Urteil des HessVGH vom 05.05.1994

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, belastung, gerät, gaststätte, vollziehung, gesetzgebung, vernachlässigung, steuerbemessung, spielapparat, bankrecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 172/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 2 KAG HE, Art 3 GG
(Spielapparatesteuer: Differenzierung nach dem
Aufstellungsort zwischen "Spielhallenaufstellung" und
"Gaststättenaufstellung")
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Verwaltungsgericht den Antrag des
Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die - durch
Entgegennahme der Steuererklärung seitens der Antragsgegnerin bewirkte -
Heranziehung zur Spielapparatesteuer für das I. Quartal 1992 anzuordnen,
abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und
hat auch in der Sache Erfolg. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Heranziehung bestehen ernstliche Zweifel, die es nach der im gerichtlichen
Aussetzungsverfahren (§ 80 Abs. 5 VwGO) entsprechend anzuwendenden
Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO rechtfertigen, die sofortige Vollziehung
auszusetzen.
Diese Zweifel werden dadurch begründet, daß die Spielapparatesteuersatzung der
Antragsgegnerin vom 13. Dezember 1991 in ihrem § 4 Abs. 1 Buchstabe a für die
Bemessung der Steuer auf "das Halten von Spiel- und Geschicklichkeitsapparaten,
soweit sie öffentlich zugänglich sind" (§ 2 Abs. 2 Buchstabe a der
Spielapparatesteuersatzung), den "Stückzahlmaßstab" verwendet, ohne bei der
Höhe der Steuersätze ausreichend zwischen "Gaststättenaufstellung" und
"Spielhallenaufstellung" zu differenzieren. Nach § 4 Abs. 1 Buchstabe a der
Satzung beträgt die Steuer je Kalendermonat und Gerät (1.) für Apparate mit
Gewinnmöglichkeit bei Aufstellung in Spielhallen 300,-- DM und bei Aufstellung in
Gaststätten und sonstigen Aufstellorten 200,-- DM, sowie (2.) für Apparate ohne
Gewinnmöglichkeit bei Aufstellung in Spielhallen 150,-- DM und bei Aufstellung in
Gaststätten und sonstigen Aufstellorten 100,-- DM. Diese Differenzierung ist zu
gering, um der prinzipiell unterschiedlichen Ertragslage von Spielhallenaufstellung
und Gaststättenaufstellung in dem gebotenen Umfang Rechnung tragen zu
können. Damit aber fehlt es an einer gültigen Bemessungsregelung im
Satzungsrecht der Antragsgegnerin.
Zur Notwendigkeit einer Differenzierung als solcher bei Festlegung der
Steuersätze für Spielapparate hat der Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 19.
Juli 1993 in dem die Spielapparatesteuersatzung der Stadt Gießen betreffenden
Normenkontrollverfahren 5 N 1359/92 ausgeführt:
"Zu dem Ergebnis, daß der Stückzahlmaßstab bei der Erhebung von
Spielapparatesteuer schon als solcher gegen den Gleichheitssatz verstößt,
gelangt der Senat ... nicht. Zu bedenken ist zum einen das Ermessen des
Steuergesetzgebers bei der Auswahl des Steuermaßstabs, welches einen
Spielraum auch insoweit einschließt, als es um die Beurteilung der praktischen
Schwierigkeiten der alternativ in Betracht kommenden Besteuerungsverfahren
geht. Zum anderen sieht sich der Senat auch in dieser Frage durch die
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1962 (a.a.O.) und
vom 1. April 1971 (a.a.O.) gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Stückzahlmaßstab für die Bemessung der Spielapparatesteuer trotz der
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Stückzahlmaßstab für die Bemessung der Spielapparatesteuer trotz der
bekannten und von ihm auch erwähnten Praxis bei der Erhebung der
Umsatzsteuer (Teilurteil vom 10.5.1962, a.a.O., S. 102) gebilligt.
Entscheidet sich der Steuergesetzgeber bei der Erhebung von
Spielapparatesteuer für die Verwendung des Stückzahlmaßstabs, so setzt
allerdings die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz zumindest voraus, daß dann
bei der Höhe der Steuersätze nach den Erscheinungsformen
"Spielhallenaufstellung" und "Gaststättenaufstellung" differenziert wird. Ohne
wenigstens diese Differenzierung kann der Stückzahlmaßstab nicht akzeptiert
werden. Von der wesentlich günstigeren Ertragslage der Spielhallenaufstellung war
bereits die Rede; sie wird, weil in zahlreichen Erhebungen immer wieder
festgestellt, von niemandem bezweifelt. So heißt es in den einschlägigen
Gerichtsentscheidungen, daß die Einnahmen an Geräten in Spielhallen
"erfahrungsgemäß und typischerweise höher" (VG Sigmaringen, Urteil vom
8.7.1987 - 3 K 1234/86 -) bzw. "bedeutend höher" (OVG Münster, Beschluß vom
22.9.1989 - 16 B 3000/88 - NVwZ 1989, 588, 589) seien als die entsprechenden
Einnahmen in Gaststätten. Der VGH Mannheim bezeichnet die Annahme als
vertretbar, daß ein Gerät in einer Spielhalle, welches "speziell zum Spielen"
aufgestellt sei, etwa dreimal so häufig in Anspruch genommen werde wie ein
Gerät, welches in einer Gaststätte von Gaststättenbesuchern gelegentlich ihres -
primär anderen Zwecken dienenden - Gaststättenaufenthalts benutzt werde (VGH
Mannheim, Beschluß vom 17.9.1992 - 2 S 1162/92 - ZKF 1993, 60). Die von den
Gerichten ermittelten Zahlen belegen die Richtigkeit dieser Aussagen. Der -
bezogen auf den einzelnen Spielapparat - prinzipiell unterschiedlichen Ertragslage
von Spielhallenaufstellung und Gaststättenaufstellung tragen Gesetzgebung und
Satzungsgebung in anderen Bundesländern in aller Regel durch unterschiedlich
hohe Pauschsteuersätze Rechnung......
Die Festlegung gleich hoher Steuersätze für Spielhallenaufstellung und
Gaststättenaufstellung läßt sich nicht mehr mit durch unterschiedlich hohe
Pauschsteuersätze Rechnung ... Art. 3 GG hinzunehmenden - Vernachlässigung
der individuell unterschiedlichen Ertragssituation bei der Automatenaufstellung
rechtfertigen. Die individuelle Ertragssituation wird sicherlich auch durch die Lage
des jeweiligen Aufstellortes beeinflußt. So kann von Bedeutung sein, ob in
Großstädten, Mittelstädten, Kleinstädten oder in Landgemeinden aufgestellt wird
(vgl. BVerfG, Teilurteil vom 10.5.1962, a.a.O., S. 103). Hiermit nicht vergleichbar ist
jedoch die typischerweise unterschiedliche Ertragssituation, die mit einer
unterschiedlichen Zweckbestimmung der zum Aufstellen genutzten
Räumlichkeiten zusammenhängt. Die Aufstellung in einer für eben diesen Zweck
eingerichteten und betriebenen Spielhalle führt unabhängig von den eben
genannten individuellen Einflüssen der örtlichen Lage erfahrungsgemäß und
nachweisbar zu wesentlich höheren Erträgen als die Aufstellung in Einrichtungen,
die primär gastronomisch genutzt werden. Diese typenbedingte
Unterschiedlichkeit darf der Steuergesetzgeber bei der Steuerbemessung nicht
einfach unberücksichtigt lassen......
Von der Festlegung unterschiedlich hoher Pauschsteuersätze für Spielhallen- und
Gaststättenaufstellung bei Verwendung des Stückzahlmaßstabs kann nach dem
Prinzip der Steuergerechtigkeit unberücksichtigt lassen ... so niedrig ist, daß er
auch für die weniger einträgliche Gaststättenaufstellung zu keiner nennenswerten -
nicht ohne weiteres verkraftbaren - Belastung führt. Ab welchen Beträgen die
Belastung als in diesem Sinne "erheblich" zu bezeichnen ist, bedarf aus Anlaß des
vorliegenden Verfahrens keiner genauen Festlegung, denn die hier zu
beurteilenden Steuersätze von 200 DM für Gewinnspielapparate und 50 DM für
Apparate ohne Gewinnmöglichkeit erreichen eine Höhe, die in jedem Falle eine
Differenzierung zugunsten der Gaststättenaufstellung erfordert. Ohne sich in
diesem Punkt endgültig festlegen zu wollen, neigt der Senat dazu, die zu einer
Differenzierung nötigende "Erheblichkeitsgrenze" derzeit bei Sätzen von über 60
DM für Spielapparate mit Gewinnmöglichkeit und von über 30 DM für
Spielapparate ohne Gewinnmöglichkeit für überschritten anzusehen."
Auch zu der Frage, in welchem Umfang bei der Höhe der Steuersätze differenziert
werden muß, damit die unterschiedliche Ertragslage von Spielhallen- und
Gaststättenaufstellung angemessen zur Geltung kommt, hat sich der Senat
bereits geäußert. Zu fordern ist danach - bei summarischer Betrachtung -
zumindest eine Verdoppelung der Sätze für Spielhallenaufstellung (so
Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 1994 - 5 TH 2664/92 - und vom 8. Februar 1994
- 5 TH 2411/92 -). Von der vertretbaren Annahme ausgehend, daß ein Gerät in
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- 5 TH 2411/92 -). Von der vertretbaren Annahme ausgehend, daß ein Gerät in
einer Spielhalle etwa dreimal so häufig in Anspruch genommen wird wie ein in einer
Gaststätte aufgestelltes Gerät (vgl. VGH Mannheim, Beschluß vom 19. September
1992 - 2 S 1162/92 - ZKF 1993, 60), bildet die doppelt so hohe Belastung von
Geräten in Spielhallen eine untere Grenze der gebotenen Differenzierung, die nicht
unterschritten werden darf. Die in den Vergnügungssteuer- oder
Spielapparatesteuersätzen anderer Bundesländer gesetzlich vorgeschriebene
Differenzierung zwischen Spielhallenaufstellung und Gaststättenaufstellung fällt
nicht selten sehr viel stärker aus. So belaufen sich nach dem
Vergnügungssteuergesetz Nordrhein-Westfalen die Mindestsätze für
Gewinnspielgeräte in Spielhallen auf 90,-- DM und für solche in Gaststätten auf
30,-- DM. Das Vergnügungssteuergesetz Berlin sieht für Gewinnspielgeräte 100,--
DM in Spielhallen und 20,-- DM an anderen Aufstellorten, für Spielautomaten ohne
Gewinnmöglichkeit 50,-- DM in Spielhallen und 10,-- DM an anderen Aufstellorten
vor. Ähnlich weitgehende Abstufungen finden sich auch im
Vergnügungssteuergesetz Bremen vom 13. Juli 1989 (bei Gewinnspielgeräten
200,-- DM für Spielhallenaufstellung, 70,-- DM für Gaststättenaufstellung) und im
Saarländischen Vergnügungssteuergesetz vom 19. Juni 1988 (bei
Gewinnspielgeräten 180,-- DM für Spielhallen-, 60,-- DM für
Gaststättenaufstellung). Diese deutlich stärkere Belastung von Spielgeräten in
Spielhallen ist nicht etwa allein mit dem bei Spielhallen in besonderer Weise
gesehenen Bedürfnis nach Eindämmung des Spielens an Spielapparaten zu
erklären. Sie beruht vielmehr - zu einem guten Teil - auch und gerade auf der
Überlegung, daß sich die deutlich günstigere Ertragslage der Spielhallenaufstellung
in einer angemessen stärkeren Belastung niederschlagen muß. Für eine
Differenzierung, die geringer ausfällt als es einer Verdoppelung der Steuersätze für
Spielhallenaufstellung entspricht, ist erst dann Raum, wenn die Sätze für
Gaststättenaufstellung so niedrig sind, daß sie die im Vorlagebeschluß des Senats
vom 19. Juli 1993 genannten "Erheblichkeitsgrenzen" von 60,-- DM für
Gewinnspielgeräte und 30,-- DM für Unterhaltungsspielgeräte nicht übersteigen
(vgl. Senatsbeschluß vom 8. Februar 1994 - 5 TH 2411/92 - S. 6 des amtlichen
Abdrucks).
Die in § 4 der Spielapparatesteuersatzung der Antragsgegnerin vom 13.
Dezember 1991 vorgesehene Abstufung der Steuersätze für
Spielhallenaufstellung und Gaststättenaufstellung (200,--/ 300,-- DM bei
Gewinnspielgeräten; 100,--/150,-- DM bei Unterhaltungsspielgeräten) genügt den
obengenannten Anforderungen an eine gültige - gleichheitssatzverträgliche -
Bemessungsregelung bei Verwendung des Stückzahlmaßstabs für die
Besteuerung von Spielapparaten nicht, denn die mit ihr verbundene
Differenzierung führt nicht zu der gebotenen mindestens doppelt so starken
Belastung von Spielgeräten in Spielhallen. Da die von der Antragsgegnerin
festgelegten Sätze für Gaststättenaufstellung jeweils über der
"Erheblichkeitsgrenze" liegen, war eine schwächere Differenzierung bzw. der
Verzicht auf jegliche Differenzierung im Verhältnis zwischen Spielhallen- und
Gaststättenaufstellung nicht zulässig. Die Antragsgegnerin ist im
Beschwerdeverfahren auf die daraus resultierenden Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit ihres Satzungsrechts und der auf dieses Satzungsrecht
gestützten Steuerveranlagung hingewiesen worden, hat aber bislang die sofortige
Vollziehung nicht von sich aus ausgesetzt. Der Senat entscheidet deshalb jetzt
über die Beschwerde des Antragstellers und ordnet unter entsprechender
Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung antragsgemäß die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Heranziehung zur
Spielapparatesteuer für das I. Quartal 1992 an. Als unterliegender Teil hat die
Antragsgegnerin die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1
VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 25 Abs. 1
Satz 3 GKG. Nach der Streitwertpraxis des Senats ist in Verfahren nach § 80 Abs.
5 VwGO der Streitwert grundsätzlich nicht höher als auf ein Drittel des streitigen
Betrages festzusetzen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Geldleistung
betrifft, auf die die §§ 236 bis 238 der Abgabenordnung Anwendung finden (vgl.
Beschluß vom 11. Dezember 1981 - V TI 51/80 - ESVGH 32, 144 = NVwZ 1983,
54).
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.