Urteil des HessVGH vom 04.10.2004

VGH Kassel: beschwerdeschrift, nummer, geschichte, abschaffung, zahl, stadt, quelle, amt, form, dokumentation

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TG 2959/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 8b Abs 3 S 1 GemO HE, §
8b Abs 4 S 2 GemO HE
(Ausschlussfrist für ein Bürgerbegehren)
Leitsatz
Die Stadtverordnetenversammlung trifft eine die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens
innerhalb der Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz HGO (erneut)
eröffnende Sachentscheidung über die Anzahl der hauptamtlichen
Magistratsmitglieder, wenn sie eine neue, die bisherige insgesamt ersetzende
Hauptsatzung beschließt; das gilt erst Recht, wenn die Gesamtzahl der
(ehrenamtlichen) Stadträte/innen erhöht wird.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Darmstadt vom 4. Oktober 2004 - 3 G 2317/04 (4) - wird zurückgewiesen.
Die im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten haben die Antragsteller zu je
1/3 zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind Einwohner/innen der Antragsgegnerin sowie
Unterzeichner/innen und Vertrauenspersonen eines Bürgerbegehrens, das das
Ziel verfolgt, die Anzahl der hauptamtlichen Stadträte/innen des Magistrats der
Antragsgegnerin durch Änderung der Hauptsatzung von zwei auf eine(n) zu
verringern.
Die Stelle des zweiten hauptamtlichen Stadtrats war frei geworden, als der
damalige Amtsinhaber zum Bürgermeister gewählt worden war und dieses Amt im
Juni 2004 angetreten hatte.
Am 30. September 2004 wurde das Bürgerbegehren mit 3.450 Unterschriften bei
der Antragsgegnerin eingereicht.
Wegen der in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin
am 4. Oktober 2004, 19.30 Uhr, unter Tagesordnungspunkt 7 beabsichtigten Wahl
des/der zweiten hauptamtlichen Stadtrats/Stadträtin haben die Antragsteller am
1. Oktober 2004 beim Verwaltungsgericht Darmstadt per Telefax beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu untersagen, die
Wahl eines/r weiteren (zweiten) hauptamtlichen Stadtrates/Stadträtin bis zu einer
rechtskräftigen Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zur
Verkleinerung des Magistrats der Stadt Rodgau durchzuführen.
Die Antragsgegnerin hat ihren Zurückweisungsantrag im Wesentlichen damit
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Die Antragsgegnerin hat ihren Zurückweisungsantrag im Wesentlichen damit
begründet, dass das gegen frühere Beschlüsse der
Stadtverordnetenversammlung über die Einrichtung von zwei hauptamtlichen
Stadtratsstellen gerichtete kassatorische Bürgerbegehren wegen Nichteinhaltung
der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO und wegen
einer inhaltlich unklaren und widersprüchlichen Fragestellung offensichtlich
unzulässig sei.
Mit am selben Tage per Telefax bekannt gegebenen Beschluss vom 4. Oktober
2004 - 3 G 2317/04 (4) - hat das Verwaltungsgericht Darmstadt den Antrag wegen
Fehlens des erforderlichen Anordnungsanspruchs abgelehnt. Das Bürgerbegehren
sei unzulässig, weil es nicht innerhalb der sechswöchigen Ausschlussfrist
eingereicht worden sei. Nach der Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs gelte diese Frist für Bürgerbegehren, die auf eine
Änderung von - jedenfalls nach dem Inkrafttreten des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS
HGO am 1. April 1993 erlassenen - Gemeindesatzungen gerichtet seien. Jedenfalls
mit der Neufassung der Hauptsatzung vom 23. Juli 1993 habe sich die
Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin erneut mit der Zahl der
hauptamtlichen Stadträte befasst und sich entschieden, die mit Beschluss vom
25. Januar 1988 getroffene Regelung, die eine zweite hauptamtlich verwaltete
Stelle eines Stadtrats eingeführt hatte, beizubehalten. Dass keinesfalls die
Regelung aus dem Jahre 1988 lediglich übernommen worden sei, ergebe sich
bereits aus § 8 der Hauptsatzung vom 23. Juli 1993, der laute: "Diese
Hauptsatzung tritt am 30.07.1993 in Kraft. Die bisherige Hauptsatzung vom
16.12.1986 tritt mit dem gleichen Zeitpunkt außer Kraft." Da zudem die letzte
Änderung der Hauptsatzung am 16. Mai 2002, also mehr als sechs Wochen vor
Einreichung des Bürgerbegehrens erfolgt sei, könne es dahinstehen, ob eine
Änderung der Hauptsatzung im Allgemeinen oder der Regelung hinsichtlich der
Gesamtzahl der Stadträte im Besonderen ebenfalls eine erneute Sachbehandlung
der in der Hauptsatzung geregelten Größe des Magistrats im Sinne der
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichts darstelle. Auch eine neue
Sachlage im Sinne dieser Rechtsprechung sei nicht zu erkennen und ergebe sich
insbesondere nicht aus der "höchst wechselhaften Geschichte der Besetzung der
hauptamtlichen Stadtratsstellen", wie die Antragsteller vorgetragen hätten.
Erhebliche, aber letztlich nicht entscheidungserhebliche Bedenken gegen die
Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ergäben sich auch daraus, dass dieses seiner
Bezeichnung nach der Verkleinerung des Magistrats dienen solle, aber nicht darauf
hingewiesen habe, dass es in Bezug auf die gegenwärtige Rechtslage zwar
einerseits eine Abschaffung einer Stelle eines hauptamtlichen Stadtrates,
andererseits aber eine Erhöhung der Gesamtzahl der Stadträte bezwecke.
Gegen diesen Beschluss haben die Antragsteller mit Telefax vom 4. Oktober 2004
beim Verwaltungsgericht Beschwerde eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller ist zwar rechtzeitig gemäß § 147 Abs. 1 VwGO
eingelegt und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden, ihre
Begründung ist aber inhaltlich nicht überzeugend.
Eine Beschwerdebegründung muss gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO einen
bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung
abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung
auseinandersetzen. Das Beschwerdegericht ist in seiner Prüfungskompetenz
gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in einer ersten Stufe auf die Prüfung beschränkt,
ob die form- und fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe - in Anlehnung an die
Darlegungsvoraussetzungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO - geeignet sind, tragende Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit
schlüssigen Gegenargumenten so in Frage zu stellen, dass die Richtigkeit des
angefochtenen Beschlusses erfolgreich in Zweifel gezogen wird; nur wenn das der
Fall ist, ist das Beschwerdegericht befugt, die Erfolgsaussichten des einstweiligen
Rechtsschutzantrags über die fristgemäßen Darlegungen der
Beschwerdebegründung hinaus uneingeschränkt und umfassend selbst in der
Sache zu prüfen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. grundlegend Hess.
VGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 8 TG 2413/02 - NVwZ-RR 2003 S. 756 =
juris m.w.N.).
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Diese an eine Beschwerdebegründung zu stellenden Anforderungen, die zwar
einerseits im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht überspannt werden dürfen (vgl.
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2004 - 1 BvR
356/04 -
juris), die andererseits aber auch dem mit der besonderen Verfahrensgestaltung
gesetzgeberisch verfolgten Vereinfachungs- und Beschleunigungszweck gerecht
werden müssen, erfüllt das Vorbringen der Antragsteller in der Beschwerdeschrift
ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 4. Oktober 2004 - abgesehen von dem
fehlenden Antrag - nicht. Die dort erhobenen Einwände gegen die Richtigkeit des
angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses sind nicht überzeugend.
Entgegen der unter Nummer 1. auf Seite 1 ihrer Beschwerdeschrift vertretenen
Ansicht der Antragsteller steht der Anwendbarkeit der sechswöchigen
Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2. HS HGO nicht entgegen, dass "die
Entscheidung über die Installierung von zwei hauptamtlich zu verwaltenden
Stadtratsstellen schon in der Stadtverordnetenversammlung am 25.01.1988
getroffen wurde, also mehr als 5 Jahre vor Einfügung des § 8 b in die Hessische
Gemeindeordnung" und dass "alle darauf folgenden Änderungen der
Hauptsatzung" nicht "diese Grundentscheidung" betrafen, "sondern allenfalls die
Frage der Anzahl der ehrenamtlichen Mitglieder des Magistrats"; so habe
insbesondere auch am 23. Juli 1993 die Frage der Veränderung der
hauptamtlichen Stadtratsstellen überhaupt nicht zur Diskussion gestanden.
Zutreffend hat demgegenüber schon das Verwaltungsgericht darauf abgestellt,
dass nach der Inkrafttretensregelung in § 8 der neuen Hauptsatzung die bisherige
Hauptsatzung insgesamt außer Kraft gesetzt worden ist, so dass die
Stadtverordnetenversammlung in § 3 der neugefassten Hauptsatzung eine
eigenständige, von der früheren Regelung unabhängige neue Regelung über die
Zusammensetzung des gesamten Magistrats getroffen und dabei die Anzahl von
zwei hauptamtlichen Stadträten/innen in ihren Willen neu aufgenommen hat. Hier
kommt hinzu, dass gegenüber der außer Kraft gesetzten früheren Hauptsatzung
sogar eine Veränderung durch Erhöhung der Gesamtzahl der (ehrenamtlichen)
Magistratsmitglieder erfolgt ist und dies angesichts der für eine effektive
Verwaltungstätigkeit erforderlichen Zusammenarbeit der ehrenamtlichen mit den
hauptamtlichen Magistratsmitgliedern keine isolierte Betrachtung erlaubt, sondern
eine einheitlich auf die Gesamtzusammensetzung des Magistrats gerichtete
Willensbildung der Stadtverordnetenversammlung voraussetzt.
Die Anzahl der hauptamtlichen Stadträte/innen des Magistrats der
Antragsgegnerin stellt danach eine nach Inkrafttreten des § 8 b Abs. 3 Satz 1, 2.
HS HGO von der Stadtverordnetenversammlung als dem grundsätzlich für
Funktionsfähigkeit und Effizienz des gemeindlichen Verwaltungshandelns
verantwortlichen repräsentativ-demokratischen Gemeindeorgan bereits
entschiedene Angelegenheit dar, die als verlässliche Grundlage gemeindlichen
Handelns, etwa bei der der Dezernentenzahl angepassten
Verwaltungsorganisation, dienen soll, so dass eine Abweichung von dieser
Sachentscheidung auch für die Zukunft im Wege eines
Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids die Einhaltung der sechswöchigen
Ausschlussfrist voraussetzt (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 8 TG
1067/04 -).
Ob die insoweit letzte Änderung der Hauptsatzung vom 6. oder 16. Mai 2002 als
eine erneute Sachbehandlung die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens innerhalb
einer neuen Ausschlussfrist eröffnet hat, wird von den Antragstellern auf Seite 2
oben ihrer Beschwerdeschrift offensichtlich schon durch ihren Hinweis auf den
bloßen Bezug zum "Inkrafttreten von Bebauungsplänen" verneint; diese Frage ist
aber auch nicht entscheidungserheblich, weil diese Satzungsänderung nach den
unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts "vor mehr
als sechs Wochen vor Einreichung des Bürgerbegehrens erfolgte".
Der von den Antragstellern unter Nummer 2. auf dieser Seite vorgebrachte
Einwand der Erstzuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung gemäß § 8 b
Abs. 4 Satz 2 HGO für eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines
Bürgerbegehrens überzeugt ebenfalls nicht, weil das Verwaltungsgericht bei der
Prüfung eines Anordnungsanspruchs im Rahmen des § 123 Abs. 1 VwGO über
diese Frage inzident mit entscheiden muss. Der von den Antragstellern weiter in
Bezug genommene Beschluss des Senats vom 30. September 2003 - 8 TG
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Bezug genommene Beschluss des Senats vom 30. September 2003 - 8 TG
2479/03 - (vgl. NVwZ-RR 2004 S. 281) trifft über die vorliegend
entscheidungserhebliche Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 8 b Abs. 3 Satz
1, 2. HS HGO keine Aussage.
Der schließlich unter Nummer 3. erfolgte Verweis der Antragsteller auf ihre
Antragsschrift wird dem Begründungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO
nicht gerecht, weil darin keine Auseinandersetzung mit der angefochtenen
Entscheidung gesehen werden kann, und betrifft zudem eine für den
verwaltungsgerichtlichen Beschluss ausdrücklich nicht entscheidungserhebliche
Frage.
Danach ist die Beschwerde der Antragsteller mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2
VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 2, §
53 Abs. 3 Nr. 1 und § 47 Absätze 1 und 2 GKG n. F. und berücksichtigt die
Vorläufigkeit des vorliegenden Verfahrens durch Halbierung des
Auffangstreitwertes.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG n.F. unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.