Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 29.03.2017
OVG Berlin-Brandenburg: gemeinde, aufschiebende wirkung, aufwand, nichtigkeit, ausnahme, industrie, verwirkung, doppelbelastung, form, wahrscheinlichkeit
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 S 2.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 S 1 Nr 1 VwGO, § 80
Abs 4 S 3 VwGO, § 80 Abs 5
VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, §
129 Abs 2 BauGB
Erschließungsbeitragsrecht: Vorfinanzierung; Erschließungs- und
Finanzierungsvertrag; Grundstückserwerb vom
Erschließungsträger; Nichtigkeit des Erschließungs- und
Finanzierungsvertrages; Sondervereinbarung
"Wegebaubeitrags-Verzicht"; Nichtigkeit der Verzichtserklärung;
Rücknehmbarkeit der Verzichtserklärung; Kostenschätzung;
einheitliche Aufwandsermittlung; Kostenverteilung nach
Quadratmetermaßstab; Bereicherungsausgleich im jeweiligen
Leistungsverhältnis; Festsetzungsverjährung bei
Vorausleistungen; Verwirkung
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2008 wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners
vom 18. September 2006 wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 151.103.82 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Vorausleistungen auf
Erschließungsbeiträge für die Erschließungsanlage R. im Industrie- und Gewerbegebiet H.
in R.. Sie ist Eigentümerin eines dort belegenen Grundstücks von insgesamt 85.750 qm,
das ihre Rechtsvorgängerin mit Kaufvertrag vom 13. August 1993 von der H. H. W. mit
der Verpflichtung erwarb, einen Erschließungsvertrag über die Erschließung im Einzelnen
benannter Flächen mit der Rechtsvorgängerin der G. abzuschließen. Dies erfolgte unter
dem 14. Juni 1994; die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin leistete auf der Grundlage
des Erschließungsvertrages nach eigenen Angaben Zahlungen für die Erschließung ihres
Grundstücks in Höhe von insgesamt umgerechnet 1.533.100,58 EUR an den
Erschließungsträger. Bereits unter dem 3. Juni 1994 hatte die Rechtsvorgängerin der
Antragsstellerin mit der Rechtsvorgängerin des Erschließungsträgers die Abtretung von
Gewährleistungsansprüchen vereinbart, die von der Gemeinde genehmigt wurde. In der
von der Amtsdirektorin des Amtes R. sowie von dem Bürgermeister der Gemeinde H.
mit unterzeichneten Vereinbarung heißt es wörtlich unter III. weiter: „Sie [= die
Gemeinde] wird Wegebaubeiträge bezogen auf das Grundstück von N. [= der
Rechtsvorgängerin der Antragstellerin] nicht gegenüber N. geltend machen, wenn
insoweit Zahlung von N. an die G. [= Rechtsvorgängerin der G.] geleistet wird“.
Der inzwischen insolvente Erschließungsträger selbst, die G. (G.), hatte ebenfalls 1994
mit der Gemeinde H. (Rechtsvorgängerin der Gemeinde R.) einen entsprechenden
Erschließungs- und Finanzierungsvertrag abgeschlossen, dessen Nichtigkeit das
Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) im September 2002 wegen Verstoßes gegen das
sog. Koppelungsverbot festgestellt hat. Zugleich hat es die Gemeinde R. zur Zahlung
von umgerechnet rund 1,6 Millionen Euro zuzüglich Prozesszinsen verurteilt, und zwar
als Erstattung für die vom Erschließungsträger erbrachten Erschließungsleistungen. Das
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Gemeinde gegen das
Urteil im Dezember 2006 zurückgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 2006 - OVG 10 B
13.05). Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde blieb vor dem
Bundesverwaltungsgericht ebenfalls ohne Erfolg (Beschluss vom 16. November 2007 –
BVerwG 9 B 36. 07).
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Mit Vorausleistungsbescheid vom 18. September 2006 setzte der Antragsgegner
gegenüber der Antragstellerin Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag in Höhe
von 604.415,30 EUR fest und forderte die Zahlung des Betrages. Über den dagegen
eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Auf Antrag der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) durch
Beschluss vom 3. Dezember 2008 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
angeordnet und zur Begründung unter Berufung auf einen Beschluss des
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zum selben Maßnahmekomplex im
Wesentlichen ausgeführt, den nachgereichten Anlagen zum Vorausleistungsbescheid
lasse sich nicht ansatzweise eine Aufschlüsselung der Herstellungskosten auf die sieben,
von dem Antragsgegner als selbständige Erschließungsanlagen angesehenen Straßen
im Industrie- und Gewerbegebiet H. entnehmen. Zwar dürfte der Antragsgegner hier
keine Abrechnung als Erschließungseinheit durchgeführt, sondern lediglich den Aufwand
gemeinsam ermittelt haben. Diese Vorgehensweise sei grundsätzlich auch
ausnahmsweise zulässig, wenn deutlich werde, nach welcher Berechnungsweise der
Aufwand nach den einzelnen Straßen verteilt worden sei. Das habe der Antragsgegner
aber nicht dargelegt, so dass die Verschleierung der Berechnungsweise zu seinen
Lasten gehe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er erneut seine
Berechnung des Erschließungsaufwandes und des daraus resultierenden beitragsfähigen
Aufwandes vorlegt und erläutert. Er macht u.a. geltend, dass aus Gründen der
Verwaltungspraktikabilität jedenfalls bei Vorausleistungen eine Kostenschätzung auf der
Grundlage der für die einzelnen Erschließungsanlagen ermittelten Quadratmeterzahl
zulässig sei. Dies habe das Verwaltungsgericht verkannt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die von dem Antragsgegner gemäß § 146 Abs.
4 VwGO fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe geben Anlass, den angefochtenen
Beschluss mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abzuändern und den Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abzulehnen.
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen einen Abgabenbescheid
ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 80 Abs. 5 und § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO -
vorbehaltlich des Vorliegens eines Härtefalls – nämlich nur anzuordnen, wenn an der
Rechtmäßigkeit des Bescheids ernstliche Zweifel bestehen, d.h. der Bescheid bei
summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Das ist
hier nicht der Fall. Vielmehr lassen die den angegriffenen Bescheid erläuternden Anlagen
die Höhe der geforderten Vorausleistungen nach summarischer Prüfung als plausibel
erscheinen.
1. Dem kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Antragsgegner
habe den beitragsfähigen Erschließungsaufwand nicht - wie nach § 130 Abs. 2 Satz 1
BauGB grundsätzlich gefordert - anhand der tatsächlich entstandenen Kosten für die
einzelnen Anlagen unter Heranziehung der jeweiligen Unternehmerrechnungen ermittelt,
sondern in Form einer „verschleierten“ bzw. „faktischen“ Erschließungseinheit (§ 130
Abs. 2 Satz 3 BauGB) die Gesamtkosten nach der Quadratmeterzahl der „asphaltierten
Fläche“ auf die einzelnen Erschließungsanlagen verteilt und ins Verhältnis zur Größe der
veranlagten Grundstücke gesetzt. Insoweit übersieht sie, dass mit dem angegriffenen
Bescheid lediglich Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag im Sinne des § 133
Abs. 3 Satz 1 BauGB festgesetzt worden sind, nicht die endgültige Beitragsschuld.
Solche Vorausleistungen können für ein Grundstück, für das – wie hier unstreitig - eine
sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden ist, bis zur Höhe des voraussichtlichen
endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden. Zur Berechnung von
Vorausleistungen steht dem Antragsgegner sowohl für die Aufwandsermittlung als auch
für die Aufwandsverteilung eine Schätzungsbefugnis mit einhergehendem
Schätzungsspielraum zu. Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Kostenschätzung ist
nicht die Deckungsgleichheit mit dem noch nicht abschließend feststellbaren
Erschließungsaufwand, sondern die Anwendung einer sachgerechten
Schätzungsgrundlage (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. § 21
Rz. 33 f.). Einen Anspruch auf eine Kostenaufstellung, die alle Details der endgültigen
Abrechnung bereits umfasst, hat der Vorausleistungspflichtige nicht. Dies ist bei
Vorausleistungen angesichts der regelmäßig noch offenen Kosten (hier z.B. derjenigen
für den Straßenlanderwerb) auch weder möglich noch entspräche es dem Charakter der
Vorausleistung als Instrument der Vorfinanzierung.
Dass der Antragsgegner die gesetzlichen Grenzen seines Schätzungsspielraums nicht
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Dass der Antragsgegner die gesetzlichen Grenzen seines Schätzungsspielraums nicht
eingehalten hat, weil mit den festgesetzten Vorausleistungen für das Grundstück der
Erschließungsanlage R. die Höhe des zu erwartenden endgültigen Erschließungsbeitrags
überschritten worden ist, trägt die Antragstellerin selbst nicht vor. Ebenso wenig ist bei
summarischer Prüfung ersichtlich, dass die geforderte Vorausleistung den Aufwand
übersteigt, der erfahrungsgemäß für die Herstellung entsprechender
Erschließungsanlagen anfällt. Soweit die Antragstellerin daher im Kern allein rügt, die
Kosten hätten wegen der bereits seit 1996 abgeschlossenen Maßnahmen gar nicht
mehr geschätzt werden dürfen, greift der Einwand schon mit Blick auf die bisher noch
offenen Kosten nicht. Im Übrigen sind nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben
des Antragsgegners die bereits vorliegenden Unternehmerrechnungen, an denen sich
die geschätzte Aufwandshöhe in sachgerechter Weise orientiert hat, nicht
anlagenbezogen. Gerade für derartige Fälle ist nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung selbst für die Berechnung der endgültigen Beitragsschuld eine
Ausnahme von der „pfennig-genauen“ Kostenermittlung zugelassen und der Gemeinde
im Interesse der Verwaltungspraktikabilität eine Schätzungsbefugnis eingeräumt worden
(BVerwG, Urt. v. 16. August 1985 – 8 C 120 bis 122.83 – juris, Rz. 27-29), die ohne
weiteres unter Anwendung eines Quadratmetermaßstabs als geeignete Bezugsgröße
zur Gesamtkostenverteilung ausgeübt werden kann. Dies gilt erst recht für die
Heranziehung zu vorläufigen Beiträgen im Rahmen von Vorausleistungsbescheiden, an
deren Prüfungstiefe im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine höheren
Anforderungen zu stellen sind.
Die weitere Behauptung der Antragstellerin, der Aufwand für die „E.“ sei schon deshalb
nicht zu berücksichtigen, weil sich die Erschließungsanlage „nach hiesigem
Kenntnisstand im Bereich der gewachsenen Bebauung R.“ befinde, „nicht aber im
Gewerbegebiet“, ist nicht geeignet, die Sachgerechtigkeit der Schätzungsgrundlage zu
erschüttern. Wie die Antragstellerin selbst einräumt, dürfte es sich insoweit um den E.
handeln, dessen Zugehörigkeit zum Industrie- und Gewerbegebiet unstreitig ist. Eine
überwiegend wahrscheinliche Rechtswidrigkeit des Vorausleistungsbescheids folgt aus
der Falschbezeichnung bei summarischer Prüfung nicht.
Soweit die Verteilung der Kosten für die Herstellung der Erschließungsanlagen E.,E.-, K.-
und U. nach Durchsicht der Unterlagen auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, der
Antragsgegner habe nicht durchgängig den 10%-igen Gemeindeanteil von den
Erschließungskosten abgezogen, führt auch dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit des Bescheids, denn der hier veranlagte R. ist davon nicht betroffen. Im
Übrigen enthalten die Anlagen zu den Vorausleistungsbescheiden für die Herstellung der
o.g. Straßen mit Ausnahme der A.- und B. sowie des R. zwar jeweils insoweit einen
Fehler, als die Höhe des angegebenen beitragsfähigen Aufwandes trotz des
abzuziehenden 10%-igen Gemeindeanteils der Höhe des umlagefähigen Aufwandes zu
entsprechen scheint. Jedoch führte dies nicht einmal zur Teilrechtswidrigkeit der auf
diese Straßen bezogenen Bescheide, denn der Schreibfehler bezieht sich offenkundig
auf den beitragsfähigen Aufwand, der bereits um 10% gemindert angegeben worden ist
und deshalb dem rechnerisch zutreffend ermittelten umlagefähigen Aufwand entspricht.
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids lassen sich
auch nicht daraus herleiten, dass der Antragsgegner im Rahmen des festgestellten
Gesamtaufwandes einen Betrag von 506.709,27 Euro hat einfließen lassen. Dabei
handelt es sich nach den Angaben des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren nicht
um erschließungsbeitragsfremde Aufwendungen, sondern um eine Teilforderung der G.
gegen die Gemeinde, die sich ebenfalls auf die Erstattung erbrachter
Erschließungsleistungen bezieht. In dieser Höhe hat der Antragsgegner gegenüber der
G. auf die Einrede der Verjährung verzichtet, um aus Kostengründen (zunächst) einen
weiteren Rechtsstreit zu vermeiden, nachdem das VG Frankfurt (Oder) einen
erschließungsbeitragsrechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von umgerechnet
2.133.643,29 Euro ermittelt hatte, der aufgrund des beschränkten Klageantrags der G.
nicht in vollem Umfang zugesprochen werden konnte. Dem ist die Antragstellerin nicht
mehr substantiiert entgegengetreten.
3. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin begründet auch die von ihr befürchtete
Doppelbelastung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Vorausleistungsbescheids. Es kann dahinstehen, ob § 129 Abs. 2 BauGB hier überhaupt
anwendbar ist, denn es spricht bei summarischer Prüfung alles gegen eine
Doppelbelastung der Antragstellerin. Zivilrechtlich ist geklärt, dass der
bereichungsrechtliche Ausgleich in Mehrpersonenverhältnissen grundsätzlich im
jeweiligen Leistungsverhältnis zu erfolgen hat. Dies gilt – wie das
Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde
gegen das den Erschließungs- und Finanzierungsvertrag für das Industrie- und
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gegen das den Erschließungs- und Finanzierungsvertrag für das Industrie- und
Gewerbegebiet H. betreffende Urteil des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
festgestellt hat - gleichermaßen für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl.
BVerwG, Beschl. v. 16. November 2007 – 9 B 36.07 – NVwZ 2008, 212 ff.). Können somit
Bereicherungsansprüche ihre Funktion, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende
Vermögensverschiebung zu korrigieren, nur unter Berücksichtigung derjenigen
Rechtsbeziehungen erfüllen, in denen es zu dieser Vermögensverschiebung gekommen
ist (hier zwischen der Antragstellerin und der G.), wird die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Vorausleistungsbescheids von Bestand und Durchsetzbarkeit etwaiger
Bereicherungsansprüche gegenüber Dritten nicht berührt. Im Übrigen enthält die
Vorschrift des § 129 Abs. 2 BauGB weder die allgemeine Grundaussage, dass die
„Klärung komplexer bereicherungsrechtlicher Fragen zunächst zu Lasten der
beitragserhebenden Gemeinde geht“ noch gewährt sie der Antragstellerin „ein[en]
aufrechenbare[n] bereicherungsrechtliche[n] Gegenanspruch“ gegenüber der
Gemeinde.
4. Der Vorausleistungsbescheid ist bei summarischer Prüfung auch nicht deshalb mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil „vorliegend von einem wirksamen
selbständigen Verzicht“ der Gemeinde auf die Beitragserhebung auszugehen wäre, der
zugleich als „relevante Zusicherung im Sinne des § 38 VwVfG“ gewertet werden müsste,
die durch den Bescheiderlass „nunmehr konterkariert[]“ werde. Form, Inhalt und
Reichweite der ausdrücklich nur zwischen den Parteien des Kaufvertrages geschlossenen
Vereinbarung vom 3. Juni 1994 (siehe deren „Kopf“, der sich auf die Vertragspartner
beschränkt) werfen vielmehr eine Reihe schwieriger Fragen auf, deren abschließende
Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Es ist bereits offen, ob
allein durch die Abgabe einer Erklärung im Rahmen der Vereinbarung und durch die
Mitunterzeichnung der Amtsdirektorin sowie des Bürgermeisters überhaupt – wovon die
Antragstellerin ausgeht - eine „dreiseitige Vereinbarung“ zustande gekommen ist, oder
ob es sich um eine einseitige Erklärung der Gemeinde handelt. Bei summarischer
Prüfung ist weiter offen, ob das „Erklärte“ inhaltlich dahin auszulegen ist, dass auf die
Erhebung von Beiträgen auch für den Fall verzichtet werden sollte, dass sich der
Erschließungs- und Finanzierungsvertrag zwischen Gemeinde und G. in Bezug auf das
Erschließungsgebiet als nichtig erweist. Schon mit Blick auf die grundsätzlich nicht
disponible Beitragserhebungspflicht der Gemeinden (vgl. § 127 Abs. 1 BauGB), die allen
Beteiligten bekannt gewesen sein dürfte, bestehen Zweifel an einer solchen Auslegung.
Falls sie gleichwohl vorzunehmen sein sollte, stellt sich nach der festgestellten
Nichtigkeit des Erschließungs- und Finanzierungsvertrages eben wegen der gesetzlichen
Beitragserhebungspflicht die Frage, ob das Erklärte – wie der Antragsgegner meint -
bereits als nichtig zu werten ist, oder ob - wie die Antragstellerin andeutet - eine
Rechtfertigung des Erklärten durch Billigkeitsgesichtspunkte oder allenfalls eine
Rechtswidrigkeit des Erklärten anzunehmen ist, wobei sich insoweit die weitere Frage der
Rücknehmbarkeit oder möglicherweise sogar schon erfolgten konkludenten Rücknahme
durch den angegriffenen Vorausleistungsbescheid stellt. All dies überschreitet den
Prüfungsrahmen im Eilverfahren. Vor diesem Hintergrund kommt nach der Wertung des
Gesetzgebers die hier erstrebte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs gegen den Abgabenbescheid nicht in Betracht.
5. Schließlich ist der geltend gemachte Vorausleistungsanspruch bei summarischer
Prüfung weder verjährt noch verwirkt.
Vorausleistungen können gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB bis zur Entstehung der
sachlichen Beitragspflicht erhoben werden; sie unterliegen daher als Instrument der
Vorfinanzierung keiner Festsetzungsverjährung. Da hier der unstreitig noch fehlende
Grunderwerb durch die Gemeinde Voraussetzung für die endgültige Herstellung der
Erschließungsanlagen ist (vgl. § 10 Abs. 1 Buchst. b der Erschließungsbeitragssatzung
der Gemeinde R. bei Berlin vom 30. 6. 2005, Amtsblatt für die Gemeinde v. 28.7.2005),
können die Vorausleistungen nach wie vor verlangt werden. Dass - wie die
Beschwerdeschrift behauptet - vor Juli 2005 bereits eine gültige
Erschließungsbeitragssatzung vorgelegen haben soll, wonach der Eigentumserwerb nicht
zu den Merkmalen der endgültigen Herstellung der Anlage zählte, ist weder substantiiert
dargetan noch sonst ersichtlich.
Ebenso wenig führen die „Rechtsgrundsätze der Verwirkung“, deren Berücksichtigung
die Antragstellerin „angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Sachverhaltes“
geltend macht, zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Soweit die
Antragstellerin auf einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren zwischen technischer
Fertigstellung der Erschließungsanlage und Erlass des Vorausleistungsbescheids abstellt
und damit „das für die Verwirkung maßgebliche Zeitmoment…als erfüllt“ ansieht,
verkennt sie bereits, dass der Antragsgegner angesichts der zunächst als wirksam
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verkennt sie bereits, dass der Antragsgegner angesichts der zunächst als wirksam
angesehenen Regelungen des Finanzierungs- und Erschließungsvertrages mit der G.
keine Vorausleistungen von ihr - der Antragstellerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin -
erheben konnte. Noch bevor die Nichtigkeit dieses Vertrages im Dezember 2006
obergerichtlich festgestellt worden war, hatte der Antragsgegner den angegriffenen
Bescheid im September 2007 erlassen. Darin liegt kein die Verwirkung begründender
Zeitablauf. Dass die Gemeinde oder der Antragsgegner bis zu diesem Zeitpunkt
Umstände gesetzt haben, die aus Sicht der Antragstellerin ein schutzwürdiges
Vertrauen in die Nichterhebung des Beitrages hätten begründen können, ist nicht
erkennbar. Vielmehr hat die Gemeinde R. die Prozessbevollmächtigten der
Antragstellerin schon mit Schreiben vom 12. April 2005 ausführlich über die
beabsichtigte Beitragserhebung hingewiesen, sofern der mit der G. abgeschlossene
Vertrag sich endgültig als nichtig erweisen sollte. Soweit die Beschwerdeschrift in diesem
Zusammenhang ausführt, das schutzwürdige Vertrauen der Antragstellerin folge
jedenfalls „aus der in der gesonderten Vereinbarung vom 3. Juni 1994 zu sehende[n]
Verzichtshandlung“, muss auch insoweit die abschließende rechtliche Beurteilung der
Schutzwürdigkeit angesichts der unter II 4 skizzierten offenen Fragen dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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