Urteil des HessVGH vom 16.07.2007

VGH Kassel: aufenthaltserlaubnis, unterbrechung, besitz, krankheit, behinderung, ausländerrecht, datum, verfügung, klagebegehren, anerkennung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 TP 1155/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 26 Abs 3 AufenthG, § 26
Abs 4 AufenthG, § 85
AufenthG, § 9 Abs 2 S 1 Nr
1 AufenthG
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Darmstadt vom 23. April 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf ihren
Asylantrag vom 18. August 1995 hin stellte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge aufgrund rechtskräftiger Verpflichtung durch das
Verwaltungsgericht mit Bescheid vom 22. Juli 2000 für die Klägerin
Abschiebungshindernisse nach § 51 AuslG fest. Am 8. August 2000 stellte die
Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG,
welche ihr unter dem Datum vom 10. August 2000 befristet bis zum 9. August
2002 erteilt wurde. Am 19. August 2002 beantragte die Klägerin die Verlängerung
der Aufenthaltsbefugnis, die mit Verfügung vom gleichen Tag bis zum 18. August
2004 erfolgte. Am 29. September 2004 beantragte die Klägerin die erneute
Verlängerung. Nachdem ihr zunächst eine Bescheinigung nach § 69 AuslG
ausgestellt wurde, verlängerte die Beklagte unter dem 22. März 2005 den
Aufenthaltstitel nunmehr als Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG bis
zum 27. September 2006. Bereits am 19. August 2005 hatte die Klägerin einen
Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gestellt. Diesen Antrag lehnte
die Beklagte durch Bescheid vom 6. September 2006 mit der Begründung ab, die
Klägerin erfülle weder die erforderlichen Zeiten des Besitzes einer
Aufenthaltserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG noch die erforderlichen
Besitzzeiten für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage des
§ 26 Abs. 4 AufenthG. Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und
Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens beantragt. Das
Verwaltungsgericht lehnte den Prozesskostenhilfeantrag ab.
II.
Die Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg, weil derzeit nicht erkennbar ist,
dass das auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gerichtete Klagebegehren
hinreichende Erfolgsaussichten hat (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).
Dies ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten und des
Verwaltungsgerichts nicht bereits daraus, dass die für die Anwendung des § 26
Abs. 4 AufenthG erforderlichen Besitzzeiten einer Niederlassungserlaubnis zum
Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 19. August
2005 nicht erfüllt waren. Vielmehr dürfte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt mehr
als neuneinhalb Jahre anrechenbare Zeiten aufzuweisen haben. Die Auffassung,
diejenigen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis würden für die
Berechnung entfallen, die vor einer Unterbrechung des Besitzes etwa aufgrund
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Berechnung entfallen, die vor einer Unterbrechung des Besitzes etwa aufgrund
verspäteter Antragstellung liegen, erscheint nicht zutreffend. Vielmehr spricht
Überwiegendes dafür, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und
der Beklagten in solchen Situationen § 85 AufenthG dergestalt angewendet
werden kann, dass die Zeit der Unterbrechung nicht auf die Zeit des Besitzes
angerechnet wird, vorangegangene Besitzzeiten aber berücksichtigungsfähig
bleiben (für Anwendbarkeit von § 85 AufenthG Jakober/Welte, Aktuelles
Ausländerrecht, § 26 AufenthG Rdnr. 20 und zur entsprechenden Problematik bei §
9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG: § 9 Rdnr. 28; Hailbronner, Ausländerrecht, § 26
AufenthG Rdnr. 18 und § 9 Rdnr. 9; a.A. VG Hamburg, Urteil vom 17.02.1998 - 10
VG 249/97 - juris, zu den Vorgängervorschriften der §§ 35, 97 AuslG).
Der Zweck des § 26 Abs. 4 AufenthG besteht - ebenso wie etwa das Erfordernis
nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG - darin, nach langjährigem legalem Aufenthalt die
Möglichkeit einer Aufenthaltsverfestigung zu eröffnen (siehe Jakober/Welte, a.a.O.,
Rdnr. 19) und dieser Zweck entfällt nicht durch kurze Unterbrechungen, die durch -
etwa versehentlich - geringfügig verspätete Beantragung einer Verlängerung
entstehen. Dieser Sichtweise steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der
Gesetzgeber in § 26 Abs. 4 AufenthG - ebenso wie in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AufenthG - ausdrücklich auf den Besitz eines Aufenthaltstitels und nicht auf die
Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abstellt. Denn durch die Anwendung des § 85
AufenthG in der beschriebenen Weise werden nicht Zeiten ohne Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis auf die erforderlichen Wartefristen angerechnet, sondern es
werden Unbilligkeiten vermieden, die sich ansonsten bei formalen
Nachlässigkeiten des Ausländers ergeben würden. Auf die Bereinigung von
geringfügigen Ordnungsverstößen ist aber die Vorschrift des § 85 AufenthG gerade
zugeschnitten. Die Anwendung des § 85 AufenthG auf die Situation der hiesigen
Klägerin ist schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Vorschrift erst am 1.
Januar 2005 in Kraft getreten ist. Vorher galt nämlich die gleichlautende
Vorgängervorschrift des § 97 AuslG.
Bei Anwendung des § 85 AufenthG (siehe dazu, dass es sich vorliegend
wahrscheinlich um Bagatellunterbrechungen mit der Folge der Tendenz zu einer
Ermessensreduktion auf Null gehandelt hat, Nr. 85.1 der Vorläufigen
Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz und Jakober/Welte, a.a.O., § 85 Rdnr.
13) wird die Zeit des Asylverfahrens von 1995 bis 2000 gemäß § 26 Abs. 4 Satz 3
AufenthG angerechnet; die Anrechnung der Zeit des Besitzes einer
Aufenthaltsbefugnis vom 10. August 2000 bis zum 9. August 2002 und vom 19.
August 2002 bis zum 18. August 2004 ergibt sich aus § 102 Abs. 2 AufenthG.
Anrechnungsfähig ist schließlich die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 AufenthG im Jahre 2005 und die davorliegende Zeit einer Bescheinigung
nach § 69 AuslG (s. zu letzterem VGH Mannheim, Beschluss vom 29.05.2007 - 11
S 2093/06 - juris Rdnr. 8; Jakober/Welte, a.a.O., § 26 AufenthG Rdnr. 22).
Gleichwohl ist derzeit nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen für die Erteilung
einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG vollständig vorliegen.
Gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG müssen die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9
bezeichneten Voraussetzungen gegeben sein, wobei § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6
entsprechend gilt. Gemäß § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist die Klägerin zwar von
den Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 8 befreit und hinsichtlich
der deutschen Sprachkenntnisse gelten gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für
sie herabgesetzte Anforderungen. Es kann jedoch nicht prognostiziert werden,
dass der Lebensunterhalt gesichert ist oder angenommen werden, dass die
Klägerin von der Erfüllung dieser Voraussetzung wegen einer körperlichen,
geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung suspendiert ist (§ 9 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 6 und Satz 3 AufenthG). Vielmehr deuten die
vorgelegten Belege zum Prozesskostenhilfeantrag darauf hin, dass der
Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert ist. Entgegen der Auffassung der
Klägerin kann von diesem gesetzlichen Erfordernis auch nicht pauschal unter
Hinweis auf ihr Alter abgesehen werden. Vielmehr muss für eine Abweichung im
Einzelfall eine körperliche, geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung
maßgebend sein, die auch altersbedingt sein kann und eine Sondersituation im
Einzelfall darstellt (siehe Jakober/Welte, a.a.O., § 26 Rdnr. 27). Die Nachweise
hierfür hat die Klägerin zu führen (§ 82 Abs. 1 AufenthG).
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, die nicht
die Sicherstellung des Lebensunterhalts voraussetzt, kann derzeit noch nicht
begehrt werden. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzung, seit drei Jahren eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG zu besitzen, noch nicht. In
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Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG zu besitzen, noch nicht. In
diesem Zusammenhang hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass sich
aus dem Umkehrschluss zu § 102 Abs. 2 AufenthG ergibt, dass Zeiten des
Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis vor dem 1. Januar 2005 im Falle des § 26 Abs. 3
AufenthG nicht angerechnet werden können. Der Gesetzgeber hat die
aufenthaltsrechtliche Besserstellung von Konventionsflüchtlingen erst mit dem
Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes verwirklicht und deshalb kann die
Anrechnung früherer Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis nach dem
Willen des Gesetzgebers nicht erfolgen (siehe Jakober/Welte, a.a.O., Rdnr. 14;
ferner so auch BayVGH, 30.03.2007 - 24 CS 06.856 - juris Rdnr. 12; Hess. VGH,
20.12.2006 - 9 TP 2959/06 -; VG Schleswig, 05.10.2006 - 7 A 27/06 - juris).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 154
Abs. 2 VwGO; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m.
§ 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.