Urteil des HessVGH vom 05.04.2001

VGH Kassel: hund, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, sicherstellung, unterbringung, tötung, vollziehung, pflegepersonal, angriff

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 TG 689/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 3 S 1 VwGO, § 114
S 2 VwGO, § 45 Abs 1 Nr 2
VwVfG HE, § 45 Abs 2
VwVfG HE, § 80 Abs 5
VwGO
(Durchsetzung einer Tötungsanordnung; zum Nachschieben
einer Begründung - VwGO § 80 Abs 3)
Leitsatz
Durchsetzung einer Tötungsanordnung (§ 11 Abs. 2 Gefahrenabwehrverordnung
gefährliche Hunde)
Gründe
Die mit Beschluss des Senats vom 6. März 2001 - 11 TZ 445/01 - zugelassene
Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet, denn das Verwaltungsgericht hat
dem Aussetzungsantrag der Antragstellerin unter Berücksichtigung der im Laufe
des zweitinstanzlichen Verfahrens eingetretenen Entwicklung zu Unrecht
stattgegeben.
Allerdings hätte der Aussetzungsantrag entgegen der von der Antragsgegnerin im
Beschwerdeverfahren geäußerten Auffassung nicht schon wegen fehlenden
Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin abgelehnt werden müssen. Denn für
sie gab es keinen einfacheren Weg, die sofortige Tötung ihres Hundes vor einer
Entscheidung über ihren Widerspruch gegen die Sicherstellungsanordnung vom
21. August 2000 zu verhindern. Abgesehen davon, dass die Tötung des Hundes
gegenüber der Sicherstellung eine zusätzliche Beschwer enthält, steht vor einer
bestandskräftigen Entscheidung über die Sicherstellungsanordnung auch noch gar
nicht fest, ob der sichergestellte Hund - wenn er dann noch lebt - der
Antragstellerin zurückgegeben werden muss. Deshalb bestehen an der
Zulässigkeit des Aussetzungsantrags keine Zweifel.
Das Verwaltungsgericht hat dem Aussetzungsantrag aufgrund der ihm bekannten
Tatsachen auch im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Zwar teilt der Senat nicht die
Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass wegen der Möglichkeit einer (dauerhaften)
Unterbringung des Hundes in der Hessischen Polizeischule kein öffentliches
Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Tötungsanordnung
bestehe. Die Inanspruchnahme derartiger öffentlicher Einrichtungen zur
Unterbringung gefährlicher Hunde kann ihrer Natur nach nur eine vorübergehende
Notlösung sein, weil andernfalls wegen der nach und nach wachsenden Menge zu
betreuender Tiere die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen beeinträchtigt
werden würde. Das Verwaltungsgericht hat jedoch seinerzeit die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Tötungsanordnung im
Ergebnis zu Recht angeordnet, weil es damals an einer ausreichenden schriftlichen
Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs fehlte (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Die diesbezüglichen Ausführungen in den letzten beiden Absätzen auf Seite 2 und
auf Seite 3 des angegriffenen Bescheides vom 30. November 2000 sind formelhaft
und lassen nicht erkennen, welche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung durch die sofortige Tötung des Hundes abgewendet werden und welche
tierschutzrechtlichen Erwägungen einer weiteren Unterbringung des Hundes in der
Polizeischule entgegenstehen sollen.
Dieser Begründungsmangel ist indessen im Laufe des Beschwerdeverfahrens
dadurch behoben worden, dass die Antragsgegnerin mit Schriftsatz ihrer
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dadurch behoben worden, dass die Antragsgegnerin mit Schriftsatz ihrer
Bevollmächtigten vom 30. März 2001 eine die Entscheidung tragende Begründung
der Anordnung des Sofortvollzugs nachgeschoben hat. In diesem Schriftsatz hat
die Antragsgegnerin unter Vorlage eines entsprechenden Schreibens des als
Sachverständiger tätig gewesenen Kriminalhauptkommissars Hieronymus vom 29.
März 2001 dargetan, dass der Hund der Antragstellerin aufgrund seiner durch die
Zwingerhaltung weiter wachsenden Aggressivität zunehmend eine Gefahr für die
Gesundheit von Lehrgangsteilnehmern und Pflegepersonal sei. Aus dem
beigefügten Schreiben von Herrn Hieronymus ergibt sich, dass es dem
Pflegepersonal wegen der bestehenden Gefährlichkeit des Hundes nicht mehr
möglich sei, sich um den Hund zu bemühen, da er keine Person an sich
herankommen lasse. Diese Darstellung, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht,
hat sich die Antragsgegnerin durch Vorlage dieses Schreibens zu Eigen gemacht.
Das Nachschieben einer tragenden Begründung für die Vollziehungsanordnung im
Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist entgegen
früher herrschender Auffassung nach Ansicht des Senats möglich, insbesondere
dann, wenn - wie hier - zusätzliche Erkenntnisse zur Dringlichkeit der sofortigen
Vollziehung eines Verwaltungsakts erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens
entstehen. Dabei kann dahinstehen, ob die Möglichkeit des Nachschiebens von
Gründen in dieser Hinsicht im Eilverfahren schon aus Gründen der
Prozessökonomie geboten ist, was teilweise vertreten wird (Kopp/Schenke, VwGO,
12. Aufl., Rdnr. 87 zu § 80 VwGO, m. w. N.). Jedenfalls kann aber eine insoweit für
das Eilverfahren bestehende Regelungslücke durch eine analoge Anwendung des §
45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HVwVfG bzw. des § 114 Satz 2 VwGO mit dem Ergebnis
geschlossen werden, dass das Nachholen einer fehlenden Begründung für die
Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 oder das Nachbessern einer
unzulänglichen Begründung noch im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5
VwGO möglich ist.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Tötungsanordnung selbst, die
ihrem Sofortvollzug entgegenstehen würden, bestehen nicht. Der Senat teilt die
Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass diese Tötungsanordnung offensichtlich
rechtmäßig ist. Soweit die Antragstellerin dem im Beschwerdeverfahren
widersprochen hat, überzeugt dies nicht. Insbesondere kann nicht ihrer Auffassung
gefolgt werden, schon die Sicherstellung des Hundes sei zu Unrecht erfolgt, weil
der Hund am 14. August 2000 den Husky der Eheleute Rettig nicht ohne
rechtfertigenden Grund gebissen habe. Mit der von der Antragstellerin im
Beschwerdeverfahren wiederholten Behauptung, ihr Hund habe seinerzeit lediglich
ihr in einem Korb auf der Terrasse abgestelltes Kleinkind gegen einen
bevorstehenden Angriff des Huskys verteidigen wollen, hat sich das
Verwaltungsgericht bereits in seinem die Sicherstellung des Hundes betreffenden
Beschluss vom 23. Oktober 2000 - 3 G 2331/00 - (vgl. dort Seite 5 f., Bl. 22 f. der
Beiakten des Verwaltungsgerichts Darmstadt mit diesem Aktenzeichen)
auseinander gesetzt und ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die
Darstellung der Antragstellerin insoweit nicht glaubhaft sei. Soweit die
Antragstellerin im Beschwerdeverfahren die Auffassung vertreten hat, die
negativen Ergebnisse der bei ihrem Hund durchgeführten beiden Wesenstests sei
auf die Art der Haltung des Tieres während der Sicherstellung zurückzuführen,
kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Denn bei der Überprüfung durch den
Sachverständigen Hieronymus am 17. und 18. August 2000 (Niederschrift Bl. 29 ff.
der Behördenakten), wurde der Hund in Gegenwart der Antragstellerin
begutachtet, wobei laut Niederschrift wiederholt Gelegenheit für die Antragstellerin
bestand, mit dem Hund Kontakt aufzunehmen und ihn außerhalb der
Zwingeranlage zu führen. Trotzdem hat der Hund bei dieser Begutachtung das in
der Niederschrift dargestellte aggressive Verhalten an den Tag gelegt, wobei der
bei der fünften Überprüfung stattgefundene Angriff auf den Sachverständigen (vgl.
Bl. 30 der Behördenakten) besonders schwerwiegend ist. Mit Recht hat das
Verwaltungsgericht diesem Umstand bei seiner Entscheidung über den gegen die
Sicherstellungsanordnung gerichteten Aussetzungsantrag besonderes Gewicht
beigemessen (vgl. S. 8 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom
23. Oktober 2000 - 3 G 2331/00 -). Bei der Kostenentscheidung berücksichtigt der
Senat, dass die Antragsgegnerin zunächst eine unzureichende Begründung ihrer
Vollziehungsanordnung gegeben und damit das Entstehen von Kosten durch das
erstinstanzliche Verfahren verursacht hat (§ 155 Abs. 5 VwGO). Deshalb erscheint
eine Kostenteilung in der aus dem Tenor ersichtlichen Form (§ 155 Abs. 1 Satz 2
VwGO) angebracht, obgleich die Antragstellerin als unterliegender Teil ohne
Berücksichtigung des § 155 Abs. 5 VwGO als unterliegender Teil die Gesamtkosten
zu tragen hätte (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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Der Streitwert ist wie in erster Instanz auf die Hälfte des gesetzlichen
Auffangstreitwerts im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG festzusetzen, da
Anhaltspunkte für eine Bezifferung des Interesses der Antragstellerin fehlen und
im Eilverfahren nur eine vorläufige Regelung angestrebt worden ist.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.