Urteil des HessVGH vom 27.03.1995

VGH Kassel: satzung, abgabenordnung, steuersatz, hessen, steuerfestsetzung, steuererklärung, gemeinde, gewerbe, stadt, getränkesteuer

1
2
3
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 2347/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 1 Nr 4 KAG HE, § 4
Abs 1 Nr 5 KAG HE, § 150
AO 1977, § 167 AO 1977, §
168 AO 1977
(Regelung des Steueranmeldeverfahrens für
Kommunalabgaben in Hessen)
Gründe
Die am 26. Oktober 1992 eingegangene Beschwerde, mit der die Antragstellerin
ihren in dem am 16. Oktober 1992 zugestellten Beschluß abgelehnten Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz weiterverfolgt, ist zulässig. Daran hat der durch Art. 9
des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I S. 50)
eingefügte § 146 Abs. 4 VwGO nichts geändert; denn nach Art. 14 Abs. 8 des
genannten Gesetzes richtet sich die Zulässigkeit der Beschwerde gegen vor dem
Inkrafttreten des Gesetzes zugestellte Beschlüsse nach den bisher geltenden
Vorschriften.
Die Beschwerde ist auch begründet; es bestehen ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin zur Spielapparatesteuer,
weshalb in Anlehnung an die Bestimmung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO dem
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben ist.
Diese ernstlichen Zweifel ergeben sich allerdings nicht daraus, daß schon die
Regelung des Heranziehungsverfahrens in § 7 Abs. 2 der Satzung über das
Erheben einer Steuer auf Spielapparate und auf das Spielen um Geld oder
Sachwerte im Gebiet der Stadt Bruchköbel vom 11. Dezember 1991 -
Verpflichtung des Steuerschuldners zur Selbstberechnung der Steuer, zur
Einreichung einer Steuererklärung auf amtlichen Vordruck und zur Entrichtung der
errechneten Steuer - unwirksam wäre. Das Verwaltungsgericht hat im
angefochtenen Beschluß zutreffend ausgeführt, daß die für einen Antrag nach § 80
Abs. 1 VwGO erforderliche Anfechtungslage vorliege, weil mit der unbeanstandeten
Entgegennahme der Steuererklärung durch die Antragsgegnerin die Steuer nach
den §§ 119 Abs. 1, 150 Abs. 1, 167 AO 1977 und § 4 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 KAG die
Steuer als festgesetzt gelte. In einem Gerichtsbescheid vom 24. Januar 1995 - X/1
E 2424/92 -, gegen den jetzt die Berufung beim Senat unter dem Aktenzeichen 5
UE 633/95 anhängig ist, hat das Verwaltungsgericht dann angenommen, daß die
gleichartige Regelung in der einschlägigen Satzung der dort beklagten Stadt N.
ungültig sei, weil § 168 AO 1977 in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG nicht für
anwendbar erklärt ist. Dieser neueren Ansicht des Verwaltungsgerichts ist nicht
zuzustimmen. Das Verwaltungsgericht verkennt, daß nicht § 168, sondern § 167
AO 1977 die gesetzliche Grundlage für das von der Antragsgegnerin gewählte
Verfahren ist. § 167 AO 1977, der in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG
uneingeschränkt für anwendbar erklärt ist, bestimmt, daß dann, wenn eine Steuer
auf Grund gesetzlicher Verpflichtung im Sinne von § 150 Abs. 1 Satz 2
anzumelden ist - d.h. wenn in einer auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck
abzugebenden Steuererklärung die Steuer vom Steuerpflichtigen selbst zu
berechnen ist -, eine Festsetzung der Steuer nach § 155 - d.h. durch
Steuerbescheid - nur erforderlich ist, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden
Steuer führt oder der Steuerschuldner oder Haftungsschuldner die
Steueranmeldung nicht abgibt. Daraus ergibt sich bereits, daß eine
unbeanstandet entgegengenommene Steueranmeldung Grundlage für die weitere
Verwirklichung des Steueranspruchs sein soll. Der in § 4 Abs. 1 KAG nicht für
4
Verwirklichung des Steueranspruchs sein soll. Der in § 4 Abs. 1 KAG nicht für
anwendbar erklärte § 168 regelt dann - womit sich der Senat in seinem Urteil vom
9. Februar 1983 (V OE 127/81 - KStZ 1983, 153) ausführlich befaßt hat - nur noch
ergänzend, welcher Art von Steuerfestsetzung die Steueranmeldung gleichsteht,
nämlich einer solchen "unter Vorbehalt der Nachprüfung" (§ 164 AO 1977), also
weder einer "vorläufigen Steuerfestsetzung" (§ 165 AO 1977), noch einer
vorbehaltlosen Steuerfestsetzung. Zwar ist in § 218 Abs. 1 Satz 2 AO 1977,
wonach die Steueranmeldungen den Steuerbescheiden gleichstehen, hinter dem
Wort Steueranmeldungen der Klammerhinweis "(§ 168)" enthalten; aber dem
kommt nach dem Bundesrecht keine besondere Bedeutung zu, da in der
Abgabenordnung keine Unterscheidung zwischen Steueranmeldungen nach § 167
und solchen nach § 168 gemacht wird oder erforderlich wäre. § 218 AO 1977 ist
übrigens in § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG ebenfalls uneingeschränkt für
anwendbar erklärt, so daß die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem
Gerichtsbescheid vom 24. Januar 1995, der hessische Gesetzgeber habe "das
Steueranmeldungsverfahren aus der neugefaßten Abgabenordnung grundsätzlich
nicht (übernommen)", unhaltbar sind. Der Gesetzgeber hat bei der Anpassung des
hessischen Landesrechts an die Abgabenordnung durch das AO-
Anpassungsgesetz vom 21. Dezember 1976 (GVBl. I S. 532) keinen Anlaß
gesehen, etwa § 18 Abs. 2 Nr. 1 des Hessischen
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes, wonach Verwaltungsakten, mit denen eine
Geldleistung gefordert wird, "die vom Pflichtigen abgegebene
Selbstberechnungserklärung, wenn der Pflichtige seine Leistung auf grund einer
Rechtsvorschrift einzuschätzen hat", gleichsteht, mit einer Einschränkung zu
versehen, daß dies nicht gelte, wenn eine Gemeinde oder ein Landkreis eine unter
das Kommunalabgabengesetz fallende Steuerforderung vollstrecken will. Es
besteht also kein Anlaß, von der bezüglich der Nichterwähnung des § 168 AO 1977
in § 4 KAG im genannten Urteil des Senats (KStZ 1983, 153) vertretenen Ansicht
abzugehen. Der einzige Unterschied zwischen dem vorliegenden und dem damals
entschiedenen Falle liegt darin, daß § 167 AO 1977 damals direkt zutraf, weil die
Abgabe der Getränkesteuererklärung durch § 8 des Gesetzes über die
Getränkesteuer vom 6. Dezember 1951 (GVBl. S. 127) vorgeschrieben war,
während die Erhebung der Spielapparatesteuer nicht auf einem Gesetz, sondern
auf der Satzung der Antragsgegnerin beruht, so daß der Tatbestand des § 167 AO
1977 nur dann erfüllt ist, wenn eine Steueranmeldung "auf Grund gesetzlicher
Verpflichtung" auch dann vorliegt, wenn die Verpflichtung nicht in einem förmlichen
Gesetz, sondern in einer gemeindlichen Satzung begründet ist. Aber auch dies ist
zu bejahen. Denn die in § 4 Abs. 1 KAG genannten Bestimmungen der
Abgabenordnung sind, wie ausdrücklich bestimmt ist, auf kommunale Abgaben e
n t s p r e c h e n d anzuwenden, also so, daß sie auch bei der Erhebung der auf
kommunalen Satzungen beruhenden Abgaben ihren Zweck erfüllen können. Der
hessische Gesetzgeber hat dazu, wie diese entsprechende Anwendung geschehen
soll, in § 4 Abs. 3 KAG drei "Auslegungsregeln" aufgestellt: 1. An die Stelle der
Finanzbehörde oder des Finanzamts tritt die Körperschaft, der die Abgabe zusteht,
2. An die Stelle des Worts Steuer(n) tritt das Wort "Abgabe(n)" und 3. An die Stelle
des Worts "Besteuerung" treten die Worte "Heranziehung zu Abgaben". Diese
Bestimmung, die eigentlich nur Selbstverständliches ausspricht, ist aber nicht in
dem Sinne abschließend, daß andere im Text der für anwendbar erklärten
Vorschriften der Abgabenordnung enthaltene Worte nicht durch solche aus dem
Bereich des Kommunalabgabenrechts sollen ersetzt werden dürfen, wenn es für
die sinnvolle Anwendung der Vorschriften erforderlich ist. Daß die Ermöglichung
des Steueranmeldeverfahrens für alle dafür geeigneten Kommunalabgaben -
insbesondere für Steuern, deren Bemessungsgrundlagen vom Pflichtigen erklärt
werden müssen - sinnvoll ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Denn das
Steueranmeldeverfahren erspart nicht nur dem Steuergläubiger, sondern auch
dem Steuerpflichtigen unnötigen Mehraufwand an Arbeitszeit, Material,
Portokosten und Archivierungsraum, sondern verbessert sogar in einem gewissen
Ausmaß die verfahrensrechtliche Stellung des Steuerpflichtigen, weil dieser
innerhalb der Anmeldefrist den Zeitpunkt der Abgabe der Anmeldung selbst
wählen und dadurch die Frist für einen etwa beabsichtigten Widerspruch selbst
festlegen kann, statt insoweit von einem in ungewisser Zukunft ergehenden
Steuerbescheid abhängig zu sein.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin zur
Spielapparatesteuer bestehen auch nicht deshalb, weil in der Satzung der
Antragsgegnerin für die Spielapparatesteuer (§ 2 Buchst. a) der Stückzahlmaßstab
vorgesehen ist (§ 3 Buchst. a), aber bei den Steuersätzen (§ 4 Abs. 1 Buchst. a)
nicht zwischen "Spielhallenaufstellung" und "Gaststättenaufstellung" unterschieden
wird und auch die Steuersätze (160 DM je Kalendermonat für Apparate mit
5
6
7
wird und auch die Steuersätze (160 DM je Kalendermonat für Apparate mit
Gewinnmöglichkeit und 50 DM je Kalendermonate für Apparate ohne
Gewinnmöglichkeit) nicht unter der "Erheblichkeitsgrenze" liegen, von der ab nach
der - den Bevollmächtigten der Beteiligten und diesen selbst bekannten -
Rechtsprechung des Senats die Unterscheidung zwischen "Spielhallenaufstellung"
und "Gaststättenaufstellung" erforderlich ist (Beschluß vom 19. Juli 1993 - 5 N
1359/92 - HSGZ 1993, 399 = GemHH 1994, 160; Beschluß vom 12. Oktober 1993
- 5 TH 1869/93 - HSGZ 1994, 64 = ZKF 1994, 109 = GemHH 1994, 67). Der
danach in der Regel erforderlichen Differenzierung zwischen Spielhallenaufstellung
und Gaststättenaufstellung bedarf es im Fall der Antragsgegnerin ausnahmsweise
nicht, weil in deren Gemeindegebiet beim Erlaß der Satzung, während des ersten
Quartals 1992, für das die Antragstellerin zur Spielapparatesteuer herangezogen
wurde, und auch heute noch keine Spielhallen vorhanden waren bzw. vorhanden
sind.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Satzung und damit auch an der
Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin bestehen aber wegen der
Höhe der Steuersätze. Ein Betrag von 160 DM je Kalendermonat für Apparate mit
Gewinnmöglichkeit bei der allein in Betracht kommenden Gaststättenaufstellung
kann sich bei der im Verfahren zur Hauptsache erforderlichen weiteren
Sachaufklärung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit als erdrosselnd erweisen. Eine
erdrosselnde Besteuerung wäre aber, wie der Senat in Anlehnung an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in vielen - den Bevollmächtigten
der Beteiligten bekannten - Beschlüssen zur Spielapparatesteuer ausgeführt hat,
wegen der in ihr liegenden Verletzung des Grundrechts des Aufstellers aus Art. 12
GG nicht zulässig (Beschluß vom 25. Januar 1994 - 5 TH 2664/92 - HSGZ 1994,
251 = ZKF 1994, 158 = GemHH 1994, 210; Beschluß vom 2. Februar 1994 - 5 TH
2092/92 -). Der Senat hat in allen Entscheidungen die erdrosselnde Wirkung des
jeweiligen Steuersatzes verneinen können; er hatte aber noch über keinen Fall zu
entscheiden, in welchem der Steuersatz für Apparate mit Gewinnmöglichkeit in
Gaststätten mehr als 135 DM betrug. Den Satz von 135 DM je Kalendermonat hat
er im Beschluß vom 11. Juli 1994 (- 5 TH 1766/94 - HSGZ 1995, 23) noch für
unbedenklich gehalten, da noch keine e r n s t l i c h e n Zweifel an der
Verträglichkeit mit dem Erdrosselungsverbot aufgeworfen seien. Er hat aber
gleichzeitig angedeutet, daß jedenfalls bei einem Steuersatz von 200 DM pro
Monat eine Prüfung nötig sein würde, zumal auch noch der "Wirteanteil" zu
berücksichtigen sei. Dem Senat erscheint aber auch schon der Satz von 160 DM je
Monat bedenklich, zumal ein so hoher Steuersatz auch in keinem anderen
Bundesland festgelegt und folglich auch nicht "erprobt" ist. - Die Höhe der Steuer
kann auch nicht etwa deshalb als unbedenklich angesehen werden, weil die
Antragstellerin im Gebiet der Antragsgegnerin nur zwei Geldspielapparate
aufgestellt hatte, also ihr Gewerbe zu einem großen Teil in Städten und
Gemeinden betreibt, in denen möglicherweise niedrigere Steuersätze festgelegt
sind oder gar keine Spielapparatesteuern erhoben werden. Die Prüfung, ob eine
Steuer erdrosselnd wirkt, muß von der Voraussetzung ausgehen, daß der
Steuerpflichtige seinen Beruf nur im Gebiet der steuererhebenden Gemeinde
ausübt oder daß in allen anderen Gemeinden, in denen er seinem Gewerbe
nachgeht, gleichhohe Steuern erhoben werden. Andernfalls gäbe es keine sicheren
Kriterien für die Prüfung, da die Verhältnisse in den anderen Gemeinden sich
jederzeit ändern könnten.
Der Beschwerde ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
stattzugeben. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage
von der Leistung einer Sicherheitsleistung durch die Antragstellerin abhängig zu
machen, erscheint dem Senat angesichts der Geringfügigkeit des streitigen
Betrages unnötig.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 25 Abs. 2, 14 (analog), 20 Abs. 3 und 13
Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes. Der Senat bewertet das Interesse eines
Abgabenschuldners, von der Pflicht zur sofortigen Zahlung befreit zu werden, bei
Forderungen, auf die Verzinsungsvorschriften der Abgabenordnung Anwendung
finden, höchstens mit einem Drittel des beizutreibenden Betrages; deswegen
macht er auch von seiner Befugnis nach § 25 Abs 2 Satz 2 GKG Gebrauch, die
Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts, das das Interesse der
Antragstellerin mit der Hälfte des Steuerbetrages bewertet hatte, abzuändern.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.