aber in der Regel pauschal alle Bewohner von Grenzdörfern
oder bestimmten Gecekondu-Bereichen erfassen und diese oft einer
erniedrigenden, brutalen oder sonst menschenrechtswidrigen Behandlung
unterziehen (a.i., I. 8.; Kaya, Anhang zu I. 14.); Schuchardt, I. 3.; Sternberg-Spohr,
I, 16.; Roth, I. 4. 17.; Taylan, I. 15.; Prof. Dr. Thränhardt, I. 25.; GfbV, I. 26.; Anlage
zu I. 36). Während teilweise angenommen wird, diese Aktionen richteten sich
systematisch gegen die kurdische Bevölkerung (Kaya, Roth, I. 4, und Sternberg-
Spohr, jeweils a.a.O. und sollten deren Einschüchterung bewirken (Roth, I. 17.), wird
in anderen Berichten betont, kurdische Siedlungsgebiete seien nur wegen der dort
festzustellenden Häufigkeit von anarchistischen, extremistischen und
separatistischen Untergrundorganisationen besonders oft und hart betroffen
(Auswärtiges Amt, I. 1., 6., 12. und 19.; ähnlich auch a.i., I. 11.).
g) Ein weiteres Anzeichen für eine gezielte Assimilierungspolitik könnte eine
bewußte Vernachlässigung kurdischer Siedlungsgebiete in kultureller und
wirtschaftlicher Hinsicht sein.
Während Industrie und Wirtschaft der Türkei hauptsächlich in den westlichen Teilen
des Landes, vorzugsweise in den Ballungsgebieten um die großen Städte
angesiedelt und konzentriert sind, sind die überwiegend von Kurden bewohnten 18
Provinzen in Ostanatolien von der Agrarwirtschaft geprägt, und deren Strukturen
und Arbeitsweisen sind zudem durch die Herrschaft von Großgrundbesitzern
gekennzeichnet (Roth, Geographie der Unterdrückten, S. 187 ff.). Unsichere
Besitzverhältnisse, Streitigkeiten um Weideland und Ackerboden und die Hoffnung
auf bessere Verdienstmöglichkeiten im Westen der Türkei und in den
Industrieländern Mitteleuropas haben zusammen mit der eklatanten
Unterentwicklung der östlichen Gebiete im Laufe der letzten 20 Jahre dazu geführt,
daß immer mehr kurdische Bauern ihre Dörfer verlassen haben, und diese
Landflucht hat das Ungleichgewicht zwischen den östlichen und westlichen
Provinzen der Türkei noch verstärkt. Die Bodenschätze des Ostens wurden zur
Industrialisierung des Westens genutzt. Gesundheitswesen und Schulen sind
wesentlich schlechter ausgestattet als allgemein in der Türkei. Zusätzlich wurde
die Macht der Scheichs und Agas noch durch die nur mit großem Kapitaleinsatz
mögliche Mechanisierung, Meliorisierung und Intensivierung in der Landwirtschaft
vergrößert.
h) Aus dem Leugnen der Existenz einer kurdischen Volksgruppe, den
Behinderungen der Sprache und sonstiger kultureller Eigenarten der Kurden, dem
massierten Einsatz von Sicherheitskräften in den kurdischen Provinzen und der
wirtschaftlichen und kulturellen Unterentwicklung dieser Gebiete wird teilweise der
Schluß gezogen, der türkische Staat unterdrücke und verfolge die Kurden bewußt
mit dem Ziel, sie zu assimilieren, zu vertreiben oder zu vernichten (Roth, a.a.O., S.
69 ff., 178 bis 261).
Hinsichtlich der unstreitig vorhandenen strukturellen Unterentwicklung in
wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht (vgl. auch Auswärtiges Amt, I. 6. ) sind
jedoch keine konkreten Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf rechtfertigen, die
türkische Regierung vernachlässige die kurdischen Provinzen in der Absicht, die
dort lebenden Kurden ihres Volkstums wegen zu benachteiligen, oder in ihrer
Politik spiele dieses Ziel zumindest eine nicht unwesentliche Rolle (so aber etwa
Taylan, I. 15.; Fischer u.a., I. 27). Immerhin ist festzuhalten, daß von den im Osten
der Türkei herrschenden Lebensbedingungen auch andere Bevölkerungsgruppen
wie etwa christliche, jezidische und islamische Türken betroffen sind (Prof. Dr.
Kappert, I. 5.). Insgesamt gesehen sind gewiß ganz verschiedenartige Faktoren für
die Benachteiligungen der kurdischen Regionen verantwortlich, etwa die
ungünstigen Boden-, Klima- und Verkehrsverhältnisse. Das Fehlen besonderer
Erschließungs- und Entwicklungsprogramme ist wohl mit dem desolaten Zustand
der Staatsfinanzen der Türkei und damit zu erklären, daß Investitionen und
Darlehen von ausländischen Finanziers und supranationalen Organisationen an
Bedingungen gebunden sind, die die wünschenswerte Förderung derart
unterentwickelter Gebiete in der Türkei jedenfalls vorerst nicht zulassen.
Bei der Bewertung des Einsatzes von Sicherheitskräften in den Gebieten
Ostanatoliens und in den Gecekondus der Großstädte wird man berücksichtigen
müssen, daß tatsächlich der Anteil der Kurden an separatistischen und
terroristischen Gewalttätern groß zu sein scheint, die Grenzgebiete wegen der
möglichen Verbindung zu kurdischen Organisationen im Irak und im Iran objektiv
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möglichen Verbindung zu kurdischen Organisationen im Irak und im Iran objektiv
besonders gefährdet erscheinen und im übrigen in anderem Zusammenhang das
Sicherheitsvakuum und die mangelnde Präsenz der staatlichen Sicherheitsorgane
in den Grenzregionen beklagt worden sind. Die verschiedentlich geschilderte
Brutalität und die scheinbare Wahllosigkeit und Willkür bei den Militäraktionen
könnten allerdings darauf hindeuten, daß mit ihnen das Ziel verfolgt wird, die
Kurden auch wegen einer tatsächlich vorhandenen oder ihnen unterstellten
politischen Überzeugung oder ihrer Volkszugehörigkeit unter Verletzung von
Menschenrechten zu verfolgen. Es kann sich aber durchaus auch um Exzesse in
Einzelfällen handeln, wie das Auswärtige Amt annimmt. Gegen eine gezielte und
von den verantwortlichen Organen zumindest gebilligte Verfolgung spricht, daß
anläßlich derartiger Ausschreitungen den Betroffenen mit Sanktionen für den Fall
gedroht worden ist, daß sie diese Untaten anzeigen sollten (so auch Büchner,
InfAuslR 1983, 236 [238]). Im übrigen zeigt gerade der vorliegende Fall, daß nicht
etwa jeder Kurde in der Vergangenheit unter Sicherheitsmaßnahmen zu leiden
hatte.
Was den Gebrauch der kurdischen Sprache im privaten Bereich angeht, so läßt
sich den dem Senat vorliegenden Berichten nicht entnehmen, daß dieser schon in
der Vergangenheit verboten oder unter Strafe gestellt war. Der Ausschluß des
Kurdischen vom Schulunterricht und aus dem Behördenverkehr rechtfertigt nicht
die Annahme, damit werde die kurdische Minderheit verfolgt. Auch hier wird man
das Unterlassen besonderer staatlicher Förderung nicht schon als Verfolgung
ansehen können; ob eine staatliche Verpflichtung besteht, die Sprache einer
Minderheit aktiv zu fördern, um deren Fortbestand auf Dauer zu garantieren, ist
zumindest fraglich. Selbst wenn neuerdings die Benutzung der kurdischen Sprache
bei praktisch jeder Meinungsäußerung verboten und strafbar wäre - was der Senat
weiterhin im Ergebnis dahingestellt läßt -, wäre nicht festzustellen, daß in der
Praxis ernsthaft mit einer Durchsetzung zu rechnen ist. Falls in Zukunft insoweit
noch weitergehende Repressalien bekannt werden sollten, müßten weitere
Ermittlungen angestellt werden; derzeit besteht hierfür noch kein Anlaß.
Auch wenn man die Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen
Volksgruppe und das verfassungsrechtlich abgesicherte Leugnen ihrer Existenz im
Zusammenhang betrachtet und bewertet, erscheint nach wie vor die Annahme
einer staatlichen Verfolgung der ethnischen Minderheit der Kurden nicht
gerechtfertigt. Etwas anderes hätte beispielsweise dann zu gelten, wenn
maßgebliche staatliche Organe zur Ausrottung oder Vertreibung der Kurden offen
auffordern würden oder ihren Äußerungen zumindest eine Billigung oder tatenlose
Hinnahme solcher Tendenzen entnommen werden könnten oder wenn die
Regierung der Türkei bei ihren Bemühungen, Sicherheit und Ordnung im Land
wiederherzustellen, die kurdischen Volksteile und die von ihnen bewohnten
Regionen bewußt vernachlässigte oder sonst gezielt benachteiligte. Hierfür gibt es
indes keine ausreichenden Anhaltspunkte und Hinweise. Es mag sein, daß die
Kurden in der Türkei auf Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen werden,
die vom türkischen Staat erwünscht, aber nicht zwangsweise durchgesetzt wird;
das Asylrecht schützt jedoch nicht vor derartigen langfristigen und allmählichen
Anpassungsprozessen aufgrund von veränderten Lebensbedingungen (BVerwG,
EZAR 203 Nr. 2 - InfAuslR 1984, 152).
3. Soweit das Asylbegehren des Klägers demgegenüber insbesondere in dem von
dessen früheren Bevollmächtigten verfaßten schriftlichen Asylgesuch mit einer
allgemeinen Verfolgung der kurdischen Volksgruppe begründet ist, ist das
Asylbegehren letztlich nicht hinreichend substantiiert. Die verschiedenen
Übergriffe seitens staatlicher Behörden und rechtsgerichteter Gruppen, auf die der
Kläger die Gefahr einer gegen ihn gerichteten Verfolgung für die Vergangenheit
stützt, waren schon seinem eigenen Vortrag zufolge nicht darauf zurückzuführen,
daß er als Kurde benachteiligt und geschädigt werden sollte. Sie sollten ihn
vielmehr vornehmlich wegen seiner politischen Betätigung und seines Eintretens
für kurdische Belange treffen und ihn von einer Fortsetzung seines politischen
Engagements abhalten. Seine ethnische Zugehörigkeit zur kurdischen
Volksgruppe war offenbar der auslösende Grund für sein politisches Interesse und
seine auf die Aufklärung der kurdischen Landbevölkerung gerichteten Aktivitäten;
hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die von ihm geltend gemachten
Bedrohungen durch rechte Gruppen und die Schwierigkeiten mit staatlichen
Behörden allein oder wenigstens überwiegend ethnisch motiviert waren, hat er
jedoch nicht vorgebracht. Wollte er sich auf eine Kollektivverfolgung allein wegen
seiner kurdischen Volkszugehörigkeit berufen, dann hätte er schlüssig behaupten
müssen, daß alle oder so gut wie alle Kurden in der Türkei Verfolgungsmaßnahmen
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müssen, daß alle oder so gut wie alle Kurden in der Türkei Verfolgungsmaßnahmen
mit asylrechtlich relevanter Intensität ausgesetzt sind; hieran fehlt es jedoch, wenn
auch zu beachten ist, daß die von ihm substantiiert geltend gemachten
Beeinträchtigungen jeweils in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit seinem
kurdischen Volkstum und dem entsprechenden Bewußtsein stehen.
4. Der Kläger kann sich darüber hinaus auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er
seine Heimat aus Furcht vor Übergriffen von Mitgliedern rechtsradikaler
Organisationen verlassen habe. Auf derartige Auseinandersetzungen hat er sich
nur in dem schriftlichen Asylantrag berufen und angegeben, auf ihn sei bereits von
Mitgliedern rechtsradikaler Organisationen geschossen worden und diese
Organisationen machten sich die Verfolgungsmaßnahmen der Polizei zunutze. Die
damit vom Kläger behaupteten Beeinträchtigungen durch rechtsradikale Gruppen
könnten dem türkischen Staat als politisch motivierte Verfolgung nur dann
zugerechnet werden, wenn festzustellen wäre, daß die staatlichen Behörden in der
Türkei nicht willens oder nicht in der Lage gewesen wären, den Kläger vor
Übergriffen politischer Gegner zu schützen (BVerfGE 54, 341 [358] = EZAR 200 Nr.
1; BVerwG, EZAR 201 Nr. 4 = Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 18; BVerwGE 62,
123 = EZAR 200 Nr. 6; BVerwG, EZAR 202 Nr. 5). Dabei kann es nicht genügen,
daß dem Kläger etwa der erforderliche Schutz in Einzelfällen versagt worden ist;
eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des türkischen Staats setzt vielmehr voraus,
daß dieser zur Verhinderung von Übergriffen nichtstaatlicher Personen oder
Gruppen prinzipiell und auf gewisse Dauer außerstande war, weil er - für das ganze
Staatsgebiet oder für einzelne Regionen - das Gesetz des Handelns an andere
Kräfte verloren hatte und seine staatlichen Sicherheits- und
Ordnungsvorstellungen insoweit nicht mehr durchsetzen konnte (BVerwG, EZAR
202 Nr. 1 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 12). Eben dies ist für die
Vergangenheit und auch für die Zukunft zu verneinen. Die türkischen
Sicherheitskräfte haben den gewalttätigen und teilweise terrorähnlichen Aktivitäten
politischer Organisationen in der Zeit vor dem Militärputsch nicht gleichgültig und
auch nicht ohnmächtig gegenübergestanden, und der türkische Staat hat letztlich
durch die Verhängung des Ausnahmezustands über zahlreiche Provinzen und mit
der Übernahme der Staatsgewalt durch die Militärs im September 1980 unter
Beweis gestellt, daß er das Abgleiten der Türkei in bürgerkriegsähnliche Zustände
nicht hinzunehmen bereit war (vgl. Auskünfte I 19; II 5, 6). Daß er für entsprechend
wirksame Reaktionen auf landesweit verbreitete bürgerkriegsähnliche
Vorkommnisse eine gewisse Zeitspanne benötigte, ist asylrechtlich unschädlich
(vgl. dazu allgemein jetzt BVerwG, ZAR 1986, 37 f. EZAR 202 Nr. 5), weil die
Staatsgewalt in der Türkei damit jedenfalls im Grundsatz ihrer Schutzverpflichtung
gegenüber den Staatsbürgern der Türkei ohne Ansehen der Person und deren
Gesinnung nachgekommen ist.
5. Entgegen dem Begehren des Klägers kann nicht zur Überzeugung des Senats
festgestellt werden, daß der Kläger in der Türkei vor seiner Ausreise aus politischen
Gründen, insbesondere wegen Verteilens der Roja Välat, verfolgt war und daß jetzt
noch wegen früherer Aktivitäten nach ihm gefahndet wird. Der Senat hält das
Vorbringen des Klägers über sein Schicksal in der Türkei in Übereinstimmung mit
dem Verwaltungsgericht zumindest teilweise für unglaubhaft. Da das
schriftsätzliche und mündliche Vorbringen des Klägers zu den Gründen seiner
Ausreise aus der Türkei nicht frei von Widersprüchen und in gewissem Umfang
während der verschiedenen Verfahrensabschnitte gesteigert ist und darüber
hinaus das Verhalten des Klägers nach seiner Einreise in die Bundesrepublik gegen
eine bei ihm vorhandene ernste Verfolgungsfurcht spricht, hätte der Senat dem
Kläger nur bei überzeugender Aufklärung dieser erheblichen Unstimmigkeiten in
vollem Umfang glauben können (vgl. dazu: BVerwG, EZAR 630 Nr. 17 = Buchholz
402.25 § 25 AsylVfG Nr. 32; BVerwG, EZAR 630 Nr. 23) und Veranlassung gehabt,
das Schicksal des Klägers vor dessen Ausreise noch eingehender aufzuklären, als
dies ohnehin vom Senat versucht worden ist (vgl. dazu: BVerwG, Buchholz 310, §
86 Abs. 1 VwGO Nr. 152; BVerwG, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36). Angesichts
der nachfolgend dargestellten schwerwiegenden Zweifel an der Richtigkeit des
klägerischen Vorbringens steht zur Überzeugung des Senats lediglich fest, daß
sich der Kläger im Jahre 1978 innerhalb eines Zeitraums von einigen Wochen,
allenfalls von wenigen Monaten an der Verteilung der Roja Välat in seiner Heimat
beteiligt hat.
a) Die Darstellung der Fluchtgründe durch den Kläger hat während des Verfahrens
gewechselt; dies läßt sich schon aus einer zusammenfassenden
Gegenüberstellung des Begründung des Asylgesuchs und der
Nichtzulassungsbeschwerde bzw. der Berufung sowie der persönlichen Angaben
45
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Nichtzulassungsbeschwerde bzw. der Berufung sowie der persönlichen Angaben
bei der Anhörung im Vorprüfungsverfahren und der Vernehmung im
Berufungsverfahren erkennen. In dem durch den früheren Bevollmächtigten des
Klägers verfaßten Asylgesuch wurde nach der Darstellung der allgemeinen Lage
der Kurden in der Türkei ausgeführt, der Kläger sei wegen seines Eintretens für die
Belange der Kurden Verfolgungen ausgesetzt gewesen, die lebensbedrohend
geworden seien, als er an der Verteilung der Roja Välat aktiv teilgenommen habe;
wegen der Verbreitung der Zeitung und wegen seiner Teilnahme an friedlichen
Demonstrationen kurdischer Arbeiter sei eine Fahndung gegen ihn eingeleitet
worden. Nachdem der Kläger die Klage nicht begründet und auch der Übertragung
auf den Einzelrichter nicht widersprochen hatte, war er in der mündlichen
Verhandlung beim Verwaltungsgericht nicht erschienen und auch nicht anwaltlich
vertreten; letzteres ist allerdings dem Kläger nicht anzulasten, weil sein
persönliches Erscheinen nicht angeordnet und die Ladungsfrist von zwei Wochen
nicht eingehalten war (vgl. Beschl. d. Sen. vom 26. Februar 1985 - 10 TE 533/83 -).
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Berufung ist sodann
angegeben worden, der Kläger sei anläßlich von Demonstrationen für die Rechte
der Kurden mehrere Male jeweils kurzfristig und einmal für zwei Tage
festgenommen worden, er habe damals mit der PKK sympathisiert und sei in
seiner Heimatregion als Verteiler der Roja Välat bekanntgewesen und er habe
darüber hinaus in Diyarbakir Flugblätter und Zeitungen des DHKD verteilt.
Während der Kläger im Vorprüfungsverfahren lediglich von mehrfachen Überfällen
der Gendarmerie auf sein Heimatdorf und von dem Besitz und dem Lesen
verbotener Zeitungen berichtet und als Ausreisegrund die Furcht vor Verhaftung
genannt hatte, schilderte er bei der Vernehmung durch den Berichterstatter des
Senats auf entsprechende Fragen im einzelnen die Verteilung von Flugblättern vor
der Einberufung zum Militärdienst und die Verbreitung der Roja Välat nach seiner
Entlassung aus der türkischen Armee und erklärte, er sei nur bei einer einzigen
Gelegenheit persönlich festgenommen worden, und zwar wegen des Verteilens
eines Informations-Flugblattes über das Newroz-Fest in Karakocan im Jahre 1976;
im übrigen gab er als Grund für seine Ausreise aus der Türkei an, er habe eine
Verhaftung befürchtet, nachdem im Winter 1978/79 mehrere seiner Freunde
wegen der Verbreitung kurdischer Zeitungen und wegen kurdischer Propaganda
festgenommen worden seien.
Bei einer näheren Überprüfung dieses Vorbringens fällt auf, daß der Kläger zwar
durchgehend sein engagiertes Eintreten für kurdische Belange betont hat, daß
aber erhebliche Differenzen bei der Angabe konkreter Einzelheiten hinsichtlich
seiner persönlichen Gefährdung zu verzeichnen sind. Ein Vergleich zwischen den
anwaltlich verfaßten Begründungen für das Asylgesuch auf der einen und für die
Nichtzulassungsbeschwerde und die Berufung auf der anderen Seite zeigt deutlich
die Steigerung des Vorbringens: Von den mehrmaligen Verhaftungen anläßlich von
Demonstrationen, die in dem anwaltlichen Schriftsatz vom 25. Oktober 1983
behauptet sind, war in dem Asylgesuch vom 17. März 1980 noch nicht die Rede.
Ein ähnliches Bild ergibt ein Vergleich zwischen den persönlichen Erklärungen des
Klägers im Vorprüfungsverfahren und bei der Vernehmung in der
Berufungsinstanz: Während zunächst nur der Besitz und das Lesen von
verbotenen Zeitungen erwähnt wurden, stellte sich der Kläger später als ständiger
Verteiler von Flugblättern und als in seinem Heimatort und dessen Umgebung
allseits bekannter Verteiler der Roja Välat dar. Dabei hat der Kläger bei der
Vernehmung den ersten Widerspruch selbst in der Weise aufgelöst, daß er
eingeräumt hat, nur ein einziges Mal verhaftet worden zu sein, und zwar beim
Verbreiten eines Flugblatts über das Newroz-Fest in Karakocan im Jahre 1976 und
nicht etwa bei öffentlichen Demonstrationen für die Rechte der Kurden, wie es die
Bevollmächtigten des Klägers in dem Schriftsatz vom 25. Oktober 1983 dargestellt
hatten.
b) Nach alledem kann der Senat dem Kläger nicht glauben, was dieser bei seiner
Vernehmung geradezu minutiös geschildert hat, daß er nämlich nach der
Festnahme im Jahre 1976 zwei Tage zusammen mit drei bis vier anderen Leuten
festgehalten und von den Jandarmas mit dem Hinweis darauf verprügelt worden
sei, daß es weder ein Newroz-Fest noch Kurden gäbe. Dem Kläger ist es auch nicht
gelungen, diese Festnahme durch die von ihm beantragte Vernehmung der
Zeugen K., T. und Y. nachzuweisen. Der Zeuge K. konnte über das Schicksal des
Klägers in den Jahren von 1974 an nur vom Hörensagen berichten, da er 1974/75
zwei Jahre lang in Bingöl und dann später in Adana zur Schule gegangen ist und
sich nicht mehr in Karakocan aufgehalten hat, wo er zunächst die Mittelschule
besucht hatte. Er will während seines Schulbesuchs in Adana von dort tätigen
Saisonarbeitern aus seiner Heimat davon gehört haben, daß der Kläger wegen
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Saisonarbeitern aus seiner Heimat davon gehört haben, daß der Kläger wegen
Verteilens von Flugblättern in Haft geraten war; der Zeuge meinte auch, sich
daran erinnern zu können, daß er davon gehört habe, damals seien noch mehrere
Leute in diesem Zusammenhang festgenommen worden. Der Zeuge K. ist indes
mit dem Kläger über einen gemeinsamen Urgroßvater verwandt und hat zum
Kläger Verbindung, seitdem sich dieser in der Bundesrepublik aufhält. Da der
Kläger ihm auch über die Gründe seiner Ausreise aus der Türkei berichtet hat,
erscheint es dem Senat naheliegend, daß der Zeuge K. den vom Kläger erwähnten
Verhaftungsfall aus dem Jahre 1976 von diesem selbst gesprächsweise erfahren
hat. Der Zeuge T. konnte über Ereignisse in Karagocan nichts berichten, und der
Zeuge Y. hat angegeben, er habe von Saisonarbeitern in Iskenderun, wo er bis
Ende 1977 beschäftigt gewesen sei, gehört, der Kläger sei festgenommen worden,
weil er Kurde sei. Über die Dauer der angeblichen Festnahme des Klägers wußte er
nichts zu berichten und meinte, vielleicht habe dieser auch Flugblätter verteilt
gehabt. Auch diese letztere Aussage ist zu vage, um die Angaben des Klägers, die
in sich selbst widersprüchlich und gesteigert erscheinen, glaubhaft zu bestätigen
und zu erhärten. Sie erwecken ebenfalls den Eindruck, als beruhten sie auf den
eigenen Erzählungen des Klägers, den der Zeuge Y. erstmals 1979 im
Arbeiterverein Kurdistan in Frankfurt am Main getroffen hat.
c) Darüber hinaus kann auch nicht festgestellt werden, daß der Kläger, als er die
Türkei verließ, deshalb gefährdet war, weil er die Roja Välat verteilt hatte. Allerdings
war eine dahingehende Behauptung bereits in dem schriftlichen Asylantrag
enthalten und dann im Berufungsverfahren schriftlich und mündlich näher
substantiiert worden. Demgegenüber ist jedoch zu beachten, daß der Kläger im
Vorprüfungsverfahren am 12. Februar 1981 seine Verfolgungsfurcht ausschließlich
auf Überfälle der Gendarmerie und der Soldaten auf sein Heimatdorf und auf eine
im Winter 1978/79 erfolgte Verhaftung zweier Freunde durch die Gendarmerie
zurückführt und dann lediglich noch erwähnt hat, sie hätten zu Hause von der
Regierung verbotene Zeitungen besessen und gelesen. Ein irgendwie gearteter
Zusammenhang der Überfälle und Verhaftungen mit dem Verteilen verbotener
Zeitungen und einer maßgeblichen Mitwirkung des Klägers hierbei läßt sich diesen
Erklärungen nicht einmal andeutungsweise entnehmen.
Eine Erklärung dafür, daß der Kläger bei der ersten Gelegenheit einer persönlichen
Schilderung seiner Asylgründe von der ihm angeblich als Verteiler der Roja Välat
drohenden Verhaftung nichts erwähnt hat, ist weder von ihm selbst gegeben
worden noch sonst erkennbar. Diese Unterlassung muß um so mehr verwundern,
als der Kläger, bevor er seinen Asylantrag stellte, etwa neun Monate lang illegal im
Bundesgebiet gelebt hat und während dieser Zeit und in den nachfolgenden elf
Monaten bis zu seiner Anhörung beim Bundesamt genügend Gelegenheit hatte,
sich bei seinen Bekannten darüber zu vergewissern, auf welche tatsächlichen
Vorkommnisse und Ereignisse es im Asylanerkennungsverfahren ankommt. Unter
diesen Umständen gewinnt an Bedeutung, was der Kläger über Inhalt,
Erscheinungsweise und Verteilung der Roja Välat bekundet hat. Soweit der Kläger
die äußere Aufmachung und den Zeitraum des Erscheinens der Roja Välat
geschildert hat, entspricht dies den dem Senat vorliegenden Informationen.
Danach ist diese Zeitung vom 15. September 1977 an erschienen und im Januar
1979 aufgrund zuvor ausgesprochener Verbote endgültig eingestellt worden
(Gutachten I. 31, 32 und 37; Auskunft I 33). Wenn der Sachverständige Gehring
davon abweichend meint, die Roja Välat sei erst im Juni 1978 erstmals erschienen,
dann beruht dieser offensichtliche Fehler wohl darauf, daß er nur die Ausgabe Nr. 9
vorliegen hatte und mit Hilfe der Erscheinungsweise das erstmalige
Erscheinungsdatum durch Rückrechnung ermittelt hat (Gutachten I. 34). Wie
insbesondere die Sachverständigen Taylan und Götz bekundet haben, ist die Roja
Välat jedoch nicht regelmäßig erschienen, sondern hat lediglich zwölf (Gutachten I.
31) bzw. 19 (Gutachten I. 32) Ausgaben aufgewiesen; diese Bekundungen
erscheinen, auch wenn sie in der Angabe der genauen Anzahl der Ausgaben der
Roja Välat differieren, glaubhaft, da im übrigen Übereinstimmung darüber
herrscht, daß das Erscheinen der Zeitung von Anfang an durch staatliche
Maßnahmen gestört worden ist. Wenn der Kläger bekundet hat, er und seine
Freunde hätten die von ihm verteilten Flugblätter von einer Vereinigung erhalten,
deren Bezeichnung übersetzt etwa laute: Revolutionäre Kulturelle Vereinigung, und
sie hätten nach Beendigung seines Militärdienstes auch die Roja Välat zum
Verteilen erhalten, dann kann diese Aussage insoweit zutreffen, als bei
Beendigung des Militärdienstes des Klägers im Jahre 1978 die Roja Välat existierte
und weil sie tatsächlich durch die Organisation des DHKD (Revolutionärer
Volkskulturverein) verteilt worden ist (Gutachten I 30, 31, 37). Die Kenntnisse des
Klägers über Erscheinungsweise und Preis der Roja Välat sind lückenhaft und
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Klägers über Erscheinungsweise und Preis der Roja Välat sind lückenhaft und
teilweise unzutreffend. Bei der Vernehmung konnte er sich nicht daran erinnern,
welche Ausgabe und wieviel Ausgaben der Roja Välat er verteilt hat und ob ein
bestimmter Preis auf der Zeitung aufgedruckt war; einmal gab er an, er könne die
Frage, ob ein fester Preis für die Zeitung verlangt worden sei, nicht beantworten,
dann erklärte er, die Zeitung habe schon einen festen Preis gehabt, er könne sich
aber an dessen Höhe nicht mehr erinnern. Sie hätten bei der Verteilung der Roja
Välat nichts verdient, sondern teilweise sogar "etwas draufgelegt"; die Roja Välat
sei monatlich erschienen. Demgegenüber steht aufgrund der vorliegenden
Gutachten und Berichte fest, daß für die Roja Välat ein Erscheinen jeweils am 1.
und 15. eines Monats vorgesehen war, die Zeitschrift also etwa in zweiwöchigem
Rhythmus erscheinen sollte (Gutachten I 32, 34) und der Preis je Ausgabe 5,- TL
betrug (Gutachten I 31). Da die Aussagen des Klägers über Art und Weise der
Verteilung und Bezahlung der Zeitschrift unsicher wirken. und er die Kenntnisse
über den Erscheinungszeitraum und die äußere Aufmachung der Zeitschrift auch
in anderer Weise als durch das ständige Verteilen erworben haben kann, ist es
zumindest möglich, daß er die Zeitschrift überhaupt nicht oder jedenfalls nicht
mehrmals verteilt hat. Immerhin hat er selbst eingeräumt, daß er sein Wissen über
die Zeitschrift teilweise von seinen Freunden erfahren hat. Wenn er sich an eine
monatliche Erscheinungsweise der Roja Välat zu erinnern glaubt, dann kann das
darauf zurückgeführt werden, daß er die insgesamt 12 oder 19 Ausgaben auf den
Erscheinungszeitraum von etwa 16 Monaten umgelegt und daraus den zeitlichen
Abstand zwischen den Ausgaben errechnet hat. Da er erst im Jahre 1978 aus dem
Militärdienst zurückgekehrt ist - den genauen Zeitpunkt konnte er nicht angeben -,
nach der Verhaftung von Freunden im Winter 1978/79 aus Furcht vor einer auch
ihm drohenden Festnahme überhaupt nicht mehr in sein Heimatdorf
zurückgekehrt sein will und im übrigen nach seinem Militärdienst noch einmal für
etwa einen Monat in Diyarbakir auf Arbeitssuche gewesen ist, kommt ohnehin nur
ein Zeitraum von einigen Wochen oder allenfalls wenigen Monaten in Betracht, in
dem der Kläger an der Verbreitung der Roja Välat in seinem Heimatdorf und
dessen Umgebung mitgewirkt haben könnte. Darüber hinausgehende
Feststellungen über die Mitwirkung des Klägers beim Verteilen der Roja Välat
können auch nicht aufgrund der im Berufungsverfahren erfolgten
Zeugenvernehmungen getroffen werden. Dem Zeugen K. war zwar die Zeitung
Roja Välat bekannt, von einer Mitwirkung des Klägers wußte er jedoch nichts zu
berichten, und die Zeugen T. und Y. konnten zu diesem Fragenkomplex keinerlei
Angaben machen.
d) Die erstmals in der Berufungsbegründung aufgestellte Behauptung des Klägers,
er habe sich in Diyarbakir für den DHKD betätigt, ist unsubstantiiert geblieben und
in der Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Der Kläger hat zwar selbst
angegeben, er sei vor dem Militärdienst bei Bauarbeiten an der Stadtmauer in
Diyarbakir beschäftigt gewesen, und der Zeuge T. hat ausgesagt, er habe den
Kläger im Sommer 1976 in Diyarbakir kennengelernt, als dieser dort für zwei bis
drei Monate an der Stadtmauer gearbeitet habe. Der Zeuge konnte jedoch nicht
sagen, ob der Kläger dem DHKD angehört und an der Verteilung von Flugblättern
in Diyarbakir teilgenommen hat.
e) Schließlich kann der Senat auch nicht die Überzeugung gewinnen, daß der
Kläger bis in die letzte Zeit hinein in der Türkei von staatlichen Behörden gesucht
worden ist. Gegen die Richtigkeit des dahingehenden Vortrags des Klägers
bestehen gewichtige Bedenken.
Allerdings war von einer Fahndung bereits im Asylantrag die Rede, ohne daß indes
genaue Einzelheiten genannt wurden. Im Vorprüfungsverfahren hat der Kläger
lediglich seine Furcht vor Verhaftung bekundet und diese mit der Festnahme
seiner Freunde begründet; von konkreten Fahndungsmaßnahmen und
entsprechenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine ihm drohende staatliche
Verfolgung wußte er damals ebensowenig zu berichten wie bei seiner Vernehmung
im Berufungsverfahren. Der Kläger hat sich zwar seinen türkischen Paß von
Bekannten besorgen lassen, bei der Ausreise hatte er jedoch bei der Paßkontrolle
am Flughafen Istanbul keinerlei Schwierigkeiten. Allerdings hat der Kläger bei
seiner Vernehmung angegeben, ein Bekannter namens A. K. habe ihm nach
einem Besuch in der Türkei im Jahre 1983 erzählt, seine, des Klägers, Eltern hätten
ihm berichtet, Jandarmas erkundigten sich öfter nach seinem Aufenthalt, hätten
aber Grund und Zweck dieser Erkundigungen nicht genannt; sie wollten nur ihn,
den Kläger, mitnehmen. Gegen die Dichtigkeit dieser Berichte spricht zunächst,
daß der Kläger hierüber schriftliche Erklärungen seiner Eltern im Verfahren weder
vorgelegt noch angeboten hat. Außerdem gibt es in der Person des Klägers keinen
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vorgelegt noch angeboten hat. Außerdem gibt es in der Person des Klägers keinen
hinreichenden Anhaltspunkt dafür, daß mehrere Jahre nach seiner Ausreise aus
der Türkei noch polizeilich nach ihm gefahndet wird. Denkbar wäre allenfalls, daß
ihm noch vorgeworfen wird, in seinem Heimatdorf und dessen Umgebung in der
Zeit nach seinem Militärdienst bis in den Winter 1978/79 hinein die Roja Välat
verbreitet zu haben. Daß aus diesem Grunde heute noch nach dem Kläger
gesucht wird, ist indes äußerst unwahrscheinlich. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
der Kläger nicht dem DHKD angehört hat, eine Gefährdung für den Kläger also
nicht allein deswegen angenommen werden kann, weil Verfahren gegen DHKD-
Mitglieder in der Vergangenheit anhängig gemacht worden sind (vgl. etwa
Gutachten I 31). Verteiler der Roja Välat sind in der Vergangenheit verfolgt und
auch verhaftet worden (Gutachten I 31, 32, 37; Auskunft I 33); von Verfahren
gegen Personen, die früher einmal die Roja Välat verteilt haben und später nach
einem zwischenzeitlichen Auslandsaufenthalt in die Türkei zurückgekehrt sind, ist
dagegen den vorliegenden Unterlagen nichts zu entnehmen. Da für den Kläger
nicht nachgewiesen ist, daß er etwa an maßgeblicher Stelle an der Verteilung der
Roja Välat mitgewirkt hat und als solcher schon vor seiner Ausreise aus der Türkei
den Behörden bekannt war, kann zwar nicht von vornherein ausgeschlossen
werden, daß gegen ihn nachträglich ein Verfahren eingeleitet worden ist und noch
fortgeführt wird, die tatsächliche Möglichkeit erscheint dem Senat jedoch äußerst
gering.
f) Letztendlich spricht auch das eigene Verhalten des Klägers nach seiner Ankunft
in der Bundesrepublik dagegen, daß er damals, also Mitte 1979, ernsthaft
politische Verfolgung in der Türkei befürchtet hat.
Der Kläger hat sich etwa neun Monate lang illegal in der Bundesrepublik
aufgehalten, bis er um Asyl nachgesucht hat. Er hat zunächst bei Bekannten und
Verwandten in Frankfurt am Main, München und wohl auch Stuttgart gelebt. Seine
Erklärung dafür, daß er den Asylantrag erst verhältnismäßig spät gestellt hat,
leuchtet dem Senat nicht ein; der Kläger will sich nämlich zu seinem Asylgesuch
erst dann entschlossen haben, als er erfahren hatte, daß seine festgenommenen
Freunde in der Türkei noch in Haft waren. Wenn der Kläger aber tatsächlich Anlaß
für die Annahme hatte, daß gegen ihn in der Türkei ermittelt wurde, dann hätte er
sich eigentlich sofort an deutsche Behörden um Schutz wenden und seine
Verfolgungsfurcht offenlegen müssen; seine eventuelle Gefährdung war jedenfalls
von dem weiteren Schicksal seiner Freunde nicht abhängig. Zudem konnte sich
der Kläger nicht im Unklaren darüber sein, daß er nur mit Hilfe eines Asylantrags
einen legalen Aufenthalt in der Bundesrepublik sichern konnte. Immerhin ist seine
Einreise in die Bundesrepublik seinen eigenen Angaben zufolge von seinen
Verwandten vorbereitet worden, und er hat schon bald nach seiner Ankunft in der
Bundesrepublik Verbindung zu seinen Bekannten aus dem Arbeiterverein
Kurdistan in Frankfurt am Main aufgenommen. Unter diesen Umständen gibt es
aber auch keine vernünftige Erklärung dafür, daß der Kläger im
Vorprüfungsverfahren den unter Umständen gravierenden Umstand des
Verteilens der Roja Välat, der im schriftlichen Asylantrag bereits enthalten war,
überhaupt nicht mehr erwähnt hat.
6. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Senats bei einer Rückkehr in seine
Heimat auch wegen seiner exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik
Deutschland keine asylrelevante Verfolgung. Es kann nämlich nicht festgestellt
werden, daß türkische Behörden den Kläger wegen seines Verhaltens in der
Bundesrepublik strafrechtlich oder sonst verfolgen werden,
a) Allerdings steht aufgrund der insoweit glaubhaften Aussagendes Klägers und
der Zeugen K. und Y. sowie der zu den Akten gereichten Schriftstücke und Fotos
(Bl. 64, 72, 73, 75, 81, 158, 160 ff, d.A.) zur Überzeugung des Senats fest, daß der
Kläger nach seiner Einreise in die Bundesrepublik bereits im Jahre 1979 dem
Arbeiterverein Kurdistan in Frankfurt am Main beigetreten ist, dort erstmals im
Februar 1984 zum Kassenwart gewählt wurde und in den Jahren 1981, 1982 und
1984 an Veranstaltungen teilgenommen hat, die sich gegen die Politik der
türkischen Regierung gerichtet haben. Aufgrund der eingereichten Schriftstücke
und der dem Senat vorliegenden sonstigen Informationen ist weiter festzustellen,
daß der Arbeiterverein Kurdistan e.V. in Frankfurt am Main Mitglied der KOMKAR ist
(vgl. etwa Gutachten II 35) und diese allgemein als Organisation der TKSP in der
Bundesrepublik gilt und in einer geheimen Erklärung der türkischen Regierung an
die türkischen Auslandsvertretungen als eine Vereinigung bezeichnet worden ist,
die gegen die Türkei gerichtete und schädliche Tätigkeiten ausübt (Gutachten I
31).
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b) Der Kläger braucht bei einer Rückkehr in die Türkei zunächst einmal nicht schon
deswegen mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen, weil er hier einen Asylantrag
gestellt und diesen mit Behauptungen begründet hat, die türkischen Behörden
Verfolgungsmaßnahmen anlasten. Zwar kann eine derartige Begründung eines
Asylgesuchs den Straftatbestand des Art. 140 TStGB erfüllen, falls das
Asylvorbringen Achtung und Ansehen des türkischen Staats zu schädigen
geeignet ist. Es ist aber weder substantiiert dargelegt noch aus den dem Senat
vorliegenden Unterlagen ersichtlich, daß erfolglose türkische Asylbewerber wie der
Kläger staatlichen Repressalien allein wegen ihres in der Bundesrepublik gestellten
Asylantrags ausgesetzt werden; in dieser Richtung immer wieder geäußerte
Befürchtungen haben sich in der Vergangenheit nicht bestätigen lassen (vgl. dazu
die Unterlagen I 4, 17, 22, 26, 33, 35 und II 3, 10, 11, 13 bis 15, 17).
c) Die exilpolitische Betätigung des Klägers könnte zwar nach türkischem
Strafrecht verfolgt werden, es gibt indes keine genügenden Anhaltspunkte dafür,
daß sie von türkischen Strafverfolgungsbehörden tatsächlich auch zum Anlaß
genommen werden wird, den Kläger bei einer Rückkehr zu verfolgen.
Bei der Beurteilung von politischen Aktivitäten türkischer Staatsangehöriger im
Ausland ist zunächst davon auszugehen, daß die türkischen Strafgesetze auch für
Türken gelten, die im Ausland leben (Auskunft II 24) und daß die Teilnahme an
Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Politik der türkischen Regierung
Tatbestände des türkischen Strafrechts erfüllen kann (Gutachten II 31, 32).
Fraglich könnte jedoch sein, ob eine politische Betätigung von türkischen
Staatsangehörigen, wie sie für den Kläger nachgewiesen ist, türkischen Behörden
überhaupt bekannt wird. Insoweit sind verallgemeinerungsfähige Aussagen nicht
möglich, es kann aber nicht als wahrscheinlich angesehen werden, daß die vom
Kläger nachgewiesenen Aktivitäten von türkischen Stellen registriert und zum
Anlaß genommen worden sind, den Kläger zu identifizieren. Konkrete
Informationen über den Umfang nachrichtendienstlicher Tätigkeit gegen
ausländische Widerstandsorganisationen und Regimegegner gibt es nicht; trotz
des Verbots geheimdienstlicher Agententätigkeit auf deutschem Boden ist jedoch
mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß vereinzelt nachrichtendienstliche
Aktivitäten auch des türkischen Dienstes im Bundesgebiet vorkommen (Auskunft II
28). Aus den hierüber insgesamt vorliegenden Unterlagen erscheint der Schluß
geboten, daß allgemein politische Aktivitäten türkischer Staatsbürger in der
Bundesrepublik von türkischen Behörden beobachtet werden (Gutachten II 31) und
dies in besonderem Maße etwa für die Aktivitäten der FIDEF (Gutachten II 22, 26)
und der DIDF (Gutachten II 40) gilt. Eine ähnliche Wahrscheinlichkeit der
Beobachtung kann auch für Mitglieder von Vereinen angenommen werden, die der
KOMKAR angehören. Ob die für den Kläger nachgewiesenen Betätigungen danach
türkischen Behörden bekanntgeworden sind, erscheint zumindest nicht sicher und
ist nach Überzeugung des Senats eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich.
Abgesehen davon spricht nach Überzeugung des Senats allenfalls eine geringe
Wahrscheinlichkeit dafür, daß die exilpolitische Betätigung des Klägers bei dessen
Rückkehr in seine Heimat von türkischen Behörden zum Anlaß genommen werden
wird, strafrechtlich gegen ihn vorzugehen. Zur Frage strafrechtlicher Verfolgung
von türkischen Exilpolitikern hat das Max-Planck-Institut Heidelberg allgemein
erklärt, weder der Berichterstattung türkischer Tageszeitungen noch den dem
Institut vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen seien Fälle zu
entnehmen, in denen führende oder untergeordnete Mitglieder von ausschließlich
im Ausland tätigen Vereinen strafrechtlich verfolgt worden seien (Gutachten II 31);
es kann allerdings auf die insoweit eingeschränkten Informationsmöglichkeiten
dieses rechtswissenschaftlichen Instituts zurückzuführen sein, daß diesem
entsprechende Präzedenzfälle nicht bekannt sind. Der Sachverständige Roth hat
nach seinen Recherchen und Informationen bislang keine Verfahren gegen
einfache Mitglieder der FIDEF feststellen können (Gutachten II 22); in dem für das
vorliegende Verfahren erstatteten Gutachten vertritt der Sachverständige die
Auffassung, es sei mit außerordentlich großer Wahrscheinlichkeit immer noch
davon auszugehen, daß türkische Staatsangehörige wegen politischer Tätigkeiten
im Ausland bei einer Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten. So
müßten oppositionelle Kurden, die sich hier aktiv für die Rechte des kurdischen
Volkes einsetzten, mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen, und dies gelte ebenfalls
für Angehörige von Dev-Sol oder Dev-Yol. Rückkehrer würden in der Türkei offiziell
nicht deswegen angeklagt, weil sie sich in der Bundesrepublik politisch betätigt
hätten, sondern wegen ihrer Organisationszugehörigkeit in der Türkei. Offiziell sei
bisher bei über 1.000 türkischen Staatsangehörigen die Ausbürgerung
bisher bei über 1.000 türkischen Staatsangehörigen die Ausbürgerung
angekündigt und bei über 100 inzwischen auch durchgeführt worden. In allen
diesen Fällen sei davon auszugehen, daß die türkischen Sicherheitsbehörden in
der Bundesrepublik auch ihre Landsleute beobachtet oder Information von
anderen nichttürkischen Dienststellen erhalten hätten. Ihm sei nicht bekannt, in
wie vielen Fällen Vorstandsmitglieder kurdischer Arbeitervereine, die der KOMKAR
angehörten, in die Türkei zurückgekehrt seien, ohne angeklagt zu werden.
Vorstandsmitglieder der KOMKAR gingen nicht in die Türkei zurück, und bei
einfachen Mitgliedern bestehe die große Gefahr der Verfolgung. Der
Sachverständige Taylan hat bekundet, weder seinen Informanten in der Türkei
noch Vorstandsmitgliedern der FIDEF seien Verfahren bekannt, die gegen
Mitglieder oder Funktionäre der FIDEF geführt würden (Gutachten II 23, 26); in dem
für den Senat erstatteten Gutachten vom 17. April 1986 schätzt der
Sachverständige die türkischen Staatsbürger im Ausland, gegen die nachweislich
ein Verfahren in der Türkei eingeleitet worden ist, auf etwa 1.000; hiervon soll
schon ein großer Teil ausgebürgert sein. Ausbürgerungen erfolgten hauptsächlich
aus politischen Motiven. Die meisten Ausgebürgerten seien politisch aktive
Personen im Ausland, die der schriftlichen Rückkehraufforderung des Konsulats
und einem entsprechenden Aufruf in allen Tageszeitungen nicht gefolgt seien.
Seinen Informanten in der Türkei sei kein einziges Verfahren bekannt, in dem ein
nach dem 12. September 1980 zurückgekehrter türkischer Staatsangehöriger
wegen seiner Aktivitäten im Ausland verurteilt worden sei. Ihm seien in der
Bundesrepublik mehrere Kurden bekannt, die in der Türkei wegen ihrer Aktivitäten
im Ausland gesucht und in Abwesenheit angeklagt worden seien; darunter befinde
sich auch ein Vorstandsmitglied der KOMKAR, der der Rückkehraufforderung nicht
gefolgt und danach auch ausgebürgert worden sei. Der Sachverständige berichtet
weiter über den Fall einer türkischen Staatsangehörigen, die bei der
Arbeiterwohlfahrt in Bayreuth angestellt war und deren Teilnahme an Aktionen und
Flugblattverteilungen gegen die türkische Regierung türkischen Dienststellen in der
Bundesrepublik nachweislich bekanntgeworden ist. Amnesty international berichtet
in der zu diesem Verfahren beigezogenen Stellungnahme vom 23. September
1985 an das Verwaltungsgericht Ansbach über die Verhaftung, Vernehmung und
Folterung eines türkischen Staatsangehörigen, der ehemals der KOMKAR angehört
und als Student Flugblätter verteilt und in einer Folkloregruppe mitgearbeitet
haben soll und bei einem Familienbesuch in Siverek im August 1983
festgenommen worden ist; ihm soll von türkischen Dienststellen detailliert
vorgehalten worden sein, an welchen Demonstrationen er teilgenommen und
wann und wo er Flugblätter in der Bundesrepublik verteilt habe. Der Zeuge M. hat
bei seiner Vernehmung durch den Berichterstatter des Senats Einzelheiten
darüber ausgesagt, daß einem seiner türkischen Mandanten der Paß entzogen
worden sei. Dieser Mandant, dessen Namen preiszugeben er nicht berechtigt sei,
sei Mitglied im Kurdischen Arbeiterverein in Frankfurt am Main gewesen, habe dort
aber keine leitende Funktion bekleidet und sei dort auch nicht als Redner öffentlich
aufgetreten. Anläßlich einer Vorsprache wegen einer Paßverlängerung beim
türkischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main sei diesem Mandanten die
Rückgabe des Passes mit der mündlichen Begründung verweigert worden, gegen
ihn liege etwas vor. Darüber sei ihm auch eine Bescheinigung ausgestellt worden
(vgl. Bl. 284 d.A.). Die zuständige türkische Staatsanwaltschaft habe ihm auf
Anfrage sodann mitgeteilt, ihr sei von einem Verfahren nichts bekannt. Nachdem
er sich dann persönlich an das türkische Innenministerium mit der Bitte um
Auskunft gewandt habe, habe er von dort unter dem 13. Juli 1984 die Mitteilung
erhalten, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren nach Art. 140, 141, 142 und 125
TStGB eingeleitet worden sei und das Verteidigungsministerium wegen seines
Aufenthalts im Ausland die Ausbürgerung vorgeschlagen habe (Bl. 194 d.A.).
Später habe er noch ein weiteres Schreiben des türkischen Innenministeriums -
vom 2. August 1984 - erhalten, mit dem ihm die Aberkennung der
Staatsbürgerschaft und die Liquidation seines Vermögens für den Fall angedroht
worden sei, daß er nicht binnen eines Monats in seine Heimat zurückkehre und
sich den zuständigen Behörden stelle (Bl. 285 ff. d.A.). Daraufhin sei der Mandant,
da er der Heimkehraufforderung nicht gefolgt sei, ausgebürgert worden. Das
Auswärtige Amt hat zunächst berichtet, ihm sei kein Fall der strafrechtlichen
Verfolgung eines Türken wegen politischer Betätigung in der Bundesrepublik
bekanntgeworden (Auskunft II 15), Strafverfahren gegen Mitglieder der FIDEF seien
ebensowenig bekannt wie Prozesse wegen Teilnahme an Demonstrationen bzw.
Verteilen von Flugblättern mit gegen das türkische Militärregime gerichteter
Zielsetzung (Auskunft II 24) und Strafverfahren gegen Mitglieder kurdischer
Exilorganisationen, die in die Türkei zurückgekehrt seien, seien ebenfalls nicht
bekannt geworden (Auskunft II 34). In der zu diesem Verfahren beigezogenen
Auskunft vom 29. Mai 1985 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat das
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Auskunft vom 29. Mai 1985 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat das
Auswärtige Amt wie bei anderer Gelegenheit erklärt, in Anbetracht des engen
berufskonsularischen Netzes der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland und
des Interesses, das die türkischen Behörden an der Tätigkeit der
Oppositionsgruppen im Ausland zeigten, könne nicht ausgeschlossen werden, daß
die Aktivitäten eines der KOMKAR zugehörigen türkischen Staatsangehörigen den
türkischen Sicherheitsbehörden bekannt würden, dabei komme es jedoch auf Art
und Ausmaß der Tätigkeiten an. In der unter demselben Datum erstellten Auskunft
an das OVG Hamburg (II 41) hat das Auswärtige Amt sodann - soweit ersichtlich -
erstmalig berichtet, es seien in geringer Zahl Fälle der Strafverfolgung gegen
zurückgekehrte türkische Staatsbürger wegen politischer Aktivitäten im Ausland
bekanntgeworden, in denen der Betreffende mit deutlicher und individualisierbarer
Außenwirkung und nicht nur in untergeordneter Funktion tätig geworden sei; diese
Auskunft wurde in dem Fall eines türkischen Staatsangehörigen gegeben, der nach
dem Inhalt der Anfrage des OVG Hamburg behauptet hat, Vorstandsmitglied des
"Vereins der Demokraten in Hamburg und Umgebung" zu sein. In der vom
erkennenden Senat zusätzlich beigezogenen Auskunft vom 15. Mai 1986 (aus
dem Verfahren X OE 189/82 des Hess.VGH) berichtet das Auswärtige Amt ohne
Angaben von Einzelheiten, es seien Fälle bekanntgeworden, in denen gegen im
Ausland politisch tätig gewesene türkische Staatsangehörige staatliche
Maßnahmen nach ihrer Rückkehr ergriffen worden seien; Zahlen seien hierzu indes
nicht bekannt; im Falle einer Demonstration gegen Folter und Hinrichtung in der
Türkei, die in eine gewaltsame Auseinandersetzung gemündet sei, könne aber
nicht ausgeschlossen werden, daß es zu staatlichen Maßnahmen gegen einen
Teilnehmer komme, auch wenn dieser nicht unmittelbar an Gewalttätigkeiten
beteiligt gewesen sei. In einer weiteren zusätzlich in das Verfahren eingeführten
Auskunft vom 15. Juli 1986 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen berichtet das
Auswärtige Amt, ein türkischer Staatsangehöriger, der u.a. an der Besetzung von
Zeitungsredaktionen und Geschäftsstellen des DGB, der GRÜNEN und von
amnesty international und an anderen publikumswirksamen Aktionen gegen die
türkische Regierung teilgenommen habe, müsse bei einer Rückkehr mit
staatlichen Maßnahmen rechnen und es bestehe Grund zu der Annahme, daß sich
die Wahrscheinlichkeit derartiger Maßnahmen erhöhe, wenn der betreffende Türke
kurdischer Volkszugehörigkeit sei; dem Auswärtigen Amt sei bekannt, daß es in
vergleichbaren Fällen gegen zurückkehrende türkische Asylbewerber
strafrechtliche Ermittlungsverfahren und/oder auch Verurteilungen gegeben habe.
Trotz der festzustellenden innenpolitischen Stabilisierung der Verhältnisse in der
Türkei Anfang der 80er Jahre, insbesondere in der jüngsten Vergangenheit, könne
nach Einschätzung des Auswärtigen Amts nicht von einer geringeren
Wahrscheinlichkeit staatlicher Maßnahmen gegen Rückkehrer, denen eine nach
türkischer Auffassung illegale Tätigkeit im Ausland vorgeworfen werde, gesprochen
werden. Schließlich bestätigt das Auswärtige Amt in der vom erkennenden Senat
in diesem Verfahren eingeholten Auskunft vom 14. Juli 1986, daß ihm Fälle
bekanntgeworden seien, in denen Maßnahmen gegen in die Türkei zurückgekehrte
türkische Exilpolitiker ergriffen worden seien; Zahlen seien hierzu nicht bekannt.
Ebensowenig seien Einzelfälle bekannt, in denen Vorstandsmitglieder kurdischer
Arbeitervereine, die der KOMKAR angehörten, in die Türkei zurückgekehrt seien;
deswegen könnten auch keine Aussagen über die Zahl der Fälle getroffen werden,
in denen staatliche Maßnahmen ergriffen worden seien oder nicht ergriffen worden
seien.
Nach alledem ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, daß dem Kläger
wegen seiner Funktion im Kurdischen Arbeiterverein in Frankfurt am Main und der
Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen in der Bundesrepublik bei einer
Rückkehr in seine Heimat tatsächlich die Einleitung eines Strafverfahrens mit der
Folge der Inhaftierung und einer möglichen Bestrafung droht. Dabei ist für den
Senat letztlich ausschlaggebend, daß sich der Fall des Klägers nicht mit denen
vergleichen läßt, in denen türkische Staatsangehörige wegen exilpolitischer
Tätigkeit zur Rückkehr in die Türkei aufgefordert und zum Teil wegen
Nichtbefolgung dieser Aufforderung schon ausgebürgert sind, und auch nicht mit
denen, in denen Türken nach einer Rückkehr wegen früher in der Türkei ausgeübter
Aktivitäten festgenommen und bestraft worden sind. Selbst wenn der Kläger außer
seiner Funktion im Kurdischen Arbeiterverein in Frankfurt am Main nach außen hin
erkennbare Aufgaben als Ordner bei Veranstaltungen, beim Verteilen von
Flugblättern und als Anführer der kurdischen Tanzgruppe übernommen hat und in
zwei Fernsehsendungen auch dem deutschen Publikum bekanntgeworden ist, ist
seine exilpolitische Betätigung insgesamt nach Art und Ausmaß nicht so gestaltet,
daß auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Informationen mit einer
beachtlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, der türkische Staat
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beachtlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, der türkische Staat
empfinde das Verhalten des Klägers im Ausland als derart schädlich, daß dieser
deswegen zur Rechenschaft gezogen werden müßte. Zwar ist die
Wahrscheinlichkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger durch
dessen Volkszugehörigkeit erhöht und nach der erwähnten Auskunft des
Auswärtigen Amts vom 15. Juli 1986 nicht etwa infolge einer Stabilisierung der
innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei in den letzten Jahren geringer worden;
die Außenwirkung seiner Aktionen und damit auch die Berührung türkischer
Staatsinteressen war jedoch keineswegs so auffällig wie etwa die mit
Gewalttätigkeiten verbundenen Demonstrationen und die gewaltsamen
Besetzungen von Zeitungsredaktionen und anderen Büros, die auch nach den
Berichten des Auswärtigen Amts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
Verfolgungsmaßnahmen in der Türkei führen werden. Schließlich ist bei der hier
anzustellenden Gefährdungsprognose auch in Rechnung zu stellen, daß nach den
Ausführungen unter II 3 bis 5 nicht davon ausgegangen werden kann, der Kläger
werde bei einer Rückkehr in seine Heimat türkischen Behörden schon deswegen
auffallen, weil er sich früher durch regimefeindliche Betätigungen mißliebig
gemacht hat. Der Senat legt im Gegenteil seiner Beurteilung die Auffassung
zugrunde, daß der Kläger in der Türkei nicht schon als Regimekritiker oder gar als
Straftäter aus der Zeit vor seiner Ausreise her registriert ist.
7. Soweit der Kläger mit Schriftsätzen vom 1. April und 10. Juli 1986 weitere
Beweisanträge angekündigt und diese teilweise in der mündlichen Verhandlung am
7. August 1986 gestellt hat, haben diese dem Senat keine Veranlassung gegeben,
von einer Sachentscheidung abzusehen und zunächst nochmals in die
Beweisaufnahme einzutreten. Ungeachtet dessen, daß die in der mündlichen
Verhandlung gestellten Beweisanträge bereits mit verkündetem Beschluß des
Senats zurückgewiesen worden sind, rechtfertigt das Vorbringen des Klägers zu
seinen Beweisanträgen auch im übrigen eine weitere Sachverhaltsaufklärung und
Beweiserhebung nicht.
Es bedarf keines Sachverständigengutachtens darüber, daß die im Türkischen als
"Revolutionäre Kulturelle Vereinigung" bezeichnete Gruppe nur die kurdische
Organisation DHKD sein kann (Bl. 204 d.A.). Denn diese Behauptung kann als wahr
unterstellt werden und ist vom Senat bei der Frage, ob der Kläger in seinem
Heimatdorf im Auftrag der DHKD die Roja Välat verteilt hat, berücksichtigt worden.
Zum Beweis dafür, daß die Verhaftung des Klägers anläßlich des Newroz-Festes im
Jahre 1976 von türkischen Sicherheitsbehörden registriert worden ist und diesen
bis heute bekannt ist und daß der Kläger deswegen bei einer Rückkehr noch wie
ein Mitglied der DHKD behandelt, das heißt mit Ermittlungsverfahren, Verhaftung
und Folter überzogen wird, bedarf es nicht der Einholung eines
Sachverständigengutachtens (Bl. 205 d.A.); da nämlich die vom Kläger behauptete
und zur Grundlage dieses Beweisantrags gemachte Verhaftung nicht bewiesen ist,
braucht kein Sachverständigenbeweis über die möglichen Folgen einer derartigen
Verhaftung, Registrierung u.a. erhoben werden. Eine Auskunft von amnesty
international darüber, daß drei namentlich benannte türkische Staatsangehörige,
die der Kläger aus gemeinsamer Tätigkeit kennen will, noch in türkischen
Militärgefängnissen inhaftiert sind (Bl. 205 d.A.), ist nicht erforderlich, weil die
Inhaftierung dieser türkischen Staatsangehörigen als wahr unterstellt werden kann;
es ist nämlich nicht dargetan, aus welchen Gründen im einzelnen diese Personen
inhaftiert sind, und es ist nicht erwiesen, daß sich der Kläger etwa in ähnlicher
Weise betätigt, verdächtig und strafbar gemacht hat und deshalb damit rechnen
muß, bei einer Rückkehr in die Türkei ein ähnliches Schicksal zu erleben. Nicht
notwendig ist auch die Vernehmung des Klägers und des Zeugen S. über die
politischen Aktivitäten des Klägers in der Bundesrepublik (Bl. 206 d.A.); denn die
schriftsätzlichen Angaben des Klägers über seine politische Arbeit in der
Bundesrepublik sind durch seine eigenen Aussagen bei seiner Vernehmung und
durch die Angaben der hierzu vernommenen Zeugen K. und Y. sowie durch die zu
den Akten gereichten Schriftstücke und Fotos bereits erwiesen und der
Entscheidung des Senats zugrunde gelegt worden. Der Zeuge S. braucht auch
nicht zum Beweis über die Betätigung des Klägers als Ordner bei Veranstaltungen
der KOMKAR, beim Verteilen von Flugblättern und als Anführer der kurdischen
Tanzgruppe des Arbeitervereins Kurdistan Frankfurt e.V. als Zeuge vernommen zu
werden (Bl. 206 d.A.); soweit dieses Vorbringen durch die bisherige
Beweisaufnahme nicht erwiesen ist, kann es als wahr unterstellt werden und liegt
der Entscheidung des Senats über die Frage der Gefährdung des Klägers wegen
seiner exilpolitischen Betätigung ohnehin zugrunde. Soweit in diesem
Beweisantrag die Auffassung des Klägers zum Ausdruck gebracht ist, er habe
damit "öffentlich in übergeordneter Funktion" an KOMKAR-Veranstaltungen
damit "öffentlich in übergeordneter Funktion" an KOMKAR-Veranstaltungen
teilgenommen, handelt es sich um Bewertungen, die dem beantragten Beweis
durch Zeugenvernehmung nicht zugänglich sind und die der Senat anhand der
ihm vorliegenden Gutachten und Berichte von Sachverständigen und des
Auswärtigen Amts hinreichend zuverlässig beurteilen kann. Der Vernehmung des
Zeugen S. bedarf es auch insoweit nicht, als dieser Auskunft über den Auftritt des
Klägers in Fernsehsendungen des Hessischen Rundfunks am 25. September 1984
und des ZDF am 6. Oktober 1984 geben soll (Bl. 207 d.A.); denn der Senat hat
ohnehin angenommen, daß die Behauptung des Klägers zutrifft, er sei bei den
erwähnten Gelegenheiten als Anführer der kurdischen Tanzgruppe des
Arbeitervereins Kurdistan Frankfurt e.V. öffentlich aufgetreten. Nach Auffassung
des Senats sind auch keine Auskünfte des Auswärtigen Amts und des
Bundesministeriums des Innern zum Beweis dafür erforderlich, daß der Kläger mit
seinen Aktivitäten für die KOMKAR und für den Kurdischen Arbeiterverein Frankfurt
e.V. so aufgefallen ist, daß diese mit Sicherheit den türkischen
Sicherheitsbehörden bekannt sind (Bl. 207 d.A.); die Frage des Bekanntwerdens
der exilpolitischen Betätigung des Klägers ist nämlich durch die vom Senat selbst
eingeholten und die zusätzlich in das Verfahren eingeführten Gutachten und
amtlichen Auskünfte soweit aufgeklärt, daß es ausgeschlossen erscheint, die den
Kläger persönlich betreffende Gefährdung durch Einholung weiterer Auskünfte
noch weiter aufzuklären. Die dem Senat vorliegenden und in der Entscheidung
verwerteten Äußerungen sachverständiger Stellen machen deutlich, daß anhand
vorliegender Erkenntnisse lediglich allgemeine Kriterien aufgestellt werden können,
daß es aber dem erkennenden Gericht überlassen bleibt, die den jeweiligen Kläger
betreffende Wahrscheinlichkeit eines Bekanntwerdens seiner exilpolitischen
Aktivitäten selbst zu beurteilen. Es bedarf auch keiner Auskunft des
Bundesministeriums des Innern darüber, daß den türkischen Sicherheitsbehörden
die Funktion des Klägers als Vorstandsmitglied des Arbeitervereins Kurdistan
Frankfurt e.V. mit Sicherheit bekannt ist (Bl. 208 d.A.); zugunsten des Klägers kann
nämlich angenommen werden, daß türkische Behörden über derartige Kenntnisse
verfügen, und es ist für die Entscheidung über das Asylbegehren des Klägers
letztlich nicht von Belang, ob es gerechtfertigt ist, anzunehmen, daß die
Vorstandstätigkeit des Klägers türkischen Dienststellen mit Sicherheit bekannt ist.
Es bedarf auch keines Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches
Recht in Heidelberg darüber, daß der Kläger wegen seiner Tätigkeiten in der
Bundesrepublik bei einer Rückkehr in seine Heimat mit politisch motivierter
staatlicher Verfolgung, der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Verhaftung und
Folter zu rechnen hat (Bl. 208 d.A.). Dieses Beweisthema betrifft nämlich zum Teil
Tatsachen, die geklärt sind oder als wahr unterstellt werden können oder aber
bereits durch andere Sachverständigengutachten hinreichend sicher und
zuverlässig beurteilt worden sind; soweit Rechtsfragen aus dem Bereich des
türkischen Strafrechts betroffen sind, sind diese ebenfalls bereits durch in das
Verfahren eingeführte Sachverständigengutachten und amtliche Auskünfte
hinreichend geklärt. Insgesamt ist vom Kläger nicht dargetan, aus welchen
Gründen hierzu ein weiteres Sachverständigengutachten erforderlich ist. Soweit
die Beweisbehauptung schließlich auf das individuelle Schicksal des Klägers
abstellt, ist ein Sachverständigengutachten eines juristischen Instituts als
Beweismittel ungeeignet; denn die insoweit auf der Grundlage von
Sachverständigengutachten zu stellende Einzelprognose ist Aufgabe des
Asylgerichts und kann nicht einem Sachverständigen übertragen werden. Darüber,
ob das Auswärtige Amt Erkenntnis über Mitglieder kurdischer Arbeitervereine, die
in die Türkei zurückgekehrt sind, und über Mitglieder kurdischer Arbeitervereine,
die in die Türkei zurückgekehrt sind und gegen die ein Strafverfahren nicht
eingeleitet worden ist, besitzt, braucht der Verfasser der Auskunft des Auswärtigen
Amts vom 13. Juni 1986 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof nicht als
Zeuge vernommen zu werden (Bl, 209 d.A.); die vom Senat eingeholten und aus
anderen Verfahren beigezogenen weiteren Auskünfte des Auswärtigen Amts
geben hinreichenden Aufschluß über neuere Erkenntnisse des Auswärtigen Amts
und belegen, daß die Informationsmöglichkeiten und Erkenntnisse des
Auswärtigen Amts beschränkt sind, eine Tatsache, auf die der Beweisantrag
letztlich abzielt, obwohl er in Wahrheit einen Ausforschungsbeweis zum Inhalt hat.
Es bedarf auch nicht der Vernehmung des Zeugen F. als des Verfassers der
Auskunft des Auswärtigen Amts vom 29. Mai 1985 an das OVG Hamburg darüber,
welche Funktionen diejenigen Personen innehatten, die in die Türkei zurückgekehrt
sind und gegen die Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden sind, und ob
unter den Begriff "untergeordnete Funktion" auch die innerhalb eines Vorstands
einer Exilorganisation in der Bundesrepublik fällt (Bl. 210 ff, d.A.); die in das Wissen
des Zeugen F. gestellten Tatsachen können teilweise als wahr unterstellt werden
und sind im übrigen durch die bereits in das Verfahren eingeführten und vom
und sind im übrigen durch die bereits in das Verfahren eingeführten und vom
Senat eingeholten Auskünfte hinreichend geklärt, ohne daß ersichtlich ist, welche
weiteren Aufschlüsse durch eine Zeugenvernehmung gewonnen werden könnten.
Dies gilt entsprechend für den Antrag, den Zeugen F. auch darüber zu vernehmen,
ob das Auswärtige Amt seine Erkenntnisse im wesentlichen über die Botschaft in
Ankara bezieht, dem Auswärtigen Amt der Fall des türkischen Staatsangehörigen
K. B. bekannt ist und die Gefahr einer politischen Verfolgung auch für ein einfaches
Mitglied einer Exilorganisation besteht (Bl. 210 ff, d.A.); der Fall des türkischen
Staatsangehörigen B. ist dem Auswärtigen Amt der Auskunft vom 14. Juli 1986
zufolge nicht bekannt, durch die vom Kläger zu den Akten gereichten Unterlagen
(Anklage und Haftbefehl) im übrigen aber inzwischen hinreichend aufgeklärt; im
übrigen kann die Auffassung des Klägers, daß das Auswärtige Amt seine
Erkenntnisse über die innenpolitische Situation in der Türkei im wesentlichen über
die Botschaft in Ankara bezieht, als wahr unterstellt werden. Der Zeuge S. braucht
darüber, daß der Kläger beim Newroz-Fest der KOMKAR in Köln am 22. März 1986
als Ordner mit Armbinde tätig war (Bl. 213 d.A.), nicht vernommen zu werden, weil
auch diese Behauptung zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellt werden kann
und der Bewertung der exilpolitischen Betätigung des Klägers durch den Senat
bereits zugrunde liegt. Dies gilt auch für die Behauptung, der Kläger habe am 31.
März 1986 im KOMKAR-Block am Ostermarsch in Frankfurt am Main teilgenommen
und dort Flugblätter mit der Forderung nach einer Generalamnestie für die
Gefangenen in der Türkei und in Türkisch-Kurdistan verteilt (Bl. 213 u. 307 d.A.).
Das Auswärtige Amt braucht nicht zusätzlich um Auskunft über den Fall B.
gebeten zu werden (Bl. 306, 314 ff. d.A.); es kann nämlich zu Gunsten des Klägers
angenommen werden und ist im übrigen erwiesen, daß der türkische
Staatsangehörige B., wie vom Kläger dargestellt, angeklagt und zur Rückkehr in
die Türkei aufgefordert worden ist. Es bedarf nicht der ergänzenden Vernehmung
des Zeugen M. darüber, daß sich der türkische Staatsangehörige A. D. in der
Bundesrepublik Deutschland lediglich als einfaches Mitglied im Kurdischen
Arbeiterverein Frankfurt e.V. betätigt hat und deswegen in der Türkei ausgebürgert
worden ist (Bl. 306 d.A.); der Inhalt der vom Senat beigezogenen
Verwaltungsakten eines türkischen Staatsangehörigen A. D. hat die Behauptung
des Klägers nicht bestätigt, und im übrigen kann aus der Ausbürgerung eines
türkischen Staatsangehörigen kein zwingender Schluß auf das mögliche Schicksal
des Klägers gezogen werden, weil türkische Behörden die Betätigung des Klägers
in der Bundesrepublik anders als in diesem Vergleichsfall gerade nicht zum Anlaß
genommen haben, den Kläger zur Rückkehr in die Türkei aufzufordern und ihn
etwa auszubürgern. Es bedarf ferner keiner Auskunft des Auswärtigen Amts und
einer Stellungnahme von amnesty international darüber, daß der Kläger wegen
seiner Tätigkeiten in der Bundesrepublik mit politisch motivierter staatlicher
Verfolgung, mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Verhaftung und Folter
zu rechnen hat (Bl. 307 d.A.); die diesem Beweisantrag zugrunde liegenden Fragen
sind, soweit sie einer Beantwortung durch Sachverständige und amtliche
Auskünfte zugänglich sind, durch die vom Senat verwerteten Gutachten und
Auskünfte bereits geklärt und betreffen im übrigen, soweit es das persönliche
Schicksal des Klägers angeht, die asylrechtlich entscheidende Prognose, die wie
oben dargestellt, letztlich allein der Senat zu treffen hat. Darüber hinaus bedarf es
keiner Auskunft des Oberstadtdirektors der Stadt Göttingen darüber, daß der
Vorsitzende des Ausländerbeirats G. H. S. während seines Militärdienstes in der
Türkei für zwei Wochen inhaftiert worden ist, weil der Ausländerbeirat die
Aufführung eines Stücks mitunterstützt hatte, welche sich kritisch mit den
Verhältnissen in der Türkei auseinandergesetzt hat; es erscheint wenig
verständlich, inwieweit der Oberstadtdirektor der Stadt Göttingen über den
mitgeteilten Sachverhalt in einer amtlichen Auskunft berichten kann und nicht der
betroffene türkische Staatsangehörige selbst als Zeuge in Betracht kommt, und
im übrigen kann die geschilderte Inhaftierung als wahr unterstellt werden, weil die
Betätigung dieses türkischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik mit der
Stellung und Tätigkeit des Klägers hinsichtlich der bei einer Rückkehr in die Türkei
daraus erwachsenden Gefährdung nicht vergleichbar ist. Der Antrag auf
Vernehmung der Zeugin S. ist abzulehnen, weil die Tatsachen, die in ihr Wissen
gestellt werden, nicht hinreichend substantiiert sind und deswegen nicht deutlich
ist, inwieweit aus dem Schicksal des betreffenden türkischen Staatsangehörigen
Rückschlüsse darauf gezogen werden könnten, was den Kläger bei einer Rückkehr
in seine Heimat erwartet. Der Antrag auf Einholung einer Auskunft des
Oberstadtdirektors der Stadt Hannover über eine Verhaftung des Sozialbetreuers
S. B. (Blatt 308 f. d.A.) ist abzulehnen, weil die mitgeteilten Tatsachen
unsubstantiiert sind, nicht ersichtlich ist, inwieweit der Oberstadtdirektor der Stadt
Hannover hierüber eine amtliche Auskunft erteilen kann, und weil die Behauptung
über das Schicksal des Sozialberaters B. letztlich nicht ausreicht, um daraus
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über das Schicksal des Sozialberaters B. letztlich nicht ausreicht, um daraus
Schlüsse auf ein mögliches Schicksal des Klägers bei einer Rückkehr in die Türkei
ziehen zu können, auch wenn sie zutreffen sollten und deshalb zugunsten des
Klägers als wahr unterstellt werden könnten. Der Antrag auf Beiziehung der Akten
der Staatsanwaltschaft Bonn - 51 Js 333/80 (Blatt 309 d.A.) ist abzulehnen, weil in
dem Beweisantrag ebenfalls nicht substantiiert dargestellt ist, inwieweit die
politische Betätigung des A. D. mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist und
Schlußfolgerungen auf die mögliche Behandlung des Klägers durch türkische
Behörden zuläßt. Dasselbe gilt für die Anträge auf Vernehmung des Zeugen M.
und auf Beiziehung der Akten des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge - 163 - 74147-80 (Blatt 309 f, der Akten); die zur Begründung dieser
Beweisanträge mitgeteilten Tatsachen sind ebenfalls zu unsubstantiiert, um
Rückschlüsse auf ein mögliches Schicksal des Klägers bei seiner Rückkehr in die
Türkei zuzulassen, und im übrigen können die Fälle der beiden ausgebürgerten
türkischen Staatsangehörigen mit dem des Klägers schon deswegen nicht
verglichen werden, weil gegen den Kläger ein Ausbürgerungsverfahren gerade
nicht eingeleitet worden ist. Schließlich ist auch der Antrag auf Vernehmung des
Rechtsanwalts B. (Blatt 310 d.A.) aus denselben Gründen abzulehnen; denn
insoweit sind die betroffenen türkischen Staatsangehörigen und deren Verhalten in
der Bundesrepublik nicht näher bezeichnet, so daß der Beweisantrag auf einen
Ausforschungsbeweis abzielt, und im übrigen unterscheiden sich die insoweit
geschilderten Fälle von dem des Klägers schon dadurch, daß dort Haftbefehle
erlassen worden sein sollen. Letztendlich bedarf es nicht der Beiziehung von
gerichtlichen Protokollen über die Vernehmung des Sachverständigen Taylan vor
dem Verwaltungsgericht Hamburg (Blatt 310 bis 312 d.A.); denn der Senat hat zu
dem in Betracht kommenden Beweisthema mehrere Gutachten dieses
Sachverständigen aus anderen Verfahren beigezogen und verwertet (z.B. II 26, 35,
36, 38, 40, 43) und darüber hinaus von diesem Sachverständigen eigens für das
vorliegende Verfahren ein Gutachten eingeholt; unter diesen Umständen ist nicht
ersichtlich, welche Erkenntnisse der Senat darüber hinaus durch die Beiziehung
der erwähnten Vernehmungsprotokolle gewinnen könnte, deren Inhalt, soweit
dieser in den Beweisanträgen zitiert ist, in etwa den Angaben entspricht, die dieser
Sachverständige auch sonst bekundet hat. Nach alledem erscheint es dem Senat
auch nicht geboten, von Amts wegen weitere Ermittlungen anzustellen und weitere
Beweise zu erheben.
III.
Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit sowie die
Nichtzulassung der Revision beruhen auf §§ 132 Abs. 2, 154 Abs. 2, 167 Abs. 2
VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.