Urteil des HessVGH vom 16.01.2007

VGH Kassel: treu und glauben, adäquate gegenleistung, aufschiebende wirkung, stundung, miteigentümer, erblasser, formmangel, zusicherung, grundstück, beitragspflicht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TG 2648/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 71 Abs 2 GemO HE, § 80
VwGO, § 123 Abs 1 VwGO,
§ 242 BGB
Vereinbarung zwischen einer Gemeinde und dem
Miteigentümer eines Grundstücks über die Heranziehung
zu einem Abwasserbeitrag.
Gründe
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihren in erster Instanz erfolglosen
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die
Heranziehung zu einem Abwasserbeitrag für die Schaffung der betriebsbereit fertig
gestellten Abwasseranlage für das Grundstück Gemarkung Rothemann, Flur ...,
Flurstücke ...., im Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2005 weiter.
Ihre Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Der Senat hat unter
Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren allein zu prüfenden
Beschwerdegründe der Antragsteller (§ 146 Abs. 4 Satz 6
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheids, die es nach der im einstweiligen
Rechtschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 entsprechend anzuwendenden Vorschrift
des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO rechtfertigen, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs anzuordnen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, nach
Durchführung der Kanalverlegungsarbeiten im Bereich "... straße" sei für das
streitgegenständliche Grundstück die erstmalige Anschlussmöglichkeit geschaffen
worden, so dass die Antragsteller als Erben des Herrn Edgar A., die im Zeitpunkt
der Bekanntgabe der Beitragsbescheide Miteigentümer des Grundstücks gewesen
seien, die Beitragspflicht treffe. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Heranziehungsbescheide ergäben sich auch nicht aus der zwischen dem Erblasser
und der Gemeinde A-Stadt, vertreten durch den damaligen Bürgermeister,
geschlossenen Vereinbarung vom 26. Juni 1973, die in ihrem letzten Absatz wie
folgt lautet:
"Die Gemeinde wird von Edgar A. erst zum Zeitpunkt der Veräußerung
beziehungsweise Bebauung der Grundstücke Erschließungskosten und
Anliegerbeiträge erheben, und zwar dann wenn er die Grundstücke selbst bebaut.
Ein Zwang auf Bebauung wird nicht ausgeübt."
Dieser Passus enthalte keine Stundungsvereinbarung, weil im Zeitpunkt des
Abschlusses dieser Vereinbarung ein Abgabenschuldverhältnis noch nicht
begründet worden sei. Bei dieser für die Gemeinde abgegebenen Erklärung
handele es sich vielmehr um einen unbefristeten Vorausverzicht auf die Erhebung
von Erschließungs- und Anliegerbeiträgen unter der auflösenden Bedingung der
Veräußerung oder eigenen Bebauung der Grundstücke im Flurstück …. der Flur …,
der indes nichtig und daher beitragsrechtlich unwirksam sei. Die Erklärung der
Gemeinde habe nicht den vertretungsrechtlichen Anforderungen des § 71 Abs. 2
Hessische Gemeindeordnung - HGO - entsprochen, so dass dieser Verstoß zwar
nicht unmittelbar zur Nichtigkeit (analog § 59 Abs. 1 HessVwVfG in Verbindung mit
§ 134 BGB) der gemeindlichen Verpflichtungserklärung, aber zu deren
schwebender Unwirksamkeit (analog § 59 Abs. 1 HessVwVfG in Verbindung mit §
177 Abs. 1 BGB) führe. Eine Heilung dieses Mangels durch einen Beschluss des
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177 Abs. 1 BGB) führe. Eine Heilung dieses Mangels durch einen Beschluss des
allgemeinen Vertretungsorgans, das dieser Verpflichtungserklärung nachträglich
zustimme, sei aber weder von den Beteiligten vorgetragen worden noch sonst
ersichtlich. Im Übrigen stelle die vorliegende Vereinbarung eines auflösend
bedingten unbefristeten Vorausverzichts auf Erschließungs- und Anliegerbeiträge
als weitere Gegenleistung für eine Grundstücksübertragung eine inhaltlich
unzulässige und damit nichtige Vereinbarung dar, weil sie gemäß § 59 Abs. 1
HessVwVfG in Verbindung mit § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstoße.
Ein Abgabenverzicht entgegen der gesetzlich angeordneten
Beitragserhebungspflicht werde in der Rechtsprechung nur dann ausnahmsweise
für zulässig erachtet, wenn der Abgabenschuldner zugunsten des betreffenden
Abgabenhaushalts eine adäquate Gegenleistung erbringe, so dass der Charakter
einer Sonderregelung zu Lasten anderer Abgabenschuldner ausscheide. Davon
könne im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil im
Jahre 1973 die Höhe eines Abwasserbeitrags nach Schaffung eines
Kanalanschlusses noch völlig ungewiss und damit die Angemessenheit von
Leistung und Gegenleistung nicht feststellbar gewesen sei.
Die hiergegen von den Antragstellern vorgebrachten Einwände rechtfertigen nicht
die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Nicht gefolgt werden kann allerdings der Annahme des Verwaltungsgerichts, bei
der in Bezug genommenen Vereinbarung handele es sich um einen auflösend
bedingten Vorausverzicht auf die Erhebung von Erschließungs- und
Anliegerbeiträgen. Der Vereinbarung kann nicht der Wille der Gemeinde
entnommen werden, auf die Beitragserhebung überhaupt verzichten zu wollen. Bei
verständiger Würdigung der Vereinbarung schwebte den Beteiligten vielmehr vor,
nach dem Entstehen der Beitragspflicht die Zahlungsverpflichtung des Herrn
Edgar A. bis zur Veräußerung bzw. zur Bebauung der Grundstücke durch diesen
hinaus zu schieben, also den Beitrag zu stunden. Die Vereinbarung stellt aber
nicht selbst schon die Stundung dar, denn diese setzt - worauf das
Verwaltungsgericht zutreffend hinweist - das Bestehen eines
Abgabenschuldverhältnisses voraus. Dem entspricht es, die Vereinbarung als
Zusicherung einer Stundung zugunsten von Herrn Edgar A. aufzufassen. Vor dem
Hintergrund einer derartigen Zusicherung zugunsten des Herrn Edgar A.
persönlich können sich die Antragsteller als Erben des Herrn Edgar A. auf diese
Vereinbarung nicht berufen. Davon abgesehen wäre das Rechtsschutzbegehren im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit einem Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verfolgen, denn selbst das Bestehen
eines Anspruchs auf Stundung lässt die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides
unberührt.
Auf all dies kommt es aber letztlich nicht an, denn die in Bezug genommene
Vereinbarung berührt die Rechtmäßigkeit der Heranziehungsbescheide jedenfalls
deshalb nicht, weil sie - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist -
schwebend unwirksam ist, ohne dass eine Heilung eingetreten wäre. Zur weiteren
Begründung wird insoweit auf die Ausführungen (Blatt 3 - 6) des angefochtenen
Beschlusses Bezug genommen, die sich der Senat zu Eigen macht (§ 122 Abs. 2
S. 3 VwGO). Dagegen können die Antragsteller nicht mit Erfolg einwenden, die
Antragsgegnerin verstoße gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden
Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sie sich auf die Unwirksamkeit
dieser Vereinbarung berufe. Zwar ist dieser Einwand gegenüber einer Gemeinde,
die sich auf die Nichteinhaltung der Förmlichkeiten des § 71 Abs. 2 HGO beruft,
nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es
sich bei § 71 Abs. 2 HGO um eine Vertretungsregelung, mit der durch die Bindung
an eine bestimmte Form die Vertretungsmacht von Gemeindeorganen
eingeschränkt wird (dazu Senatsurteil vom 15. Februar 1996 - 5 UE 2836/95 -,
NVwZ 1997, 618 f.). Der das ganze Rechtsleben beherrschende Grundsatz von
Treu und Glauben gilt auch hier. Ebenso wie bei der Verletzung echter
Formvorschriften darf aber nicht jede allgemeine Billigkeitserwägung dazu führen,
einer Verpflichtungserklärung trotz Nichtbeachtung der förmlichen
Vertretungsregelungen bindende Wirkung zu verleihen. Nur unter sehr engen
Voraussetzungen, so wenn die Nichtigkeitsfolgen für den Vertragsgegner zu
schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen würden und ein notwendiger
Ausgleich mit anderen rechtlichen Mitteln nicht zu erzielen ist, kann es geboten
sein, die Gemeinde an die Verpflichtungserklärung zu binden und ihr die Berufung
auf deren Unwirksamkeit als Verstoß gegen Treu und Glauben zu versagen (BGH,
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auf deren Unwirksamkeit als Verstoß gegen Treu und Glauben zu versagen (BGH,
Urteile vom 13. Oktober 1983 - III ZR 158/82 -, NJW 1984, 606 = DVBl 1984, 335 =
DÖV 1984, 294). Dafür ist hier – nach den von der Rechtsprechung der
ordentlichen Gerichte entwickelten Grundsätzen, die sich der Senat zu Eigen
macht – nichts ersichtlich. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben
(§ 242 BGB) kommt in Betracht, wenn eine Partei arglistig die Wahrung der Form
schuldhaft vereitelt, um sich später auf die Formnichtigkeit zu berufen. Nicht
ausreichend ist in diesem Zusammenhang, dass eine Partei den Formmangel
schuldhaft, aber nicht arglistig verursacht hat (BGH, Urteile vom 21. Januar 1965 -
V ZR 53/64 -, NJW 1965, 812 und vom 21. März 1969 - V ZR 87/67 -, NJW 1969,1
1167). Anhaltspunkte für ein arglistiges Verhalten des Bürgermeisters bei dem
Abschluss der Vereinbarung im Jahre 1973 sind weder von den Antragstellern
vorgetragen noch sonst erkennbar. Soweit die Antragsteller vortragen, der
Erblasser - Herr A. - habe als juristischer Laie auf die ausreichende Befugnis des
Bürgermeisters vertraut und keinen Anlass gesehen, daran zu zweifeln, reicht das
nicht aus, der Gemeinde die Berufung auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung
wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben zu verwehren.
Zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen im Sinne des § 242 BGB kann es zum
anderen führen, wenn die Berufung auf den Formmangel bei der anderen Partei,
die gutgläubig auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hat, die
Gefährdung oder die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz zur Folge hat
(Palandt, BGB, 66. Auflage 2007, § 125 Rdnr. 25 mit weiteren Nachweisen).
Anhaltspunkte für eine Existenzgefährdung der Antragsteller wegen der
Beitragsforderung in Höhe von 14.275 €, für die diese als Gesamtschuldner haften
und die im Zweifel im Innenverhältnis geteilt wird, liegen jedoch nicht vor;
derartiges ist von den Antragstellern auch nicht vorgetragen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
Höhe des Streitwerts auf §§ 52 Abs. 3, 53 Nr. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 S. 4 in
Verbindung mit § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.