Urteil des HessVGH vom 02.10.1989

VGH Kassel: gaststätte, öffentliches interesse, bedürfnis, unbestimmter rechtsbegriff, musik, besucher, behörde, schichtdienst, landrat, meinung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 UE 2362/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 18 Abs 1 S 2 GastG vom
16.12.1986, § 1 Abs 1
SperrzeitV HE, § 4
SperrzeitV HE, § 18 Abs 1 S
1 GastG vom 16.12.1986
(Verkürzung der Sperrzeit für eine Gaststätte)
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verkürzung der Sperrzeit für seine in K in einem früheren
Bahnhofsgebäude zwischen dem Bahnkörper und der stark befahrenen
Bundesstraße ... untergebrachte Gaststätte.
Der Landrat des Landkreises W lehnte den Antrag des Klägers vom 26. November
1984, den Sperrzeitbeginn in den Nächten von Freitag auf Samstag und von
Samstag auf Sonntag auf 3.00 Uhr festzusetzen, mit Bescheid vom 6. Dezember
1984 ab.
Der Regierungspräsident in K wies den dagegen am 13. Dezember 1984
eingelegten Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1985 im
wesentlichen mit der Begründung zurück, die gesetzlichen Voraussetzungen für
eine Sperrzeitverkürzung lägen nicht vor; insbesondere sei ein öffentliches
Bedürfnis für die Verkürzung der Sperrzeit zu verneinen.
Am 18. März 1985 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Kassel Klage
erhoben mit dem Antrag,
den Bescheid des Landrates des Landkreises W vom 6. Dezember 1984 und
den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten in K vom 18. Februar 1985
aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn -- den Kläger -- auf seinen
Antrag vom 26. November 1984 unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte hat mit näherer Begründung beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat durch Vernehmung von zwei Zeugen Beweis darüber
erhoben, ob ein Bedürfnis für eine Verkürzung der Sperrzeit besteht, und sodann
durch das am 25. August 1987 beratene Urteil der Klage entsprochen. Zur
Begründung hat das Verwaltungsgericht im wesentlichen ausgeführt, das hier zu
bejahende öffentliche Interesse an einer Verkürzung der allgemeinen Sperrzeit im
vorliegenden Einzelfall überwiege dasjenige öffentliche Interesse, dem die
allgemeine Sperrzeit des § 1 SperrzeitVO zu dienen bestimmt sei. Das
überwiegende öffentliche Interesse bestehe darin, Bevölkerungsteilen die
Möglichkeit zu geben, ihrem Bedürfnis nach Geselligkeit zu später Stunde in einem
Lokal besonderer Prägung in ruhiger Atmosphäre nachzugehen.
Gegen das ihm am 5. Mai 1988 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 3. Juni 1988
Berufung eingelegt. Er trägt im wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe das
Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verkürzung der Sperrzeit für den
Gaststättenbetrieb des Klägers zu Unrecht bejaht. Die dafür im Urteil genannten
Gründe erschienen zumindest teilweise unzutreffend und widersprächen im
Ergebnis der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September
1976. Hiernach sei eine Sperrzeitverkürzung nur ausnahmsweise in atypischen
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1976. Hiernach sei eine Sperrzeitverkürzung nur ausnahmsweise in atypischen
Fällen zulässig. Bei der Gaststätte des Klägers handele es sich aber offensichtlich
nur um eine ganz normale Schankwirtschaft, die sich in dem eher ländlich
strukturierten Ker Stadtteil L befinde. Deshalb sei vorliegend ein atypischer Fall
eindeutig zu verneinen. Die außerhalb der geschlossenen Ortslage befindliche und
etwa 6 km von der Kernstadt K liegende Gaststätte des Klägers, die von den
Gästen nur mittels Kraftfahrzeugen aufgesucht werden könne, sei aufgrund der
einschlägigen Rechtsprechung grundsätzlich für die Sperrzeitverkürzung nicht
prädestiniert. Es könne schon der Feststellung des Verwaltungsgerichts nicht
gefolgt werden, eine zu schließende Bedarfslücke sei gegeben, denn die
durchschnittliche Besucherzahl der Gaststätte sei dafür nicht hoch genug.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das für ihn günstige, erstinstanzliche Urteil und trägt vor, bei seiner
etwa 3 km zum Dorf (L) und etwa 4-5 km zum Zentrum von K gelegenen
Gaststätte handele es sich vom Besucherkreis her keineswegs um eine normale
Schankwirtschaft, sondern um den Treffpunkt eines größeren Kreises besonderer
Gaststättenbesucher, die ihre besonderen Bedürfnisse nach Unterhaltung,
Gedankenaustausch und Gesellschaftsspiel wie Schach oder ähnlichem
üblicherweise erst in den späteren Abendstunden stillten. Zur Befriedigung dieses
Bedürfnisses sei eine Sperrzeitverkürzung im öffentlichen Interesse geboten. In
den frühen Abendstunden sei der Besucherkreis regelmäßig wegen familiärer
Pflichten noch verhindert, eine Gaststätte aufzusuchen, da es sich bei den
Besuchern zu einem erheblichen Teil um Wochenendheimkehrer vom Studien-
oder Wehrdienstort handele. Im übrigen kämen zu ihm im Schichtdienst bei den
Firmen C AG und M AG sowie in Pflegeberufen Beschäftigte. Viele Stammkunden
kämen von den näher als die Kernstadt K gelegenen Dörfern. Diese Besucher
seien tagsüber mit dem Vieh beschäftigt und könnten daher erst zu
fortgeschrittener Zeit in die Gaststätte kommen. Bei seiner Gaststätte handele es
sich um eine "ganz simple Kneipe", in der -- "wie üblich -- in erster Linie Bier"
ausgeschenkt werde; Mixgetränke und Säfte seien bei ihm aber auch zu haben.
Spirituosen schenke er kaum aus; er sei vielmehr "der größte Coca-Cola-
Abnehmer im Landkreis". Seine Gästen kämen teils mit dem Auto, Trunkenbolde
verkehrten bei ihm aber nicht. Bei einer gelegentlichen Straßenverkehrskontrolle
seien ca. 100 Autos der bei ihm verkehrenden Gäste angehalten nicht zu einer
einzigen Beanstandung Anlaß bestanden. In seiner Gaststätte könne man sich gut
unterhalten, weil er zwar moderne, aber nicht laute Musik biete. Wegen dieser
besonderen Atmosphäre sei unter seinen Stammkunden die Redewendung üblich,
man gehe zum "A", wenn seine Gaststätte gemeint sei. Andere Gaststätten seien
nicht in der Lage, dieses Bedürfnis zu erfüllen. In Diskothekenbetrieben seien die
von den Besuchern seiner Gaststätte gewünschten Gesprächsmöglichkeiten
wegen der dort lauten Musik und der üblichen Überfüllung nicht zu realisieren. Die
Interessenten fänden somit im Kreisgebiet keine vergleichbare Gaststätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der den
Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge (ein Hefter des Landrats des
Landkreises W), die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht
worden sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Urteil des Verwaltungsgerichts kann keinen Bestand haben und ist auf die
Berufung des Beklagten hin aufzuheben, denn die Klage hätte bereits in erster
Instanz abgewiesen werden müssen, weil schon die Voraussetzungen für eine
Sperrzeitverkürzung im Falle des Klägers nicht erfüllt werden, so daß es auf die
vom Verwaltungsgericht angestellten Überlegungen zur Ermessensausübung der
Behörde gar nicht ankommt.
Der Landrat hat die bei ihm beantragte Sperrzeitverkürzung aus Rechtsgründen
zutreffend abgelehnt, eine Ermessensentscheidung hatte er deshalb nicht mehr
zu fällen.
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Nach § 18 Abs. 1 des Gaststättengesetzes -- GastG -- vom 5. Mai 1970 (BGBl. I S.
465, 1298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 1986 (BGBl. I S.
2441), i.V.m. § 1 Abs. 1 der hessischen Verordnung über die Sperrzeit
(SperrzeitVO) vom 19. April 1971 (GVBl. I S. 96) beginnt die Sperrzeit für Schank-
und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten um 1.00 Uhr und
endet um 6.00 Uhr.
Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG und § 4 SperrzeitVO kann die Sperrzeit bei
Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse
für einzelne Schank- und Speisewirtschaften sowie öffentliche Vergnügungsstätten
verlängert oder befristet und widerruflich verkürzt oder aufgehoben werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts
(U. v. 23. September 1976, I C 7.75, DÖV 1977, 405 = GewArch 1977, 24 =
VerwRspr Bd. 28, 992) und des erkennenden Senats, der sich der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen hat (zuletzt Ue. v. 2. Oktober
1989, 8 UE 68/86 u. 8 UE 3318/88), kommt der vorerwähnten Regelung folgende
Bedeutung zu:
Während der Sperrzeit dürfen die unter § 18 Abs. 1 GastG fallenden Betriebe
Leistungen nicht erbringen und in ihren Räumen Gäste nicht dulden. Diese
zeitliche Einschränkung der Berufsausübung dient zum Schutze der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung, insbesondere dem Schutz der Nachtruhe, der
Volksgesundheit, der Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs und dem Arbeitsschutz.
Die Vorschriften, die nach § 18 Abs. 1 GastG über die allgemeine Sperrzeit und
deren Verkürzung für einzelne Betriebe erlassen werden müssen, sind repressive
Verbote mit Ausnahmevorbehalt, nicht Verbote mit Erlaubnisvorbehalt. Während
also ein präventives Verbot der vorbeugenden Kontrolle durch die Behörde dient,
betrifft das repressive Verbot ein Verhalten, das der Gesetzgeber grundsätzlich als
sozialwidrig ansieht und nur in atypischen Fällen ausnahmsweise für erlaubnisfähig
hält (Mörtel, GastG, 4. Aufl., Rdnr. 5 zu § 18). Daher darf das Landesrecht eine
Verkürzung der normativ geregelten Sperrzeit nur ausnahmsweise, in atypischen
Fällen, vorsehen (Hess. VGH, Urteil vom 14. Dezember 1976, II OE 84/76, GewA
1977, 298). Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 GastG soll dem Rechnung tragen. Da die
nach Satz 1 festzusetzende allgemeine Sperrzeit auf Besonderheiten des
Einzelfalles keine Rücksicht nimmt, die Geltung der allgemeinen Regel unter
besonderen Umständen aber sachwidrig oder sogar sozialschädlich sein kann,
sieht Satz 2 Abweichungen hiervon vor. Unter den dort genannten
Voraussetzungen kann ein Abweichen von der normativen Regelung geradezu ein
Erfordernis sachgerechter Gestaltung der Sperrzeitregelung sein.
Die Entscheidung über das Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses im einzelnen
Fall erfordert die Feststellung von Tatsachen, welche die Annahme rechtfertigen,
daß die Leistungen des in Rede stehenden Betriebes während der allgemeinen
Sperrzeit in erheblichem Maße in Anspruch genommen werden. Aus der Sicht der
Allgemeinheit -- nicht aus der des an einer Verkürzung interessierten
Gewerbetreibenden oder Veranstalters -- muß eine Bedarfslücke bestehen. Die
schlichte tatsächliche Feststellung eines Bedarfs genügt für die Anerkennung eines
öffentlichen Bedürfnisses im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG indessen nicht.
Öffentliches Bedürfnis im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG ist ein auf den
Bedarf bezogenes öffentliches Interesse. An der erstrebten individuellen
Verkürzung der allgemeinen Sperrzeit muß daher ein öffentliches Interesse
bestehen: Es müssen hinreichende Gründe vorliegen, die ein Abweichen von der
Regel im Interesse der Allgemeinheit rechtfertigen (BVerwG, B. v. 13. April 1961,
BVerwG VII B 19.59, GewArch 1962, 11). Ein öffentliches Bedürfnis für eine
Verkürzung der Sperrzeit liegt daher nicht vor, wenn zwar tatsächlich ein Bedarf
vorhanden ist, seine Befriedigung aber nicht im Einklang mit der Rechtsordnung
oder anderen von der Verwaltung zu wahrenden öffentlichen Belangen stünde,
also dem Gemeinwohl zuwiderliefe (vgl. Schwerdtner, Die Vergnügungsstätten im
Spannungsfeld zwischen Individualinteressen und Gemeinwohl, GewA 1988, 110).
Außerdem muß das öffentliche Interesse an einer Verkürzung der Sperrzeit im
einzelnen Fall das öffentliche Interesse überwiegen, dem die allgemeine Sperrzeit
zu dienen bestimmt ist. Bei Abwägung widerstreitender öffentlicher Interessen ist
zu berücksichtigen, daß § 18 Abs. 1 GastG davon ausgeht, das Bedürfnis der
Allgemeinheit für Bewirtung und Aufenthalt in Schank- und Speisewirtschaften
sowie Vergnügungsstätten könne in aller Regel bis zum Beginn der allgemein
festgesetzten Sperrzeit befriedigt werden.
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Erst wenn die vorstehend aufgezeigten tatbestandlichen Voraussetzungen
gegeben sind, steht für die Behörde überhaupt eine allerdings von ihr zu treffende
Ermessensentscheidung heran (Hess. VGH, Urteil vom 5. Juli 1967, II OE 37/67,
Hess. VG Rspr. 1967, 89). Andernfalls ist ein Antrag auf Sperrzeitverkürzung
bereits aus Rechtsgründen abzulehnen. So liegt der Fall hier, was das
Verwaltungsgericht indessen verkannt hat.
Das Verwaltungsgericht ist aufgrund einer von ihm durchgeführten
Beweisaufnahme zum Ergebnis gelangt, die in der Gaststätte des Klägers
gebotenen Leistungen würden während der allgemeinen Sperrzeit in erheblichem
Maße in Anspruch genommen, so daß aus der Sicht der Allgemeinheit eine
Bedarfslücke bestehe. Der Beklagte hegt bereits an diesem Ergebnis ganz
erhebliche Zweifel, indem er u.a. darauf hinweist, es habe sich gezeigt, daß zu
Beginn der Sperrzeit nur noch etwa ein Drittel der durchschnittlich sonst in der
Gaststätte des Klägers anwesenden Besucher dort seien. Von einer erheblichen
Inanspruchnahme könne daher keinesfalls die Rede sein.
Es kann hier dahinstehen, ob eine vom Verwaltungsgericht bejahte, vom
Beklagten indes sehr in Zweifel gezogene Bedarfslücke bzw. erhebliche
Inanspruchnahme der in der Gaststätte des Klägers gebotenen Leistungen
besteht. Denn ein öffentliches Bedürfnis ist im vorliegenden Falle schon aus
anderen Gründen nicht gegeben. Es liegen nämlich im Falle des Klägers keine
hinreichenden Gründe vor, die ein Abweichen von der Regel, daß Schank- und
Speisewirtschaften um 1.00 Uhr zu schließen haben, im Interesse der
Allgemeinheit rechtfertigen, was vom erkennenden Senat zu beurteilen war, weil
nämlich das öffentliche Bedürfnis im Sinne der oben mitgeteilten Rechtsprechung
ein gerichtlich vollinhaltlich überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff ohne
Beurteilungsspielraum ist (Michel/Kienzle, Das Gaststättengesetz, 9. Aufl., Rdnr. 11
zu § 18 unter Bezug auf OVG Münster GewArch 1972, 195 u. VGH Mannheim
GewArch 1967, 179, sowie Mörtel, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 18).
Bei der von dem Kläger betriebenen Gaststätte und den darin gebotenen
Leistungen handelt es sich nicht um einen jener atypischen Fälle, die nicht von der
generellen und normativen Regelung erfaßt sind. Denn Besucherkreis und
Charakter der Gaststätte weichen vom Regelfall nicht in einem solchen Maße ab,
daß dies eine längere Öffnungszeit rechtfertigt. Die Gaststätte des Klägers
unterscheidet sich -- abgesehen von hier nicht ausschlaggebenden Kleinigkeiten --
nicht von all jenen Schank- und Speisewirtschaften, für die die allgemeine Regel
gilt, wie diese in den vorgenannten Normen des Gaststättengesetzes und der
SperrzeitVO enthalten ist, daß nämlich die Sperrzeit um 1.00 Uhr beginnt, weil --
wie schon ausgeführt -- das Bedürfnis der Allgemeinheit für Bewirtung und
Aufenthalt in diesen Gaststätten in aller Regel bis zu diesem Zeitpunkt befriedigt
werden kann.
Der Kläger selbst hat im Termin vom 2. Oktober 1989, ohne daß ihm diese
Erklärung etwa sozusagen in den Mund gelegt worden wäre, gesagt, bei seiner
Gaststätte handele es sich um eine "ganz simple Kneipe", in der "wie üblich in
erster Linie Bier" ausgeschenkt werde. Insofern unterscheidet sich die hier in Rede
stehende Gaststätte also schon nach der eigenen Meinung des Klägers von den
meisten anderen Gaststätten nicht. Aber auch sonst bestehen im Gegensatz zur
Ansicht des Klägers keine Anhaltspunkte für eine begründete Annahme eines
atypischen Falles.
Die Gaststätte des Klägers liegt im Außenbereich der Stadt K und etwas näher zu
benachbarten Dörfern, mithin sozusagen auf dem flachen Lande. Die Gaststätte
ist wie alle anderen Gaststätten eingerichtet. In ihr können Speisen und Getränke
verzehrt, Billard und Brettspiele (z.B. Schach) gespielt, gelesen, Musik gehört und
sich unterhalten werden. All dies unterscheidet die Gaststätte des Klägers
ebenfalls nicht von den zahlreichen sonstigen Gaststätten, für welche die Sperrzeit
um 1.00 Uhr beginnt.
Die Tatsache, daß moderne Musik gerade so laut dargeboten wird, daß das
Gespräch der Gäste möglich bleibt und die Gäste sich demgemäß vorwiegend
unterhaltend in der Gaststätte aufhalten, hebt die Gaststätte des Klägers nicht so
gewichtig von den übrigen Gaststätten ab, daß infolgedessen ein hier atypischer
Fall angenommen werden könnte. Denn im Regelfall herrscht in Gaststätten nicht
eine Musiklautstärke, die ein Unterhalten unmöglich macht oder erschwert.
Vielmehr gibt es erfahrungsgemäß eine ganze Fülle von Gaststätten, in denen
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Vielmehr gibt es erfahrungsgemäß eine ganze Fülle von Gaststätten, in denen
man sich genauso wie in der Gaststätte des Klägers bei gedämpft dargebotener
moderner Musik unterhalten kann. Die Gaststätte des Klägers macht darin nicht
die vom Kläger behauptete Ausnahme. Dies gilt auch für die Gaststättenbesucher.
Diese sind, wie der Kläger für seine Gaststätte angab, in der Regel zwischen 18
und 35 Jahre alt, und infolgedessen nicht so jugendlich wie die Besucher von
Diskotheken. Es muß daher bezweifelt werden, daß die Besucher der Gaststätte in
dem Maße an einem Verweilen in der Gaststätte über 1.00 Uhr hinaus interessiert
sind, wie dies etwa in Diskotheken regelmäßig der Fall ist (vgl. dazu die beiden
Entscheidungen des Senats vom gleichen Tage). Dem entspricht die Beobachtung
des Beklagten, daß zu Beginn der Sperrzeit nur noch etwa ein Drittel der
durchschnittlich anwesenden Besucher in der Gaststätte ist. Selbst sogenannte
Wochenendheimfahrer und im Schichtdienst Beschäftigte, die angeblich erst nach
22.00 Uhr in die Gaststätte kommen können, haben bis zum Beginn der Sperrzeit
um 1.00 Uhr noch drei Stunden Gelegenheit, sich ausgiebig zu unterhalten. Sie
gehören zu einem Besucherkreis, der regelmäßig auch in anderen Gaststätten
anzutreffen ist, denn Wochenendheimfahrer und im Schichtdienst Beschäftigte
gibt es nicht nur im Einzugsbereich der Gaststätte des Klägers. Auch insoweit liegt
hier nicht ein atypischer Fall vor, der im Gegensatz zu der normativ
vorgenommenen Regelung eine Einzelfallentscheidung deshalb erfordert, weil die
Geltung der allgemeinen Regel unter den hier nach Meinung des Klägers
besonderen Umständen sachwidrig sei.
Der Kläger selbst, der im Termin vor dem Senat am 2. Oktober 1989 als recht
ruhiger und besonnener Gastwirt mit gleichsam väterlicher Ausstrahlung
aufgetreten ist, mag der von ihm fast ausschließlich allein betriebenen Gaststätte
zwar ein gewisses Gepräge verleihen, so daß die Stammkunden des Klägers, wenn
sie zu dessen Gaststätte wollen, regelmäßig erklären, sie wollten zum "A". Es mag
durchaus sein, daß der Kläger durch seine persönliche Ausstrahlung und durch die
besondere Art seines Umgangs mit seinen Gästen seiner Gaststätte zu einem
Anziehungspunkt gemacht hat. Auch diese Umstände rechtfertigen jedoch nicht
die Durchbrechung der normativ getroffenen Regelung.
Da mithin -- abgesehen davon, ob überhaupt ein Bedarf besteht, die Gaststätte
des Klägers über die allgemeine Sperrzeit hinaus offenzuhalten -- noch nicht
einmal -- wie dargelegt -- die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen für eine
Sperrzeitverkürzung vorliegen, war schon eine Ermessenentscheidung, wie vom
Verwaltungsgericht gefordert, für die Behörde keinesfalls geboten. Das
Verwaltungsgericht hätte sonach die Klage -- wie jetzt geschehen -- vielmehr
abweisen müssen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.