Urteil des HessVGH vom 02.02.1987

VGH Kassel: rechtliches gehör, aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, neue beweismittel, indien, abschiebung, anerkennung, anfechtungsklage, asylverfahren, klagerücknahme

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 61/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 3 S 7 AsylVfG, §
11 AsylVfG, § 32 Abs 7
AsylVfG, § 80 Abs 5 VwGO,
§ 123 VwGO
(Zurückverweisung einer asylrechtlichen Eilsache an das
Verwaltungsgericht)
Gründe
I.
Der 1962 geborene Antragsteller ist indischer Staatsangehöriger und beantragte
nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Juli 1985 seine
Anerkennung als Asylberechtigter, weil er in seiner Heimat als Sikh und als
Anhänger der Khalistan-Bewegung Verfolgung zu befürchten habe. Bei der
persönlichen Anhörung im Vorprüfungsverfahren am 10. Januar 1986 gab der
Antragsteller an, er gehöre der "Sikh-Student-Federation" an und habe an
Demonstrationen und Straßenblockaden teilgenommen; deshalb sei er
festgenommen worden und habe etwa zwei Monate im Gefängnis verbracht.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte das
Asylgesuch mit Bescheid vom 13. Januar 1986 als offensichtlich unbegründet ab.
Daraufhin drohte die zuständige Ausländerbehörde des Antragsgegners dem
Antragsteller mit Bescheid vom 25. Februar 1986 unter Einräumung einer
Ausreisefrist von zwei Wochen die Abschiebung an. Die hiergegen am 5. März 1986
von dem früheren Bevollmächtigten des Antragstellers erhobene Verbundklage
und der gleichzeitig gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurden am 14.
März 1986 zurückgenommen (vgl. dazu die Beschlüsse über die Einstellung der
Verfahren v. 20. März 1986 - IV H 20206/86 - und v. 14. April 1986 - IV E 5121/86 -
). Ein von dem jetzigen Bevollmächtigten des Antragstellers verfaßter und am 7.
März 1986 bei der zuständigen Ausländerbehörde eingegangener Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz wurde am 30. Juni 1986 zurückgenommen (vgl. dazu
Einstellungsbeschluß v. 25. Juli 1986 - IV H 20496/86 -). Gleichzeitig suchte der
Antragsteller erneut um die Anerkennung als Asylberechtigter nach und trug dazu
vor, er könne einmal wegen seiner Betätigung für die Sikh-Homeland-Bewegung
und zum anderen wegen der Verschärfung der Lage insbesondere im Punjab seit
Anfang Mai 1986 nicht nach Indien zurückkehren.
Mit Bescheid vom 30. September 1986 wertete die zuständige Ausländerbehörde
des Antragsgegners das zweite Asylgesuch als unbeachtlich und drohte dem
Antragsteller unter Einräumung einer Ausreisefrist von einer Woche die
zwangsweise Abschiebung an. Zur Begründung ist ausgeführt, der Antragsteller
habe keine neuen Beweismittel vorgelegt und die Sach- und Rechtslage habe sich
auch nicht zu seinen Gunsten geändert. Das Vorbringen über die Zugehörigkeit
des Antragstellers zur Sikh-Homeland-Bewegung sei bereits Gegenstand des
ersten Asylverfahrens gewesen, und durch die Vorfälle im Punjab (Erstürmung des
Goldenen Tempels von Amritsar) habe sich keine Änderung der Sach- oder
Rechtslage zugunsten des Antragstellers ergeben; es habe sich im Gegenteil
gerade dort gezeigt, daß das indische Militär bemüht sei, so behutsam wie möglich
gegen militante Gruppen vorzugehen.
Gegen diesen ihm am 6. Oktober 1986 zugestellten Bescheid erhob der
Antragsteller am 4. November 1986 Klage und beantragte zuvor am 10. Oktober
1986,
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die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragte unter Bezugnahme auf die Begründung des
angegriffenen Bescheids,
den Antrag abzulehnen.
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluß vom 4. Dezember 1986
zurück, weil die Anfechtungsklage offensichtlich aussichtslos sei. Die
Ausländerbehörde habe zutreffend angenommen, daß dem Vorbringen des
Antragstellers die Möglichkeit einer positiven Einschätzung seines Asylbegehrens
nicht entnommen werden könne. Es sei bereits fraglich, ob mit dem Vorbringen
des Antragstellers eine veränderte Sach- oder Rechtslage geltend gemacht werde;
jedenfalls sei das Antragsvorbringen nicht geeignet, das Asylbegehren als
nunmehr berechtigt erscheinen zu lassen. Aus den aktuellen Ereignissen in Indien,
namentlich der erneuten Erstürmung des Goldenen Tempels von Amritsar,
ergäben sich keine schlüssigen hinreichenden Gründe für die vom Antragsteller
behauptete Furcht vor politischer Verfolgung bei einer Rückkehr. Auch wenn die
aktuellen Ereignisse zu einer Verhaftung von Sikhs geführt hätten, stellten sie sich
lediglich als Fortsetzung der Unruhen in der Vergangenheit dar, die allerdings nicht
als asylrelevante Verfolgung anzusehen seien.
Gegen diesen ihm am 10. Dezember 1986 zugestellten Beschluß hat der
Antragsteller am 22. Dezember 1986 Beschwerde eingelegt und macht dazu unter
Hinweis auf einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. Dezember
1986 geltend, in Indien würden nach wie vor Hunderte von jungen Sikhs aus
politischen Gründen im Gefängnis festgehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Verwaltungsakten der Ausländerbehörde des Kreises Bergstraße und die den
Antragsteller betreffenden Akten des VG Wiesbaden IX H 21106/86, IX E 21128/86,
IV E 5121/86, IV H 20206/86 und IV H 20496/86 Bezug genommen.
Die Beschwerde ist zulässig und in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen
Umfang begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses
(ausgenommen die Streitwertfestsetzung) und zur Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht.
Der angegriffene Beschluß leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln, die die
Zurückverweisung in die erste Instanz erfordern; das Verwaltungsgericht hat
nämlich in besonders schwerer Weise gegen seine Verpflichtung verstoßen, den
entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären und den Beteiligten hierbei
rechtliches Gehör zu gewähren.
1. Zunächst hat es das Verwaltungsgericht verabsäumt, vor der Entscheidung
über die Unbeachtlichkeit des Asylgesuchs vom 30. Juni 1986 zu ermitteln, ob es
sich hierbei überhaupt um einen Folgeantrag im Sinne des § 14 Abs. 1 AsylVfG
handelt. Hierzu hätte es der Feststellung bedurft, daß das mit dem Asylantrag
vom 1. Juli 1985 eingeleitete frühere Asylverfahren durch Rücknahme oder durch
unanfechtbare Ablehnung des Asylantrags abgeschlossen war. Im
Zusammenhang mit der Wiedergabe des Sachverhalts unter I. des angegriffenen
Beschlusses (S. 2 unten) befindet sich zwar die Feststellung, das erste
Asylverfahren sei seit April 1986 durch Klagerücknahme rechtskräftig
abgeschlossen; eine Begründung hierfür hat das Verwaltungsgericht indes nicht
gegeben, und den zum Verfahren beigezogenen Gerichts- und Behördenakten
lassen sich gewichtige Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß die Annahme des
Verwaltungsgerichts, das erste Asylverfahren sei rechtskräftig abgeschlossen,
unzutreffend ist. Die Klage und der Antrag, die von dem früheren Bevollmächtigten
des Antragstellers am 5. März 1986 beim Verwaltungsgericht eingereicht worden
waren, sind zwar am 14. März 1986 zurückgenommen und die entsprechenden
Gerichtsverfahren sind danach unter dem 20. März und 14. April 1986 eingestellt
worden (VG Wiesbaden IV E 5121/86 und IV H 20206/86). Ferner ist der von dem
jetzigen Bevollmächtigten des Beschwerdeführers bei der Ausländerbehörde
gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit Schriftsatz vom 30. Juni 1986 mit
der Folge zurückgenommen worden, daß auch dieses Verfahren eingestellt worden
ist (Beschluß des VG Wiesbaden v. 25. Juli 1986 - IV H 20496/86 -). Ungeachtet
dessen, ob in diesem Zusammenhang eine weitere Anfechtungsklage erhoben
worden ist und welchen Verlauf ggf. dieses Verfahren genommen hat, ist der
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worden ist und welchen Verlauf ggf. dieses Verfahren genommen hat, ist der
Ablehnungsbescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 13. Januar 1986 aber sehr wahrscheinlich deswegen noch nicht
bestandskräftig, weil er mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen
ist und deshalb innerhalb eines Jahres nach der am 27. Februar 1986 erfolgten
Zustellung an den jetzigen Bevollmächtigten des Antragstellers noch mit einer -
weiteren - Anfechtungsklage angegriffenen werden kann (§ 58 Abs. 2 VwGO). Wie
zwischen den Beteiligten während des Verfahrens bereits erörtert worden ist, ist in
der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids des Bundesamts das
Verwaltungsgericht Karlsruhe zu Unrecht als das zuständige Verwaltungsgericht
bezeichnet; denn die Gemeinde Hirschhorn, in der der Antragsteller damals und
heute lebt, liegt in dem Bezirk des Verwaltungsgerichts Wiesbaden und nicht im
Rhein-Neckar-Kreis, für den das Verwaltungsgericht Karlsruhe örtlich zuständig ist
(§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO; §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 5a HessAGVwGO i. d. F. des 6.
Änderungsgesetzes vom 22. August 1986, GVBl. I S. 261; §§ 1, 9 des bad.-württ.
AGVwGO i, d. F. d. Änderungsgesetzes vom 13.12.1982, GVBl. I S. 525).
Selbst wenn das erste Asylverfahren infolge der vom früheren Bevollmächtigten
des Antragstellers erklärten Klagerücknahme rechtskräftig abgeschlossen sein
sollte, käme es zudem entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts für die
Frage, ob sich die Sachlage nachträglich geändert hat, ob neue Beweismittel
vorliegen und ob der Folgeantrag rechtzeitig gestellt ist (§ 14 Abs. 1 AsylVfG i. V.
m. § 51 VwVfG), nicht auf "April 1986" (S. 2 des Beschlusses des VG), sondern auf
den 14. März 1986 als den Tag des Eingangs der Klagerücknahme beim
Verwaltungsgericht an.
Schließlich hat es das Verwaltungsgericht unterlassen, ausreichend zu prüfen, ob
der Antragsteller, falls es sich bei dem neuerlichen Asylgesuch um einen
Folgeantrag handelt, mit dem Hinweis auf die Entwicklung der Sicherheitslage im
Punjab im Laufe des Jahre 1986 eine nachträgliche Veränderung der Sachlage
schlüssig vorgetragen hat (vgl. dazu: Hess. VGH, EZAR 224 Nr. 8 und EZAR 226
Nr. 8 m. w. N.). Soweit in dem angegriffenen Beschluß die Asylrelevanz der vom
Antragsteller geltend gemachten Verschlechterung der Lage der Sikhs im Punjab
lediglich unter Hinweis auf das Urteil des beschließenden Senats vom 20. März
1986 - X OE 842/81 - verneint worden ist, ist das Verwaltungsgericht weder seiner
Aufklärungsverpflichtung nach § 86 Abs. 1 VwGO noch seiner aus Art. 103 Abs. 1
GG und § 108 Abs. 2 VwGO folgenden Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs
nachgekommen.
Da sich der Antragsteller mit dem Hinweis auf das Schicksal anderer Sikhs im
Bundesstaat Punjab erkennbar auf eine auch ihm drohende ethnisch motivierte
Gruppenverfolgung berufen hatte (vgl. dazu BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1,
BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7 und Kemper, ZAR 1986, 3 <9 f.> mit einzelnen
Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerwG) und das Verwaltungsgericht die
Asylrelevanz der vom Antragsteller vorgetragenen neueren Entwicklung der
allgemeinen politischen Lage in Indien und insbesondere im Punjab verneinen
wollte (zum Verhältnis von Darlegungspflicht und Amtsermittlung in diesen Fällen
vgl. etwa BVerwGE 65, 237 = EZAR 630 Nr. 1 und Renner, ZAR 1985, 62 <68> m.
w. N.), war das Verwaltungsgericht rechtlich verpflichtet, den Beteiligten zu den
Tatsachen, die es bei seiner Entscheidung zu verwerten beabsichtigte und die
nicht allgemein bekannt und den Beteiligten nicht gegenwärtig waren, rechtliches
Gehör zu gewähren (vgl. dazu etwa Beschluß d. Senats v. 12. Mai 1986 - 10 TE
1614/85 - und v. 25. November 1986 - 10 TE 2696/86 - sowie Fritz, ZAR 1984, 189
ff., jeweils m. w. N.). Die bloße Bezugnahme auf das erwähnte Urteil des Senats
vom 20. März 1986 genügte nicht, um den Beteiligten die Erkenntnisquellen des
Verwaltungsgerichts über die politische Entwicklung in Indien vor dieser
Entscheidung ordnungsgemäß bekanntzugeben (BVerwG, EZAR 630 Nr. 10 =
InfAuslR 1984, 20); erst recht gilt dies für die vom Antragsteller zur Begründung
seines neuerlichen Asylgesuchs angeführte Verschlechterung der Situation der
Sikhs seit Frühsommer 1986, die hinsichtlich der maßgeblichen tatsächlichen
Umstände in der vom Verwaltungsgericht allein angeführten
Berufungsentscheidung vom 20. März 1986 noch nicht berücksichtigt sein konnte.
Das Verwaltungsgericht war der Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs
auch nicht deswegen enthoben, weil es sich um ein Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO handelte (vgl. BVerfGE 65, 227 <233 ff.>
und Kopp, VwGO, 7. Aufl., 1986, Rdnr. 92 zu § 80); denn die Abschiebung des
Antragstellers ist ohnehin kraft Gesetzes bis zur unanfechtbaren Entscheidung
über seinen Eilantrag ausgesetzt (§ 10 Abs. 3 Satz 7 AsylVfG und Gründe, die
ausnahmsweise ein Absehen von der Anhörung der Verfahrensbeteiligten hätten
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ausnahmsweise ein Absehen von der Anhörung der Verfahrensbeteiligten hätten
rechtfertigen können, lagen hier nicht vor.
2. Bei der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht und der Verpflichtung zur
Gewährung rechtlichen Gehörs handelt es sich im vorliegenden Fall um
wesentliche Mängel im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Rechtliches Gehör zu
gewähren, gehört seit je her zu den vornehmsten Pflichten des Richters, und
deshalb wird es im gesamten Prozeßrecht als schwerwiegende und folgenreiche
Unterlassung behandelt, wenn ein Gericht unter Mißachtung des Urrechts des
Menschen auf rechtliches Gehör "kurzen Prozeß" mit den Beteiligten macht (vgl.
dazu Beschl. d. Senats v. 25. November 1986
- 10 TE 2696/86 - und Fritz, ZAR 1984, 189, jeweils m. w. N.). Gehörsverletzungen
rechtfertigen sowohl die Zulassung der Revision im allgemeinen
Verwaltungsprozeß und die Zulassung der Berufung im Asylstreitverfahren (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO; § 32 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) als auch
die Einlegung der Verfassungsbeschwerde (§ 90 BVerfGG; vgl. dazu etwa BVerfGE
70, 180 ff.). Von besonderer Bedeutung ist die ordnungsgemäße Gewährung
rechtlichen Gehörs in den asylrechtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO i. V.
m. § 10 Abs. 3 AsylVfG. Für die gerichtliche Prüfung der Ablehnung eines
Asylantrags als offensichtlich unbegründet im gerichtlichen Eilverfahren (§ 80 Abs.
5 VwGO i. V. m. §§ 10 Abs. 3, 11 AsylVfG ist es von Verfassungs wegen geboten,
daß sich die Verwaltungsgerichte nicht mit einer bloßen Prognose zur
voraussichtlichen Richtigkeit der Feststellung der offensichtlichen Unbegründetheit
begnügen, sondern diese, soll sie bejaht werden, erschöpfend - wenngleich mit
Verbindlichkeit nur für das Eilverfahren - klären und damit über die sonst übliche
und ausreichende lediglich summarische Prüfung hinausgehen (BVerfGE 67, 43 =
EZAR 632 Nr. 1; Hess. VGH, EZAR 226 Nr. 7 = ESVGH 36, 21; vgl. dazu auch Fritz,
NVwZ 1984, 697 ff.). Diese Erwägungen sind sinngemäß auf das Verfahren bei
unbeachtlichen Asylgesuchen, insbesondere bei unbeachtlichen Folgeanträgen
nach §§ 10, 14 AsylVfG zu übertragen. Denn diese bilden eine weitere Gruppe
eindeutig aussichtsloser Asylgesuche (im Sinne der Formulierung in BVerfGE 56,
216 <236 f.> = EZAR 221 Nr. 4 S. 14), bei denen es gerechtfertigt erscheint, das
vorläufige Bleiberecht des Asylbewerbers schon vor Abschluß des gerichtlichen
Hauptsacheverfahrens zu beenden, bei denen aber andererseits höhere
Anforderungen an die Richtigkeitsgewißheit bei der ausländerbehördlichen
Entscheidung und an das Offensichtlichkeitsurteil im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren zu stellen sind als sonst im Verwaltungs- und
Verwaltungsprozeßrecht. Die Ausländerbehörde hat deshalb einen Folgeantrag
bereits dann als beachtlich zu behandeln und an das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge weiterzuleiten, wenn die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG schlüssig vorgetragen sind (Hass. VGH EZAR 613 Nr.
13 = InfAuslR 1984, 253; Hess. VGH, EZAR 224 Nr. 8; OVG Nordrhein-Westfalen,
EZAR 224 Nr. 7 = NVwZ 1984, 329), und die Ablehnung vorläufigen
Rechtsschutzes gegenüber einer Abschiebungsandrohung aufgrund eines für
unbeachtlich erklärten Asylgesuchs setzt die Überzeugung des Gerichts von der
offensichtlichen Richtigkeit dieser behördlichen Entscheidung voraus (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen, EZAR 632 Nr. 5). Kommt es nach alledem bei der
gerichtlichen Entscheidung über die sofortige Vollziehbarkeit
aufenthaltsbeendender Maßnahmen in diesen Fällen zu Verstößen gegen die
Gewährung rechtlichen Gehörs in der Weise, daß der betroffene Ausländer im
gerichtlichen Eilverfahren - wie zuvor schon in dem vorausgehenden
Verwaltungsverfahren - über die maßgeblichen tatsächlichen Umstände nicht
unterrichtet wird, die seine Berufung auf eine Veränderung der Sachlage als
unschlüssig erscheinen lassen, dann ist die Gefahr, daß mit der angedrohten
Abschiebung ein Asylanspruch endgültig vernichtet wird, nicht mit der
erforderlichen Gewißheit ausgeschlossen. Infolgedessen ist in einem solchen Fall
mit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zugleich ein Eingriff in die
grundrechtliche Gewährleistung des Asylrechts verbunden.
3. Angesichts der Schwere der festgestellten Verfahrensverstöße und der
Bedeutung einer verfahrensfehlerfreien Behandlung asylrechtlicher Eilverfahren für
die anerkanntermaßen im besonderen öffentlichen Interesse liegende
Beschleunigung der Verfahren über eindeutig aussichtslose Asylgesuche hält es
der Senat für geboten, hier von der Möglichkeit der Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht Gebrauch zu machen.
Allgemein wird es in Rechtsprechung und Schrifttum für zulässig erachtet, daß das
Beschwerdegericht in entsprechender Anwendung von § 130 VwGO - oder gemäß §
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Beschwerdegericht in entsprechender Anwendung von § 130 VwGO - oder gemäß §
173 VwGO i. V, m. § 575 ZPO - auch in Eilverfahren nach §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO
die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverweist
(vgl. dazu Finkelnburg/Jank. Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., 1986, Rdnr. 363 ff. und Kopp, VwGO, 7. Aufl.,
19861 Rdnr. 1 zu § 130, jeweils m, w. N.; die bei Kopp a. a. O. zitierte Entscheidung
des beschließenden Senats - NVwZ 1984, 185 = NJW 1984, 445 - betrifft jedoch
keine Zurückverweisung an die erste Gerichtsinstanz). Dabei ist allerdings in
jedem Einzelfall besonders sorgfältig zu untersuchen, ob eine mit der
Zurückverweisung in der Regel verbundene Verzögerung des Verfahrens mit der
Eilbedürftigkeit der Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO vereinbar ist (vgl.
dazu: Bender, VBlBW 1986, 321 <327>; Finkelnburg/Jank, a. a. O., Rdnr. 364 f.;
Redeker/von Oertzen, VwGO, 8. Aufl., 1985, Rdnr. 1 zu § 130 und Rdnr. 3 zu § 150).
Ob die Bedenken, die gegen eine Zurückverweisung im Eilverfahren bei
unvollständiger Sachprüfung des Verwaltungsgerichts erhoben werden (Hamann,
DVBl. 1984, 1204 ff.; zu § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vgl. auch VGH Baden-
Württemberg, VBlBW 1986, 351 und Hess. VGH, EZAR 210 Nr. 2 = NVwZ 1982,
136 = ESVGH 31, 260), zu Recht bestehen, kann hier offenbleiben, weil im
vorliegenden Verfahren nicht die Unterlassung einer Sachentscheidung im Sinne
des § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, sondern wesentliche Verfahrensfehler im Sinne des §
130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO festzustellen sind.
Eine Zurückverweisung ist hier auch nicht durch die Vorschrift des § 32 Abs. 7
AsylVfG ausgeschlossen. Danach findet zwar in dem Verfahren des
Oberverwaltungsgerichts § 130 VwGO keine Anwendung; diese Bestimmung
bezieht sich aber lediglich auf das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren
und kann auf asylrechtliche Eilverfahren nicht entsprechend angewandt werden.
Die in § 32 Abs. 1 bis 8 AsylVfG enthaltenen Regelungen betreffen ausnahmslos
das Berufungsverfahren; sie befassen sich insbesondere nicht mit Eilverfahren der
in § 10 Abs. 3 und 5 AsylVfG erwähnten Art und mit Beschwerdeverfahren in diesen
Fällen. Die Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO sind lediglich durch § 31 Abs. 5
AsylVfG in Asylsachen insoweit einer Sonderregelung unterworfen, als für sie der
Einzelrichter auch dann nicht zuständig ist, wenn der Rechtsstreit im übrigen von
der Kammer auf ihn übertragen worden ist. Das Verbot einer Zurückverweisung
des Rechtsstreits kann darüber hinaus auch nach Sinn und Zweck der Spezialnorm
des § 32 Abs. 2 AsylVfG nicht auf asylrechtliche Eilverfahren übertragen werden.
Der Ausschluß der Zurückverweisung im asylrechtlichen Hauptsacheverfahren
beruht erkennbar auf der Absicht des Gesetzgebers, Asylstreitverfahren in
besonderem Maße zu beschleunigen (vgl. dazu auch BVerfGE 67, 43 = EZAR 632
Nr. 1; BVerfGE 65, 76 = EZAR 630 Nr. 4) und jegliche Verzögerung durch eine
nochmalige Bearbeitung und Entscheidung in der ersten Gerichtsinstanz zu
vermeiden. Für diese Entscheidung des Gesetzgebers ist als maßgeblich
anzusehen, daß Aufgaben und Arbeitsweise der Berufungsgerichte in Asylsachen
mit der Einführung der Zulassungsberufung grundlegend umgestaltet und
verändert worden sind. Mit den Vorschriften über die Rechtskraft der Abweisung
einer Klage als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet und über
die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz und
wesentlicher Verfahrensfehler (§ 32 Abs. 1 bis 6 AsylVfG ist hinreichend dafür
Sorge getragen, daß die Berufungsgerichte in Asylstreitverfahren grundsätzlich nur
dann noch zur Sache selbst zu entscheiden haben, wenn dies zur Wahrung der
Einheit des Rechts und der Rechtsprechung in rechtlicher und tatsächlicher
Hinsicht (vgl. dazu BVerwGE 70, 24 = EZAR 633 Nr. 9; Hess. VGH, EZAR 633 Nr. 4)
geboten ist. Gerade wenn Grundsatzfragen zu klären oder Abweichungen von
höchstrichterlicher Rechtsprechung zu beheben sind, wäre eine Zurückverweisung
an das Verwaltungsgericht aber in der Regel unsachgerecht und nicht vertretbar.
Die Berufung ist zwar gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG auch dann zuzulassen,
wenn einer der in § 138 VwGO genannten wesentlichen Verfahrensfehler geltend
gemacht wird und vorliegt, und in Fällen dieser Art wird das Berufungsverfahren
vorwiegend der Einzelfallgerechtigkeit und nicht der Klärung von Grundsatzfragen
dienen; das Verbot einer Zurückverweisung durch § 32 Abs. 7 AsylVfG ist aber
desungeachtet ganz allgemein darauf zurückzuführen, daß die Funktion der
Berufungsinstanz in Asylstreitverfahren durch die Einführung der Grundsatz- und
der Abweichungsberufung von Grund auf verändert und neu geprägt worden ist.
Anders verhält es sich jedoch mit den Eilverfahren, für die weder die Zuständigkeit
des Einzelrichters noch eine Beschränkung des Zugangs zur zweiten Instanz
vorgesehen sind. Im Gegenteil: Gerade für Asylstreitverfahren gilt der
Gesichtspunkt, daß die Eilbedürftigkeit der Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO
einer sinngemäßen Anwendung des § 130 VwGO schon im Grundsatz oder
jedenfalls für die überwiegende Anzahl der Einzelfälle entgegenstehen könnte,
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jedenfalls für die überwiegende Anzahl der Einzelfälle entgegenstehen könnte,
nicht. Die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind im allgemeinen
deswegen beschleunigt zu betreiben, weil bei einer verzögerlichen Behandlung die
Gefahr besteht, daß bis zu einer Entscheidung des Eilverfahrens durch
zwischenzeitliche Vollzugsmaßnahmen oder den bloßen Zeitablauf irreparable
Zustände geschaffen werden oder den Verfahrensbeteiligten Nachteile entstehen,
die später nur schwer oder überhaupt nicht ausgeglichen werden können. Diesen
möglichen Konsequenzen einer nicht rechtzeitigen Entscheidung im Eilverfahren
hat der Gesetzgeber indes für Asylsachen durch die Bestimmung des § 10 Abs. 3
Satz 7 AsylVfG vorgebeugt, die vorschreibt, daß die Abschiebung bis zum Ablauf
der Antragsfrist und bei Antragstellung bis zur unanfechtbaren Entscheidung über
den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ausgesetzt wird. Damit ist
ausgeschlossen, daß durch die Zurückverweisung eines Verfahrens dem
Antragsteller durch den zwischenzeitlichen Vollzug aufenthaltsbeendender
Maßnahmen oder in sonstiger Weise nichtwiedergutzumachende Schäden
entstehen, er insbesondere zwangsweise in den angeblichen Verfolgerstaat
abgeschoben wird.
Der Senat hält im vorliegenden Fall eine Zurückverweisung an das
Verwaltungsgericht nicht nur für zulässig, sondern angesichts der besonderen
Einzelfallumstände auch für geboten. Der Senat war nach Inkrafttreten des
Asylverfahrensgesetzes in zahlreichen Fällen gezwungen, die Berufung allein
wegen Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138
Nr. 3 VwGO zuzulassen, und konnte im übrigen anhand der ihm sonst
vorliegenden Verfahrensakten feststellen, daß die Verwaltungsgerichte sehr oft die
Vorschriften über die Gewährung rechtlichen Gehörs in asylrechtlichen
Hauptsache- und Eilverfahren mißachten. Dies führt insgesamt zu einer nicht
vertretbaren Belastung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs als Berufungs-
und Beschwerdegericht, der im Interesse einer Beschleunigung der insgesamt in
Hessen zu bearbeitenden Asylstreitverfahren nur dadurch wirksam begegnet
werden kann, daß in geeigneten Fällen von der Möglichkeit der Zurückverweisung
von Eilverfahren in die erste Instanz Gebrauch gemacht wird.
Folgeantragsverfahren von Angehörigen der Religionsgruppe der Sikhs in Indien
sind hierzu zu zählen. Der Senat ist zwar in der Grundsatzentscheidung vom 6.
März 1986 - X OE 1119/81 - zu der Überzeugung gelangt, daß Sikhs in Indien keine
Gruppenverfolgung droht und Maßnahmen gegen Sikhs wegen separatistischer
Aktivitäten für die Khalistan-Bewegung grundsätzlich nicht asylrelevant sind.
Angesichts der weiteren innenpolitischen Auseinandersetzungen im Punjab und in
anderen Bundesstaaten Indiens muß jedoch in jedem Einzelfall sorgfältig
untersucht werden, ob diese auf eine bestimmte historische Situation gemünzten
Aussagen weiter aufrechterhalten und auf das Vorbringen des jeweiligen
Asylbewerbers übertragen werden können. Die infolge der Zurückverweisung im
Falle des Antragstellers wahrscheinlich eintretende Verlängerung der
Gesamtverfahrensdauer ist hinzunehmen, weil die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz
7 AsylVfG die vorzeitige Abschiebung des Antragstellers verbietet und damit zu
rechnen ist, daß zukünftig bei ordnungsgemäßer Verfahrensbehandlung durch die
Verwaltungsgerichte insgesamt eine Verkürzung der Verfahrensdauer in
asylrechtlichen Eilverfahren in Hessen erreicht werden kann.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten ist der Schlußentscheidung
vorzubehalten.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG a. F.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.