Urteil des HessVGH vom 05.02.2009

VGH Kassel: zucht, universität, wahrscheinlichkeit, landwirtschaft, zahl, form, vollstreckung, ernährung, beweisführung, tierhaltung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 A 1194/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 11b TierSchG
(Entenzucht; Zuchtverbot mit Blick auf bei der Nachzucht
zu erwartende erblich bedingte Defekte und
Verhaltensauffälligkeiten)
Leitsatz
Bei der Züchtung der Hausentenrasse "Landenten mit Federhaube" muss damit
gerechnet werden, dass bei der Nachzucht erblich bedingt Defekte und
Verhaltensauffälligkeiten auftreten, die ein Zuchtverbot rechtfertigen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom
26. September 2005 - 10 E 1029/05 - wird zurückgewiesen.
Die in zweiter Instanz entstandenen Kosten hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen das Verbot, Landenten mit Federhaube zu züchten.
Der Kläger züchtete seit 1998 Landenten mit Haube. Mit Bescheid vom 11.
November 2002 untersagte der Landrat des Vogelsbergkreises dem Kläger diese
Zucht, insbesondere mit den im Besitz des Klägers befindlichen Landenten. Der
Sofortvollzug wurde angeordnet. Zur Begründung wurde angeführt, die
Voraussetzungen des § 11b Abs. 1 und 2 TierSchG seien erfüllt, da bei der
Züchtung von Enten mit dem Merkmal "Federhaube", häufiger als es zufällig zu
erwarten wäre, kranio-zerebrale Missbildungen (Schädeldefekte, intrakraniale
Lipome, Hirndeformationen, Hirnbrüche) aufträten. Das Gehirn sei in diesen Fällen
umgestaltet und nicht mehr tauglich, bestimmungsgemäße Funktionen
auszuüben, wodurch den Tieren Leiden und Schmerzen zugefügt würden. Die bei
Haubenenten auftretenden körperlichen Defekte seien seit dem allgemein
zugänglichen Gutachten des Bundesministeriums für Landwirtschaft (BML) von
1999, insbesondere aber seit dem Vorliegen des Abschlussberichts von Bartels
und Kummerfeld zum Forschungsauftrag 96/HS/046/2002, bekannt. Zur weiteren
Darstellung wird auf die Begründung des Bescheids vom 11. November 2002
verwiesen.
Gegen den Bescheid hat der Kläger - entsprechend der dem Bescheid beigefügten
Rechtsbehelfsbelehrung - am 11. Dezember 2002 vor dem Verwaltungsgericht
Gießen Klage erhoben. Nach einer die Rechtsbehelfsbelehrung korrigierenden
Mitteilung des Beklagten wurde das Ruhen des Verfahrens beantragt, um zunächst
das Vorverfahren durchzuführen. Mit Beschluss vom 20. März 2003 wurde das
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das Vorverfahren durchzuführen. Mit Beschluss vom 20. März 2003 wurde das
Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Am 12. Februar 2003 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von
Eilrechtsschutz. Mit Beschluss vom 14. April 2003 - 10 G 417/03 - lehnte das
Verwaltungsgericht Gießen den Antrag ab, die dagegen eingelegte Beschwerde
wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Juni 2003 - 11
TG 1262/03 - zurück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2003 wies das Regierungspräsidium
Gießen den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Landrates des
Vogelsbergkreises vom 11. November 2002 zurück. Mit Schriftsatz vom 15. April
2005 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf, welches dann unter dem Az.: 10
E 1029/05 geführt wurde. Mit Urteil vom 26. September 2005, dem
Bevollmächtigten des Kläger zugestellt am 21. Oktober 2005, hat das
Verwaltungsgericht Gießen die Klage abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen des
erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten einschließlich ihrer gestellten Anträge
und zur Darstellung der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2005, bei dem Verwaltungsgericht eingegangen
am 18. November 2005, beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung gegen
dieses Urteil. Durch Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.
Mai 2006, dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 18. Mai 2006, wurde
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom
26. September 2005 zugelassen.
Der Kläger hat die Berufung mit einem am 12. Juni 2006 beim Hessischen
Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom
08. Juni 2006 damit begründet, in dem angegriffenen Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen werde der Gesetzeswortlaut des § 11b TierSchG
missachtet, weil die nicht geschlossene Schädeldecke als Schaden im Sinne des
Gesetzes eingestuft werde, obwohl weder in dem Forschungsbericht noch sonst
belegt sei, dass eine nicht arttypische Beeinträchtigung der Tiere durch die nicht
geschlossene Schädeldecke gegeben sei. Vorgefundene Schädigungen könnten
auch andere Ursachen haben, als den in dem Gehirn vorhandenen Fettkörper.
Außerdem habe das Verwaltungsgericht die quantitative Häufigkeit von genetisch
bedingten Fehlbildungen nicht untersucht. Diese Häufigkeit sei nun gerade bei den
Landenten mit Haube nicht gegeben. Im Vergleich zu anderen Hausentenrassen
seien bei den Landenten mit Haube keine vermehrten Ausfallerscheinungen zu
beobachten. Gelegentlich auftretende Gleichgewichtsstörungen ließen sich
zurückdrängen, wie neuere Untersuchungen der Dipl.-Biologin Dr. Julia Cnotka
ergeben hätten. Sie habe für die Zucht der Landenten mit Haube einen einfachen
Umdrehtest entwickelt, der für den Züchter schnelle Anhaltspunkte für die
Zusammenstellung einer Zuchtgruppe ergebe. Bei dem Umdrehtest würden
halbwüchsige Landenten mit Haube auf den Rücken gelegt. Solche Tiere, die
innerhalb von zwei Sekunden wieder "auf die Beine kämen", könnten in die
Zuchtgruppe aufgenommen werden. Tiere, die längere Zeit benötigten, seien
auszuschließen. Eine erste Brut ohne Umdrehtest habe im Jahre 2004 ein
Schlupfergebnis von durchschnittlich 64% ergeben. Die zweite Brut nach dem
Umdrehtest habe bereits eine deutliche Steigerung des Schlupfergebnisses auf
86% erbracht. Damit entfalle sogleich das Tatbestandsmerkmal des § 11b
TierSchG, wonach mit bestimmten Umständen "gerechnet" werden müsse. Auch
könne nicht von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden, wie das
Verwaltungsgericht Gießen sie zugrunde lege. Der Züchter müsse nicht beweisen,
dass die Zucht nicht tatbestandsmäßig im Sinne des Tierschutzgesetzes sei. Eine
statistische Auswertung der Ergebnisse des Forschungsauftrags 96 HS 046 sei
bislang seitens des Beklagten nicht vorgelegt worden. Gerade der Erbgang der
Landenten mit Haube sei nicht publiziert worden. Dass etwaige Anomalien
genetisch bedingt seien, sei nicht nachgewiesen. Der Forschungsbericht erschöpfe
sich in Vermutungen, statt verlässliche Feststellungen zu treffen. Auch seien die
Herangehensweisen im Forschungsbericht mangelhaft. Eine im niedersächsischen
Teufelsmoor vorkommende freilebende Entenpopulation mit Haube sei in dem
Bericht nicht erwähnt worden. Schließlich seien in der Wissenschaft auch weitere
Bedenken gegen die Ergebnisse des Forschungsauftrages 96 HS 046 vorgebracht
worden. So sei Prof. Dr. Bessei vom Institut für Tierhaltung und Tierzüchtung der
Universität Hohenheim zu dem Ergebnis gekommen, mittels des
Forschungsauftrages könne keine Aussage über die hinreichende
Wahrscheinlichkeit von Anomalien in der Grundgesamtheit der Haubenenten
getroffen werden, da die Vorgehensweise bei den Untersuchungen nicht zu
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getroffen werden, da die Vorgehensweise bei den Untersuchungen nicht zu
repräsentativen Erkenntnissen habe führen können. Auch Diplompsychologin Kart
vom Institut für Physiologische Psychologie der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf bemängele die Art und Weise des Vorgehens. Die inzwischen
veröffentlichte Dissertation von Frau Dr. Cnotka könne nicht zum Beweis für die
erbliche Bedingtheit bestimmter Anomalien herangezogen werden. Eine solche
Beweisführung sei gar nicht Ziel der Dissertation gewesen. Vielmehr sollte ein
Testverfahren entwickelt werden, welches die Auswahl von Zuchttieren ohne
Verhaltensauffälligkeiten oder -störungen erleichtere. Soweit in die Untersuchung
auch im Ei abgestorbene Embryonen einbezogen worden seien, erfüllten diese
bereits nicht den Tatbestand des § 11b TierSchG. Die Arbeit komme zu dem
Ergebnis, dass ein im Gehirn vorhandener Fettkörper an sich keine
Beeinträchtigung für das Tier auslöse. Erst ab einer bestimmten Größe des
Fettkörpervolumens müsse von Problemen für die Tiere ausgegangen werden.
Fettkörper verschiedenster Größe seien sowohl bei haubentragenden als auch bei
glattköpfigen Tieren gefunden worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. September 2005 - 10 E
1029/05 - und den Bescheid des Berufungsbeklagten vom 11. November 2002 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 25.
August 2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2006 wird ausgeführt, es sei die Rechtsfrage zu
klären, was unter dem Tatbestandsmerkmal des § 11b Abs. 1 TierSchG "wenn
damit gerechnet werden muss" zu verstehen sei. Das Verwaltungsgericht Gießen
habe in seinem Beschluss vom 14. April 2003 - 10 G 417/03 - ausgeführt, eine
Qualzucht sei gegeben, wenn für das Vorliegen der tatbestandlichen
Voraussetzungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe. Außerdem
könnten auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil
vom 16. März 2004 (NVwZ 2004, 597,602 f.) für das vorliegende Verfahren nutzbar
gemacht werden. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit tierschutzwidriger Folgen sei
im Zusammenhang mit der Züchtung von Landenten mit Hauben in
wissenschaftlich fundierter Weise nachgewiesen worden. Daher sei es Aufgabe des
Klägers als Züchter, diese hinreichende Wahrscheinlichkeit durch fachlich
qualifizierte Belege zu entkräften oder zu erschüttern. Die von dem Kläger
herangezogenen wissenschaftlichen Nachweise genügten dazu nicht. Hingegen sei
das Ergebnis des Forschungsauftrages 96 HS 046 vor der Annahme durch das
Fachministerium von einem unabhängigen Gremium in der Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung ausdrücklich geprüft und für gut befunden worden,
was sich aus der Stellungnahme der hessischen Landesbeauftragten für
Angelegenheiten des Tierschutzes vom 19. Juli 2006 ergebe. Das
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gehe in
seinem Erlass vom 31.01.2002 unter anderem davon aus, dass sich die
Schadwirkung des Haubengens nicht durch geeignete züchterische Maßnahmen
wie einer Verpaarung von Merkmalsträgern mit Nichtmerkmalsträgern eliminieren
lasse. Die Liste der einschlägigen Veröffentlichungen reiche von 1910 bis 2006 und
belege, dass es sich bei den diagnostizierten Fehlbildungen keineswegs um
seltene Ausnahmeerscheinungen handele, sondern um Defekte, mit denen die
Züchter rechnen müssten. Die Einschätzung des 11. Senats in dem
Zulassungsbeschluss vom 15. Mai 2006, verschiedene wissenschaftliche
Sachverständige stünden sich auf gleicher "Augenhöhe" gegenüber, bedürfe der
inhaltlichen Überprüfung und der Korrektur. Der Forschungsauftrag habe mit
seinen wissenschaftlichen Ergebnissen den jahrzehntealten Befund bestätigt, dass
die Züchter von Haubenenten mit Defekten rechnen müssten. Zu diesem
Ergebnis komme letztlich auch die Dissertation von Frau Dr. Cnotka. Sie weise
unter anderem darauf hin, ihre Untersuchungen hätten ergeben, dass bei den
nicht geschlüpften Küken der Grund des Steckenbleibens im Ei durch die
beobachteten Missbildungen in den meisten Fällen offensichtlich gewesen sei und
nicht auf äußere Umstände zurückgeführt werden könne.
Dem Senat liegen die Beiakten des Beklagten (3 Hefter), die im erstinstanzlichen
Urteil verwerteten Sachverständigengutachten sowie die Dissertation von Frau Dr.
Cnotka zum Thema "Hirnveränderungen bei domestizierten Landenten" vor, die
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Cnotka zum Thema "Hirnveränderungen bei domestizierten Landenten" vor, die
zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die mit Beschluss vom 15. Mai 2006 - 11 UZ 3030/05 - zugelassene Berufung ist
auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht begründet worden
(§§ 124a Abs. 3 Satz 3 bis 5, Abs. 6 VwGO).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Nach den dem Senat vorliegenden
Untersuchungsberichten zur Zucht von Landenten mit Haube muss damit
gerechnet werden, dass bei der Nachzucht erblich bedingt Körperteile oder Organe
für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und
hierdurch Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 TierSchG) und dass bei den
Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen
auftreten (§ 11b Abs. 2 TierSchG). Das in § 11 b Abs. 1 und 2 TierSchG normierte
Zuchtverbot für Wirbeltiere ergreift unter den in den Vorschriften geregelten
Voraussetzungen auch natürlich entstandene körperliche Anomalien und
Merkmale, die früher als anerkannte Art- oder Rassemerkmale angesehen und
deshalb in Züchtungen angestrebt worden sind. Insoweit ist zu berücksichtigen,
dass die Verbotstatbestände Ausdruck eines gewandelten Verständnisses über die
Bedeutung des Tierschutzes sind, wonach die den Tieren in Rassezuchten
zugemuteten körperlichen Belastungen nicht mehr hingenommen werden sollen.
Diese Sichtweise wird durch die verfassungsrechtliche Verankerung des
Tierschutzes in Art. 20a GG nachhaltig untermauert. Ein Vertrauenstatbestand,
der es Züchtern ermöglichen könnte, jedenfalls seit langem unbeanstandet
praktizierte Zuchtformen weiterzuführen, besteht unter diesen Umständen nicht
(vgl. den im vom Kläger betriebenen Eilverfahren ergangenen Beschluss des Hess.
VGH vom 26. Juni 2003, - 11 TG 1262/03 -, RdL 2003, 277).
Bei Landenten mit Federhaube sind über einen langen Zeitraum hinweg
Auffälligkeiten beobachtet worden, wie z. B. Bewegungsstörungen in Form von
Schwanken, Torkeln oder Niederstürzen. Gerichtetes Geradeausgehen bereitet
Probleme, weiterhin das Ausführen von Komfortverhalten wie Schütteln und Putzen
(vgl. dazu Cnotka, S. 83). In der Literatur wurde über dieses Thema bereits im
Jahre 1910 berichtet (Krautwald, F., Die Haube der Hühner und Enten), weitere
Veröffentlichungen erfolgten 1932 (Rüst, W., Lethalfaktoren und unvollkommene
Dominanz bei Haubenenten), 1959 (Requate, H., Federhauben bei Vögeln) und in
größerer Zahl ab 1998. In neueren Untersuchungen sind Schädeldefekte,
Fetteinlagerungen im Gehirn, Hirndeformationen und Hirnbrüche festgestellt
worden. Der Beklagte und die Widerspruchsbehörde haben sich in nicht zu
beanstandender Weise bei der Verhängung eines Zuchtverbotes gegen den Kläger
wesentlich auf die Ergebnisse des Abschlussberichts zum Forschungsauftrag 96
HS 046 gestützt, der die Untersuchung zur Haubenbildung bei Hausenten im
Hinblick auf "Anatomie, Morphologie, Merkmalsvererbung und Tierschutzrelevanz"
zum Gegenstand hatte, sowie auf das Gutachten zur Auslegung von § 11b
TierSchG vom 02. Juni 1999. Der Abschlussbericht zu dem vorgenannten
Forschungsauftrag gelangt auf der Grundlage von Untersuchungen, die an
Nachkommen von Kreuzungen und Rückkreuzungen von haubentragenden Enten
und anderen Enten vorgenommen wurden, zu der abschließenden Feststellung,
dass Hausenten mit Federhaube unverhältnismäßig häufig cranio-cerebrale
Missbildungen (Calvaria-Defekte, Hirndeformationen infolge intracranialer
Fetteinlagerungen, (Meningo)-Enzephalozelen) aufwiesen, die zweifelsfrei als
pathologische Organveränderungen und als Schäden im Sinne von § 11b TierSchG
anzusehen seien.
Dagegen überzeugen die von dem Kläger geltend gemachten grundlegenden
Bedenken gegen die bei den Untersuchungen im Rahmen des
Forschungsauftrages angewandte Methodik nicht. Zwar wird in einer
Stellungnahme von Prof. Dr. Bessei vom Institut für Tierhaltung und Tierzüchtung
der Universität Hohenheim vom 21. Oktober 2004, ergänzt durch Schreiben vom
26. September 2006, und von Diplompsychologin Kart vom Institut für
Physiologische Psychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ohne Datum
bemängelt, es habe an einer repräsentativen Auswahl der für die Weiterzucht
verwendeten Haubenenten gefehlt. Die Tiere seien lediglich aus 4 von insgesamt
43 Beständen von Haubenenten in Deutschland entnommen worden. Überdies
seien für die Analyse bewusst Elterntiere ausgewählt worden, bei denen das
Auftreten von Schäden bei den Nachkommen zu erwarten gewesen sei. Ferner
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Auftreten von Schäden bei den Nachkommen zu erwarten gewesen sei. Ferner
seien prämierte Ausstellungstiere ersteigert worden, die weder die 4 ausgesuchten
Bestände noch etwa die Gesamtpopulation repräsentieren könnten. Allerdings
führt weder diese Kritik an der Vorgehensweise noch etwa das von dem Kläger
bemängelte fehlende Eingehen auf eine haubentragende Entenpopulation im
niedersächsischen Teufelsmoor dazu, dass die Ergebnisse des Abschlussberichts
zum Forschungsauftrag 96 HS 046, wonach bei der Nachzucht der Landenten mit
Haube Gehirnmissbildungen auftreten können, nicht zur Beurteilung der hier
maßgeblichen Frage herangezogen werden könnten.
Für die Annahme der Verbotswidrigkeit einer züchterischen oder bio- oder
gentechnischen Maßnahme nach § 11 b Abs. 1 TierSchG bedarf es keiner
abschließend gesicherten oder unumstrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Allerdings müssen zumindest verlässliche Anhaltspunkte oder Prognosen über das
Auftreten nachteiliger organischer Veränderungen als erblich bedingte Folgen der
Zucht vorhanden sein. Der Tatbestand des § 11 b TierSchG erfordert, dass mit
dem Auftreten der genannten Merkmale "gerechnet werden muss". Das ist der
Fall, wenn es sich um nicht fernliegende, sondern realistische Möglichkeiten
handelt. Ob die Folge tatsächlich eintritt, ist unerheblich. Maßgeblich sind die
objektiven Verhältnisse (Lorz/Metzger, TierSchG, 6. Aufl. 2008, § 11b, Rn. 5;
Goetschel, in: Kluge, TierSchG, 1. Aufl. 2002, § 11b, Rn. 15; Hirt, Maisack, Moritz,
TierSchG, 2. Aufl. 2007, § 11b, Rn. 6). Bereits aus der Entstehungsgeschichte des §
11b TierSchG ergibt sich, dass mit dem Merkmal "gerechnet werden muss" ein
weit auszulegender Begriff gemeint ist, der nicht an wissenschaftlich abschließend
gesicherte Erkenntnisse anknüpfen sollte. So lautete § 11b TierSchG in der
Gesetzesfassung vom 01. Januar 1987 wie folgt: "Es ist verboten, Wirbeltiere zu
züchten, wenn der Züchter damit rechnen muss, dass bei der Nachzucht auf
Grund vererbter Merkmale Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch
fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden
oder Schäden auftreten". Zur Begründung des Gesetzentwurfs wurde angeführt,
es sei geboten, gegen sogenannte Qualzüchtungen einzuschreiten, bei denen
Veränderungen von Körpermerkmalen bestimmter Haustiere bewusst in Kauf
genommen oder gar gefördert würden, obwohl sie für die betroffenen Tiere mit
Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein könnten (vgl. Gesetzesentwurf
der Bundesregierung vom 10. April 1985 BT-Drs. 10/3158, S. 27).
Die verschiedenen Defekte und Verhaltensauffälligkeiten bei Landenten mit Haube
sind von allen genannten Wissenschaftlern unabhängig voneinander über einen
langen Zeitraum hinweg beobachtet worden, so dass von der naheliegenden
Möglichkeit des erneuten Auftretens von Defektmerkmalen bei den Nachkommen
im Falle der Verpaarung von Tieren auszugehen ist. Auch von einer erblichen
Bedingtheit der Merkmale ist auszugehen. Etwa zunächst noch vorhandene
Zweifel sieht der Senat als im Berufungsverfahren ausgeräumt an. Die inzwischen
vorliegende Dissertation der Dipl.-Biologin Dr. Cnotka mit dem Thema
"Hirnveränderungen bei domestizierten Landenten (Anas platyrhynchos f.d.) -
morphometrische und ethologische Untersuchungen" kommt zu dem Ergebnis,
dass die in früheren Befunden über Landenten ermittelten Aussagen sich teilweise
bestätigt hätten. Sowohl motorische Koordinationsschwierigkeiten als auch Hirn-
und Schädeldefekte seien beobachtet worden, ebenso intrakraniale Fettkörper und
Missbildungen an Küken (Cnotka, S. 103). Die beobachteten pathologischen
Veränderungen bei den nichtgeschlüpften Küken könnten nicht auf Technopathien
zurückgeführt werden, da sie als genetisch determiniert belegt seien. Der Grund
des Steckenbleibens sei durch die beobachteten Missbildungen in den meisten
Fällen offensichtlich gewesen und könne nicht auf äußere Faktoren zurückgeführt
werden (Cnotka, S. 88,89). Dem Einwand des Klägers, im Ei abgestorbene
Embryonen erfüllten bereits nicht den Tatbestand des § 11b TierSchG, kann nicht
gefolgt werden. Wie bereits in dem Beschluss des Hess. VGH vom 26. Juni 2003 -
11 TG 1262/03- ausgeführt wurde, sind auch ungeborene bzw. noch nicht
geschlüpfte Tiere nach Vollendung des Entwicklungsstadiums der Organogenese
zu den Nachkommen zu rechnen. Dass es sich bei den nicht geschlüpften Küken
um Tiere in diesem Sinne handelt, ergibt sich aus den Ausführungen von Cnotka.
Es heißt dort: " Dass sich die von Encephalocelen betroffenen Küken bis zur
Schlupfreife entwickelt haben, entspricht den Untersuchungen von Zanata (1997),
der sowohl bei Enten als auch bei Hühnern festgestellt hat, dass sich
Encephalocelen erst ziemlich spät in der Entwicklungsphase ausbilden und eng mit
Entwicklungsstörungen der Schädelknochen verbunden sind" (Cnotka, S. 89).
Zwar führt Cnotka weiter aus, nicht bestätigt habe sich, insbesondere in den
Versuchsjahren 2005 und 2006, die von Bartels et al. formulierte hohe prä- und
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Versuchsjahren 2005 und 2006, die von Bartels et al. formulierte hohe prä- und
postnatale Sterberate, was auf optimale Brutbedingungen zurückgeführt wird.
Ebenso wenig könne die Auffassung dieser Autoren geteilt werden, selbst bei
adäquater Zuchtauslese sei ein Herauszüchten der negativen Eigenschaften nicht
möglich. Allerdings habe Bartels et al. in seinen Untersuchungen nicht
ausschließen können, dass beobachtete negative Merkmale nur auf wenige
Ausnahmetiere oder sogar die Vergleichstiere zurückzuführen sei. Die mit der
Dissertation erhobenen Befunde machten deutlich, dass es starke individuelle
Unterschiede zwischen den Tieren geben könne, was die Vererbung negativer
Merkmale angehe. Deshalb müsste die genaue Abstammung bekannt sein, um
diese Tiere auszuselektieren. Eine Untersuchung des genauen Erbgangs mit der
zuständigen Anzahl an verantwortlichen Genen stehe jedoch noch aus (Cnotka, S.
103). Dies führt jedoch nicht zu einer anderen Bewertung durch den Senat, denn
derzeit ist mit dem Auftreten von Defektmerkmalen zu rechnen und es gibt keine
verlässlichen Anhaltspunkte dafür, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas
ändern könnte. Der Senat teilt die Ansicht des Klägers nicht, die Dissertation von
Frau Dr. Cnotka könne nicht zur richterlichen Überzeugungsbildung für die erbliche
Bedingtheit bestimmter Anomalien und die Entbehrlichkeit eines weiteren
Sachverständigengutachtens herangezogen werden, da eine solche
Beweisführung nicht Ziel der Dissertation gewesen sei. Es handelt sich um eine
umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung, die sich gerade den beobachteten
Hirnveränderungen bei Landenten widmet. Wenn es auch Ziel der Arbeit war, ein
Testverfahren für die Auswahl von Zuchttieren ohne Verhaltensauffälligkeiten oder
-störungen zu entwickeln, so erfolgte parallel dazu auch eine "anatomisch basierte
Kausalanalyse der Verhaltensstörungen" (Cnotka, S. 22). In der
Zusammenfassung heißt es: "Die Hausentenrasse "Landente mit und ohne
Haube" zeigt regelmäßig hohe prä- und postnatale Sterberaten sowie
Schädelanomalien, intrakraniale Fettkörper und motorische Störungen, die
insgesamt als tierschutzrelevant angesehen werden ("Qualzucht")" (Cnotka, S.
110). Wenn auch im Rahmen des Versuchs bei der Zucht mit "vorselektierten
Tieren" eine Erhöhung der Schlupfrate von 64% auf 86% erreicht wurde und der
Anteil an Tieren mit Schädelanomalien von 62% auf 36% zurückging(Cnotka, S.
110), so belegt doch die Dissertation wissenschaftlich eine immer noch hohe Zahl
an geschädigten Tieren trotz optimaler Zuchtbedingungen. Diese Ergebnisse
können nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ihre Erhebung nicht eigentliches
Ziel der Untersuchung war.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist durch die angefochtene Entscheidung
nicht verletzt worden. Den Belangen des Tierschutzes ist der Vorrang einzuräumen
gegenüber den Interessen des Klägers an der Verfolgung einer Hobbytierzucht.
Die in zweiter Instanz entstandenen Kosten hat der Kläger zu tragen, weil sein
Rechtsmittel erfolglos bleibt (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die
Abwendungsbefugnis ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 132
Abs. 1, 2 Nr. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.