Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: schutz der ehe, lebensgemeinschaft, form, exklusivität, leitbild, schutzfunktion, institutsgarantie, sammlung, quelle, link

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 11.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 11 N 25.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 GG, § 27 Abs 1
AufenthG
Ehegattennachzug: Visumsbegehren einer türkischen Ehefrau
bei beabsichtigter Beibehaltung einer Lebensgemeinschaft des
Ehemannes mit einer deutschen Staatsangehörigen wie in einer
Imamehe
Leitsatz
Der Schutzbereich von Art 6 Abs. 1 GG greift nicht für das Visumsbegehren einer türkischen
Ehefrau zum Ehegattennachzug, deren Ehemann in Deutschland nach übereinstimmenden
Angaben zugleich eine Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsbürgerin in
traditioneller islamischer Form wie in einer Imamehe führt und beibehalten will.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Februar 2008 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der
Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin, türkische Staatsangehörige, begehrt ein Visum zum Ehegattennachzug zu
ihrem Ehemann R., seit dem 18. Oktober 2007 deutscher Staatsangehöriger, mit dem
sie seit dem 13. Januar 2005 standesamtlich verheiratet ist. Aus der Verbindung sind
während einer sog. Imamehe vier zwischen 1980 und 1988 geborene Kinder
hervorgegangen. Ihr Ehemann war von 1987 bis 1995 zunächst mit einer
schweizerischen und von 1996 bis 2003 mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet.
Seit 2004 lebt er mit der deutschen Staatsbürgerin K. zusammen. Den Visumsantrag
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Januar 2006 und Remonstrationsbescheid vom
5. April 2007 ab, weil nicht davon auszugehen sei, dass der Ehemann beabsichtige, mit
der Klägerin eine unter den Schutz von Art 6 GG fallende Ehe zu führen. Im
Klageverfahren verwies die Klägerin darauf, dass ihr Ehemann in ihrem Einverständnis
entsprechend ihren familiären Traditionen wie in einer Imamehe mit Frau K. weiterhin
zusammen leben werde, wogegen sie selbst keine Einwendungen erhebe. Mit dem
angegriffenen Urteil wies das Verwaltungsgericht die Klage ab, da die Voraussetzung der
beabsichtigten Führung einer durch Art 6 GG geschützten Ehe, die von der Zweisamkeit
der Ehepartner geprägt sei, nicht vorliegen würde. Ferner erfülle die Klägerin auch nicht
das Spracherfordernis gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
Der zunächst geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) wird nicht begründet dargelegt. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr.
1 VwGO setzt voraus, dass ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche
Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten angegriffen wird und im
Ergebnis eine gegenteilige als die angegriffene Entscheidung ernsthaft in Betracht
kommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163,
1164). Dabei ist die Überprüfung auf die von dem Zulassungsantragsteller geltend
gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu beschränken. Das
entspricht dem fristgebundenen Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 1 und 4
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entspricht dem fristgebundenen Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 1 und 4
VwGO. Die sich daraus ergebende Beschränkung betrifft nicht nur die gemäß § 124 Abs.
2 VwGO geltend gemachten, dort im Einzelnen bezeichneten Gründe, sondern
beschränkt die Prüfung im Zulassungsverfahren grundsätzlich auf die vom
Zulassungsantragsteller fristgerecht vorgetragene inhaltliche Begründung.
Mit der Zulassungsbegründung wendet sich die Klägerin zunächst mit diesem
Zulassungsgrund gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die
Erteilungsvoraussetzung gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt sei, weil ihr Ehemann
beabsichtige, auch nach ihrem Zuzug weiterhin die Lebensgemeinschaft mit Frau K.
fortzusetzen. Da gesetzliche Regelungen ein solches Zusammenleben nicht verbieten
würden, genieße die nunmehr zusätzlich beabsichtigte eheliche Lebensgemeinschaft
den Schutz von Art 6 GG. Dem folgt der Senat mit dem Verwaltungsgericht nicht.
Das Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01 -, BVerfGE 105,
313 ff) hat zum Schutzbereich von Art 6 GG festgestellt, das Grundgesetz selbst
enthalte zwar keine Definition der Ehe, sondern setze sie als besondere Form
menschlichen Zusammenlebens voraus. Die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen
Schutzes bedürfe insoweit einer rechtlichen Regelung, die ausgestalte und abgrenze,
welche Lebensgemeinschaft als Ehe den Schutz der Verfassung genieße. Das
Grundgesetz gewährleiste das Institut der Ehe aber nicht abstrakt, sondern in der
Ausgestaltung, wie sie den jeweils herrschenden, in der gesetzlichen Regelung
maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspreche. Allerdings müsse der
Gesetzgeber bei der Ausformung der Ehe die wesentlichen Strukturprinzipien beachten,
die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an die vorgefundene Lebensform in
Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen
Verfassungsnormen ergäben. Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des
gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen
Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen habe,
gehöre, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer
angelegten Lebensgemeinschaft sei, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung
des Staates, in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen
und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden könnten.
Im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Eheschluss bei bestehender eingetragener
Lebenspartnerschaft rechtliche Folgen für den weiteren Bestand der
Lebenspartnerschaft nach sich zieht, hat das Bundesverfassungsgericht weiterhin darauf
hingewiesen, es gelte zu berücksichtigen, dass die Ehe als Form einer engen
Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau eine personelle Exklusivität auszeichne.
Dieses Wesensmerkmal könnte der Ehe verloren gehen, wenn es einem oder beiden
Ehepartnern erlaubt bliebe, die ebenfalls auf Dauer angelegte Lebenspartnerschaft mit
einem anderen Partner beizubehalten. Der Schutz der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG gebiete
es, neben der Ehe keine andere rechtsverbindliche Partnerschaft des Ehegatten
zuzulassen.
Diese Grundsätze hält der Senat zur Beurteilung des von der Klägerin aus Art 6 GG
abgeleiteten Schutzanspruches auch im vorliegenden Fall für einschlägig, in dem es
nicht lediglich um ein weiteres Verhältnis des Ehemannes zu einer anderen Frau neben
der Ehefrau geht, sondern in dem die Beziehung zu der zweiten Frau als solche wie in
einer Imamehe bezeichnet wird. Die Imamehe ist eine in der muslimischen Welt
verbreitete und durch das islamische Recht legitimierte Form der Eheschließung, auch
wenn sie nach staatlichem türkischen Recht ebenso wie nach deutschem Recht (vgl.
hierzu BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2005 - 1 C 17/03 -, BVerwGE 123, 18 ff.) keine
Rechtswirkung hat. Sie ist für gläubige Muslime verbindlich. So will der Ehemann die
Beziehung zu beiden Frauen auch auf der Grundlage islamischer Bestimmungen führen,
wonach er gehalten ist, alle Ehefrauen gleich zu behandeln, obwohl eine Imam-Ehe nicht
wirksam geschlossen worden sei, weil Frau K. keine Muslima sei.Die danach
beabsichtigte Lebensgemeinschaft nach islamischer Tradition zwischen der Klägerin,
ihrem Ehemann und dessen deutscher Lebensgefährtin widerspricht aber gerade dem
Verständnis von Art. 6 GG, wonach die Ehe als Form einer engen Zweierbeziehung
zwischen Mann und Frau maßgeblich durch eine personelle Exklusivität ausgezeichnet
wird. Eine solche, dem Leitbild des Art. 6 GG entsprechende Lebensgemeinschaft wird
hier erklärtermaßen nicht angestrebt.Dieser Beurteilung entgegenstehende beachtliche
Argumente vermag der Senat dem Zulassungsvorbringen nicht zu entnehmen. Dies
stellt im Wesentlichen nur darauf ab, dass die Form des beabsichtigten
Zusammenlebens nicht verboten sei, welche Erwägung nicht bereits zur Eröffnung der
Schutzfunktion von Art 6 Abs. 1 GG führt. Diese Einlassung verkennt auch, dass der
Inhalt der Institutsgarantie von Art 6 GG nicht allein aus dem einfachen Recht
erschlossen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. November 1973 - 1 BvR
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erschlossen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. November 1973 - 1 BvR
719/69 -, BVerfGE 36, 146, 162).
Da mithin das Urteil bereits von den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu § 27 Abs. 1
AufenthG gestützt wird, kommt es nicht mehr darauf an, ob hinsichtlich der vom
Verwaltungsgericht weiterhin angeführten Erteilungsvoraussetzung des
Spracherfordernisses gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die geltend gemachte
grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Kosten der Beigeladenen waren
hier für das Zulassungsverfahren nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3
VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 des
Gerichtskostengesetzes - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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