Urteil des HessVGH vom 19.05.1992

VGH Kassel: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gesetzliche frist, klagefrist, zugang, verfügung, rechtsmittelfrist, verschulden, zustellung, anerkennung, vertreter

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 TP 2474/91
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs
2 S 1 VwGO, § 60 Abs 2 S 2
VwGO, § 60 Abs 2 S 3
VwGO, § 85 Abs 2 ZPO
(Kontrolle der Einhaltung von Fristen anhand der
Eignungsbestätigung des Gerichts durch Anwalt -
Wiedereinsetzung)
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat ihm
das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die asylrechtliche
Verbundklage (§ 30 AsylVfG) versagt. Die von dem Antragsteller beabsichtigte
Rechtsverfolgung bietet auf der Grundlage seines bisherigen Vorbringens und der
im übrigen ersichtlichen Umstände keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so daß
die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß den §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO für
die Gewährung von Prozeßkostenhilfe fehlen.
Die Klage des Antragstellers wird, wie die Vorinstanz in dem angefochtenen
Beschluß zutreffend erkannt hat, aller Voraussicht nach schon deshalb abzuweisen
sein, weil sie erst nach Ablauf der gesetzlichen Klagefrist gemäß § 74 VwGO
erhoben wurde und dem Antragsteller nach den von ihm bislang vorgetragenen
Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO nicht
gewährt werden kann.
Die Klagefrist wurde, wie bereits das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung
ohne Rechtsfehler festgestellt hat, durch die wirksame Niederlegung des
Ablehnungsbescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 6. Dezember 1990 und der Ausreiseaufforderung und
Abschiebungsandrohung der Ausländerbehörde des s-Kreises vom 8. Mai 1991 bei
dem Postamt 1 am 10. Mai 1991 in Gang gesetzt (§ 1 Abs. 1 Hessisches
Verwaltungszustellungsgesetz - HessVwZG - i.V.m. § 3 Abs. 3
Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG - und § 182 ZPO) und lief am 10. Juni 1991,
einem Montag, ab. Die erst am darauffolgenden Tag, dem 11. Juni 1991, bei dem
Verwaltungsgericht eingegangene Klageschrift vom 6. Juni 1991 vermochte
deshalb die gesetzliche Frist zur Erhebung der Klage nicht zu wahren.
Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist scheidet nach den vorliegenden,
auch insoweit von dem Verwaltungsgericht zutreffend gewürdigten Umständen
schon deshalb aus, weil der Antragsteller die gesetzliche Zweiwochenfrist für die
Darlegung und Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe gemäß § 60 Abs.
2 Sätze 1 und 2 VwGO nicht eingehalten hat. Diese Frist ist auch dann zu wahren,
wenn, wie im vorliegenden Fall, im Hinblick auf die Nachholung der versäumten
Rechtshandlung während der Antragsfrist gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO von
Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden und deshalb auf die Stellung eines
Wiedereinsetzungsantrages innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1
VwGO verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1973 - BVerwG IV C
3.73 -, DÖV 1973, 647; Hess. VGH, Urteil vom 13. April 1987 - 8 OE 74.83 -). Eine
glaubhafte Darlegung der aus Sicht des Antragstellers für die Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand maßgeblichen Gründe war vorliegend auch nicht deshalb
ausnahmsweise entbehrlich, weil die der Fristversäumung zugrundeliegende
Umstände für das Verwaltungsgericht offenkundig gewesen wären oder sich ihm
jedenfalls innerhalb der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO anderweitig
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jedenfalls innerhalb der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO anderweitig
glaubhaft dargeboten hätten (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1973, a.a.O.,
Beschluß vom 22. August 1984 - BVerwG 9 B 10609.83 -, BayVBl. 1985, 286). Für
das Verwaltungsgericht war aufgrund des Inhalts der ihm am 5. Juli 1991
zugeleiteten Behördenakten der Ausländerbehörde lediglich ersichtlich, daß infolge
der wirksamen Zustellung der streitgegenständlichen Bescheide am 10. Mai 1991
durch die erst am 11. Juni 1991 erfolgte Klageerhebung die Klagefrist nicht
eingehalten war, was auch zu einer entsprechenden Benachrichtigung der
Klägerbevollmächtigten durch die Verfügung des Berichterstatters der Kammer
vom 8. Juli 1991 führte. Dagegen lagen für das Verwaltungsgericht zum damaligen
Zeitpunkt keinerlei Hinweise auf die Gründe für die Versäumung vor. Diese Gründe
wurden erst in dem Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers
vom 30. Juli 1991, der bei dem Verwaltungsgericht am darauffolgenden Tag
eingegangen ist, dargetan. Zu diesem Zeitpunkt war indessen die Zweiwochenfrist
des § 60 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwGO für die Darlegung der für die
Wiedereinsetzung maßgeblichen Umstände bereits abgelaufen. Diese Frist wurde
nämlich nicht, wovon der Antragsteller offenbar ausgeht, erst mit dem Zugang der
Verfügung des Berichterstatters der Kammer vom 8. Juli 1991 (die ausweislich des
in den Gerichtsakten befindlichen Schreibdienstvermerks erst am 16. Juli 1991
gefertigt und zur Post gegeben wurde), sondern schon mit dem Eingang der
gerichtlichen Eingangsbestätigung in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des
Antragstellers in Gang gesetzt, der nach ihren Angaben am 17. Juni 1991 erfolgt
ist.
Die Antragsfrist gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO beginnt mit dem Wegfall des
Hindernisses, d.h. mit dem Zeitpunkt, in dem dem Kläger die Fristversäumung
bekannt ist oder bei Aufbietung der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung hätte
bekannt sein müssen (Kopp, VwGO, 8. Aufl., Rdnr. 19 zu § 60 VwGO m.w.N.).
Dieser Zeitpunkt ist vorliegend deshalb auf den des Zugangs der
Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts im Büro der
Prozeßbevollmächtigten festzulegen, weil dem während der Urlaubsabwesenheit
der Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers mit der Bearbeitung der
Angelegenheit betrauten amtlichen Vertreter anhand des von dem
Verwaltungsgericht mitgeteilten Eingangsdatums hätte auffallen müssen, daß die
Klageschrift dort nicht rechtzeitig eingegangen war.
Zwar besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Rechtsanwaltes, den
fristgemäßen Zugang eines von ihm eingelegten Rechtsmittels oder
Rechtsschutzantrages durch entsprechende Nachfrage bei dem Gericht von sich
aus zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1968 - VII ZR 150.66 -, BGHZ 50,
82 (84)). Wird der Eingang eines Rechtsmittels oder Rechtsschutzantrages von
dem Gericht dagegen in der im vorliegenden Fall gehandhabten und der üblichen
Verfahrensweise der hessischen Verwaltungsgerichte entsprechenden Art und
Weise unter Angabe des Eingangsdatums bestätigt, löst dies die Verpflichtung des
Rechtsanwaltes aus, anhand der ihm zugeleiteten Eingangsbestätigung den
rechtzeitigen Eingang des von ihm eingelegten Rechtsmittels oder Antrages bei
dem Gericht zu überprüfen. Diese Bestätigung dient nämlich nicht allein dazu, den
Empfänger über den Zugang des Rechtsmittels bzw. Rechtsschutzantrages als
solchen in Kenntnis zu setzen bzw. ihm das gerichtliche Aktenzeichen mitzuteilen.
Vielmehr soll der Empfänger durch diese Mitteilung in die Lage versetzt werden,
sich bereits zu einem Zeitpunkt Gewißheit über die Rechtzeitigkeit des Eingangs
der Rechtsmittelfrist zu verschaffen, zu dem dem Gericht im Regelfall das Datum
der Bekanntgabe der angefochtenen behördlichen Entscheidung noch nicht
bekannt ist. Hiermit geht eine entsprechende Verpflichtung des Empfängers
einher, sich über die Einhaltung der Rechtsmittelfrist zu vergewissern und
gegebenenfalls die ihm gesetzlich zustehende Möglichkeit auszuschöpfen, eine
Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist unter Darlegung der für die
Fristversäumung verantwortlichen Umstände zu erreichen. Die hierdurch
gewährleistete zeitnahe Darlegung der Wiedereinsetzungsgründe entspricht auch
Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristbestimmung in § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da
hierdurch eine zügige und sachgemäße Behandlung des
Wiedereinsetzungsbegehrens gewährleistet werden soll, um die Unsicherheit, ob
es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt oder nicht, in engen Grenzen zu
halten (BFH, Urteil vom 16. Dezember 1988 - III R 13/85 -, BB 1989, 2246, 2247).
Die Verpflichtung, anhand der Eingangsbestätigung des Gerichtes die
Rechtzeitigkeit des Rechtsmitteleinganges zu überprüfen, ist in der
zivilgerichtlichen, arbeitsgerichtlichen und finanzgerichtlichen Rechtsprechung
anerkannt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. November 1973 - III ZB 23/72 -, VersR
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anerkannt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. November 1973 - III ZB 23/72 -, VersR
1974, 357 und vom 9. März 1977 - VIII ZB 47/76 -, VersR 1977, 573; KG, Urteil vom
24. Oktober 1989 - 4 U 4054/89 -, VersR 1991, 201; BAG, Urteil vom 23. Mai 1989 -
2 AZB 1/89 -, NJW 1989, 2708 und BFH, Urteil vom 16. Dezember 1988, a.a.O.).
Für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit können, jedenfalls soweit es sich
bei dem Empfänger, wie im vorliegenden Fall, um einen Rechtsanwalt handelt,
keine andere Maßstäbe gelten (so wohl auch OVG Münster, Beschluß vom 6. Juli
1989 - 7 B 1861/89 -, NVwZ-RR 1990, 378, 379, das lediglich die Frage als
ungeklärt ansieht, ob im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Rechtsanwalt
ohne Erhalt einer Eingangsbestätigung zur Überprüfung des rechtzeitigen
Eingangs einer Klageschrift verpflichtet ist). Eine die hinreichende Erfolgsaussicht
der Klage begründende offene Rechtsfrage (vgl.
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., Anm. 7 C, Stichwort:
Rechtsfrage) liegt damit nicht vor.
Der Verpflichtung, sich anhand der Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichtes
über die Rechtzeitigkeit des Klageeingangs Gewißheit zu verschaffen, war die
Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers vorliegend auch nicht deshalb enthoben,
weil sie aus der ihr vom Antragsteller vorgelegten ausländerbehördlichen
Verfügung vom 8. Mai 1991 und aus den Angaben des Antragstellers den
Zeitpunkt der Zustellung dieses Bescheides nicht erkennen konnte. Es ist nämlich
Sache des Rechtsanwaltes, den Ausgangspunkt für die Fristenberechnung
eindeutig festzustellen und bei bestehenden Zweifeln hierüber selbst
entsprechende Ermittlungen anzustellen (Zöller/Stephan, ZPO, 17. Aufl., Rdnr. 23
zu § 233 ZPO). Der Zeitpunkt der Zustellung der in Streit stehenden Bescheide
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der
Ausländerbehörde des -Kreises hätte vorliegend durch die Prozeßbevollmächtigte
auch ohne Mitwirkung des Antragstellers durch eine Rückfrage bei der
Ausländerbehörde des Beklagten zu 2) unschwer festgestellt werden können.
Jedenfalls hätte aber der Zugang der Eingangsbestätigung des
Verwaltungsgerichtes Veranlassung geben müssen, den Zustellungszeitpunkt der
angefochtenen Bescheide und damit den für die Berechnung der Klagefrist
maßgeblichen Ausgangspunkt zumindest im nachhinein festzustellen.
Ohne rechtliche Bedeutung ist schließlich der Umstand, daß der Antragsteller
selbst von der Eingangsmitteilung des Verwaltungsgerichtes keine Kenntnis
erlangt hat. Die für den Beginn der Darlegungsfrist gemäß § 60 Abs. 2 Sätze 1 und
2 VwGO maßgebliche Möglichkeit der Kenntniserlangung durch die
Prozeßbevollmächtigte bzw. ihren Vertreter gilt gemäß den §§ 173 VwGO, 85 Abs.
2 ZPO in gleichem Maße auch für den Antragsteller selbst.
Nach alledem hätten Wiedereinsetzungsgründe durch den Antragsteller nur
innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zugang der Eingangsbestätigung im
Büro seiner Prozeßbevollmächtigten am 17. Juni 1991, also bis zum Ablauf des 1.
Juli 1991, geltend gemacht werden können. Die für den verspäteten Eingang der
Klageschrift verantwortlichen Umstände wurden jedoch erst nach Ablauf dieser
Frist, nämlich mit dem bereits erwähnten Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten
vom 30. Juli 1991 und damit verspätet vorgetragen.
Allerdings kann in die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO in gleicher Weise wie in die
versäumte Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 20. April 1982 - 2 BvR 26/81 -,
BVerfGE 60, 253 (267)). Eine derartige Wiedereinsetzung kommt vorliegend aber
deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller nicht ohne Verschulden an der
Wahrung der zweiwöchigen Frist zur Darlegung der Wiedereinsetzungsgründe
gehindert war. Zwar ist ihm auch insoweit kein persönliches Verschulden
anzulasten, jedoch wird ihm wiederum das Verschulden seiner
Prozeßbevollmächtigten über die §§ 173 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet, die
keine zureichenden Vorkehrungen getroffen hat, um - zumindest im vorliegenden
Fall - während ihrer Abwesenheit die Einhaltung der Klagefrist durch Überprüfung
anhand der eingehenden Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts
sicherzustellen. Dieses Organisationsverschulden der Prozeßbevollmächtigten
steht einer Wiedereinsetzung in die versäumte Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO
von vornherein entgegen, denn der Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch
entsprechende Organisation seines Büros alle ihm möglichen und zumutbaren
Vorkehrungen zu treffen, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristen
auszuschließen (BGH, Beschluß vom 21. Juni 1988 - VI ZB 14/88 -, MDR 1988,
1048).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.