Urteil des HessVGH vom 16.11.1992

VGH Kassel: kommission, beihilfe, verordnung, erzeugnis, vertrauensschutz, zucker, zustand, rückforderung, begriff, nummer

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 UE 418/86
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 48 Abs 2 VwVfG, § 6 Abs
2 ObstProdBhV, EWGV
516/77
(Rückzahlung von Beihilfen nach der Obst-
Produktionsbeihilfen-Verordnung; Vertrauensschutz)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung einer Obst-
Produktionsbeihilfe.
Die Beklagte gewährt Beihilfen für die Herstellung bestimmter
Verarbeitungserzeugnisse aus Obst. Diese Maßnahme richtet sich nach den
Vorschriften der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Beihilfe wurde danach im
Wirtschaftsjahr 1980/81 unter anderem gewährt für "in Sirup haltbar gemachte
Kirschen", die der Tarifnummer "ex 20.06 B" des gemeinsamen Zolltarifs
unterfallen.
Mit Bescheid vom 6. November 1981 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren
Anträge vom 24. November 1980, 23. März 1981 und 8. Mai 1981 eine Beihilfe in
Höhe von 520.188,63 DM für die Verarbeitung von 600.736 kg Sauerkirschen zu
einem als "Frucht- Dessert-Sauce (Kirsch)" bezeichneten Erzeugnis im
Wirtschaftsjahr 1980/81. Der Bewilligung lag eine verbindliche Zolltarifauskunft der
Oberfinanzdirektion München vom 24. Februar 1981 zugrunde, nach der die
Frucht-Dessert-Sauce (Kirsch) der Klägerin zur Tarifstelle 20.06 B II b) 8 des
Zolltarifs gehört. In der Zolltarifauskunft wird das Erzeugnis der Klägerin als "breiig-
stückige, dunkelrote Flüssigkeit" beschrieben. Die Auskunft kommt zu dem
folgenden Befund:
"Kirschen, in Form einer Dessertsoße zubereitet und haltbar gemacht, ohne
Zusatz von Alkohol, mit Zusatz von Zucker, in unmittelbaren Umschließungen mit
einem Gewicht des Inhalts von 1 Kilogramm oder weniger, sogen. Frucht-Dessert-
Sauce (Kirsch), Tarifstelle 20.06 B II b) 8."
Mit Schreiben vom 20. Juli 1982 teilte die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften - Generaldirektion Landwirtschaft - dem Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit, beihilfefähig nach Anhang I a zu Art. 3a
VO (EWG) Nr. 516/77 seien nur ganze Kirschen, die in unverändertem Zustand in
einer Mischung aus Wasser und Zucker haltbar gemacht sind. Bei Erzeugnissen,
die sich aus unterschiedlich großen Bestandteilen zerquetschter bzw. zerkleinerter
Kirschen sowie anderen Bestandteilen zusammensetzen und eine mehr oder
weniger dichte homogene Masse bilden, sei daher die Gewährung einer
Produktionsbeihilfe für in Sirup haltbar gemachte Kirschen ausgeschlossen.
Daraufhin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 3. November 1982 den
Bewilligungsbescheid vom 6. November 1981 über 520.188,63 DM zurück. Zur
Begründung nahm sie Bezug auf die Auffassung der EG-Kommission, zugleich
teilte sie aber mit, auf Gegenvorstellung des Bundesministers für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten habe die EG-Kommission eine Überprüfung ihres
Standpunktes zugesagt; das Ergebnis stehe noch aus.
Nachdem die Kommission mitgeteilt hatte, daß sie ihre Auffassung beibehalte,
forderte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 1983 den Beihilfebetrag von
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forderte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 1983 den Beihilfebetrag von
520.188,63 DM von der Klägerin zurück.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1982 mit
Schreiben vom 5. November 1982 und gegen den Bescheid der Beklagten vom
14. Februar 1983 mit Schreiben vom 16. Februar 1983 Widerspruch. Diese
Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 1983 mit
der Begründung zurück, daß in Übereinstimmung mit der von der Kommission
geäußerten Auffassung nur für ganze Kirschen, die in unverändertem Zustand in
einer Mischung aus Wasser und Zucker haltbar gemacht sind, eine Beihilfe
gewährt werden könne.
Am 20. April 1983 hat die Klägerin bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die von ihr hergestellte Kirsch-
Dessert-Soße sei beihilfefähig. Bei ihr handele es sich um eine Ware der Tarifstelle
20.06 B des gemeinsamen Zolltarifs, die aus ganzen entsteinten Kirschen
dergestalt hergestellt werde, daß die Früchte zunächst in einer Mischung aus
Wasser und Zucker (Sirup) haltbar gemacht und unmittelbar darauf im Vakuum so
gekocht würden, daß die fließfähige Kirsch-Dessert-Soße entstehe. Das so
hergestellte Erzeugnis unterscheide sich von den üblichen Kirschkonserven nur
dadurch, daß das in Sirup haltbar gemachte Obst unmittelbar darauf im Vakuum
gekocht werde. Das sei aber für die Zugehörigkeit zur Tarifstelle 20.06 B des
gemeinsamen Zolltarifs unerheblich. Die Auffassung der Beklagten, daß nur ganze
und in unverändertem Zustand in einer Mischung aus Wasser und Zucker haltbar
gemachte Kirschen beihilfefähig seien, finde weder in der
Produktionsbeihilferegelung noch in den maßgeblichen Tarifierungsvorschriften des
gemeinsamen Zolltarifs eine Stütze. Im übrigen habe sie, die Klägerin, auf den
Bestand der ihr von der Beklagten in genauer Kenntnis der Zusammensetzung
und Herstellung der Kirsch-Dessert-Soße gewährten Beihilfe vertraut und sie guten
Glaubens ihren nach Herstellung und Verkauf der Kirsch-Dessert- Soße nicht mehr
rückgängig zu machenden Dispositionen zugrunde gelegt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Rücknahmebescheid der Beklagten vom 3. November 1982 - 37-36.3 - und
den Rückforderungsbescheid vom 14. Februar 1983 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 21. März 1983 - 15-55.62-7/81 - aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid Bezug genommen und ergänzend
ausgeführt, die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil die
Rückforderung nach der Obst-Produktionsbeihilfenverordnung zwingend sei. Die
Klägerin habe auch nicht auf den endgültigen Bestand des Bewilligungsbescheides
vertrauen dürfen, weil sie auf die Problematik hingewiesen worden sei.
Mit Urteil vom 19. Dezember 1985, das der Beklagten am 9. Januar 1986
zugestellt wurde, hat das Verwaltungsgericht die Bescheide der Beklagten vom 3.
November 1982 und vom 14. Februar 1983 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 21. März 1983 aufgehoben und zur Begründung
ausgeführt, die Kirsch-Dessert-Soße der Klägerin erfülle die
Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Beihilfe nach den maßgeblichen
Vorschriften der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Aus den
Erwägungsgründen zu der Verordnung (EWG) Nr. 1654/80 der Kommission vom
24. Juni 1980 (ABl. Nr. L 163 vom 28. Juni 1980) ergebe sich, daß unter die hier
maßgebliche Tarifstelle 20.06 B des gemeinsamen Zolltarifs nicht nur
unveränderte in Sirup haltbar gemachte Kirschen fielen, sondern auch in Sirup
zubereitetes Obst. Kirschen, die entkernt, zerkleinert oder zerstückelt sind, seien
in diesem Zusammenhang als zubereitetes Obst anzusehen. Mit dem Begriff
"Zubereitung" verbinde sich eine gewisse Einwirkung auf das Obst selbst. An keiner
Stelle der Ratsverordnung sei aber geregelt, daß diese Einwirkung nicht darin
bestehen dürfe, das Obst zu zerquetschen oder zu zerkleinern. Zwar gebe es
keine wirtschaftspolitischen Gründe, für die zubereiteten Erzeugnisse eine
Subvention zu gewähren, da diese Erzeugnisse nicht dem Wettbewerb durch die
Erzeugnisse aus Drittländern ausgesetzt seien. Der Rat habe aber eine
entsprechende Einschränkung der Beihilfevoraussetzungen nicht vorgenommen.
Nur die Kommission habe in der Verordnung Nr. 1654/80 eine entsprechende
Einschränkung vorgenommen. Eine solche Veränderung der
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Einschränkung vorgenommen. Eine solche Veränderung der
Anspruchsvoraussetzungen in einer Ratsverordnung durch die Kommission sei
aber nicht zulässig und daher unwirksam. Dies ergebe sich bereits aus Art. 3a Abs.
1, 3. Unterabsatz VO (EWG) Nr. 516/77, wonach der Rat auf Vorschlag der
Kommission mit qualifizierter Mehrheit beschließen könne, Anhang I a unter
Berücksichtigung der Erzeugungs- und Vermarktungsbedingungen für die
betreffenden Erzeugnisse zu ändern. Auch aus den Prinzipien der
gemeinschaftsverfassungsrechtlichen Gewaltenteilung ergebe sich, daß die
Kommission nicht berechtigt sei, Ratsverordnungen zu ändern. Nach Art. 155
EWG-Vertrag dürfe die Kommission Rechtsakte nur in Form von Entscheidungen
treffen und im übrigen nur die Befugnisse ausüben, die ihr der Rat zur
Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften übertrage. Eine Ermächtigung
zum Erlaß von Verordnungen unabhängig von einer solchen Übertragung sehe der
EWG-Vertrag nicht vor.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte am 6. Februar 1986
Berufung eingelegt.
Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach die Aufhebung des
Bewilligungsbescheides und die Rückforderung sich nach § 6 Abs. 2 Satz 1 der
Obst-Beihilfenverordnung richteten und nach dieser Vorschrift zu Recht erfolgt
seien. Sie nimmt erneut Bezug auf die von der Kommission geäußerte Auffassung
zu den Voraussetzungen einer Beihilfe für in Sirup haltbar gemachte Kirschen und
führt dazu ergänzend aus, in einer später erlassenen Regelung, nämlich in Art. 1
Abs. 2 Buchstabe a der VO (EWG) Nr. 1599/84 vom 5. Juni 1984 habe die
Kommission diese Rechtsauffassung klargestellt. Das Belassen der Beihilfe in
diesen Fällen würde eine uneinheitliche Rechtsanwendung in der Gemeinschaft
bedeuten. Im Interesse der einheitlichen Anwendung der Beihilfevorschriften in den
Mitgliedstaaten halte sie es daher für geboten, der Rechtsauffassung der
Kommission zu folgen. Es sei jedoch nicht zu übersehen, daß sich ein Verbot der
Zerkleinerung der Kirschen, für die Beihilfen beantragt werden sollten, aus den
Rechtsvorschriften nicht unmittelbar ableiten lasse. Der Sprachgebrauch könne
darauf hindeuten, daß unter Kirschen nur ganze Kirschen verstanden werden. Dem
stehe aber die Randziffer 1 der Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die
Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens (NRZZ) zur Tarifstelle 20.06
entgegen. Daraus ergebe sich, daß zu dieser Tarifstelle nicht nur ganze Früchte
gehörten, sondern auch Früchte in Stücken oder zerquetscht. Hinzu komme, daß
mit Art. 1 VO (EWG) Nr. 1654/80 der Kommission die zubereiteten Erzeugnisse
ausgeschlossen worden seien, nicht aber Erzeugnisse, die nicht mehr in
unversehrtem Zustand im Enderzeugnis (Konserve) enthalten seien.
Bei der Kirsch-Dessert-Soße der Klägerin handele es sich nicht um in Zucker
zubereitetes Obst, so daß die Beihilfe nicht durch Art. 1 VO (EWG) Nr. 1654/80
ausgeschlossen sei. Auf die Frage der Ermächtigung der Kommission zum Erlaß
dieser Vorschrift komme es deshalb nicht an.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 19. Dezember 1985 -
I/2 E 1165/83 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtsgerichts
Frankfurt am Main vom 19. Dezember 1985 zurückzuweisen.
Sie führt ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter aus. Sie verteidigt das Urteil des
Verwaltungsgerichts, ist allerdings im Gegensatz zum Verwaltungsgericht der
Auffassung, daß ihre Kirsch-Dessert-Soße nicht als "zubereitetes Obst" im Sinne
der VO Nr. 1654/80 angesehen werden könne. Ergänzend führt sie aus, sie habe
auf den Bestand des Beihilfebescheides vertraut und ihr Vertrauen sei auch
schutzwürdig. Die Bewilligung sei nach Vorlage einer verbindlichen Zolltarifauskunft
und einer genauen Beschreibung des Herstellungsverfahrens und nach
Überprüfung durch das Bundesernährungsministerium vorbehaltlos erfolgt. An der
Rechtmäßigkeit der Bewilligung habe sie daher nicht zweifeln können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der die streitige
Produktionsbeihilfe für Kirschen betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (1
Hefter), die beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
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Hefter), die beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht worden sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 124, 125 VwGO zulässige Berufung der Beklagten ist nicht
begründet. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil zu Recht den
Rücknahmebescheid der Beklagten vom 3. November 1982 und ihren
Rückforderungsbescheid vom 14. Februar 1983 sowie den Widerspruchsbescheid
vom 21. März 1983 aufgehoben. Denn diese Bescheide sind rechtswidrig und
verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Rückforderung der streitigen Produktionsbeihilfe richtet sich nach § 6 Abs. 2
der Verordnung über die Gewährung von Produktionsbeihilfen für
Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (Obst-Produktionsbeihilfen-
Verordnung) vom 26. August 1980 (BGBl. I S. 1602). Nach dieser Vorschrift sind zu
Unrecht empfangene Beihilfen zurückzuzahlen. Zu Unrecht empfangen sind
Beihilfen, die durch Verwaltungsakt gewährt wurden, wenn dieser Verwaltungsakt
entweder nichtig oder aufgehoben worden ist (vgl. BVerwG, U. v. 24.01.1992 - 3 C
33.86 - zu der entsprechenden Regelung in § 8 BLVO, Buchholz 451.511 § 6 Nr. 4
= NVwZ 1992, 769 = DÖV 1992, 529).
Die Beklagte hat die Beihilfe mit Bescheid vom 6. November 1981, also
übereinstimmend mit § 3 Abs. 2 der Obst-Produktionsbeihilfen- Verordnung durch
Verwaltungsakt gewährt. Die Klägerin hätte die Beihilfe dann zu Unrecht
empfangen, wenn die Beklagte diesen Bewilligungsbescheid mit ihrem Bescheid
vom 3. November 1992 zu Recht aufgehoben hätte.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids durch den Bescheid
der Beklagten vom 3. November 1982 ist § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 VwVfG.
Allerdings ist das den Behörden in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte
Ermessen mit Rücksicht auf die in Art. 8 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 729/70
vorgesehene Verpflichtung der nationalen Behörden, zu Unrecht ausgezahlte
Beträge wieder einzuziehen, gebunden; insoweit geht § 6 Abs. 2 der Obst-
Produktionsbeihilfen-Verordnung dem § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vor (vgl. EuGH, U.
v. 21.09.1983, Rs 205 - 225/92, Sammlung 1983, 2633; BVerwG, U. v. 14.08.1986 -
3 C 9.85 -, BVerwGE 74, 357, 361 zur gleichlautenden Bestimmung der
Beihilfeverordnung Magermilch; Hess. VGH, Ue. v. 18.11.1988 - 8 UE 741/84 -, v.
22.01.1990 - 8 UE 815/84 - u. v. 26.08.1991 - 8 UE 1611/85 -).
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids der Beklagten
vom 3. November 1982 wäre danach, daß die Bewilligung der Beihilfe mit Bescheid
vom 6. November 1981 rechtswidrig war und der Klägerin kein Vertrauensschutz
zusteht.
Grundlage für einen Anspruch der Klägerin auf die mit Bescheid der Beklagten vom
6. November 1981 bewilligte Beihilfe ist Art. 3a der Verordnung (EWG) Nr. 516/77
des Rates vom 14. März 1977 über die gemeinsame Marktorganisation für
Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABl. EG Nr. L 73 vom 21. März
1977, Seite 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1152/78 des Rates vom
30. Mai 1978 (ABl. EG Nr. L. 144 vom 31. Mai 1978, Seite 1) i.V.m. Anhang Ia der
Verordnung (EWG) Nr. 516/77 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1639/79 des
Rates vom 24. Juli 1979 (ABl. EG Nr. L 192 vom 31. Juli 1979, Seite 3) geänderten
Fassung. Danach wird die Produktionsbeihilfe gewährt für "in Sirup haltbar
gemachte Kirschen", die der Nummer des gemeinsamen Zolltarifs "ex 20.06 B"
unterfallen und aus in der Gemeinschaft geerntetem Obst hergestellt werden. Aus
der Zolltarifauskunft der Oberfinanzdirektion München vom 24. Februar 1981
ergibt sich, daß die hier streitige Kirsch-Dessert-Soße der Klägerin unter die Nr.
20.06 B des gemeinsamen Zolltarifs fällt. Das ist zwischen den Beteiligten auch
unstreitig. Anhaltspunkte zu Zweifeln an dieser Eintarifierung, die Anlaß zu weiterer
Aufklärung durch den Senat geben würden, sind nicht ersichtlich. Auch der
Umstand, daß die Kirschen in dem Erzeugnis der Klägerin nicht mehr in
unversehrtem Zustand, sondern entsteint und zu einer "breiig-stückigen
Flüssigkeit" verarbeitet, enthalten sind, ändert an der Einordnung in die Nr. 20.06 B
des gemeinsamen Zolltarifs nichts. Kapitel 20 des gemeinsamen Zolltarifs hat die
Überschrift "Zubereitungen von Gemüse, Küchenkräutern, Früchten und anderen
Pflanzen oder Pflanzenteilen". Schon daraus ergibt sich, daß für die Eintarifierung
von Kirschen eine zu einer Veränderung der Konsistenz führende Zubereitung
unschädlich ist, es sei denn, es handelt sich um Verfahren der Zubereitung oder
Haltbarmachung im Sinne der Kapitel 7 oder 8 des gemeinsamen Zolltarifs. Nach
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Haltbarmachung im Sinne der Kapitel 7 oder 8 des gemeinsamen Zolltarifs. Nach
der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift A 2. a) des Titels I des gemeinsamen
Zolltarifs ändert die Zerlegung einer Ware nichts an der für die vollständige Ware
geltenden Zuordnung. Dem entspricht die Randziffer 1 der Erläuterungen zur
Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens
(NRZZ) zur Tarifstelle 20.06, wonach auch zerkleinerte Früchte unter diese
Tarifstelle fallen.
Damit steht allerdings noch nicht zwingend fest, daß die Kirsch- Dessert-Soße der
Klägerin beihilfefähig ist. Denn durch den "Ex"-Vermerk ist klargestellt, daß nicht
für alle unter Nr. 20.06 B des gemeinsamen Zolltarifs fallenden Erzeugnisse,
sondern nur für die im Anhang Ia der Vorordnung Nr. 516/77 in der rechten Spalte
bezeichneten Erzeugnisse aus der unter die Tarifnummer 20.06 B des
gemeinsamen Zolltarifs fallenden Gruppe von Erzeugnissen eine Beihilfe gewährt
wird. Es ist deshalb denkbar, daß das Erzeugnis der Klägerin zwar zollrechtlich
unter Nr. 20.06 B des gemeinsamen Zolltarifs fällt, gleichwohl aber nicht
beihilfefähig im Sinne der Verordnung Nr. 516/77 ist.
Zwar wird man nach allgemeinem Sprachgebrauch bei "in Sirup haltbar
gemachten Kirschen" vor allem an ganze Kirschen denken. Im allgemeinen
Sprachgebrauch sind die möglichen Bedeutungen des Wortes "Kirschen" aber nicht
scharf abgegrenzt und insbesondere nicht zwingend der Bedeutung des Begriffes
"ganze Kirschen" gleichzusetzen. Auch bei einer Veränderung der Konsistenz der
Kirschen, etwa durch Zerkleinern, Zerquetschen oder Hitzeeinwirkung, kann man
in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch noch von "Kirschen"
sprechen. Davon abzugrenzen sind Erzeugnisse, die nur zu einem Teil aus
Kirschen bestehen, bei deren Herstellung den Kirschen also wesentliche andere
Bestandteile zugefügt werden. Eine Einschränkung des Anspruchs auf die
Produktionsbeihilfe auf ganze, in ihrer Konsistenz unveränderte Kirschen kann sich
deshalb nicht schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern könnte sich
allenfalls aus Regelungszweck und Systematik der einschlägigen Beihilferegelung
oder spezifischen Regeln der Begriffsbildung in diesem Beihilfesystem ergeben.
Die Regelungssystematik der Verordnung Nr. 516/77, insbesondere des Anhangs
Ia in der Fassung der Verordnung Nr. 1639/79, spricht eher dafür, den Begriff
"Kirschen" dahin auszulegen, daß er auch zerkleinerte, zerquetschte oder auf
andere Weise in ihrer Konsistenz veränderte Kirschen umfaßt. Die Verordnung Nr.
516/77 umschreibt die Erzeugnisse, die der Beihilferegelung unterliegen, im
Anhang Ia in zweierlei Weise, zum einen durch den Verweis auf die Nummer des
gemeinsamen Zolltarifs in der linken Spalte, zum anderen durch die Bezeichnung
des Erzeugnisses in der rechten Spalte, hier: "in Sirup haltbar gemachte Kirschen".
Bei einer solchen Regelungstechnik muß im Zweifel die Tragweite der Regelung
des GZT zugrunde gelegt werden, auf die die Beihilferegelung Bezug nimmt. Denn
mit der rechten Spalte des Anhangs Ia wird eine Auswahl aus allen unter die linke
Spalte, also die jeweilige Nummer des GZT fallenden Erzeugnissen getroffen. Das
ergibt sich aus dem lateinischen Wort "ex". Die rechte Spalte des Anhangs Ia ist
deshalb bei der Auslegung wie eine Ausnahmevorschrift zu behandeln. Das
bedeutet, daß ein Erzeugnis, das unter die entsprechende Nummer des GZT fällt,
nur dann nicht beihilfefähig ist, wenn es durch die in der rechten Spalte enthaltene
Bezeichnung eindeutig von der Beihilfe ausgeschlossen wird. Wie oben ausgeführt,
sind "Früchte" im Sinne der Nr. 20.06 B des GZT auch zerkleinerte Früchte. Der
Begriff "Kirschen" in der rechten Spalte des Anhangs Ia bezeichnet zwar eine
bestimmte Art von Früchten, hinsichtlich der Frage, ob die Regelung auch für
zerkleinerte oder in anderer Weise in ihrer Konsistenz veränderte Früchte gilt,
weicht er aber nicht erkennbar von der Regelung des GZT ab.
Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich weder aus der Grundverordnung
des Rates Nr. 516/77 noch aus der Durchführungsverordnung der Kommission Nr.
1530/78. Allenfalls läßt sich bezweifeln, ob die Einbeziehung eines Erzeugnisses wie
der Kirsch-Dessert-Soße der Klägerin in die Beihilferegelung angesichts der für
dieses Erzeugnis bestehenden Marktlage gemessen an den grundlegenden Zielen
der Beihilferegelung sinnvoll ist. Wenn man dies verneint, führt das jedoch nicht für
sich allein dazu, daß der Begriff "Kirschen" im Sinne des Anhangs Ia der
Verordnung Nr. 516/77 einschränkend dahingehend ausgelegt werden könnte, daß
er ein solches Erzeugnis nicht umfaßt.
Einer abschließenden Entscheidung dieser Frage bedarf es jedoch nicht.
Offenbleiben kann auch, ob es sich bei dem Erzeugnis der Klägerin um "in Zucker
zubereitetes und in Sirup eingelegtes Obst" im Sinne des Art. 2a der VO (EWG) Nr.
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zubereitetes und in Sirup eingelegtes Obst" im Sinne des Art. 2a der VO (EWG) Nr.
1530/78 der Kommission in der Fassung der VO (EWG) Nr. 1654/80 der
Kommission vom 27. Juni 1980 (ABl. EG Nr. L 163 vom 28. Juni 1980, S. 47)
handelt, und ob die dadurch gegebene einschränkende Regelung der
Beihilfevoraussetzungen in einer Durchführungsbestimmung der Kommission
zulässig ist.
Denn auch wenn ein Anspruch der Klägerin auf die Produktionsbeihilfe für ihre
Kirsch-Dessert-Soße nicht bestanden hätte, steht einer Aufhebung des
Bewilligungsbescheids vom 6. November 1981 jedenfalls der Vertrauensschutz
entgegen, der der Klägerin gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG zu gewähren ist. Das
Gemeinschaftsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die für
den Ausschluß einer Rückforderung von zu Unrecht empfangenen Beihilfen auf
Kriterien wie den Vertrauensschutz oder den Wegfall der Bereicherung abstellen
(vgl. EuGH, U. v. 12.06.1980 - Rs 119 und 126/76 -, NJW 1981, 510; U. v.
21.09.1983 - Rs 205 - 215/82 -, Sammlung 1983, 2633; BVerwG, U. v. 14.08.1986 -
3 C 9.85 -, BVerwGE 74, 357; Hess. VGH, Ue. v. 09.09.1991 - 8 UE 1097/85 - u. v.
23.09.1991 - 8 UE 657/85 -). Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 der Obst-
Produktionsbeihilfen-Verordnung, nach der zu Unrecht empfangene Beihilfen
zurückzuzahlen sind, schließt zwar das Ermessen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG), nicht
aber den Vertrauensschutz (§ 48 Abs. 2 VwVfG) aus (vgl. BVerwG, U. v.
14.08.1986, a.a.O., Hess. VGH, U. v. 09.09.1991 - 8 UE 1097/85 - zu
entsprechenden Vorschriften in anderen Beihilferegelungen). Die grundsätzlichen
Einwendungen, die die Beklagte auch im Berufungsverfahren gegen die
Berücksichtigung des Vertrauensschutzes zugunsten der Klägerin vorgetragen
hat, sind danach nicht berechtigt.
Die Klägerin hat auf den Bestand des Bewilligungsbescheids der Beklagten vom 6.
November 1981 vertraut. Dieses Vertrauen ist auch unter Abwägung mit dem
öffentlichen Interesse an einer Rücknahme bei unterstellter Rechtswidrigkeit der
Beihilfengewährung schutzwürdig (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG).
Die Beklagte hat die Beihilfe aufgrund einer sorgfältigen Prüfung, auf der
Grundlage einer verbindlichen Zolltarifauskunft, ergänzender Angaben der Klägerin
zum Herstellungsverfahren und nach Einschaltung des zuständigen
Bundesministeriums bewilligt. Daß die Beklagte die Beihilfefähigkeit des
Erzeugnisses besonders sorgfältig geprüft hat, steht der Schutzwürdigkeit des
Vertrauens der Klägerin nicht entgegen. Die Klägerin durfte sich im Gegenteil
gerade wegen der sorgfältigen Prüfung der Beihilfevoraussetzungen durch die
Beklagte darauf verlassen, daß vor allem die in die Prüfung einbezogenen
Gesichtspunkte von der Behörde abschließend gewürdigt worden sind. Dagegen
kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, die Klägerin habe mit der Möglichkeit
einer Beanstandung der Beihilfepraxis durch die Kommission rechnen können.
Stellungnahmen der Kommission befreien die Beklagte nicht von der eigenen
Prüfung und Entscheidung. Die Beklagte hat die Beihilfen auch nicht etwa unter
dem Vorbehalt der Zustimmung der Kommission bewilligt. Der Umstand, auf den
sich die Beklagte nunmehr zur Begründung für die Rücknahme der
Beihilfenbewilligung beruft, die Konsistenz des Erzeugnisses als fließfähige Soße,
war der Beklagten von Anfang an bekannt. Die Beklagte hat selbst erst aufgrund
des Schreibens der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Juli
1982 an das Bundesministerium, also mehr als ein halbes Jahr nach Ergehen des
Bewilligungsbescheides, die dort geäußerten Bedenken wegen der Konsistenz des
Erzeugnisses aufgegriffen. Es ist nicht ersichtlich, daß die Beklagte die Klägerin vor
oder bei der Bewilligung jemals auf ungeklärte Zweifelsfragen wegen dieses
Umstandes hingewiesen hätte.
Zugunsten der Klägerin greift hier auch die Regelvermutung des § 48 Abs. 2 Satz 1
VwVfG ein. Daß die Klägerin über die erst im November 1981, also lange Zeit nach
der Herstellung der Kirsch- Dessert-Soße, bewilligte Beihilfe im Zeitpunkt des
Rücknahmebescheids vom 3. November 1982 bereits disponiert hatte, ist nach
dem entsprechenden Vortrag der Klägerin nicht zu bezweifeln und wird auch nicht
von der Beklagten angezweifelt. Diese Dispositionen können auch nicht mehr oder
könnten jedenfalls nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht
werden.
Das von der Beklagte geltend gemachte Interesse an einer möglichst einheitlichen
Rechtsanwendung der Beihilfevorschriften in den EG-Ländern steht dem
Vertrauensschutz nicht entgegen, zumal der Vertrauensschutz Bestandteil aller
nationalen Rechtsordnungen und des EG-Rechts ist.
41 Die Klägerin hat weder falsche Angaben gemacht, noch liegt sonst einer der
Tatbestände vor, die zum Ausschluß des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2
Satz 3 VwVfG führen würden. Der Klägerin kann keinesfalls vorgeworfen werden,
daß sie die Rechtswidrigkeit der Beihilfegewährung grob fahrlässig nicht erkannt
habe (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG), weil ihr schon bei einer Bewertung in der
Laiensphäre habe klar sein müssen, daß die Beihilfe nach ihrem Sinn und Zweck
nur für Kompottkirschen gedacht sei. Die Frage, ob die Kirsch-Dessert-Soße der
Klägerin nach den geltenden Vorschriften beihilfefähig war, ist, wie oben dargelegt,
zumindest nicht eindeutig und offensichtlich zu verneinen. Es läßt sich nicht einmal
feststellen, daß die Abgrenzung des Kreises der beihilfefähigen Erzeugnisse von
den Motiven des Beihilfesystems her so eindeutig erkennbar gewesen wäre, wie
dies die Beklagte meint. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, verstößt ein
Wirtschaftsteilnehmer, der sich trotz ihm bekannter Zweifel an der
Zweckmäßigkeit einer Beihilferegelung auf die getroffene Beihilferegelung beruft
und mit zutreffenden Angaben über sein Erzeugnis eine Beihilfe beantragt hat,
nicht gegen Sorgfaltspflichten, wenn er von der Rechtmäßigkeit der ihm auf dieser
Grundlage bewilligten Beihilfe ausgeht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.