Urteil des HessVGH vom 26.02.2003

VGH Kassel: stand der technik, gefährliche stoffe, verminderung, abwasserbehandlung, rechtshängigkeit, nummer, behörde, abwasserreinigungsanlage, erfüllung, begriff

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 UE 2304/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 9 Abs 5 S 2 AbwAG vom
05.03.1987, § 7a Abs 1
WHG vom 23.09.1986,
AbwasserVwV 22
(Ermäßigung der Abwasserabgabe -
Schadstoffreduzierung über Mindestanforderungen hinaus)
Leitsatz
Eine weitergehende Reduzierung der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG
1987 ist nur möglich, wenn in dem Einleitebescheid für die Abwasserbehandlung
Anforderungen an die Schadstoffreduzierung festgelegt werden, die über die
Mindestanforderungen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik
hinausgehen.
Die Mindestanforderungen, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik
entsprechen, ergeben sich aus den nach § 7a Abs. 1 WHG 1986 erlassenen
Verwaltungsvorschriften.
Abgabenrechtlich ist es unerheblich, ob der Abwassereinleiter im Einzelfall eine höhere
Abbaurate erreichen kann und ordnungsrechtlich auch zum Einsatz der jeweils
bestmöglichen Abwasserbehandlungs- und -vermeidungsmaßnahmen verpflichtet ist.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Mai
1998 - 14 E 2598/91 (2) - abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 12.
November 1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November
1991 wird insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der Schadstoffgruppe CSB eine den
Betrag von 785.829,82 € übersteigende Abwasserabgabe festgesetzt wurde. Der
Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin 1.397.030,80 € zuzüglich 4 % Zinsen seit
dem 24. Oktober 2001 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist
hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer von der Klägerin für das Jahr 1989 zu
entrichtenden Abwasserabgabe für das Einleiten von Abwasser.
Mit Bescheid vom 12. November 1990 setzte der Beklagte eine Abwasserabgabe
für das Jahr 1989 in Höhe von insgesamt 10.668.080,-- DM (= 5.454.482,62 €)
fest. Dabei wurde hinsichtlich des Schadstoffparameters "oxidierbare Stoffe in
chemischem Sauerstoffbedarf" - CSB - eine Abwasserabgabe in Höhe von
4.269.320,-- DM (= 2.182.860,62 €) für das Veranlagungsjahr 1989 festgesetzt.
Für den Parameter CSB legte der Beklagte 213.466 Schadeinheiten zu Grunde, die
er mit dem halben Abwasserabgabensatz von 20,-- DM (= 10,23 €) je
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er mit dem halben Abwasserabgabensatz von 20,-- DM (= 10,23 €) je
Schadeinheit multiplizierte. Die weiteren Festsetzungen des Abgabenbescheides
sind nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens. Der Berechnung legte
der Beklagte, soweit CSB betroffen ist, für den gesamten Veranlagungszeitraum
die Werte des Einleitebescheides des Beklagten vom 30. März 1988 zu Grunde. Mit
diesem Bescheid wurde der Klägerin für ihr Nordwerk in ... das Einleiten von
Abwässern gestattet und für das Jahr 1989 für CSB ein Überwachungswert von 440
mg/l festgelegt. Dieser Wert entspricht ausgehend von einem Gesamtwert von
2.588,24 mg/l im Zulauf der Abwasserreinigungsanlage der Klägerin einem
Ablaufwert von 17 % und damit einer Abbaurate von 83 %. Der in der
Abwasserreinigungsanlage der Klägerin in ihrem Nordwerk in ... tatsächlich
erreichte CSB-Eliminationsgrad betrug mindestens 87 %.
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren darüber, ob der Klägerin neben
der ihr gewährten Halbierung der Abwasserabgabe gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1
Abwasserabgabengesetz in der damals geltenden Fassung vom 5. März 1987 -
AbwAG 1987 - (BGBl. I S. 880) in Verbindung mit § 7a Abs. 1 Satz 3
Wasserhaushaltsgesetz in der damals geltenden Fassung vom 25. Juli 1986 - WHG
1986 - (BGBl. I S. 1165) eine weitergehende Reduzierung der Abwasserabgabe
gemäß § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987 zusteht.
§ 9 Abs. 5 AbwAG 1987 hatte folgenden Wortlaut:
"Der Abgabesatz nach Abs. 4 Satz 2 ermäßigt sich außer bei
Niederschlagswasser (§ 7) und Kleineinleitungen (§ 8) bei den
Abwassereinleitungen, für die nach § 7a Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes die
allgemein anerkannten Regeln der Technik anzuwenden sind, um die Hälfte für die
Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl
1. der Inhalt des Bescheides nach § 4 Abs. 1 oder die Erklärung nach § 6 Abs. 1
Satz 1 mindestens den Anforderungen nach § 7a Abs. 1 des
Wasserhaushaltsgesetzes entspricht und
2. die Anforderungen nach § 7a Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes im
Veranlagungszeitraum eingehalten werden, sofern sie nicht entgegen den
allgemein anerkannten Regeln der Technik durch Verdünnung oder Vermischung
erreicht werden.
Werden für die Abwassereinleitung über die allgemein anerkannten Regeln der
Technik hinausgehende Anforderungen festgelegt oder nach § 6 Abs. 1 Satz 1
erklärt und eingehalten, ermäßigt sich der Abgabesatz nach Abs. 4 Satz 2
zusätzlich um den vom Hundertsatz, um den die allgemein anerkannten Regeln
der Technik übertroffen werden."
§ 9 Abs. 6 AbwAG 1987 lautete:
"Der Abgabesatz nach Absatz 4 Satz 2 ermäßigt sich außer bei
Niederschlagwasser (§ 7) und bei Kleineinleitungen (§ 8) bei den
Abwassereinleitungen für die nach § 7a Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes der
Stand der Technik anzuwenden ist, um 80 vom Hundert für die Schadeinheiten, die
nicht vermieden werden, obwohl die Voraussetzungen des Absatzes 5 Satz 1 Nr. 1
und 2, der entsprechend anzuwenden ist, erfüllt sind."
§ 7a Abs. 1 WHG 1986 hatte folgenden Wortlaut:
"Eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser darf nur erteilt werden, wenn die
Schadstofffracht des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung
der jeweils in Betracht kommenden Anforderungen nach Satz 3, mindestens
jedoch nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich ist. § 6 bleibt
unberührt. Die Bundesregierung erlässt mit Zustimmung des Bundesrates
allgemeine Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen, die den allgemein
anerkannten Regeln der Technik entsprechen; enthält Abwasser bestimmter
Herkunft Stoffe oder Stoffgruppen, die wegen der Besorgnis einer Giftigkeit,
Langlebigkeit, Anreicherungsfähigkeit oder einer krebserzeugenden,
fruchtschädigenden oder erbgutverändernden Wirkung als gefährlich zu bewerten
sind (gefährliche Stoffe), müssen insoweit die Anforderungen in den allgemeinen
Verwaltungsvorschriften dem Stand der Technik entsprechen."
In der damals geltenden 22. Abwasserverwaltungsvorschrift vom 19. Mai 1982 -
22. AbwasserVwV - (GMBl. 1982 S. 295) ist für den Schadstoffparameter CSB eine
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22. AbwasserVwV - (GMBl. 1982 S. 295) ist für den Schadstoffparameter CSB eine
Abbaurate von 75 % festgelegt. Diese Verwaltungsvorschrift galt bis zum 31.
Dezember 1991 und wurde dann durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift zur
Änderung der allgemeinen Rahmenverwaltungsvorschrift über
Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer vom 27. August
1991 (GMBl. 1991 S. 686) ersetzt. Der zum 1. Januar 1992 in Kraft getretene 22.
Anhang zu der allgemeinen Rahmenverwaltungsvorschrift legte für den Parameter
CSB eine Abbaurate von 90 % fest.
Nummer 1.2.1 der "Hinweise und Erläuterungen" zur 22. AbwasserVwV hatte
folgenden Wortlaut:
"Da die Verwaltungsvorschrift für den CSB eine Mindestverringerung festgelegt
hat, ist die Verminderung des CSB um Mindestens 75 v. H. allein nicht
ausreichend.
Es muss zusätzlich geprüft werden, welche Abbaurate nach den a. a. R. d. T.
(siehe 2.2.) im Einzelfall erreicht werden kann. Stellt sich bei dieser Prüfung
heraus, dass bei Erfüllung der a. a. R. d. T. eine höhere Abbaurate zu erreichen ist,
so gilt diese höhere Abbaurate als Mindestanforderung. Im Bescheid ist dann ein
dieser Abbaurate entsprechender Überwachungswert zu fordern, sofern nicht zum
Beispiel aus Gründen des Gewässerschutzes im Einzelfall noch strengere
Anforderungen gestellt werden müssen.
Der Einleiter ist verpflichtet, die den a. a. R. d. T. entsprechenden Maßnahmen
durchzuführen. Er kann sich nicht auf den Wert der Mischwasser-
Verwaltungsvorschrift berufen, sondern er muss darüber hinaus die jeweils
bestmöglichen Abwasserbehandlungs- und Vermeidungsmaßnahmen
entsprechend der für ihn zutreffenden a. a. R. d. T. betreiben. Hinweise für die in
Betracht kommenden Maßnahmen entsprechend den a. a. R. d. T. werden unter
Nummer 2 gegeben."
Gegen die mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. November 1990 erfolgte
Festsetzung der Abwasserabgabe hinsichtlich des Schadstoffparameters CSB für
das Veranlagungsjahr 1989 legte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Dezember
1990 Widerspruch ein, mit dem Ziel der über 50 % hinausgehenden Ermäßigung
der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987. Zur Begründung führte
sie im Wesentlichen aus, dass bereits die CSB-Elimination von 75 %, die als
Mindestanforderung in der 22. AbwasserVwV genannt ist, den allgemeinen Regeln
der Technik entspreche. Da der Einleitebescheid einen Abbaugrad von 83 %
vorschreibe, würden Anforderungen festgelegt, die über die allgemein anerkannten
Regeln der Technik hinausgingen. Damit habe sie auch einen Anspruch auf eine
weitergehende Reduzierung der Abgabe im Sinne des § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG
1987.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 1991 wurde der Widerspruch
bezüglich des vorliegenden Streitgegenstandes zurückgewiesen. Zur Begründung
führte der Beklagte aus, dass eine über die allgemein anerkannten Regeln der
Technik hinausgehende Abwasserbehandlung im Nordwerk der Klägerin nicht
stattfinde. § 7a Abs. 1 Satz 1 WHG 1986 bestimme, dass die Abwasserbehandlung
mindestens den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen müsse. §
7a Abs. 1 Satz 3 WHG 1986 ermächtige die Bundesregierung zum Erlass von
Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen, die den allgemein
anerkannten Regeln der Technik entsprächen. Welche Mindestanforderungen dies
seien, ergebe sich allein aus den Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung,
d.h. aus der 22. AbwasserVwV. Zu dieser Verwaltungsvorschrift seien "Hinweise
und Erläuterungen" ergangen, die unter Ziffer 1.2.1 festlegen, dass eine
Verminderung des CSB um mindestens 75 % allein nicht ausreiche. Zusätzlich
müsse geprüft werden, welche Abbaurate nach den allgemein anerkannten Regeln
der Technik im Einzelfall erreicht werden könne. Stelle sich bei dieser Prüfung
heraus, dass bei Erfüllung der allgemein anerkannten Regeln der Technik eine
höhere Abbaurate zu erreichen ist, so gelte diese höhere Abbaurate als
Mindestanforderung. Unter Berücksichtigung dieser Hinweise und Erläuterungen
ergebe sich, dass der im Einleitebescheid festgelegte Überwachungswert von 440
mg/l zwar über die Mindestanforderungen nach § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG 1986
hinausgehe, nicht aber über das, was den allgemein anerkannten Regelung der
Technik entspreche.
Hiergegen erhob die Klägerin am 9. Dezember 1991 Klage. In Ihrer
Klagebegründung vertiefte sie ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren. So führte sie
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Klagebegründung vertiefte sie ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren. So führte sie
im Wesentlichen aus, dass der Gesetzgeber den Begriff der Mindestanforderungen
und den Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik gleichgesetzt habe,
da das Wasserhaushaltsgesetz und das Abwasserabgabengesetz vorrangig dem
Schutz der Umwelt dienten und diesen fördern sollten. Dieser Zweck lasse sich nur
dann erreichen, wenn an die Einleitung von Abwasser bzw. an die entsprechende
Abgabepflicht Anforderungen geknüpft würden, die den allgemein anerkannten
Regeln der Technik entsprächen. Auch die Zielsetzung des Gesetzes rechtfertige
ihre Interpretation, da die Reduzierung der Abwasserabgabe als eine Art
Belohnung für getätigte Investitionen im Abwasserbereich anzusehen sei.
Dasjenige Unternehmen, das als erstes eine neue Technik der Abwasserreinigung
entwickele, könne durch die gesetzliche Regelung solange von einer
Abgabenreduzierung profitieren, bis sich die von ihm entwickelte Technik als
Standard und damit als allgemein anerkannte Regel der Technik durchgesetzt
habe. Dieser Anreiz würde verloren gehen, wenn im Festsetzungsbescheid der
vom Abwassereinleiter aufgrund der von ihm verwandten Technik erreichbare
Abbauwert zugrundegelegt werde. In der Abwasserreinigung im Industriepark ...
würden dem Stand der Technik entsprechende Verfahren eingesetzt, wodurch ein
höherer Standard als den allgemein anerkannten Regeln der Technik
entsprechend erreicht werde. Dieser hohe Wirkungsgrad werde insbesondere auch
durch besonders präventive Anstrengungen, d.h. der Entstehung von Abwässern
bzw. Abwässern bestimmter Schadstoffhaltigkeit vor folgenden Maßnahmen in den
Betrieben, die Vorbehandlungen oder Herausnahme bestimmter Abwässer mit
schlechter biologischer Abbaubarkeit aus dem Abwasserstrom und deren
Verbrennung in der Rückstandsverbrennungsanlage erreicht. Diese höhere
Eliminationsrate wurde somit durch eine über die allgemein anerkannten Regeln
der Technik hinausgehende Abwasserbehandlung erzielt. Unabhängig hiervon sei
jedenfalls entscheidungserheblich, dass der durch die 22. AbwasserVwV geforderte
Abbaugrad stets den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche, ein
darüber hinaus erreichter Abbaugrad somit stets über diese hinausgehe.
Die Klägerin beantragte sinngemäß,
den Bescheid vom 12. November 1990 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 4. November 1991 insoweit aufzuheben als
hinsichtlich der Schadstoffgruppe CSB eine 1.536.955,-- DM (=785.829,82 €)
übersteigende Abwasserabgabe festgesetzt wurde.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie vertrat die Auffassung, dass die in der 22. AbwasserVwV angesprochene
Mindestanforderung der CSB-Elimination von 75 % den allgemein anerkannten
Regeln der Technik entsprechen könne, dies jedoch nicht immer der Fall sei. Ob
diese CSB-Elimination ausreiche, sei im Einzelfall zu prüfen. Sofern wie im Fall der
Klägerin eine höhere CSB-Elimination erreicht werde, ohne dass über das normale
Maß hinausgehende Abwasserbehandlungsmaßnahmen stattfänden, entspreche
dies nur den allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht aber höheren
Anforderungen.
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Mai 1998 wurde die Klage abgewiesen.
In den Entscheidungsgründen führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus,
dass der im Einleitebescheid festgesetzte Überwachungswert nicht über die
allgemein anerkannten Regeln der Technik gemäß § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987
hinaus gehe. Für die Bestimmung der allgemein anerkannten Regeln der Technik
seien nicht die in der 22. AbwasserVwV festgelegten Mindestanforderungen
maßgeblich. Vielmehr sei entscheidend, ob im Einzelfall unter Berücksichtigung
der konkreten Verhältnisse des Betriebes eine höhere Verminderung der
betreffenden Schadstoffe möglich sei. Diese Frage lasse sich nicht allein anhand
des im Einleitebescheid festgesetzten Überwachungswertes beurteilen. Das
Gericht habe deshalb auch nicht in eine Beweiserhebung durch Gutachtenbeweis
eintreten müssen, wie dies das Verwaltungsgericht Wiesbaden in dem von den
Beteiligten in Bezug genommenen Verfahren IX/V E 1161/91 getan habe. In
diesem Verfahren sei es um einen Einleitebescheid gegangen, der einen
Überwachungswert für die Schadstoffgruppe CSB von 750 mg/l festlegte, was
einem CSB-Wirkungsgrad von über 75 % entsprach. Der Gutachter sei in dem
dortigen Verfahren zum Ergebnis gekommen, dass der in dem Einleitebescheid für
die Schadstoffgruppe CSB festgelegte Überwachungswert einem Eliminationsgrad
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die Schadstoffgruppe CSB festgelegte Überwachungswert einem Eliminationsgrad
entsprach, der eindeutig über den allgemein anerkannten Regeln der Technik
gelegen habe. Dies zeige, dass auch in dem dortigen Verfahren die von der
Klägerin vorgenommene Interpretation, jeder Eliminationsgrad, der 75 % erreiche,
entspreche den allgemein anerkannten Regeln der Technik, nicht geteilt worden
sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 2. Juli 1998 die Zulassung der Berufung
beantragt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 14. August 2001 die Berufung zugelassen.
Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2001, eingegangen am 24. Oktober 2001, hat der
Bevollmächtigte der Klägerin die Berufung begründet und zusätzlich beantragt,
den Beklagten zur Zahlung von 1.397.030,80 € zuzüglich Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu verpflichten. Zur Begründung trägt die Klägerin ergänzend
vor, dass der Beklagte die Bestimmung des § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987 nicht
beachtet habe und die Abwasserabgabe deswegen um einen Betrag von
2.732.364,80 DM (= 1.397.030,80 Euro) zu hoch festgesetzt worden sei. Aus dem
Wortlaut des Gesetzes ergebe sich eindeutig, dass für die Abgabereduzierung
nach § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987 zur Bestimmung der allgemein anerkannten
Regeln der Technik die nach § 7a Abs. 1 WHG 1986 erlassenen
Verwaltungsvorschriften maßgeblich sind. § 9 Abs. 5 AbwAG 1987 verweise
uneingeschränkt auf § 7a Abs. 1 WHG 1986 und erfasse daher die von der
Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen
Verwaltungsvorschriften und bestimme somit deren vorrangige Anwendbarkeit.
Der Wortlaut der Bestimmung gebe nichts dafür her, dass der Gesetzgeber die
allgemein anerkannten Regeln der Technik durch andere außerhalb der
Verwaltungsvorschriften liegenden Umstände bestimmt sehen wollte. Dem
Wortlaut des § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG 1986 sei darüber hinaus zu entnehmen, dass
die in der AbwasserVwV festgelegten Anforderungen mit den allgemein
anerkannten Regeln der Technik gleichzusetzen seien. Wäre die von dem
Verwaltungsgericht geteilte Auffassung richtig, wonach im Einzelfall die allgemein
anerkannten Regeln der Technik einen höheren Abbaugrad fordern könnten, dann
würde in diesem Fall die in der 22. AbwasserVwV geforderte Eliminationsquote von
75 % den allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht entsprechen. Die 22.
AbwasserVwV habe aber auch normkonkretisierenden Charakter mit der Folge,
dass sie für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten
Grenzen verbindlich sei. Im Übrigen ließen sich die allgemein anerkannten Regeln
der Technik hinsichtlich der CSB-Elimination nur durch einen bestimmten
Abbaugrad bestimmen. Dies gelte erst Recht für die Beurteilung höherer
Anforderungen, die über diesen Standard hinaus gingen. Die Auslegung des
Verwaltungsgericht widerspreche auch dem im Abgabenrecht herrschenden
Grundsatz der Normenklarheit und Bestimmtheit. Der angegriffene Bescheid sei
daher insoweit aufzuheben, als hinsichtlich der Schadstoffgruppe CSB eine den
Betrag von 1.536.955,20 DM (= 785.829,82 €) übersteigende Abwasserabgabe
festgesetzt worden sei. Auf der Basis des tatsächlich festgesetzten und von der
Klägerin gezahlten Abgabebetrages in Höhe von 4.269.320,-- DM (= 2.182.860,62
€) ergebe sich somit für den Folgenbeseitigungsanspruch ein Erstattungsbetrag in
Höhe von 2.732.364,80 DM (= 1.397.030,80 €). Die Klägerin habe auch in analoger
Anwendung von § 291 BGB einen Anspruch auf Verzinsung ab Rechtshängigkeit zu
dem gesetzlichen Zinssatz gemäß § 288 BGB.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 28.
Mai 1998 - 14 E 2598/91(2) -, den Bescheid des Beklagten vom 12. November
1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1991 insoweit
aufzuheben, als hinsichtlich der Schadstoffgruppe CSB eine den Betrag von
785.829,82 € übersteigende Abwasserabgabe festgesetzt wurde, und den
Beklagten zur Zahlung von 1.397.030,80 € an die Klägerin zuzüglich Prozesszinsen
seit Rechtshängigkeit des Rückzahlungsantrags zu verpflichten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen führt der Beklagte aus, dass sich die
allgemein anerkannten Regeln der Technik jedenfalls im Anwendungsbereich der
22. AbwasserVwV gerade nicht allein aus dieser Verwaltungsvorschrift ergäben.
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22. AbwasserVwV gerade nicht allein aus dieser Verwaltungsvorschrift ergäben.
Vielmehr sei insoweit nur die unterste Grenze im Sinne von Mindestanforderungen
des Standards der allgemein anerkannten Regeln der Technik festgelegt worden,
die auf jeden Fall eingehalten werden müssten. Damit sei aber nicht ausgesagt,
dass bei einem höheren CSB-Abbau automatisch auch das Anforderungsniveau
der allgemein anerkannten Regeln der Technik übertroffen sei. Das
Verwaltungsgericht habe somit keinesfalls den normkonkretisierenden Charakter
der 22. AbwasserVwV übersehen, sondern sich gerade innerhalb der von dieser
gezogenen Grenze bewegt. In der amtlichen Begründung zu § 9 Abs. 5 AbwAG
1987 sei an keiner Stelle davon die Rede, dass die weitergehende Ermäßigung
bereits bei Einhaltung der Anforderungen der Abwasserverwaltungsvorschriften
gewährt werden sollte. Vielmehr werde auch dort immer nur auf die Einhaltung der
allgemein anerkannten Regeln der Technik abgehoben. Erst § 9 Abs. 5 in der
Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom
2. November 1990 (BGBl. I S. 2425) habe die Ermäßigung des Abgabensatzes an
die Einhaltung der "Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach §
7a Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz" gekoppelt. Selbst wenn die Auffassung der
Klägerin zutreffend wäre, ließe sich daraus kein Erstattungsanspruch in der geltend
gemachten Höhe begründen. Nach der korrekten Berechnung betrage der
Differenzbetrag lediglich 1.366.782,40 DM (= 698.822,17 €). Auch für den geltend
gemachten Zinsanspruch bestehe keine Rechtsgrundlage. Das Hessische
Ausführungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz habe in § 15 keine
entsprechende Anwendung der Bestimmungen der §§ 233 ff. Abgabenordnung
angeordnet. Im Übrigen sei § 291 BGB auf Anfechtungsklagen grundsätzlich nicht
anwendbar. Hilfsweise werde die Einrede der Verjährung erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie
der Akten des Verwaltungsgerichts Wiesbaden in dem Verfahren IX/V E 1161/91
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und nach rechtzeitiger Stellung
eines Berufungsantrags und nach der Begründung der Berufung auch sonst
zulässige Berufung (§§ 124 Abs. 1, 124a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO -) ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 12. November 1990 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1991 ist insoweit
aufzuheben, als hinsichtlich der Schadstoffgruppe CSB eine den Betrag von
785.829,82 € übersteigende Abwasserabgabe festgesetzt wurde. Der
Abgabenbescheid des Beklagten ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte ist verpflichtet, den Abwasserabgabesatz nach § 9 Abs. 4 AbwAG
1987 von 20,45 € (gerundet = 40,-- DM) pro Schadeinheit bei dem Parameter CSB
auf 3,68 € (gerundet = 7,20 DM) pro Schadeinheit zu reduzieren und die
Abwasserabgabe insoweit für das Jahr 1989 auf 785.829,82 € zu verringern.
Die Klägerin hat gemäß § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987 einen Anspruch auf eine
über den halbierten Abgabesatz (§ 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1987) hinausgehende
Ermäßigung der Abwasserabgabe, weil im Einleitebescheid des Beklagten vom 30.
März 1988 über die allgemein anerkannten Regeln der Technik hinausgehende
Anforderungen festgelegt und diese höheren Anforderungen eingehalten worden
sind. Entgegen der Meinung des Beklagten ergibt sich aus dem Wortlaut und der
Systematik des § 9 Abs. 5 AbwAG 1987, dass zur Bestimmung der allgemein
anerkannten Regeln der Technik die nach § 7a Abs. 1 WHG 1986 erlassenen
Verwaltungsvorschriften für einen Anspruch auf eine über dem halbierten
Abgabesatz hinausgehende Ermäßigung der Abwasserabgabe maßgeblich sind.
Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf individuell zu bestimmende
Anforderungen abgestellt. § 9 Abs. 5 AbwAG 1987 bezieht sich insgesamt auf die
Abwassereinleitungen, "für die nach § 7a Abs. 1 WHG die allgemein anerkannten
Regeln der Technik anzuwenden sind". Demgegenüber wird nach § 9 Abs. 6 AbwAG
1987 die Reduzierung des Abgabesatzes für Abwassereinleitung festgelegt, für die
nach § 7a Abs. 1 WHG 1986 "der Stand der Technik" anzuwenden ist. Nach § 9
Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987 kommt es nur darauf an, ob für die
Abwassereinleitungen Anforderungen festgelegt werden, die über die nach § 7a
Abs. 1 Satz 3 WHG 1986 durch Verwaltungsvorschriften festgelegten
Mindestanforderungen, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik
entsprechen, übersteigen. Soweit lediglich die Mindestanforderungen nach § 7a
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entsprechen, übersteigen. Soweit lediglich die Mindestanforderungen nach § 7a
Abs. 1 WHG 1986 eingehalten werden, kommt nur eine Halbierung des
Abgabensatzes nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1987 in Betracht. Insoweit wird
durch die allgemein anerkannten Regeln der Technik ein Standard definiert, der
jedenfalls nicht unterschritten werden darf. § 7a Abs. 1 Satz 2 WHG 1986 verweist
lediglich auf die in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften festgelegten
Mindestanforderungen, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik
entsprechen. Mit dem Begriff der "Mindestanforderungen" soll offensichtlich zum
Ausdruck gebracht werden, dass die Verwaltungsvorschriften "mindestens"
diejenigen "Anforderungen" festlegen sollen, die den allgemein anerkannten
Regeln der Technik entsprechen. Eine qualitative Differenzierung zwischen
"Mindestanforderungen" und "darüber hinausgehenden Anforderungen", die auch
den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen, wird damit nicht zum
Ausdruck gebracht. Was den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht,
wird demgemäß allein durch die in den Verwaltungsvorschriften zu § 7a WHG 1986
festgelegten Anforderungen definiert. Wenn also nach der hier maßgeblichen
Fassung von Ziffer 2.1.2 der 22. AbwasserVwV vom 19. Mai 1982 an das Einleiten
von Abwasser für den Schadstoffparameter CSB als Mindestanforderung ein
Ablaufwert in der 2-Stunden Mischprobe verlangt wird, der eine Verminderung des
CSB um mindestens 75 % entspricht, so bedeutet dies, dass hiermit der nach den
allgemein anerkannten Regeln der Technik erreichbare Standard definiert ist. Die
22. AbwasserVwV konkretisiert somit die als Ausfluss der allgemein anerkannten
Regeln der Technik angesehenen Werte für den Bereich des § 7a Abs. 1 WHG
1986. Dies gilt wegen der Verweisung in § 9 Abs. 5 AbwAG 1987 auch für die
Berechnung der Abgabesatzhöhe. Insoweit hat die 22. AbwasserVwV hinsichtlich
des Begriffs der allgemein anerkannten Regeln der Technik eine
normkonkretisierende Funktion, indem sie die unbestimmten Rechtsbegriffe des
Gesetzes durch generelle, dem gleichmäßigen und berechenbaren
Gesetzesvollzug maßgeblichen Grenzwerte festsetzt und damit für die
Gesetzesanwendung- und -auslegung bindende Wirkung entfaltet (vgl.
Giesecke/Wiedemann/Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, 6. Auflage 1992, § 7a
Rn. 22 m.w.N.).
In den Verwaltungsvorschriften wird daher für die Praxis brauchbar festgelegt, was
im Gesetz als Anforderungsniveau mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der
allgemein anerkannten Regeln der Technik beschrieben ist. Sie konkretisieren,
welche Anforderungen den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen
und haben damit zugleich auch die Funktion, für die praktische Anwendung bei
einem vielfältigen Meinungsspektrum streitentscheidend klare Regelungen
vorzugeben. Zu diesem Zweck werden die allgemein Verwaltungsvorschriften nach
§ 7a Abs. 1 Satz 3 WHG 1986 in geregelten Verfahren erarbeitet, in dem die für
den Gewässerschutz zuständigen Bundes- und Länderstellen mit
Sachverständigenvertretern der betroffenen Einleiterkreise die unterschiedlichen
wasserwirtschaftlichen, ökonomischen und anderen Interessen zum Ausgleich
bringen, und die schließlich von der Bundesregierung mit Zustimmung des
Bundesrates unter Berücksichtigung politischer Wertvorstellung erlassen werden
(Gieseke/Wiedemann/Czychowski, a. a. O., § 7a Rdnr. 22).
Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf Ziffer 1.2.1 der "Hinweise und
Erläuterungen zur 22. AbwasserVwV über Mindestanforderungen an das Einleiten
von Abwasser in Gewässer" berufen. Nach den "Hinweisen und Erläuterungen" ist
die Verminderung des CSB um mindestens 75 % allein nicht ausreichend, da die
Verwaltungsvorschrift für den CSB eine Mindestverringerung festgelegt habe.
Insoweit müsse zusätzlich geprüft werden, welche Abbaurate nach den allgemein
anerkannten Regeln der Technik im Einzelfall erreicht werden könne. Stelle sich bei
dieser Prüfung heraus, dass bei Erfüllung der allgemein anerkannten Regeln der
Technik eine höhere Abbaurate zu erreichen ist, so gelte diese höhere Abbaurate
als Mindestanforderung. Soweit der Beklagte hieraus herleitet, dass von einem
einzelnen Abwassereinleiter aufgrund seiner konkret-individuellen
Leistungsfähigkeit im Einzelfall mehr verlangt werden kann, als es den in der
AbwasserVwV abstrakt-generell geregelten "Mindestanforderung" entspricht,
vermag dies für den ordnungsrechtlich zu beurteilenden Einleitebescheid zutreffen;
dies gilt indessen nicht für die abwasserabgabenrechtliche Entscheidung.
Ordnungsrechtlich ist es selbstverständlich, dass der Einleiter alle ihm zur
Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten ausnutzen muss, um das
Abwasser vor einer Einleitung zu reinigen und damit die Schadstoffbelastung für
die Gewässer so gering wie möglich zu halten. Diesem Schutzzweck würde es
widersprechen, wenn die Behörde ungeachtet der dem Einleiter im Einzelfall zur
Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten in dem Einleitebescheid
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Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten in dem Einleitebescheid
geringere Werte festlegen würde, die lediglich dem Mindeststandard der allgemein
anerkannten Regeln der Technik entsprechen würden. Demnach muss der
Einleiter, soweit es ihm möglich ist, die jeweils bestmögliche
Abwasserbehandlungs- und Vermeidungsmaßnahmen treffen. Grundsätzlich
können somit in dem Einleitebescheid schärfere Anforderungen auf der Grundlage
des § 7a Abs. 1 Satz 1 WHG 1986 gestellt werden, weil der Behörde bei der
Entscheidung über eine beantragte Erlaubnis ein Ermessensspielraum zusteht. Die
Einleitung von Abwasser kann nur dann nicht zugelassen werden, wenn die
Schadstofffracht nicht so gering gehalten wird, wie dies mindestens nach den
allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich ist. Durch die allgemein
anerkannten Regeln der Technik wird somit lediglich ein Standard definiert, der
nicht unterschritten werden darf. § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG 1986 lässt eine
Überschreitung der durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften bestehenden
Anforderungen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu. So hat der
Senat in seinem Urteil vom 10. April 1991 - 5 UE 221/86 - bereits ausgeführt:
"Hinsichtlich der Anforderungen, die sich danach aus § 7a Abs. 1 WHG für das
Einleiten von Abwasser ergeben, muss unterschieden werden zwischen
(a) den im Einzelfall zu stellenden Anforderungen, die dem Gebot des § 7a
Abs. 1 Satz 1 WHG entsprechen, Menge und Schädlichkeit des Abwassers so
gering zu halten, wie dies bei Anwendung der jeweils in Betracht kommenden
Verfahren nach den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik möglich ist und
(b) den abstrakt-generell in allgemeinen Verwaltungsvorschriften der
Bundesregierung nach Maßgabe dieser Regeln festgelegten
"Mindestanforderungen" (§ 7a Abs. 1 Satz 3 WHG). Letztere können sich im
Einzelfall mit den Anforderungen nach § 7a Abs. 1 Satz 1 WHG decken, müssen es
aber nicht. Es ist durchaus denkbar, dass die Mindestanforderungen nach § 7a
Abs. 1 Satz 1 WHG hinter den konkret zu stellenden Anforderungen im Einzelfall
zurückbleiben. Ein Anlass für die Wasserbehörde, nach § 7a Abs. 1 Satz 1 WHG
strengere Anforderungen zu stellen, als es den Mindestanforderungen in
allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung entspricht, ergibt sich
oft daraus, dass die allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundes als
Mindestanforderungen Werte für eine Branche festlegen, die unter Anwendung der
allgemein anerkannten Regeln der Technik von einem Betrieb mit den (wegen der
Art des eingesetzten Rohstoffs oder des erzeugten Produkts) ungünstigsten
Verhältnissen für die Abwasserbehandlung gerade noch eingehalten werden
können."
Insoweit vermag der Senat entgegen der Ansicht des Beklagten keinen
Widerspruch zu den Voraussetzungen in Nummer 1.2.1 der Hinweise und
Erläuterungen zur 22. AbwasserVwV erkennen. Im Übrigen hat der Senat in
seinem Urteil vom 10. April 1991 bereits darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der
Mindestanforderungen nach § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG 1986 maßgeblich auf die
Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung, hier also auf die 22. AbwasserVwV
abzustellen sei. Durch "Erläuterungen und Hinweise" außerhalb dieser
Verwaltungsvorschriften können nicht die allgemein Verwaltungsvorschriften einen
anderen - strengeren - Inhalt erhalten. Richtig verstanden besteht die Bedeutung
der Nummer 1.2.1 der "Erläuterungen und Hinweise" deshalb auch allein darin,
dass auf die Möglichkeit, ordnungsrechtlich höhere Anforderungen im Einzelfall
gemäß § 7a Abs. 1 Satz WHG 1986 zu fordern, hingewiesen werden soll.
Eine konkret-individuelle Ermittlung der allgemein anerkannten Regeln der Technik
aufgrund der in dem jeweiligen Betrieb angewendeten Verfahren würde auch dem
Zweck des § 9 Abs. 5 AbwAG 1987 widersprechen, eine Vereinfachung des
Gesetzesvollzugs und die Verringerung des Verwaltungsaufwands zu bewirken (vgl.
BT-Drs. 10/5533, S. 8). Die Begründung erhält auch keinerlei Anhaltspunkte dafür,
dass der Gesetzgeber die allgemein anerkannten Regeln der Technik losgelöst von
den einschlägigen Verwaltungsvorschriften bestimmt sehen wollte. Eine andere
Auslegung würde auch der Anreizfunktion der Reduzierung der Abwasserabgabe
widersprechen, nämlich den Abgabepflichtigen für - erhebliche Kosten
verursachende - Maßnahmen, die der Schadstoffverringerung über die allgemein
anerkannten Regeln der Technik hinaus dienen, zu belohnen. Der Abgabepflichtige
muss sich insoweit an allgemeine Vorgaben halten können, um beurteilen zu
können, ob sich eventuell zusätzliche Investitionen für eine verbesserte
Abwasserbeseitigungseinrichtung oder ein fortschrittlicheres Reinigungsverfahren
lohnen könnten, um in den Genuss der reduzierten Abwasserabgabe zu gelangen.
Eine individuell-konkrete Auslegung des Begriffs durch die jeweils zuständige lokale
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Eine individuell-konkrete Auslegung des Begriffs durch die jeweils zuständige lokale
Behörde würde auch zu einer uneinheitlichen Rechtsanwendung führen und damit
die angestrebte gleichmäßige Behandlung aller Abwassereinleiter gefährden (so
auch VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 7.11.1994 - 1 K 3454/93 N.W. -).
Ein individueller Maßstab würde ferner gegen den abgabenrechtlichen Grundsatz
der Normenklarheit und Bestimmtheit verstoßen. Insofern muss für den
Normunterworfenen die voraussichtliche Höhe der Abwasserabgabe vorhersehbar
sein. Nur auf Grund sicherer Kenntnis von den ordnungsrechtlich einzuhaltenden
und somit auch für die Abwasserabgabenhöhe maßgeblichen Werten ist es für den
Einleiter möglich, Maßnahmen zur Verbesserung seiner Reinigungseinrichtungen
zu treffen. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen
an das Einleiten von Abwasser sollen die im Einzelfall oft schwierige Beantwortung
der Frage erleichtern, welche technischen Regeln allgemein anerkannt sind und
sicherstellen, dass § 7a Abs. 1 WHG im gesamten Bundesgebiet im Interesse
eines überregional abgestimmten Gewässerschutzes und aus
Wettbewerbsgründen möglichst einheitlich angewandt wird und zu vergleichbaren
Ergebnissen führt (vgl. Giesecke/Wiedemann/Czychowski, a.a.O., § 7a Rn. 18).
Mit der Neufassung des § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG durch das Dritte Gesetz zur
Änderung des Abwasserabgabengesetz vom 2. November 1990 (BGBl. I S. 2425)
hat der Gesetzgeber klargestellt, dass hinsichtlich der Inhalte der
Einleitebescheide auf die Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften
nach § 7a Abs. 1 WHG abzustellen ist. Anlass für die Neufassung waren auch die
unterschiedlichen Abgabesatzverminderungen bei Einhaltung von Anforderungen
nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik in § 9 Abs. 5 AbwAG und dem
Stand der Technik in § 9 Abs. 6 AbwAG. So führt der Gesetzgeber in der
Begründung zu § 9 Abs. 5 (Art. 1 Nr. 3 Buchst. b und c, BT-Drs. 11/4942, S. 9) aus:
"Die nach § 9 Abs. 5 i.d.F. der Zweiten Novelle zum AbwAG bisher bestehende
Möglichkeit durch besondere Reinigungsleistungen bei nicht gefährlichen Stoffen
den Abgabesatz über die Halbierung hinaus bis zur Abgabefreiheit abzusenken, ist
durch die Fortentwicklung der allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der
Abwasserreinigung und die entsprechende Fortschreibung der
Abwasserverwaltungsvorschriften nach § 7a Abs. 1 WHG in der Praxis stark
eingeschränkt. Das Technologieniveau der allgemein anerkannten Regeln der
Technik gleicht sich vor allem im kommunalen Bereich dem Stand der Technik
immer weiter an. Die in den Abwasserverwaltungsvorschriften nach § 7a Abs. 1
WHG festgelegten Mindestanforderungen an die Abwassereinleitung können in
Zukunft nicht mehr so weit unterschritten werden, dass eine deutlich über die
Halbierung hinausgehende Verminderung des Abgabensatzes erreicht werden
kann. Diese Entwicklung würde aber gegenüber der beim Stand der Technik bisher
bestehenden Abgabesatzverminderung von 80 v.H. zu einer abgaberechtlichen
Benachteiligung führen".
Nach § 9 Abs. 5 Satz 2 AbwAG 1987 ermäßigt sich der Abgabesatz nach Absatz 4
Satz 2 zusätzlich um den vom Hundertsatz, um den die allgemein anerkannten
Regeln der Technik übertroffen werden. Dabei ist zunächst von dem Wert von
647,06 mg/l auszugehen, der dem gemäß Ziffer 2.1.2 der 22. AbwasserVwV
festgelegten, den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechenden
Verminderungswert von 75%, bezogen auf eine tatsächliche Konzentration von
insgesamt 2588,24 mg/l im Zulauf der Abwasserreinigungsanlage der Klägerin in
ihrem Nordwerk in Höchst entspricht. Dieser Wert ist in Verhältnis zu setzen zu
dem Wert von 440 mg/l, der dem für den fraglichen Zeitraum in dem
Einleitebescheid festgelegten Überwachungswert entspricht. Nach der Formel
([Konzentrationswert nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik -
Konzentrationswert Einleitebescheid] x 100 : Konzentrationswert allgemein
anerkannte Regeln der Technik = x), die von dem Beklagten auch in dem
Verfahren VG Wiesbaden - IX/VE 1161/91 - akzeptiert wurde, ergibt sich ein vom
Hundertsatz von 32 % [(647,06 mg/l - 440 mg/l] x 100 : 647,06 mg/l), um den die
allgemein anerkannten Regeln er Technik übertroffen werden. Demgemäß ist der
Abgabesatz nach § 9 Absatz 4 Satz 2 AbwAG 1987 in Höhe von 20,45 € (gerundet
= 40,-- DM) nach § 9 Abs. 5 Satz 1 und 2 AbwAG 1987 um insgesamt 82 % zu
ermäßigen. Der Abgabesatz reduziert sich damit auf (gerundet) 3,68 € (= 7,20
DM) pro Schadeinheit, so dass sich bei 213.466 Schadeinheiten eine zu zahlende
Abwasserabgabe in Höhe von 785.829,82 € (= 1.536.955,20 DM) ergibt. Da
tatsächlich durch den angefochtenen Bescheid für CBS eine Abgabe von
2.182.860,62 € (= 4.269.320,-- DM) festgesetzt wurde, ergibt sich ein
Differenzbetrag von 1.387.030,80 € (= 2.732.364,80 DM).
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Auch der erst in der Berufungsinstanz gestellte Antrag der Klägerin auf
Rückerstattung des bereits gezahlten Betrages in Höhe von 1.397.030,80 € (=
2.732.364,80 DM) ist begründet. Der Anspruch auf Folgenbeseitigung kann nach §
113 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Antrag der Klägerin auch im Anfechtungsverfahren
mit geltend gemacht werden. Die Erweiterung des Klageantrages in der
Berufungsinstanz sowie die Verzinsung des zurückgeforderten Betrages ist gemäß
§ 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung - ZPO - i.V.m. § 173 VwGO zulässig. Sie gilt nicht
als Klageänderung und ist deshalb ohne die Voraussetzungen des § 91 VwGO
möglich.
Der Anspruch auf Verzinsung des Rückforderungsanspruchs mit 4 % ab
Rechtshängigkeit ist als Anspruch auf Zahlung von 4 % Prozesszinsen gemäß §
291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - begründet. Nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der auch der Senat folgt, ist
§ 291 BGB auch im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG,
Urteile vom 28.05.1998 - 2 C 28.97 -, DVBl. 1998, 1082, und vom 28.06.1995 - 11
C 22.94 -, NJW 1995, 3135, jeweils m.w.N.; Hess. VGH, Urteil vom 27.10.1999 - 5
UE 3677/98 -, ESVGH 50, 101 = HessVGRspr. 2000, 89 = WissR 2000, 168).
Voraussetzung ist die Rechtshängigkeit der betreffenden Forderung und dass das
Verfahren mit der Verurteilung zu einem bestimmten Betrag bzw. einer
Verpflichtung zum Erlass eines hierauf gerichteten Verwaltungsakts endet (vgl.
BVerwG, Urteil vom 28.06.1995, a.a.O., Beschluss vom 4.05.1994 - 1 B 26.94 -,
NJW 1994, 3116 und Urteil vom 24.03.1999 - 8 C 27.97 -). Beide Voraussetzungen
sind hier gegeben, wobei der Anspruch erst zu dem Zeitpunkt rechtshängig
geworden ist, in dem der Bevollmächtigte der Klägerin im Berufungsverfahren mit
am 24. Oktober 2001 eingegangenen Schriftsatz den Antrag auf Rückzahlung
beim Verwaltungsgerichtshof gestellt hat, und erst ab diesem Zeitpunkt zu
verzinsen ist. Der nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehene Zinssatz von 5 %
über dem Basiszinssatz gilt nach Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 Einführungsgesetz
zum Bürgerlichen Gesetzbuch - EGBGB - erst für Geldforderungen, die seit dem 1.
Mai 2000 fällig geworden sind. Für die am 1. Mai 2000 bereits fälligen Forderungen
bleibt es bei 4 %.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO). So
fehlt es an dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO), weil es um die Anwendung einer Vorschrift geht (§ 9 Abs. 5 Satz 2
AbwAG 1987), die nur für zwei Veranlagungsjahre (1989 und 1990) in Kraft war.
Auch die für den Ausgang des Rechtsstreits maßgebliche 22. AbwasserVwV ist
nicht mehr in Kraft. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klärung der Rechtsfrage
für einen nicht überschaubaren Personenkreis in absehbarer Zukunft von
Bedeutung sein könnte oder sich die streitigen Fragen bei Nachfolgeregelungen
stellen könnten, so dass trotz Auslaufens des alten Rechts eine richtungsweisende
Klärung zu erwarten wäre, wie die neue Vorschrift anzuwenden ist (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 20.12.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.