Urteil des HessVGH vom 01.06.1987

VGH Kassel: politische verfolgung, amnesty international, indien, friedliche koexistenz, auskunft, regierung, amt, anhänger, behörde, verhaftung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 906/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 26 AsylVfG, Art 16 Abs 2
S 2 GG
(Politische Verfolgung durch Paßverweigerung gegenüber
Asylbewerbern - Politische Motivation bei Bestrafung
sezessionistischer Propaganda und Maßnahmen gegen
bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat
den Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seiner Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung der zuständigen
Ausländerbehörde des Antragsgegners vom 17.11.1987 (IX E 6151/86) zu Recht
abgelehnt; denn dieser ausländerbehördliche Bescheid erweist sich als offenbar
rechtmäßig mit der Folge, daß das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der
Abschiebungsandrohung im vorliegenden Fall das private Interesse des
Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung überwiegt. Insoweit wird auf die
zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides Bezug genommen (Art. 2 § 7
EntlG).
Darüber hinaus bestehen keine durchgreifenden rechtlichen oder tatsächlichen
Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung. Die Ausländerbehörde mußte dem
Antragsteller gemäß § 11 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung
androhen, und die Feststellung der offensichtlichen Unbegründetheit des
Asylantrages in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 01.10.1986 erweist sich nach der hier im Verfahren
nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 AsylVfG erforderlichen
erschöpfenden Überprüfung als richtig (vgl. hierzu Hess. VGH, EZAR 226 Nr. 7 =
ESVGH 36, 21 m.w.N.); die Ablehnung des Asylantrags drängt sich nämlich
geradezu auf, weil das Asylbegehren des Antragstellers als eindeutig aussichtslos
anzusehen ist. Wie in dem Ablehnungsbescheid zutreffend ausgeführt. ist, hat der
Antragsteller sein Asylgesuch darauf gestützt, daß er als Sikh und als Anhänger
der Khalistan-Bewegung politische Verfolgung in Indien befürchtet. Der
Antragsteller war jedoch auch nach Überzeugung des Senates zweifellos vor seiner
Ausreise aus Indien politisch motivierter Verfolgung nicht ausgesetzt und hat bei
seiner Rückkehr eine derartige Verfolgung sehr wahrscheinlich auch nicht zu
erwarten. Der Senat hält es für äußerst unwahrscheinlich, daß der Antragsteller
allein deshalb in seiner Heimat verfolgt wird, weil er der Religionsgemeinschaft der
Sikhs angehört und sich in nicht näher substantiierter Weise für die Khalistan-
Bewegung eingesetzt haben will. Insoweit sind für den Senat letztlich dieselben
Überlegungen ausschlaggebend wie in dem Urteil vom 6. März 1986 - X OE
1119/81 -, dessen grundsätzliche Ausführungen auch nach dem inzwischen
eingetretenen Zeitablauf fortgelten (vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 31.
März 1987 - 10 TH 104/87 und vom 6. April 1987 - 10 TH 132/87 -).
Auch die Behauptungen des Antragstellers, der indische Staat beraube einzelne
mißliebige Personen ihrer aus der indischen Staatsangehörigkeit fließenden
Rechte, halte sie vom Staatsgebiet fern und versetze sie in einen Zustand,
welcher einer De-facto-Staatenlosigkeit gleichkomme, indem er Asylbewerbern,
welche überwiegend der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehörten, keine neuen
Nationalpässe ausstelle, führt zu keiner, für den Antragsteller günstigeren
Nationalpässe ausstelle, führt zu keiner, für den Antragsteller günstigeren
Entscheidung. Zwar ist es richtig, daß indische Behörden in letzter Zeit bei
Anträgen auf Neuerteilung von Pässen für verloren gemeldete Dokumente ebenso
wie bei Paßverlängerungen oftmals den an sie gerichteten Anträgen nicht oder
erst nach einer Verzögerung entsprechen. Soweit das Auswärtige Amt dazu in
seiner vom Antragsteller in dieses Verfahren eingeführten Auskunft an das VG
Wiesbaden vom 19.01.1987 (514-516/8033) die Vermutung äußert, der indische
Staat neige dazu, für seine Staatsangehörigen, welche ein Asylverfahren
betreiben, keine personalhoheitliche bzw. paßrechtliche Verantwortung mehr
auszuüben, kommt es auf die asylrechtliche Bedeutung einer solchen
Verfahrensweise, wäre sie gegeben, nicht an, weil die dieser Vermutung
zugrundeliegende Annahme nicht zutrifft. Zunächst handelt es sich bei der
Erklärung des Auswärtigen Amtes insoweit um eine Vermutung und nicht um eine
Mitteilung von Tatsachen, auf die der der Auskunft zugrundeliegende
Beweisbeschluß des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13.02.1986 zielte. Diese
vom Auswärtigen Amt angestellte Vermutung läßt sich aber bereits mit den vom
Auswärtigen Amt in der genannten Auskunft mitgeteilten Fakten widerlegen. Den
indischen Behörden ist danach nämlich bekannt, daß die von ihr ausgestellten
Pässe in der Regel - bei korrekter Handhabung des Asylverfahrens durch den
Asylbewerber - ohnedies bei der Ausländerbehörde abzugeben sind (§ 26 Abs. 1
AsylVfG) und nur ausnahmsweise ein Interesse eines ein Asylverfahren
betreibenden indischen Staatsbürgers an dem Besitz eines Nationalpasses
besteht (§ 26 Abs. 3 AsylVfG). Die vom Antragsteller gezogenen Schlüsse aus
dem Verhalten der indischen Paßbehörde könnten allenfalls dann zutreffend sein,
wenn die Paßverweigerung durch das Konsulat auch in Fällen festgestellt werden
könnte, in denen die Asylbewerber gemäß § 26 Abs. 3 AsylVfG ihren bei der
Asylbehörde hinterlegten Paß herausverlangen und die indischen Konsulate auch
in Kenntnis dieser Voraussetzungen die Ausstellung oder Verlängerung eines
Reisepasses bzw. Ersatzpapieres ohne sonstige Gründe ablehnen oder
ungebührlich lange hinauszögern würden. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich; im
Gegenteil ergibt sich aus den Stellungnahmen des Landrats des Main-Taunus-
Kreises vom 11.05.1987 und des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt: vom
12.05.1987, welche dem Antragsteller-Vertreter mit Verfügungen des
Berichterstatters vom 15.05.1987 in dem Verfahren 10 TH 906/87 -
Aktenzeichen Wa/Tr> betreffend den indischen Staatsangehörigen I. S. -
mitgeteilt worden sind, daß im Falle eines Bedarfes Pässe verlängert oder
ausgestellt bzw. Ersatzpapiere durch die indischen Konsulate erteilt werden. Den
Erfahrungen dieser Behörde kommt in dieser Frage eine besondere Bedeutung zu,
weil sie wegen ihrer geographischen Lage im Zusammenhang mit den Funktion
des Flughafens Frankfurt am Main, über den wohl die Mehrzahl aller
Abschiebungen nach Indien vorgenommen werden, die größte Zahl von
Einzelfällen kennengelernt haben. Auf diese Erkenntnisse ist der Senat auch
angewiesen, weil sich die Einholung einer Auskunft bei den indischen Konsulaten
bzw. sonstigen indischen Behörden aus Rechtsgründen verbietet, da eine solche
Beweiserhebung nur mittels eines schlechthin ungeeigneten Beweismittels hätte
erfolgen können. Ein Auskunftsersuchen an die indische Botschaft wäre nämlich
zur Wahrheitsfindung untauglich, weil einer in dieser Weise gewonnen Aussage
zwangsläufig ein so hohes Maß nicht klärbarer Zweifel an ihre Glaubhaftigkeit
innewohnen würde, daß sie als Beweismittel schlechthin unverwertbar wäre. Die
Richtigkeit der Annahmen des Antragstellers einmal unterstellt, würde eine
Behörde des Staates, welcher den Antragsteller verfolgt, mit der begehrten
Auskunft, wie es das Bundesverwaltungsgericht ausdrückt, sozusagen über sich
selbst in eigener Sache zu Gericht sitzen (BVerwG, Beschluß vom 9. Mai 198 - 9 B
10466.81 -, EZAR 630 Nr. 6). Gerade für den Fall, daß der Antragsteller, wie er
behauptet., durch den indischen Staat verfolgt würde, könnte somit keine zur
Wahrheitsfindung brauchbare Aussage durch indische Behörden gewonnen
werden. Da sonstige Erkenntnisquellen über die Motive des Handelns der indischen
Paßbehörden in Deutschland nicht zur Verfügung stehen und die Darlegungen der
beiden Ausländerbehörden schlüssig und plausibel sind, sich hinsichtlich der
Tatsachen, auf denen sie beruhen, mit den Erfahrungen und Erkenntnissen des
Senates aus einer Vielzahl von Asylverfahren indischer Staatsangehöriger decken
und der Antragsteller-Vertreter gegen die Mitteilung der Ausländerbehörden keine
Einwände erhoben hat, geht der Senat davon aus, daß die indischen Behörden die
beantragten Papiere nur noch restriktiv und nur im Falle eines nachgewiesenen
Bedarfes ausstellen, um einem Mißbrauch mit Nationalpässen vorzubeugen.
Darüber hinaus ist es bei der auch dem Senat aus vielen Fällen bekannten
Häufigkeit, mit welcher indische Staatsangehörige ihre Pässe als
verlorengegangen melden, im Sinne einen geordneten Verwaltung gar nicht zu
umgehen und liegt im allseitigen Interesse, daß neue Pässe erst ausgestellt
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umgehen und liegt im allseitigen Interesse, daß neue Pässe erst ausgestellt
werden, wenn die Identität des Antragstellers feststeht und die ausstellende
Behörde auch sonst den Fall überprüft hat. Daß dies bei erforderlichen Rückfragen
in Indien einen verhältnismäßig langen Zeitraum beansprucht, versteht sich von
selbst. Letztlich können die vom Antragsteller vorgetragenen Verfahrensweisen
der indischen Konsulate aber auch ganz allgemein nicht dazu dienen, die
Vermutung einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr von Indern, welche der
Religionsgemeinschaft der Sikhs angehören, zu begründen. Da die Maßnahmen,
wie auch der Antragsteller einräumt, gegenüber allen indischen Staatsangehörigen
gleicher Maßen gehandhabt werden, ist auch insoweit keine besondere, gegen die
Sikhs gerichtete staatliche Aktivität zu sehen, so daß bereits von daher die vom
Antragsteller beanstandeten Verfahrensweisen der indischen Konsulate
asylrechtlich irrelevant sind. Jedem Staat ist es überlassen, solche paßrechtlichen
Regelungen und Verfahrensweisen wie die vorstehend beschriebenen gegenüber
seinen Staatsangehörigen einzuführen. Das gilt auch, wenn, wie der Antragsteller
behauptet, die Mehrzahl der davon Betroffenen der Religionsgemeinschaft der
Sikhs angehören, da sich dies aus dem relativ hohen Anteil von in der
Bundesrepublik Deutschland lebenden Sikhs unter den indischen
Staatsangehörigen zwangsläufig ergibt und nichts dafür ersichtlich ist, daß andere
als die oben dargestellten asylrechtlich irrelevanten Motive für das Handeln der
indischen Konsularbehörden ausschlaggebend sind.
Die vom Antragsteller unter Bezugnahme auf einen Sonderbericht von amnesty
international vom 01.12.1986 über die Lage der Sikhs im Punjab seit 1984
geäußerte Befürchtung, staatliche Maßnahmen gegen Sikhs dienten nicht lediglich
dem Bestreben nach Erhaltung der Einheit des indischen Staates sowie der
Ahndung der von einzelnen Sikhs begangenen gewaltsamen Straftaten,
insbesondere terroristischer Akte, teilt der Senat nicht. Gerade der ai-Bericht vom
01.12.1986 erkennt die Bemühungen der Regierung des Premierministers Rajiv
Gandhi zur Lösung des Sikh-Problems an und weist daraufhin, daß unter anderem
seit 1985 politische Gefangene entlassen, das Verbot der AISSF aufgehoben und
gerichtliche Untersuchungen der Tötung von Sikhs aus Anlaß der Ermordung Indira
Gandhis eingeleitet wurden. Darüber hinaus zählt der Bericht eine Fülle von
Maßnahmen auf, welche der Befriedung der Sikh-Gruppen und der Normalisierung
der Verhältnisse dienen sollen (Seite 4 bis 6). Wenn es gleichwohl immer wieder zu
Ausschreitungen und Gewalttaten kommt, so sind dafür die militanten Sikh-
Gruppierungen, auch nach dem Bericht von ai, zumindest ganz wesentlich
mitverantwortlich. So berichtet ai (Seite 4, zweiter Absatz) von dem Aufruf einer
AISSF-Gruppe zum bewaffneten Kampf für die Errichtung eines unabhängigen
Staates Khalistan im Zuge der Übernahme der Verwaltung des Goldenen Tempels
am 26. Januar 1986. Auch gegen diese unrechtmäßige Verfahrensweise, unter der
unbeteiligte indische Staatsbürger, Sikhs wie Hindus, zu leiden hatten, ist der
indische Staat am 30. April 1986 vorgegangen und hat die Verwaltung des
Tempels wieder der Mehrheitsgruppe der SGPC der Sikhs übertragen (ai, a.a.O.).
Wie radikal die militanten Sikhs den Kampf um politische Macht führen, folgt weiter
aus dem vom Antragsteller in Bezug genommenen ai-Bericht, wonach von Januar
bis September 1986 400 Personen Opfer politischer Morde durch militante Sikhs
geworden sind. Ebenso ist dem ai-Bericht zu entnehmen, daß die indische
Regierung Übergriffe bei Gegenmaßnahmen der Ordnungskräfte durchaus nicht
hinnimmt. So wurde eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des
pensionierten Richters Ajil Singh Bains bestellt, welche ganz offensichtlich eine
Ahndung der von den Ordnungskräften begangenen Greueltaten ermöglichen und
die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensweisen für die Zukunft sicherstellen soll.
Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, ai berichte von Verhaftungen und
Gerichtsverfahren aufgrund von rechtsstaatlich bedenklichen Sondergesetzen, so
ist der Antragstellen bereits deswegen nicht davon betroffen, weil es sich dabei
nach dem Bericht von ai überwiegend um solche Personen handelt, die im Zuge
der Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar im Jahre 1984 in Haft geraten
sind und denen bewaffneter Kampf gegen die Sicherheitskräfte vorgeworfen wird
(ai, a.a.O., Seite 13 ff., 15).
Bezüglich des Einschreitens der indischen Sicherheitsbehörden gegen Sikhs und
insbesondere Anhänger der AISSF und der Khalistan-Bewegung kommen darüber
hinaus allgemein vor allem folgende Möglichkeiten in Betracht (vgl. dazu vor allem:
Südasien-Institut zu 24 und 40; Auswärtiges Amt zu 8, 29, 36, 75). Das Vertreten
sezessionistischer Ziele auch ohne Gewalttätigkeit oder Aufruf zu
Gewalttätigkeiten ist dann strafbar, wenn es sich als Unterstützung einer nach
dem Unlawful Activities (Prevention) Act/1967 verbotenen Partei darstellt. Ohne
Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer Organisation bzw.. deren Verbot können
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Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer Organisation bzw.. deren Verbot können
sezessionistische Aktivitäten auch gewaltloser, rein propagandistischer Art
Strafbarkeit nach verschiedenen Vorschriften begründen. Einmal ist
sezessionistische Propaganda unmittelbar nach sec. 13 (1) Prevention Act
verboten und mit einer Freiheitsstrafe bis zu sieben Jahren bedroht. Daneben
kommen die Straftatbestände der sec. 1953 - A und 1953 - B IPC in der Fassung
des Criminal Law Amendment Act, 1972, in Betracht, wenn durch
sezessionistische Propaganda Feindschaft zwischen verschiedenen
Bevölkerungsgruppen geschürt oder deren friedliches Zusammenleben gefährdet
wird. Fraglich ist, ob daneben noch die sogenannte Sedition Bestimmung der sec.
124 A IPC angewendet werden kann, welche das Aufstacheln zur Feindschaft und
Illoyalität gegenüber dem rechtmäßigen Regierungssystem mit schweren Strafen
bedroht (Möglichkeit lebenslänglicher Freiheitsstrafe). Weiterhin ist im Falle einer
befürchteten Gefährdung der Staatsgewalt oder öffentlichen Ordnung eine
vorbeugende Verhaftung - insbesondere nach dem National Security Act 1980 -
möglich. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. August 1984 (zu 42)
bringt weder die Erkennbarkeit als Sikh, noch ein mehrjähriger Auslandsaufenthalt
- auch wenn ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt wurde und
wenn eine Abschiebung erfolgt ist -, einen Sikh bei der Einreise nach Indien oder
später in die Gefahr, inhaftiert oder einer Sonderbehandlung unterzogen zu
werden. Der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Februar 1985 (zu 50) zufolge
werden Sikhs, die sich nicht als Separatisten mit dem Ziel eines unabhängigen
Khalistan politisch terroristisch betätigt haben, in Indien weder politisch verfolgt,
noch haben sie sonstige gegen Leib und Leben gerichtete Maßnahmen staatlicher
Stellen zu befürchten (so auch Botschaft New Delhi zu 47). Ein aktives Eintreten
für ein "unabhängiges Khalistan", d.h. für ein Herauslösen aus der indischen
Republik werde gemäß dem Unlawful Activities (Prevention) Act bestraft. Unter
dem 24. Januar und 12. März 1985 teilte das Auswärtige Amt (zu 48 und 51) mit,
daß nach Kenntnis der Deutschen Botschaft keine der bisher aus der
Bundesrepublik Deutschland - teilweise in Begleitung von deutschen
Sicherheitsbeamten - abgeschobenen Sikhs bei ihrer Ankunft verhaftet wurden.
Zugleich wurde darauf hingewiesen, daß unter den seit 1971 abgewiesenen über
23.000 indischen Asylbewerbern viele Tausend gewesen seien, die vorgegeben
hätten, als Khalistan-Anhänger politisch verfolgt zu sein (Auswärtiges Amt zu 51).
In der Auskunft vom 12. August 1985 (zu 56) wird dann allerdings ausgeführt, es
seien Fälle von Verhaftungen aus dem Ausland nach Indien zurückgekehrter Sikhs
bekanntgeworden, wenn ihnen der Vorwurf strafbarer Handlungen im Ausland (z.B.
Volksverhetzung) gemacht wurde. Nach der Auskunft vom 12. März 1985 (zu 51)
ist eine Verhaftung bedeutender Gefolgsleute von Dr. Jagjit Singh Chauhan -
insbesondere weil dieser Terrorakte durch Sikhextremisten gebilligt habe - nicht
auszuschließen. Der Auskunft vom 20. August 1984 (zu 43) zufolge kann nicht
ausgeschlossen werden, daß frühere Mitglieder des International Council of Sikhs
im Falle einer Rückkehr nach Indien strafrechtlich verfolgt werden; von einem
Verhaftungsrisiko einfacher Mitglieder ist in dieser Auskunft nur hinsichtlich des
National Council of Khalistan die Rede. Mitglieder der AISSF sind dagegen eher
verdächtig und müssen bei einer Rückkehr mit Repressionsmaßnahmen
insbesondere mit Festnahme und Intensivverhören rechnen (Südasien-Institut zu
40). Das kann jedoch dahinstehen, weil auszuschließen ist, daß dem Antragsteller
- wenn überhaupt - drohende Maßnahmen politisch motiviert sein werden (vgl.
dazu: BVerwGE 74, 226 = EZAR 201 Nr. 9; BVerwG, EZAR 201 Nr. 7 = NVwZ 1984,
653: BVerwGE 67, 155 = EZAR 201 Nr. 5). Die in Betracht kommenden
Maßnahmen sind wie folgt zu bewerten:
Nach dem Unlawful Activities (Prevention) Act/1967 können sezessionistische
Aktivitäten auch gewaltloser, rein propagandistischer Art zur Bestrafung führen.
Sezessionistische Propaganda ist nach sec. 13 (1) verboten und mit einer
Freiheitsstrafe bis zu sieben Jahren bedroht. Zu beachten ist, daß der
Grundtatbestand der "Unlawful Activities" im Sinne des Gesetzes von 1967 schon
bei rein verbalem, argumentativem bzw. agitatorischem Eintreten für das
Sezessionsziel erfüllt ist, ohne daß es auf weitere im politischen Sinne kriminelle
und insbesondere gewalttätige oder terroristische Akte ankäme (Südasien-Institut
zu 40, S. 3). Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß die fragliche Norm in
asylrechtlich relevanter Weise auf die politischen und religiösen Auffassungen
separatistischer Sikhs zielt. Insoweit ist vielmehr eine Analyse der allgemeinen
politischen Verhältnisse vorzunehmen. Die derzeitige Lage, in der separatistische
Forderungen - zumindest in einem Teil der Fälle - anders als noch vor wenigen
Jahren strafrechtlich verfolgt werden, ist, wie bereits ausgeführt, vor allem dadurch
entstanden, daß extremistische Sikhs durch zahlreiche sich immer mehr
steigernde Gewaltakte, die wiederum Gegengewalt provozierten, einen
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steigernde Gewaltakte, die wiederum Gegengewalt provozierten, einen
bürgerkriegsähnlichen Zustand herbeigeführt hatten (vgl. Auswärtiges Amt zu 36
und 44; Der Spiegel zu 37). Erst als die Situation unerträglich wurde, als Hunderte
von Menschen durch den zunehmenden Terror ums Leben gekommen waren und
die jahrhundertelang bestehende friedliche Koexistenz zwischen Hindus und Sikhs
beendet war, ging die indische Zentralregierung im Juni 1984 massiv gegen die
radikalen Sikhs vor, indem sie wegen der erheblichen militärischen Ausrüstung und
der Kampfbereitschaft der extremistischen Sikhs das Militär einsetzte (vgl.
Südasien-Institut zu 40, S. 8). Dieses Vorgehen und die weiteren Aktionen der
indischen Sicherheitskräfte im Punjab dienten der Wiederherstellung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung und zugleich der Wahrung der Einheit und des
territorialen Bestands des indischen Staats. Dabei fällt es nicht entscheidend ins
Gewicht, daß die Ziele der extremistischen Sikhs nicht einheitlich waren und sind.
Die Bandbreite der Forderungen reicht von mehr oder weniger weitgehenden
Autonomiemodellen bis zur Errichtung eines völlig unabhängigen Khalistan, wobei
die Übergänge fließend sind und die gleichen Sikhführer sich teilweise
unterschiedlich äußern (Auswärtiges Amt: zu 44 und 48; Der Spiegel zu 37;
Südasien-Institut zu 14, S. 11 und zu 52, S. 5). Wesentlich ist jedenfalls, daß die bis
Mitte des Jahres 1984 immer mehr zunehmenden Terrorakte auf eine gewaltsame
Änderung des verfassungsmäßigen Status quo des Punjab zielten. Aus der
Tatsache, daß es im Zuge des Vorgehens der indischen Regierung im Sommer
1984 offenbar teilweise zu Übergriffen gegen Sikhs gekommen ist, kann nicht
entnommen werden, daß sich der Einsatz der Sicherheitskräfte gegen die Sikhs
oder einen Teil von ihnen um ihrer persönlichen Merkmale, insbesondere ihrer
politischen und religiösen Überzeugung willen richtete. Die dem Senat
vorliegenden Unterlagen über das Ausmaß dieser Übergriffe lassen keinen
derartigen Schluß zu (vgl. vor allem Südasien-Institut zu 52, S. 3). Vielmehr ging
es der indischen Regierung um die Wahrung des Rechts und der staatlichen
Ordnung in einer bürgerkriegsähnlichen Situation, durch die die damaligen
Auseinandersetzungen geprägt waren, die nicht die Züge einer politischen
Verfolgung aus asylerheblichen Gründen trugen (BVerwGE 72, 269 = EZAR 202 Nr.
5). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß gerade ein
Mehrvölkerstaat wie Indien in besonderem Maße auf die Sicherung seiner
staatlichen Einheit und seines Gebietsstands bedacht sein und dieses Ziel
durchsetzen darf, ohne die hiervon Betroffenen notwendigerweise in
asylrechtlichem Sinne politisch zu verfolgen (BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5).
Die oben dargestellte weitere Entwicklung verdeutlicht noch, daß es der indischen
Regierung nicht um die Verfolgung von Sikhs wegen ihrer politischen und religiösen
Haltung geht. Im Vordergrund der Politik der indischen Regierung steht das
Bemühen um eine friedliche Koexistenz zwischen Sikhs und anderen
Bevölkerungsgruppen. Dies wird durch das Abkommen vom 25. Juli 1985 deutlich,
mit dem den Sikhs in wesentlichen Punkten politische Zugeständnisse gemacht
wurden. Weiterhin wurden inzwischen die meisten verhafteten Sikhs freigelassen.
Zugleich wird versucht, sie bei der Rückkehr zu einem normalen Leben zu
unterstützten (SüdasienInstitut zu 66). Die Tatsache, daß am 25. September 1985
im Punjab Wahlen stattfinden konnten, zeigt, daß die indische Regierung die
anstehenden Probleme mit demokratischen Mitteln lösen will. Die Mehrheit, die die
gemäßigten Sikhs bei dieser Wahl erzielten, war zugleich ein großer
innenpolitischer Erfolg für die Politik Rajiv Gandhis (vgl. FR zu 58), zumal die Aufrufe
extremistischer Sikhs zur Nichtbeteiligung an der Wahl bei der Bevölkerung im
Punjab kaum auf Resonanz stießen und eine für Indien normale Wahlbeteiligung
von etwas üben 60 % erreicht wurde (Südasien-Institut zu 66). Die Tatsache, daß
dort offenbar viele Hindus für den Akali Dal stimmten, ändert daran nichts, zumal
die unterste Schicht der Sikhs für die Congress-Partei votiert haben soll (FR zu 58).
Nachdem die Extremisten offenbar innerhalb der Sikhs eindeutig in der Minderheit
sind, richten sich ihre Gewaltakte zunehmend gegen gemäßigte Sikhs, wie die
Ermordung des Akali-Dal-Politikers Longowal und die Auseinandersetzungen um
den Goldenen Tempel im Januar 1986 zeigen. Die Regierung des Punjab und die
legitime Sikhführung handeln dabei in dem Bestreben, Blutvergießen zu
vermeiden (Südasien-Institut a.a.O., S. 3 ff.).
Vor dem Hintergrund dieser Politik der Verständigung sind die rechtlichen
Instrumente zu sehen, die die indischen Behörden und Gerichte gegen den Sikh-
Extremismus einsetzen. Wenn strafrechtliche Sanktionen gegen die bloße
Verbreitung separatistischer Auffassungen eingesetzt werden, so geschieht dies
aus der Erkenntnis heraus, daß in einer nach wie vor angespannten Situation
schon die Propagierung eines unabhängigen Khalistan erneut zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen führen kann, unten denen darin auch die gemäßigte
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Auseinandersetzungen führen kann, unten denen darin auch die gemäßigte
Mehrheit der Sikhs zu leiden hätte. Wie die Entwicklung der letzten Monate zeigt,
kommt es nach wie vor zu Gewaltakten durch extremistische Sikhs, ist die Gefahr
erneuter bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen nicht auszuschließen. Wenn
die indischen Sicherheitsorgane in einer derartigen Ausnahmesituation nach sec.
13 des Unlawful Activities (Prevention) Act gegen die Propagierung
sezessionistischer Auffassungen vorgehen, bezwecken sie damit die
Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in einem Krisengebiet und nicht die
Unterdrückung Andersdenkender. Erst recht muß dies für die weiter in Betracht
kommenden Vorschriften gelten, die zumindest die Gefährdung der öffentlichen
Friedensordnung oder die Vorbereitung von Gewalttätigkeiten voraussetzen. Es
sind dies die bereits erwähnten Bestimmungen sec. 153 A und B IPC sowie die
Sedition-Vorschrift in sec. 120 IPC (vgl. Südasien-Institut zu 40, S. 4 ff.).
Weiterhin ist. nach dem für ganz Indien mit Ausnahme von Jammu und Kaschmir
geltenden National Security Act (1980) eine vorbeugende Verhaftung möglich.
Voraussetzung ist eine befürchtete Gefährdung der Staatsgewalt und der
öffentlichen Ordnung. Bei der Anwendung dieser Bestimmungen, auf die bisher
zahlreiche Verhaftungen gestützt wurden, haben die Behörden ein weites
Ermessen und unterliegen nur einer formalen Kontrolle durch die Gerichte, die
lediglich in eingeschränktem Umfang eine Überprüfung der von der Behörde
angestellten Erwägungen zuläßt (Südasien-Institut zu 24, S. 6 und zu 40, S. 17 ff.).
Verhaftete können offenbar bis zu sechs Monaten festgehalten werden, bis sie
einem Richter vorgeführt werden müssen; auch kann die Haft bis zu einer Dauer
von zwei Jahren ausgedehnt werden (FR zu 38). Allerdings muß der Verhaftete zum
frühestmöglichen Zeitpunkt von den Gründen der Verhaftung in Kenntnis gesetzt
werden und kann dagegen Gegenvorstellungen erheben (Südasien-Institut zu 41,
S. 18). Dieses in der indischen Verfassung verankerte Recht, das zu den
Mindestgarantien gegen Präventivhaftgesetze gehört, ermöglicht es den
Betroffenen, frühzeitig eine gerichtliche Überprüfung zu veranlassen. Das gleiche
gilt im Falle einer vorbeugenden Verhaftung nach dem Code of Criminal Procedure,
dem Preventive Detention Act und dem Anti-Terror-Gesetz von 1985. Auch die
nach diesen Gesetzen präventiv Verhafteten können gerichtliche Hilfe in Anspruch
nehmen (vgl. Dr. Gräfin Bernstorff zu 67). Dabei ist die Frage, inwieweit die
Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts finanzielle Mittel erfordert, hinsichtlich der
hier zu prüfenden staatlichen Motivation nicht von ausschlaggebender Bedeutung.
Weiterhin können nach sec. 4 des Armed Forces (Punjab und Chandigarh) Special
Powers Act 1983 Verhaftungen auch durch Offiziere der Armee vorgenommen
werden. Hiervon wurde bei den Kampfhandlungen um den Goldenen Tempel im
Sommer 1984 Gebrauch gemacht (Südasien-Institut zu 52, S. 3). Nach der
Vereinbarung vom 25. Juli 1985 werden die Bekanntmachungen, nach denen das
zuletzt erwähnte Gesetz auf den Punjab angewandt: ward, zurückgezogen.
Allerdings sollen Zweifel entstanden sein, ob die nach dieser Vereinbarung
gemachten Zusagen eingehalten werden (vgl. Dr. Gräfin Bernstorff zu 67). Nach
den dem Senat vorliegenden Unterlagen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß
eine aufgrund der erwähnten gesetzlichen Bestimmungen vorgenommene Haft in
asylrelevanter Weise auf die Zugehörigkeit des Betroffenen zur ethnisch-religiösen
Gruppe der Sikhs oder auf seine politischen Überzeugungen zielt. In diesem
Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß nach den Auskünften des
Auswärtigen Amtes (zu 3, 4 und 5) in Indien rechtsstaatliche Verhältnisse
herrschen. Selbst wenn gegen einzelne der hier dargestellten Bestimmungen
rechtsstaatliche Bedenken bestehen sollten, ändert dies nichts daran, daß das
Einschreiten gegen Sikh-Extremisten angesichts der oben beschriebenen
Ursachen und Rahmenbedingungen dieses Vorgehen nicht in asylrechtlich
erheblicher Weise motiviert ist und im übrigen von der Unabhängigkeit der Justiz in
Indien ausgegangen werden kann (Dr. Gräfin Bernstorff zu 67).
Auch die weiteren den indischen Sicherheitsorganen zur Verfügung stehenden
rechtlichen Instrumente lassen keinen Schluß auf eine asylrechtlich relevante
Verfolgung zu. Dies gilt zunächst für die durch eine Notverordnung des indischen
Präsidenten ermöglichte Einrichtung von Sondergerichten (Special Courts) in
"terroristisch beeinflußten Regionen". Diese Sondergerichte, wie sie ähnlich schon
früher einmal, nach Einholung eines Gutachtens des Supreme Court zur
Verfassungsmäßigkeit, für die Aburteilung sogenannter Notstandsexzesse nach
1977 eingerichtet worden waren, sollen zuständig sein für die typischen im Punjab
aufgetretenen Deliktformen. Die Gerichte sollen mit "District & Sessions Judges" -
dem ordentlichen Strafrichter erster Instanz in schwereren Fällen - als Einzelrichter
besetzt werden und in der Regel unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandeln.
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Rechtsmittel sind auf die Berufung zum Supreme Court (unter Ausschaltung der
üblichen ersten Berufung zum High Court) beschränkt. Ein Regierungssprecher hat
die Maßnahmen damit begründet., daß im Punjab häufig ordentliche
Gerichtsverfahren nicht mehr möglich seien. Als einer der Gründe wird die schon
bisher praktizierte Einschüchterung von Zeugen durch terroristische Drohungen
angegeben, daneben aber auch das Bedürfnis nach Verfahrensbeschleunigung,
vermutlich aus Besorgnis wegen den Belastung der ordentlichen Gerichte durch
die zu erwartenden massenhaften Verfahren (vgl. Südasien-Institut zu 40 S. 14).
Die erwähnte Verordnung ist somit auf die Verhältnisse im Punjab gemünzt, gilt
formal aber im ganzen indischen Unionsgebiet mit Ausnahme des Staates Jammu
und Kaschmir. Nach der Vereinbarung vom 25. Juni 1985 sollen die Sondergerichte
sich nur noch mit kriegerischen Handlungen und Flugzeugentführungen befassen.
Alle anderen Fälle werden an die ordentlichen Gerichte weitergeleitet (Südasien-
Institut zu 66). Weiterhin zielen die nach dem Anti-Terror-Gesetz vom 23. Mai 1985
möglichen Maßnahmen nicht auf die Betroffenen um ihrer politischen oder
religiösen Überzeugung willen. Das Gesetz, das im einzelnen im Gutachten des
Südasien-Instituts vom 17. Februar 1986 beschrieben wird, räumt der Verwaltung
sehr weitreichende Befugnisse in der Terrorismusbekämpfung ein, unterstellt sie
aber gleichzeitig der Überprüfung des Parlaments. Allerdings liegen keine
Informationen vor, wonach dieses Gesetz im Punjab bisher zur Anwendung
gekommen wäre (Südasien-Institut a.a.O.). Soweit eine Anwendung außerhalb des
Punjab erfolgt ist, liegen keine Berichte über im vorliegenden Zusammenhang
relevante Vorkommnisse bei seiner Anwendung vor.
Auch aus den konkreten Umständen des Vorgehens der indischen
Sicherheitsorgane, insbesondere der Handhabung der beschriebenen
strafrechtlichen und präventiven Maßnahmen kann nicht auf eine asylrechtlich
relevante Motivation geschlossen werden. Wenn im Gutachten des Südasien-
Instituts vom 6. Juni 1984 (zu 40, S. 26) ausgeführt wird, für korrekte
Verhörmethoden der indischen Polizei werde man "auch unter normalen
Umständen nicht die Hand ins Feuer legen können", auch seien nicht nur in der
Zeit des Notstandes 1975 bis 1977 in Gerichtsverfahren immer wieder Brutalitäten
oder sogar Foltermethoden bei Verhören zutage gekommen und wenn weiter
ausgeführt wird, daß angesichts der angespannten Situation und des gesteigerten
politischen Ermittlungs- und Abwehrinteresses der Staatsorgane Übergriffe und
Exzesse gegen Sikhs mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden müßten, so
ist dem entgegenzuhalten, daß nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen in
der inzwischen verstrichenen Zeit trotz der großen Zahl der Verhaftungen nur
wenige Übergriffe bekannt geworden sind, die sich überwiegend im
Zusammenhang mit den Kampfhandlungen um den Goldenen Tempel und den
sich daran anschließenden Aktionen der Sicherheitskräfte ereigneten, wobei der
Wahrheitsgehalt der Meldungen teilweise umstritten ist (vgl. Südasien-Institut zu
52, S. 3). Es bestehen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen keine
Anhaltspunkte dafür, daß es im Zusammenhang mit der Inhaftierung nach Indien
zurückgekehrter bzw. abgeschobener Khalistan-Anhänger zu Mißhandlungen oder
sonstigen Übergriffen gekommen ist. Der von der Sachverständigen Dr. Gräfin
Bernstorff vorgelegte Bericht im Indian Express vom 26. Januar 1986 (Anlage zu
67) betrifft den Tod eines unter der Anschuldigung terroristischen Aktivitäten
inhaftierten Sikhs, wobei offenbar umstritten ist, ob der Tod infolge von
Mißhandlungen oder krankheitsbedingt eingetreten ist. Zum Tod von drei weiteren
inhaftierten Sikhs, die ebenfalls terroristischer Aktivitäten beschuldigt werden,
werden keine Einzelheiten mitgeteilt. Nach den neuesten, dem Senat vorliegenden
Berichten befinden sich von den im Punjab inhaftierten Sikhs nur noch diejenigen
in Haft, die sich wegen kriminellen Gewalttaten zu verantworten haben (vgl.
Auswärtiges Amt zu 63). Von 4.000 Verhafteten sollen 3.000 wieder auf freiem Fuß
sein; es gibt bisher keine Anklagen oder Gerichtsurteile, weder gegen die
Entlassenen noch gegen die in Haft Verbliebenen (Dr. Gräfin Bernstorff zu 67).
Dafür, daß Verhaftete im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Sikh bzw. Khalistan-
Anhänger verschärfte staatliche Maßnahmen drohen, bestehen nach Auffassung
des Senats keine Anhaltspunkte.
Die indische Zentralregierung ist offenbar bestrebt, ihre Politik der Verständigung
mit den Sikhs fortzusetzen. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13.
Januar 1986 (zu 63) hat sich die Lage im Punjab seit der Regierungsübernahme
durch die Akali-Dal stabilisiert. Die Regierung ist bemüht, ihr Wahlversprechen
einzulösen und die während der Punjab-Unruhen in extremistische Aktivitäten
verwickelten Sikhs wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Allerdings ist vor allem
durch die inzwischen vielfach gegen gemäßigte Sikhs gerichteten Terroranschläge
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durch die inzwischen vielfach gegen gemäßigte Sikhs gerichteten Terroranschläge
wieder Unsicherheit entstanden. Hinzu kommen Zweifel hinsichtlich der Einhaltung
im Abkommen vom 25. Juli 1995 gemachter Zusagen. Eine Wiederholung der
Ereignisse vom Sommer 1984 ist nicht wahrscheinlich, kann aber nach den
Einschätzung der Sachverständigen Dr. Gräfin Bernstorff (zu 67) nicht
ausgeschlossen werden. Für die Motivation der indischen Sicherheitskräfte für den
Fall eines erneuten Einschreitens würde freilich nichts anderes gelten als
hinsichtlich der Situation im Sommer 1984.
Die vorstehenden Darlegungen decken sich im wesentlichen mit den
Feststellungen, welche amnesty international in seinem genannten Bericht vom
01.12.1986 getroffen hat und finden im übrigen ihre Bestätigung im Lagebericht
Indien des Auswärtigen Amtes vom 15. März 1987. Nach alledem ist der Senat
davon überzeugt, daß dem Antragsteller weder in der Vergangenheit noch im Falle
seiner Rückkehr nach Indien politische Verfolgung droht. Soweit in dem Bericht von
amnesty international von Übergriffen und insbesondere von
menschenrechtsverletzenden Aktionen einzelner indischer Ordnungskräfte
berichtet wird, läßt sich damit eine Gruppenverfolgung der Sikhs in Indien nicht
begründen. Wie der Äußerung des Auswärtigen Amtes vom 15. März 1987 zu
entnehmen ist, werden solche Vorkommnisse durch die indische Regierung nicht
geduldet und es ist nichts dafür ersichtlich, daß gegen die entsprechenden
Beamten und deren Helfer nicht in der gebotenen Weise vorgegangen wird.
Jedenfalls sind solche Übergriffe einzelner, in Vollziehung staatlicher
ordnungsrechtlicher Maßnahmen dem indischen Staat im Sinne einer gezielten,
gegen die Sikhs gerichteten Gruppenverfolgung nicht zuzurechnen. Es ist nämlich
davon auszugehen, daß der indische Staat solche unrechtmäßigen
Überschreitungen polizeilicher Befugnisse ebensowenig dulden wird, wie in den
Vergangenheit auch; so hat die Regierung zum Beispiel auch bezüglich des
Exzesse im Anschluß an die Ermordung von Indira Ghandi entsprechende
Untersuchungen in die Wege geleitet (Süddeutsche Zeitung vom 12. April 1985,
Nr. 53 der Unterlagen).
Soweit in den letzten Tagen und Wochen eine Veränderung der politischen
Situation im Punjab dadurch eingetreten ist, daß der Bundesstaat wieder unter
President Rule gestellt worden ist, das heißt, der direkten Verwaltung durch die
Zentralregierung untersteht, stellt sich das nach Einschätzung des Senates
gerade als Manifestation des Willens der indischen Regierung dar, den zahllose
Menschenopfer fordernden Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden
Gruppen, die sich auch und zum großen Teil als Reaktion auf die bewußt von
extremistischen Sikhorganisationen initiierte Gewalttätigkeiten darstellen (vgl.
Lagebericht Indien des Auswärtigen Amtes vom 15. März 1987, welcher dem
Antragsteller durch Verfügung vom 21.05.1987 übersandt worden ist), Einhalt zu
gebieten. Nach den zu den genannten Ereignissen im Mai diesen Jahres im Punjab
verbreiteten Nachrichten erfolgte die Unterstellung unter President Rule
ausdrücklich deswegen, weil alle Versuche der bundesstaatlichen Verwaltung des
Punjab, dem Morden Einhalt zu gebieten und geordnete Verhältnisse herzustellen,
seither nicht in ausreichendem Maße erfolgreich waren. Da es sich bei der
Übernahme der Regierungsgewalt im Punjab durch die Zentralregierung in Delhi
um allgemeinkundige Tatsachen handelt, durfte der Senat sie bei seiner
Entscheidung berücksichtigen, ohne sie vorher gesondert zum Gegenstand des
Verfahrens gemacht zu haben (vgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 11.02.1982 - 9 B
429.81 - betreffend den Wahlsieg der Kongreß-Partei bei den Parlamentswahlen
des Jahres 1980 in Indien = EZAR 610 Nr. 17; BVerwG, Urteil vom 13.07.1982 - 9 C
53.8 - zur Machtübernahme durch das Militär am 12.09.1980 in der Türkei = EZAR
610 Nr. 19).
Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens
beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3, 73 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.