Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: aufenthaltserlaubnis, ausweisung, sachprüfung, link, sammlung, gestaltungsspielraum, quelle, ausländerrecht, geldstrafe, straftat

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 3 M 57/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 104a AufenthG 2004, § 23
Abs 1 AufenthG 2004, § 11 Abs
1 S 2 AufenthG 2004
(Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG 2004
- Sperrwirkung des § 11 Abs 1 S 2 AufenthG 2004)
Leitsatz
Auf die Weisung der Senatsverwaltung für Inneres, wonach die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1
Satz 2 AufenthG in so genannten Bleiberechtsfällen nicht gilt, können sich Antragsteller nicht
berufen, da sie nicht vom Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern mit dem
Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz vom 17. November 2006 umfasst ist.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Berlin vom 16. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten
werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.
Die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete
Klage weist nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche
Erfolgsaussicht auf.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a
AufenthG. Ihm kann gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt
werden, da er durch Bescheid vom 18. April 2002 unanfechtbar aus dem Bundesgebiet
ausgewiesen worden ist. Die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG ist bei der Prüfung
der Voraussetzungen des § 104 a AufenthG in Ermangelung einer Ausnahmeregelung
uneingeschränkt zu beachten, auch wenn die Ausweisung auf einer privilegierten
Verurteilung i.S.v. § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG beruht (Funke-Kaiser in GK-
AufenthG, Stand Dezember 2008, § 104 a Rn. 70.1). Dies ist bei dem Kläger der Fall, da
die Geldstrafe, derentwegen er ausgewiesen worden ist, 50 Tagessätze nicht übersteigt
und überdies mittlerweile aus dem Bundeszentralregister getilgt worden ist. Dass sie im
Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG Bedeutung erhält, ist demgegenüber kein
Widerspruch. Denn es ist ein Unterschied, ob durch die Begehung einer Straftat nur ein
Ausweisungstatbestand gesetzt worden ist oder ob die zuständige Behörde sich im
konkreten Fall zur Ausweisung entschlossen hat (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O.).
Dem Kläger kann auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i.V.m. den
Vorläufigen Anwendungshinweisen des Beklagten zum AufenthG bzw. der darauf
beruhenden Verwaltungspraxis erteilt werden.
Allerdings sieht Ziffer A.104a.1.1.5. der Vorläufigen Anwendungshinweise i.d.F. vom 30.
September 2009 vor, dass die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei
Antragstellern, die sich seit 17. November 1998 ununterbrochen geduldet, gestattet
oder aus humanitären Gründen erlaubt im Bundesgebiet aufhalten und am 17.
November 2006 ausreisepflichtig gewesen sind, nicht gilt.
Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die Erteilung einer auf die
Vorläufigen Anwendungshinweise gestützten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG
infolge des Inkrafttretens der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG am 28.
August 2007 ohnehin ausgeschlossen ist (vgl. zum Streitstand Funke-Kaiser, a.a.O., Rn.
2; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Februar 2008, § 104 a Rn. 1).
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Ebenso kann offen bleiben, ob der Kläger den Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i.V.m. den Vorläufigen Anwendungshinweisen
rechtzeitig gestellt hat. Nach Ziffer II.7. des Beschlusses Nr. 8 der
Innenministerkonferenz vom 17. November 2006 (sog. Bleiberechtsbeschluss), der
durch die Vorläufigen Anwendungshinweise des Beklagten umgesetzt worden ist, ist der
Antrag bis zum 17. Mai 2007 zu stellen gewesen. Der Kläger hat am 29. Mai 2006 einen
Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt, den der Beklagte durch den hier
streitgegenständlichen Bescheid vom 19. März 2008 abgelehnt hat. Der Kläger konnte
sich bei Antragstellung nicht auf den Beschluss der Innenministerkonferenz beziehen, da
dieser erst später ergangen ist. Im Prozesskostenhilfeverfahren mag nicht
ausgeschlossen werden, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1
AufenthG i.V.m. den Vorläufigen Anwendungshinweisen auch aufgrund eines früher
gestellten, bei Inkrafttreten der Bleiberechtsregelung noch nicht beschiedenen Antrags
zu erfolgen hat.
Indes kann der Kläger nicht beanspruchen, dass der Beklagte von der Anwendung des §
11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG absieht und ihm trotz seiner unanfechtbaren Ausweisung
eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Denn für die entsprechende Anordnung in den
Vorläufigen Anwendungshinweisen fehlt das gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG
erforderliche Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern. Dieses Einvernehmen
ist zwingend erforderlich, damit sich ein Antragsteller auf einen ihm günstigen Erlass
bzw. die darauf beruhende Verwaltungspraxis berufen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.
Januar 2009 - 1 C 40.07 -, NVwZ 2009, 979, 980).
Ziffer 104a.1.1.5. der Vorläufigen Anwendungshinweise, wonach die Sperrwirkung des §
11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Bleiberechtsfällen nicht gilt, bezieht sich auf die nach dem
Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17. November 2006 ergangene Weisung der
Senatsverwaltung für Inneres. Laut deren Ziffer A.23.s.1.1. dient Abschnitt A.23.s.1. -
und damit auch Ziffer A.23.s.1.6.7. mit der Regelung zur Nichtanwendung von § 11 Abs.
1 Satz 2 AufenthG - der Umsetzung des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom
17. November 2006. Dieser Beschluss enthält jedoch zu § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG
keine Ausführungen. Zwar mag eine oberste Landesbehörde bei der Umsetzung eines
Beschlusses der Innenministerkonferenz, für den das Einvernehmen nach § 23 Abs. 1
Satz 3 AufenthG erteilt ist, einen gewissen Gestaltungsspielraum haben. Dieser wird
jedoch überschritten, wenn die oberste Landesbehörde über die in dem Beschluss der
Innenministerkonferenz formulierten gemeinsamen Grundsätze begünstigend
hinausgeht. Hier fehlt das Einvernehmen unabhängig davon, ob die gemeinsamen
Grundsätze noch eingehalten worden sind oder nicht (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 23 Rn.
28). Dies gilt im Falle der Anordnung des Beklagten zu § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG
umso mehr, als sie eine zwingende gesetzliche Regelung außer Kraft setzt, ohne dass
der Beschluss der Innenministerkonferenz zu diesem Punkt auch nur ansatzweise eine
Aussage trifft.
Soweit der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 29. Mai 2006
ausdrücklich auf § 25 AufenthG gestützt war, hat der Beklagte bereits mit
bestandskräftigem Bescheid vom 22. September 2006 einen dahingehenden Anspruch
verneint. In dem hier angefochtenen (Zweit-)Bescheid vom 19. März 2008 hat er sich auf
den Bescheid vom 22. September 2006 bezogen und ist mangels neuen Vortrags nicht
erneut in eine Sachprüfung eingetreten. Dies ist nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO sowie aus §§ 166 VwGO, 127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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