Urteil des HessVGH vom 04.06.1992

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, verfügung, ersatzvornahme, wohnung, treppenhaus, holz, brandstiftung, gebäude, liegenschaft, hauptsache

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TH 1844/91
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 WoAufG HE, § 9 WoAufG
HE
(Instandsetzung einer Klingelanlage - Maßnahme nach dem
WoAufG HE §§ 2, 9)
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens war die Anordnung, den Kaminanschluß für das
Rauchabzugsrohr des Gasofens im Badezimmer der Wohnung im ersten
Obergeschoß der Liegenschaft G in F wiederherzustellen und die defekte
Klingelanlage des Gebäudes zu überprüfen und fachgerecht instandzusetzen. Die
Durchführung dieser Arbeiten hatte die Antragsgegnerin im Wege der
Wohnungsaufsicht gegenüber den Eigentümern unter Sofortvollzug angeordnet.
Die Antragsteller sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Miteigentümer des
viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses.
Aufgrund einer Mitteilung des Mieters nahm die Antragsgegnerin eine örtliche
Überprüfung der Wohnung vor. Nachdem trotz entsprechender Aufforderungen die
hier in Streit stehenden Mängel nicht beseitigt worden waren, forderte die
Antragsgegnerin - Amt für Wohnungswesen - die Antragsteller mit Verfügung vom
10. April 1991 unter Fristsetzung auf, unter anderem die Arbeiten zur Behebung
der oben genannten Mängel durchführen zu lassen. Sie bezifferte die geschätzten
Kosten für die einzelnen angeordneten Arbeiten, drohte die Durchführung der
Arbeiten im Wege der Ersatzvornahme an und veranschlagte die dafür
erforderlichen Kosten auf 2.600,00 DM, den Betrag, der sich aufgerundet aus der
Addition der verschiedenen angeordneten Maßnahmen ergab. Gegen die
Verfügung legten die Antragsteller Widerspruch ein, über den bisher noch nicht
entschieden worden ist.
Mit Beschluß vom 17. Juli 1991 stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Grundverfügung wieder
her, soweit der Sofortvollzug angeordnet war, und ordnete sie bezüglich der
Zwangsmittelandrohung an. Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die
getroffene Anordnung ermessensfehlerfrei erfolgt ist. Es verneinte die
Eilbedürftigkeit der Maßnahmen und begründete das hinsichtlich der angeordneten
Instandsetzung der Klingelanlage damit, daß der Zutritt zum Haus deshalb
gewährleistet sei, weil Hoftor und Haustür von außen ohne Hilfsmittel geöffnet
werden könnten.
Gegen den der Antragsgegnerin am 22. Juli 1991 zugestellten Beschluß hat diese
am 02. August 1991 Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht
abgeholfen hat.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 17. Juli 1991
aufzuheben und den Antrag der Antragsteller vom 14. Mai 1991 zurückzuweisen.
Sie trägt hinsichtlich der defekten Klingelanlage vor: Das Verwaltungsgericht habe
verkannt, daß auch eine solche Anlage zu den Gebäudeteilen zähle, deren
bestimmungsgemäße Gebrauchsmöglichkeit von der Wohnungsaufsichtsbehörde
verlangt werden könne. Daß sie nicht funktioniere, habe zur Folge, daß Hof- und
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verlangt werden könne. Daß sie nicht funktioniere, habe zur Folge, daß Hof- und
Haustüren ständig geöffnet seien um Besuchern der Hausbewohner das Betreten
des Gebäudes zu ermöglichen. Hierdurch könnten Gefahren für die Hausbewohner
z. B. durch Brandstiftung, Einbruchsdiebstahl und Hinterlassung von Unrat
entstehen. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, daß die
Wandverkleidung und Treppenhaus aus Holz bestehe und die Türen einen
Holztürrahmen mit Glaseinsatz aufwiesen.
Die Antragsteller haben keinen Antrag gestellt.
Zwischenzeitlich ist der Kaminanschluß für das Rauchabzugsrohr des Gasofens
durch den Mieter der Wohnung in Auftrag gegeben und durchgeführt worden.
Daraufhin hat die Antragsgegnerin die Hauptsache insoweit für erledigt erklärt.
Die Antragsteller haben keine Erklärung abgegeben und auch die wiederholte
Anfrage des Berichterstatters, ob die Klingelanlage in absehbarer Zeit
instandgesetzt werden solle, nicht beantwortet.
Die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und ihre Widerspruchsakte (zwei
Hefte) lagen vor und waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet.
Soweit die Arbeiten zwischenzeitlich von dritter Seite durchgeführt wurden, ist die
Hauptsache erledigt. Der dennoch aufrecht erhaltene Antrag ist unzulässig und
bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen.
Auch im übrigen, das heißt, hinsichtlich der Anordnung, die defekte Klingelanlage
des Gebäudes zu überprüfen und fachgerecht instandzusetzen und der Androhung
der Ersatzvornahme, war der Antrag abzulehnen, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs der Antragsteller wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die von der Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern angeordnete
Maßnahme ist rechtmäßig. Nach § 2 des Hessischen Wohnungsaufsichtsgesetzes
- HWoAufG - haben die Gemeinden nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auf
die Beseitigung von Wohnungsmißständen hinzuwirken (Wohnungsaufsicht). Im
Rahmen dieser Aufsicht soll die Gemeinde gemäß § 9 WoAufG erforderliche
Anordnungen treffen, die den dinglich Verfügungsberechtigten u. a. verpflichten,
Gebäude, in denen sich Wohnungen befinden so instandsetzen oder verbessern zu
lassen, daß Bewohner nicht gefährdet oder unzumutbar belästigt werden oder der
bestimmungsgemäße Gebrauch nicht erheblich beeinträchtigt wird. Zu den
Anlagen, deren Instandsetzung von der Wohnungsaufsichtsbehörde verlangt
werden kann, wenn sie nicht funktionieren und dieser Umstand die in § 9 HWoAufG
genannten Folgen für die Bewohner oder das Gebäude befürchten läßt, kann auch
eine defekte Klingelanlage gehören. Ob eine derartige Instandsetzungsmaßnahme
angeordnet werden kann, ist eine Frage des Einzelfalles. Die Anordnung ist im
vorliegenden Fall gerechtfertigt: Es handelt sich um eine mit einem
viergeschossigen Wohn- und Geschäftshaus in F bebaute Liegenschaft, die früher
durch eine Haus- und Hoftür verschlossen werden konnte. Nach Angaben in den
Behördenakten ist die Anlage seit nunmehr vier Jahren defekt. Hof- und Haustür
bleiben ständig geöffnet, um Besuchern der Hausbewohner das Betreten des
Gebäudes zu ermöglichen. Die Antragsgegnerin hat in ihrer
Beschwerdebegründung darauf hingewiesen, daß der ungehinderte und
unkontrollierte Zugang auch Fremden ermögliche, sich im Hause aufzuhalten und
hierdurch Gefahren für die Hausbewohner z. B. durch Brandstiftung,
Einbruchsdiebstahl und Hinterlassung von Unrat entstünden. In diesem
Zusammenhang sei von Bedeutung, daß die Wandverkleidung und Treppenhaus
aus Holz bestehe und die Türen einen Holztürrahmen mit Glaseinsatz aufwiesen.
Diese Situation rechtfertigt die angeordnete Instandsetzungsmaßnahme. Diese
nachträgliche Änderung der Begründung ist gemäß § 45 Abs. 2 HVwVfG nicht zu
beanstanden. Danach kann bis zum Abschluß des Verfahrens durch den
Widerspruchsbescheid, der hier noch fehlt, die gemäß § 39 Abs. 1 i. V. m. § 45 Abs.
1 Nr. 2 HVwVfG erforderliche Begründung nachträglich gegeben - und geändert -
werden (Hess. VGH B. v. 03. März 1988 - 4 TH 3410/87 - HessVGRspr. 1988, 67 =
HSGZ 1988, 324, st. Rspr.).
Auch die Eilbedürftigkeit der Anordnung war zu bejahen. Zwar haben Widerspruch
und Anfechtungsklage regelmäßig aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO).
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und Anfechtungsklage regelmäßig aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO).
Nach Maßgabe der Rechtsprechung des Senats kann jedoch die sofortige
Vollziehbarkeit einer Anordnung wegen ihrer besonderen Wichtigkeit und
Dringlichkeit auch falltypisch gegeben sein (vgl. Beschlüsse vom 28.06.1965 - B IV
21/65 - ESVGH 15, 153 <154>; vom 14.07.1971 - IV TH 25/71 - BRS 24 Nr. 205;
vom 25.07.1985 - 4 TH 1268/87 - BRS 44 Nr. 207; B. v. 01.07.1988 - 4 TH 2399/87
- Agrarrecht 1990, 83 = HessVGRspr. 1989, S. 46 = RdL 1988, 306; st. Rspr.). Zu
den Falltypen, in denen der Senat die Anordnung der sofortigen Vollziehung für
zulässig hält, gehört der vorliegende Fall, in dem die für die Wohnungsaufsicht
zuständige Behörde Instandsetzungsmaßnahmen nach dem
Wohnungsaufsichtsgesetz anordnet (vgl. Hess. VGH B. v. 21.06.1988 - 4 TH
1940/88 - BBauBl. 1990, 159 = HessVGRspr. 1989, 21).
Da der Antrag hinsichtlich der Anordnung des Sofortvollzugs der Grundverfügung
zurückzuweisen war, war auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs bezüglich der Zwangsmittelandrohung durch das Verwaltungsgericht
aufzuheben. Obwohl die Kosten der Ersatzvornahme für sämtliche in der
angefochtenen Verfügung angeordneten Maßnahmen einheitlich mit einem
Kostenbetrag von 2.600,00 DM veranschlagt waren, ergibt sich aus der
Aufschlüsselung des Betrages auf die einzelnen Arbeiten in Ziffer I der Verfügung
zugleich die Aufteilung des Kostenbetrages auf die einzelnen Maßnahmen. Aus
diesem Grunde war für die Antragsteller ohne weiteres erkennbar, mit welchem
Teilbetrag die einzelnen Arbeiten im Fall ihrer ersatzweisen Durchführung
veranschlagt waren.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.