Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 19.05.2009
OVG Berlin-Brandenburg: psychologische begutachtung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, cannabis, entziehung, beeinflussung, kokain, entziehen, verwarnung, auskunft, leib
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 102.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 StVG, § 46 Abs 1 FeV,
Anl 4 Nr 9.1 FeV, Anl 4 Nr 9.2.2
FeV
Fahrerlaubnisentziehung aufgrund gelegentlichen
Betäubungsmittelkonsums
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 19. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, anhand dessen der
angefochtene Beschluss zu überprüfen ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt eine
Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht, den Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des
Antragsgegners vom 27. März 2009 abzulehnen.
Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die Entziehung der
Fahrerlaubnis auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2
Fahrerlaubnisverordnung – FeV - i.V.m. Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV offensichtlich
rechtmäßig sei, weil der Antragsteller sich als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erwiesen habe, nachdem er als Führer eines Kraftfahrzeugs einmal am
13. März 2005 unter Einfluss von Kokain und ein weiteres Mal im Zusammenhang mit
einem Verkehrsunfall am 19. August 2008 unter Einfluss von Cannabis aufgefallen sei,
wobei die festgestellten Blutserumwerte 4,2 ng/ml THC, 47,1 ng/ml THC-Carbonsäure
und 1,3 ng/ml 11-Hydroxy-THC ergeben hätten. Wenn bereits die wiederholte Einnahme
von Cannabis als gelegentlicher Konsum bei einem Kraftfahrer die Entziehung der
Fahrerlaubnis rechtfertige, müsse dies erst Recht gelten, wenn bei einem von zwei
Vorfällen Kokain konsumiert worden sei. Aufgrund seiner unglaubhaften Angaben, erst
nach Beendigung der Fahrt am 19. August 2008 zuhause neben einigen Flaschen Bier
(erst- und einmalig) auch Cannabis probiert zu haben, müsse bei ihm von fehlendem
Trennungsvermögen ausgegangen werden.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt im Ergebnis keine Änderung der angefochtenen
Entscheidung. Sofern der Antragsteller bestreitet, am 19. August 2008 überhaupt unter
Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, weswegen ihm auch nicht
fehlendes Trennungsvermögen unterstellt werden könne, ist dem entgegenzuhalten,
dass gegen ihn wegen dieses Vorfalls unter dem 22. Dezember 2008 ein
Bußgeldbescheid, rechtskräftig seit dem 14. Januar 2009, ergangen ist, und deswegen
vier Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen wurden.
Der Einwand der Beschwerde, das Verwaltungsgericht könne den „gelegentlichen“, in
Wahrheit aber nur einmaligen Konsum von Cannabis am 19. August 2008 bereits aus
zeitlichen Gründen nicht mit Rückgriff auf den einmaligen Kokainkonsum am 13. März
2005 begründen, greift nicht durch, weil bei summarischer Prüfung einiges für die
Auffassung des Verwaltungsgerichts spricht. Grundsätzlich trifft es zwar zu, dass
gelegentliche Einnahme von Cannabis im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV dann
vorliegt, wenn mindestens zweimal Cannabis in voneinander unabhängigen
Konsumakten eingenommen wurde (vgl. Beschluss des Senats vom 16. Juni 2009 - OVG
1 S 17.09 – juris Rn. 5; VGH München, Beschluss vom 25. November 2008 - 11 CS
08.2238 -, juris Rn. 13; VGH Mannheim, Beschluss vom 29. September 2003 - 10 S
1294/03 - juris Rn. 3 ff.). Diese Bewertung gilt allerdings gemäß Ziffer 3 der
Vorbemerkung zur Anlage 4 nur für den Regelfall, so dass davon abweichende
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Vorbemerkung zur Anlage 4 nur für den Regelfall, so dass davon abweichende
Konstellationen in Anlehnung an die Tabelle in Anlage 4 ebenfalls berücksichtigt werden
können. Es ist nicht Aufgabe der Tabelle, eine abschließende Regelung zu treffen, weder
hinsichtlich der Aufzählung der Krankheiten und Mängel, noch inhaltlich in Bezug auf die
Bewertung der Eignung bzw. Nichteignung (vgl. Kirchner, Die neue
Fahrerlaubnisverordnung, 2002, S. 86). Zu berücksichtigen ist danach, dass bereits der
Vorfall am 13. März 2005 für sich genommen Anlass geboten hätte, die Fahrerlaubnis
gemäß Anlage 4 Ziffer 9.1 zu entziehen. Die erneute Einnahme berauschender Mittel
durch den Antragsteller, der zudem in der Vergangenheit schon durch alkoholische
Beeinflussung im Straßenverkehr aufgefallen ist, führt dazu, dass das für den
Antragsteller positive Ergebnis des durch die Fahrerlaubnisbehörde im Anschluss an den
Vorfall vom 13. März 2005 veranlassten Haarscreenings in einem anderen und neuen
Licht zu sehen ist. Denn ungeachtet dessen, dass der Antragsteller jetzt „nur“ durch die
Einnahme von Cannabis aufgefallen ist, lässt sein Verhalten eine Anfälligkeit für die
Einnahme von Drogen erkennen, so dass ein ohne den Nachweis von Kokain verlaufenes
Haarscreening, das im Falle des Antragstellers lediglich ein drogenfreies Intervall von
zwei bis drei Monaten nachweisen konnte, letztlich keine verlässliche Prognose dahin
ermöglicht, der Antragsteller werde künftig keine harten Drogen mehr nehmen und auch
keine Fahrzeuge mehr unter dem Einfluss von Cannabis im Straßenverkehr führen. Jeder
weitere Vorfall in dieser Richtung würde nämlich bereits einen Regelfall der Nichteignung
nach Nr. 9.1 oder 9.2.2 der Anlage 4 begründen, in dem die Fahrerlaubnis ohne weitere
Aufklärung des Sachverhalts zu entziehen wäre. Danach erscheint es, zwar nicht ganz
zweifelfrei, ob die ohne vorherige medizinisch-psychologische Begutachtung erfolgte
Fahrerlaubnisentziehung bereits als rechtmäßig beurteilt werden kann. Es bestehen aber
ganz erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers, denen durch
Aufklärung seines Drogenkonsums und seiner Einstellung zum Konsum harter und
weicher Drogen unbedingt nachzugehen ist.
Diese Zweifel sind im Falle des Antragstellers von solchem Gewicht, dass der Senat im
Rahmen der bei nicht hinreichend zu beurteilenden Erfolgsaussichten des Widerspruchs
vorzunehmenden Interessenabwägung keine Veranlassung sieht, das
Aussetzungsinteresse des Antragstellers höher zu bewerten als das Vollzugsinteresse
des Antragsgegners. Dabei ist dem Senat bewusst, dass die Entziehung der
Fahrerlaubnis eine nicht unerhebliche Rechtsbeeinträchtigung des Betroffenen bedeutet.
Der Senat stellt zugunsten des Antragstellers auch in die Abwägung ein, dass er einen
Laborbefund vom 17. September 2009 zu den Akten gereicht hat, nach dem er
drogenfrei war; dieser Befund räumt indessen die massiven Zweifel daran, dass der
Antragsteller bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erneut Drogen konsumieren
wird, weil er eine solche Anfälligkeit bereits gezeigt hat, nicht durchgreifend aus.
Demgegenüber sind die Gefahren, die von Kraftfahrern unter der Beeinflussung von
Drogen und Alkohol ausgehen, schwerwiegend, weil dadurch veranlasstes Fehlverhalten
andere Verkehrsteilnehmer in den Schutzgütern Leib und Leben gefährdet und leicht
auch bedeutende Sachwerte betroffen sein können. Bei dem Antragsteller fällt weiter ins
Gewicht, dass er abgesehen von dem Betäubungsmittelkonsum auch im Übrigen seit
dem Jahr 2000 regelmäßig durch erhebliche Verkehrsverstöße aufgefallen ist, darunter
auch eine Teilnahme am Straßenverkehr unter alkoholischer Beeinflussung. Ausweislich
der Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 4. Februar 2009 sind für den
Antragsteller 18 Punkte eingetragen. Einer Entziehung der Fahrerlaubnis allein deswegen
ist der Antragsteller nur dadurch entgangen, dass beim Stand von 14 Punkten keine
Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 StVG ausgesprochen wurde.
Da es für die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis maßgeblich auf den
Zeitpunkt des Erlasses des noch ausstehenden Widerspruchsbescheids ankommen wird,
wird nach alledem der Antragsgegner den Zweifeln an der Kraftfahreignung des
Antragstellers durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung nachzugehen
haben, mit der Feststellungen zum Drogenkonsum des Antragstellers zu treffen sind
und davon abhängig zu prüfen sein wird, ob der Antragsteller innerhalb des seit der Fahrt
unter Cannabiseinfluss im August 2008 verstrichenen Zeitraums durch eine ggf.
erforderliche nachhaltige Verhaltensänderung, für die auch das jetzt vorgelegte
Drogenscreening, das der Antragsteller sinnvoller Weise unter forensischen verwertbaren
Bedingungen fortsetzen sollte, zu berücksichtigen ist, die Fahreignung zwischenzeitlich
wiedererlangt haben kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG (a.F.), § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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