Urteil des HessVGH vom 12.10.1993

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, gerät, belastung, hessen, ungültigkeit, satzung, gaststätte, ermessen, stadt, spielapparat

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 1869/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 GG, § 7 Abs 2 KAG HE
(Spielapparatesteuer - Besteuerung nach dem
Stückzahlmaßstab - Differenzierung nach dem
Aufstellungsort)
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Verwaltungsgericht den Antrag des
Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Widersprüche gegen die - durch
Entgegennahme der jeweiligen Steuererklärung seitens der Antragsgegnerin
bewirkte - Heranziehung zur Spielapparatesteuer für das 2., 3. und 4. Quartal 1992
sowie das 1. Quartal 1993 anzuordnen, abgelehnt. Die dagegen erhobene
Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. An
der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Heranziehung bestehen ernstliche Zweifel,
die es nach der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren (§ 80 Abs. 5 VwGO)
entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO
rechtfertigen, die sofortige Vollziehbarkeit auszusetzen.
Diese Zweifel werden dadurch begründet, daß die Spielapparatesteuersatzung der
Antragsgegnerin vom 16. Dezember 1991 in ihrem § 4 Abs. 1 Buchst. a für die
Bemessung der Steuer auf "die Benutzung von Spiel- und
Geschicklichkeitsapparaten, soweit sie öffentlich zugänglich sind" (§ 2 Buchst. a
der Spielapparatesteuersatzung), den "Stückzahlmaßstab" verwendet, ohne dabei
differenzierte Steuersätze für "Gaststättenaufstellung" und "Spielhallenaufstellung"
vorzusehen. Nach § 4 Abs. 1 Buchst. a der Satzung beträgt die Steuer (1.) für
Apparate mit Gewinnmöglichkeit einheitlich 120,-- DM je Kalendermonat und Gerät
und (2.) für Apparate ohne Gewinnmöglichkeit einheitlich 40,-- DM je
Kalendermonat und Gerät. Es fehlt damit die von dem Senat in seinem
Vorlagebeschluß vom 19. Juli 1993 (5 N 1359/92) zur Gültigkeit der
Spielapparatesteuersatzung der Stadt Gießen für notwendig angesehene
Abstufung der Steuersätze, je nachdem, ob die Lokalität, in der die Apparate
aufgestellt sind, eigens zum Zweck des Spielens eingerichtet ist und betrieben
wird ("Spielhallenaufstellung") oder ob sie primär anderen - z.B. gastronomischen -
Zwecken dient ("Gaststättenaufstellung"). Im einzelnen hat der Senat in dem
vorgenannten Beschluß ausgeführt:
"Zu dem Ergebnis, daß der Stückzahlmaßstab bei der Erhebung von
Spielapparatesteuer schon als solcher gegen den Gleichheitssatz verstößt,
gelangt der Senat gleichwohl nicht. Zu bedenken ist zum einen das Ermessen des
Steuergesetzgebers bei der Auswahl des Steuermaßstabs, welches einen
Spielraum auch insoweit einschließt, als es um die Beurteilung der praktischen
Schwierigkeiten der alternativ in Betracht kommenden Besteuerungsverfahren
geht. Zum anderen sieht sich der Senat auch in dieser Frage durch die
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1962 (a.a.O.) und
vom 1. April 1971 (a.a.O.) gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Stückzahlmaßstab für die Bemessung der Spielapparatesteuer trotz der
bekannten und von ihm auch erwähnten Praxis bei der Erhebung der
Umsatzsteuer (Teilurteil vom 10.5.1962, a.a.O., S. 102) gebilligt.
Entscheidet sich der Steuergesetzgeber bei der Erhebung von
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Entscheidet sich der Steuergesetzgeber bei der Erhebung von
Spielapparatesteuer für die Verwendung des Stückzahlmaßstabs, so setzt
allerdings die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz zumindest voraus, daß dann
bei der Höhe der Steuersätze nach den Erscheinungsformen
"Spielhallenaufstellung" und "Gaststättenaufstellung" differenziert wird. Ohne
wenigstens diese Differenzierung kann der Stückzahlmaßstab nicht akzeptiert
werden. Von der wesentlich günstigeren Ertragslage der Spielhallenaufstellung war
bereits die Rede; sie wird, weil in zahlreichen Erhebungen immer wieder
festgestellt, von niemandem bezweifelt. So heißt es in den einschlägigen
Gerichtsentscheidungen, daß die Einnahmen an Geräten in Spielhallen
"erfahrungsgemäß und typischerweise höher" (VG Sigmaringen, Urteil vom
8.7.1987 - 3 K 1234/86 -) bzw. "bedeutend höher" (OVG Münster, Beschluß vom
22.9.1989 - 16 B 3000/88 - NVwZ 1989, 588, 589) seien als die entsprechenden
Einnahmen in Gaststätten. Der VGH Mannheim bezeichnet die Annahme als
vertretbar, daß ein Gerät in einer Spielhalle, welches "speziell zum Spielen"
aufgestellt sei, etwa dreimal so häufig in Anspruch genommen werde wie ein
Gerät, welches in einer Gaststätte von Gaststättenbesuchern gelegentlich ihres -
primär anderen Zwecken dienenden - Gaststättenaufenthalts benutzt werde (VGH
Mannheim, Beschluß vom 17.9.1992 - 2 S 1162/92 - ZKF 1993, 60). Die von den
Gerichten ermittelten Zahlen belegen die Richtigkeit dieser Aussagen. Der -
bezogen auf den einzelnen Spielapparat - prinzipiell unterschiedlichen Ertragslage
von Spielhallenaufstellung und Gaststättenaufstellung tragen Gesetzgebung und
Satzungsgebung in anderen Bundesländern in aller Regel durch unterschiedlich
hohe Pauschsteuersätze Rechnung......
Die Festlegung gleich hoher Steuersätze für Spielhallenaufstellung und
Gaststättenaufstellung läßt sich nicht mehr mit durch unterschiedlich hohe
Pauschsteuersätze Rechnung ... Art. 3 GG hinzunehmenden - Vernachlässigung
der individuell unterschiedlichen Ertragssituation bei der Automatenaufstellung
rechtfertigen. Die individuelle Ertragssituation wird sicherlich auch durch die Lage
des jeweiligen Aufstellortes beeinflußt. So kann von Bedeutung sein, ob in
Großstädten, Mittelstädten, Kleinstädten oder in Landgemeinden aufgestellt wird
(vgl. BVerfG, Teilurteil vom 10.5.1962, a.a.O., S. 103). Hiermit nicht vergleichbar ist
jedoch die typischerweise unterschiedliche Ertragssituation, die mit einer
unterschiedlichen Zweckbestimmung der zum Aufstellen genutzten
Räumlichkeiten zusammenhängt. Die Aufstellung in einer für eben diesen Zweck
eingerichteten und betriebenen Spielhalle führt unabhängig von den eben
genannten individuellen Einflüssen der örtlichen Lage erfahrungsgemäß und
nachweisbar zu wesentlich höheren Erträgen als die Aufstellung in Einrichtungen,
die primär gastronomisch genutzt werden. Diese typenbedingte
Unterschiedlichkeit darf der Steuergesetzgeber bei der Steuerbemessung nicht
einfach unberücksichtigt lassen......
Von der Festlegung unterschiedlich hoher Pauschsteuersätze für Spielhallen- und
Gaststättenaufstellung bei Verwendung des Stückzahlmaßstabs kann nach dem
Prinzip der Steuergerechtigkeit unberücksichtigt lassen ... so niedrig ist, daß er
auch für die weniger einträgliche Gaststättenaufstellung zu keiner nennenswerten -
nicht ohne weiteres verkraftbaren - Belastung führt. Ab welchen Beträgen die
Belastung als in diesem Sinne "erheblich" zu bezeichnen ist, bedarf aus Anlaß des
vorliegenden Verfahrens keiner genauen Festlegung, denn die hier zu
beurteilenden Steuersätze von 200 DM für Gewinnspielapparate und 50 DM für
Apparate ohne Gewinnmöglichkeit erreichen eine Höhe, die in jedem Falle eine
Differenzierung zugunsten der Gaststättenaufstellung erfordert. Ohne sich in
diesem Punkt endgültig festlegen zu wollen, neigt der Senat dazu, die zu einer
Differenzierung nötigende "Erheblichkeitsgrenze" derzeit bei Sätzen von über 60
DM für Spielapparate mit Gewinnmöglichkeit und von über 30 DM für
Spielapparate ohne Gewinnmöglichkeit für überschritten anzusehen."
Die Antragsgegnerin sieht, wie sie dem Gerichtshof mit Schreiben vom 13.
September 1993 mitgeteilt hat, keine Veranlassung, aus dem Vorlagebeschluß
des Senats prozessuale Konsequenzen für anhängige Aussetzungsverfahren zu
ziehen, soweit es - wie gerade im vorliegenden Fall - um die Besteuerung von
Spielapparaten in S p i e l h a l l e n geht. Sie meint, daß der Verstoß gegen das
Prinzip der Steuergerechtigkeit zur Ungültigkeit der Bemessungsregelung nur
insoweit führe, als diese sich auf die Aufstellung von Spielapparaten in Gaststätten
bezieht. Die Regelung bleibe dagegen gültig und anwendbar für die Besteuerung
der Geräteaufstellung in Spielhallen. Die Möglichkeit einer erdrosselnden Wirkung
scheide bei dieser Fallgruppe aus, zumal die in ihrer Satzung festgelegten
Steuersätze von 120,-- DM für Geldspielgeräte und von 40,-- DM für
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Steuersätze von 120,-- DM für Geldspielgeräte und von 40,-- DM für
Unterhaltungsspielgeräte unter den von den kommunalen Spitzenverbänden
empfohlenen Richtwerten lägen.
Dieser Auffassung, die von anderen Kommunen in Hessen ebenfalls vertreten wird,
kann sich der Senat nicht anschließen. Ihr liegt, soweit sie auf die absolute Höhe
der Steuersätze und deren Unbedenklichkeit im Hinblick auf Spielhallenaufstellung
abhebt, ein falsches Verständnis des Vorlagebeschlusses vom 19. Juli 1993
zugrunde. Die rechtlichen Bedenken, die zur Vorlage der Sache an das
Bundesverwaltungsgericht geführt haben, knüpfen nicht an die absolute Höhe der
Steuersätze und eine hiervon ausgehende "Erdrosselungswirkung" an, sondern an
das Fehlen einer nach dem Gleichheitssatz gebotenen Differenzierung zwischen
zwei von der Bemessungsregelung erfaßten Fallgruppen. Das Fehlen dieser
Differenzierung ist ein Mangel, der den festgelegten Steuersätzen für ihren
gesamten Anwendungsbereich anhaftet und folglich nicht auf eine bestimmte
Fallgruppe beschränkt werden kann.
Die Überlegung, die Besteuerung von Spielapparaten in Spielhallen stelle einen
abtrennbaren und für sich allein existenzfähigen Steuertatbestand dar, rechtfertigt
es nicht, die mit dem Gleichheitsverstoß verbundene Ungültigkeitsfolge auf den
Steuertatbestand der "Gaststättenaufstellung" zu beschränken. Es mag sein, daß
sich der kommunale Steuergesetzgeber wegen eines vor allem bei Spielhallen
gesehenen Lenkungsbedürfnisses - Eindämmung der "Spielhallenflut" - willkürfrei
dafür entscheiden könnte, die Erhebung der Spielapparatesteuer nur für diese
Fallgruppe vorzusehen, Gaststättenaufstellung also von einer steuerlichen
Belastung völlig freizuhalten. Diese Konzeption ist jedoch bislang nicht gewählt
worden. Die hier streitige Spielapparatesteuersatzung knüpft an die
Apparateaufstellung als solche an und entspricht insoweit der allgemein üblichen
Satzungsgebungspraxis in Hessen. W i e der mit der Festlegung gleich hoher
Steuersätze für Spielhallen- und Gaststättenaufstellung verbundene Verstoß
gegen den Gleichheitssatz zu beheben ist, muß, da dafür mehrere Möglichkeiten
in Betracht kommen, der Satzungsgeber selbst bestimmen. Die Lösung, unter
Aufgabe des bisherigen Konzepts nur noch die Spielhallenaufstellung steuerlich zu
belasten, wäre - ihre Verträglichkeit mit dem Gleichheitssatz einmal unterstellt -
nur eine und sicherlich nicht die nächstliegende Alternative. Weitaus näher liegt es,
den Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch Einführung ausreichend abgestufter
Steuersätze für Spielhallen- und Gaststättenaufstellung zu beheben. Dabei ergäbe
sich für den Satzungsgeber - zusätzlich - die Möglichkeit der Wahl, ob er es der
Höhe nach bei den derzeitigen Steuersätzen für e i n e der beiden Fallgruppen
beläßt und demgemäß die Sätze für die jeweils andere Gruppe in dem
erforderlichen Umfang herauf- oder heruntersetzt oder ob er die Abstufung so
vornimmt, daß sich die Sätze für Gaststättenaufstellung einerseits ermäßigen,
andererseits für Spielhallenaufstellung erhöhen. Das erstgenannte Verfahren ist, je
nachdem für welche Gruppe die bisherigen Sätze beibehalten werden, mit einem
Verlust oder einem Zuwachs an Steuereinnahmen verbunden. Mit dem zweiten
Verfahren läßt sich dagegen erreichen, daß die zu erwartenden Steuereinnahmen
in etwa dem Steueraufkommen entsprechen, welches aufgrund der bisherigen -
gleichheitswidrigen - Bemessungsregelung erwartet werden konnte. Für einen
Steuergesetzgeber, der sich - wie es an sich sein sollte - bei der Festlegung der
Steuersätze von bestimmten Vorstellungen zur Höhe des gewünschten
Steueraufkommens hat leiten lassen, bietet sich besonders das zuletzt genannte
Verfahren an. Wichtig ist nur, daß ihm seine Gestaltungsfreiheit in der Frage
erhalten bleibt, wie der Gleichheitsverstoß, den die Bemessungsregelung derzeit
wegen der gleichen Höhe der steuerlichen Belastung für Gaststätten- und
Spielhallenaufstellung aufweist, behoben werden soll. Das aber zwingt dazu, die
Ungültigkeitsfolge des Gleichheitsverstoßes auf b e i d e von der fehlerhaften
Bemessungsregelung erfaßten Fallgruppen - Gaststättenaufstellung u n
d Spielhallenaufstellung - zu erstrecken. Das Bestehenlassen der Regelung für
eine der beiden Fallgruppen würde zu einem Regelungsgehalt führen, von dem
angesichts der aufgezeigten unterschiedlichen Möglichkeiten zur Erzielung eines
mit dem Gleichheitssatz verträglichen Ergebnisses nicht gesagt werden kann, daß
er so dem hypothetischen Willen des Satzungsgebers entspricht. Insoweit ist auch
unerheblich, daß sich die Antragsgegnerin selbst im vorliegenden
Beschwerdeverfahren f ü r eine auf Spielhallenaufstellung beschränkte Fortgeltung
der streitigen Bemessungsregelung ausgesprochen hat. Die Erklärungen, die von
dem Vertretungsorgan der Gemeinde im Verwaltungsprozeß abgegeben werden,
können den kommunalen Satzungsgeber ebensowenig binden und auf eine
bestimmte Regelungsalternative bei der Konkretisierung des Gleichheitssatzes
festlegen, wie dies dem Gericht möglich ist.
10 Da der im Vorlagebeschluß des Senats vom 19. Juli 1993 dargelegte
Gleichheitsverstoß aus den oben genannten Gründen zur umfassenden - sich
gleichermaßen auf Gaststätten- und Spielhallenaufstellung erstreckenden -
Ungültigkeit der Bemessungsregelung in § 4 Abs. 1 Buchst. a der
Spielapparatesteuersatzung der Antragsgegnerin führt, ist dem
Aussetzungsbegehren des Antragstellers wegen Vorliegens ernstlicher Zweifel an
der Rechtmäßigkeit seiner Veranlagung zu entsprechen. Der erstinstanzliche
Beschluß ist daher auf die Beschwerde des Antragstellers antragsgemäß
abzuändern.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.