Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 26.05.2004

OVG Berlin-Brandenburg: konvention, hochschulreife, gleichwertigkeit, russland, anerkennung, amerika, schule, inhaber, rüge, unterricht

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 8.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 8 N 55.04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Mai 2004 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die im Jahre 1975 in Russland geborene Klägerin begehrt die Anerkennung ihres
bisherigen Bildungsganges als allgemeine Hochschulreife im Land Berlin. Sie absolvierte
bis Juni 1992 in Russland eine zehnjährige Schulausbildung und erhielt am 20. Juni 1992
das Zeugnis über den erfolgreichen "Abschluss der Mittelschulbildung". Anschließend
studierte sie nach einer vorgeschalteten Prüfung sechs Semester (1992/94 bis 1994/95)
Romanistik und Germanistik an der russischen Universität I . Von Herbst 1995 bis
Frühjahr 1996 war sie an der C S University F im Fach International Business
eingeschrieben. Der Beklagte hat der Klägerin daraufhin die fachgebundene
Hochschulreife in den Fächern Moderne Philologie und Wirtschaftswissenschaften
zuerkannt.
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihren Bildungsgang als allgemeine
Hochschulreife anzuerkennen. Dass ihr Schulbesuch nur zehn Jahre gedauert habe,
stehe dem nicht entgegen, denn es komme auf die Unterrichtsinhalte an, zudem finde
in Russland an sechs Tagen Unterricht statt. Ihre Schulbildung berechtige in Russland
unmittelbar zum Hochschulzugang. Auch eine Fachgebundenheit der Hochschulreife sei
nicht zu begründen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt:
Die Klägerin könne den geltend gemachten Anspruch nicht auf Art. I Nr. 1 der
Europäischen Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse – Konvention –
vom 11. Dezember 1953 stützen. Dabei könne die Frage, ob das Abschlusszeugnis in
Russland unmittelbar den Hochschulzugang eröffne oder aber die an der Universität in I
durchgeführte Prüfung eine Aufnahmeprüfung sei, offen bleiben. Denn die in der
"Allgemeinen Erklärung zu den Europäischen Äquivalenzkonventionen vom 22. Juni 1992"
(Allgemeine Erklärung) vorgesehene Auslegung der hier einschlägigen Konvention stehe
dem geltend gemachten Anspruch entgegen. Denn die materielle Gleichwertigkeit ihrer
russischen Mittelschulausbildung mit einer allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung,
die nach einer zwölf- bis dreizehnjährigen Schulausbildung erworben werden könne, sei
angesichts der nur zehnjährigen Schulausbildung in Russland nicht ersichtlich. Während
ihres dreijährigen Studiums in Russland und des halbjährigen Studiums in Amerika habe
die Klägerin wegen der fachspezifischen Ausrichtung dieser Studiengänge keine für eine
weitergehende allgemeine Bildung hinreichende Ausbildung genossen, die den auf der
allgemeinbildenden Schule erworbenen Kenntnissen gleichgesetzt werden könnte und
dem Standard der allgemeinen Hochschulreife gleichkomme. Weder § 38 Abs. 1 SchulG
a. F. noch § 61 Abs. 1 SchulG n. F. könnten mangels Gleichwertigkeit einen
weitergehenden Anspruch auf Anerkennung der allgemeinen Hochschulreife
rechtfertigen.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil die Zulassung der Berufung beantragt.
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II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils, besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der
Rechtssache und eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden
Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und
5 VwGO), sind nicht gegeben.
Für den erstgenannten Zulassungsgrund sind zumindest gewichtige Gesichtspunkte
erforderlich, die eine der Klägerin günstige Erfolgsprognose erlauben (vgl. Beschl. des
Senats v. 19. August 1997 - OVG 8 SN 295.97 - NVwZ 1998, 197). Danach liegen
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung erster Instanz dann vor, wenn
erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer
rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird, wenn also ein Erfolg der
Angriffe gegen die erstinstanzliche Entscheidung wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg
(Senatsbeschl. v. 15. Juli 1999 - OVG 8 N 10.99 - und v. 29. Juli 1999 - OVG 8 N 33.99 -;
HessVGH, Beschl. v. 1. September 2000 - 12 UZ 2783.00 - InfAuslR 2000, 497; vgl. auch
Seibert, NVwZ 1999, 113 [115] mit zahlreichen Nachweisen). Das ist nicht der Fall.
Die Rüge der Klägerin, zulassungsrelevante Zweifel ergäben sich bereits daraus, dass
das Verwaltungsgericht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, greift
nicht durch. Das angefochtene Urteil beruht nicht darauf, dass das Verwaltungsgericht
irrtümlich von einem nur halbjährigen Studium der Klägerin in Amerika ausgegangen ist.
Für das Verwaltungsgericht war nicht die Dauer dieses Fachstudiums bedeutsam,
sondern der Umstand, dass im Rahmen eines solchen Studiums lediglich fachspezifische
Kenntnisse erworben werden, aber keine für eine weitergehende allgemeine Bildung
hinreichende Ausbildung vermittelt wird, die den auf der allgemeinbildenden Schule
erworbenen Kenntnissen gleichgesetzt werden könnte und dem Standard der
allgemeinen Hochschulreife gleichkomme (Urteilsabdruck S. 6/7).
Auch die Annahme des Verwaltungsgerichts zum zeitlichen Umfang der russischen im
Vergleich zur deutschen zur Hochschulreife führenden Schulausbildung (einerseits
zehnjährige und andererseits zwölf- bis - in der Regel - dreizehnjährige Dauer) kann nicht
deshalb als unzutreffend bezeichnet werden, weil der zeitliche Umfang des Unterrichts in
Russland mit 36 Wochenstunden wesentlich höher als an deutschen Schulen sei. Die
Beklagte hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Sekundarstufe I des
Gymnasiums derzeit zwischen 29 und 32 Stunden Unterricht erteilt wird und dass die
maximal sieben Unterrichtsstunden pro Woche betragende Differenz, die etwa einem
Unterrichtstag pro Woche entspricht, kein Äquivalent für zwei bis - normalerweise sogar -
drei zusätzliche Unterrichtsjahre ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen auch keine zulassungsrelevanten
Zweifel an der Subsumtion des Verwaltungsgerichts unter den als Anspruchsgrundlage
in Betracht kommenden Art. 1 Nr. 1 der Konvention, der folgenden Wortlaut hat:
"Jeder Vertragschließende erkennt für die Zulassung zu den in seinem Gebiet
gelegenen Universitäten, falls die Zulassung der staatlichen Kontrolle unterliegt, die
Gleichwertigkeit der im Gebiet jedes anderen Vertragschließenden erteilten Zeugnisse
an, deren Besitz für ihre Inhaber die Voraussetzung für die Zulassung zu den
entsprechenden Anstalten des Landes, in dem diese Zeugnisse erteilt wurden, bildet."
In der ersten "Erklärung über die Anwendung der Europäischen Konvention Nr. 15, 1953,
über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse" von 1975 (1. Erklärung) heißt es dazu unter
Nr. I. 2. :
"Die Konvention begründet eine Gleichwertigkeit von ausländischen und
inländischen Reifezeugnissen in dem Sinne, dass dem Inhaber eines ausländischen
Reifezeugnisses aus dem alleinigen Grund, dass ein Zeugnis im Ausland und nicht im
Inland erworben wurde, die Zulassung nicht verweigert werden kann."
In der "Zweiten Erklärung über die Anwendung der Europäischen Konvention Nr. 15, 1953
über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse" von 1989 (2. Erklärung), die sich als
Ergänzung und Präzisierung der "Erklärung über die Anwendung der Europäischen vom
11. Dezember 1953" durch den Europarat im Jahre 1975 versteht, "ohne dass dadurch
die Grundsätze der Erklärung von 1975 aufgehoben werden", heißt es unter Nr. II. :
"Der Bewerber um die Zulassung darf auch nicht aus dem alleinigen Grund
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"Der Bewerber um die Zulassung darf auch nicht aus dem alleinigen Grund
abgewiesen werden, dass sein Zeugnis allgemein nicht das Niveau eines
Reifezeugnisses besitze.
Im allgemeinen widersprechen zusätzliche Maßnahmen der einzelnen
Mitgliedsstaaten insofern nicht der Konvention, als gemäß der Konvention die
Gleichwertigkeit von Zeugnissen, die den Zugang zu Universitäten ermöglichen, sich auf
die zu den Universitäten der vertragschließenden Parteien
bezieht."
Auch die die 2. Erklärung erläuternde "Allgemeine Erklärung zu den Europäischen
Äquivalenzkonventionen vom 22. Juni 1992" (Allgemeine Erklärung) befasst sich unter
Ziffer 3 mit der Gleichwertigkeit von Hochschulzugangsberechtigungen. Dort heißt es:
"Wenn das Eingangsniveau der Hochschulen im Heimatland, bedingt durch Dauer
und Inhalt der Sekundarschulausbildung, niedriger als im Gastland ist, kann das
Gastland den ersten Teil des Hochschulstudiums als Ausgleich für diesen
Niveauunterschied betrachten und fordern, dass die Studenten eine gewisse Studienzeit
im Heimatland verbringen."
Diese Erklärungen sind ihrer Zweckbestimmung nach bei der Auslegung der Konvention,
eines völkerrechtlichen Vertrages, zu berücksichtigen, denn sie manifestieren eine
Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung und sind als
Vertragskonkretisierungen durch das Vertragsgesetz gedeckt (vgl. Rojahn, in v.
Münch/Kunig, GG Komm., 5. Aufl. 2001, Art. 59 GG Rn. 38 b). Dem steht nicht entgegen,
dass sowohl der Rat für kulturelle Zusammenarbeit als auch das Ministerkomitee die 1.
Erklärung nicht als offizielle Auslegung der Konvention verstanden wissen wollten (vgl.
deren Einleitung Ziff. 3). Maßgebend ist vielmehr, dass die in dieser Erklärung
niedergelegten Grundsätze auch heute noch die Grundlage für die Zulassung zu den
Universitäten bilden (vgl. 2. Erklärung, Einleitung Ziff. 1 a. E. und für Berlin: § 61 Abs. 1
Sätze 2 und 3 SchulG n. F., der § 38 Abs. 1 SchulG a. F. entspricht)) und die Allgemeine
Erklärung diese Praxis in der Sache bestätigt.
Nach diesen für die Auslegung des Art I Nr. 1 der Konvention maßgebenden Richtlinien
kann die Klägerin die Anerkennung ihrer Ausbildung als Hochschulreife nicht
verlangen. Diese ist ihr nicht allein deshalb verweigert worden, weil sie ihr
Abschlusszeugnis in Russland erworben hat, sondern weil die Sekundarausbildung in
Russland erheblich kürzer ist und daher nicht das gleiche Ausbildungsniveau wie im
Inland vermitteln kann. Die mangelnde Gleichwertigkeit der Ausbildung der Klägerin wird
insbesondere durch die Stellungnahme der Zentralstelle für ausländisches
Bildungswesen (ZaB) vom 14. November 2000 und deren mit Schreiben vom 23. März
2001 an die Beklagte übermittelten Bewertungsvorschläge, nach denen der mittlere
russische Schulabschluss nur zur unmittelbaren Zulassung zum Studienkolleg
berechtigt, überzeugend bestätigt. Daraus ergibt sich auch, dass wegen der gebotenen
typisierenden Betrachtungsweise weder das russische noch das amerikanische
Fachstudium in Verbindung mit dem russischen Schulabschlusszeugnis als
Hochschulreife anerkannt werden kann. Auf die von der Klägerin im Rahmen ihrer
Studien konkret belegten Lehrveranstaltungen kommt es daher nicht an. Dem
Umstand, dass die Klägerin im Ausland bereits studiert hat, wurde bereits hinreichend
durch die Anerkennung der fachgebundenen Hochschulreife Rechnung getragen. Der
Senat sieht auf Grund des Vorbringens zur Begründung des Zulassungsantrages keinen
Anlass, die in den Stellungnahmen der ZaB zum Ausdruck kommende Einstufung in
Zweifel zu ziehen. Denn die ZaB verfügt insbesondere bei der Bewertung ausländischer
Bildungsnachweise über besondere Sachkunde; ihre Bewertungsvorschläge werden
daher in der Rechtsprechung als (antizipiertes) Sachverständigengutachten anerkannt
(VGH Bad. Württ., Beschl. v. 13. Oktober 2000 – 9 S 2236.00 – zitiert nach juris).
Die Berufung kann auch nicht wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher
Schwierigkeiten zugelassen werden.
Nach der Rechtsprechung des Senats setzt diese Zulassung eine solche qualifizierte
Schwierigkeit der Rechtssache mit Auswirkung auf die Einschätzung der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung voraus, dass sie sich in tatsächlicher oder rechtlicher
Hinsicht signifikant von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu
entscheidenden Streitfälle unterscheidet (Senatsbeschlüsse vom 26. September 1997 -
OVG 8 N 26.97- und vom 27.Februar 1998 - OVG 8 SN 421.97 - vom 29. Juli 1999 - OVG
8 N 33.99 - ). Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn aufgrund des Vorbringens zur
Begründung des Zulassungsantrages keine Prognose über den Erfolg des Rechtsmittels
getroffen werden kann, dieser vielmehr als offen bezeichnet werden muss (Seibert,
DVBl. 1997, 932 [935 f.]; OVG Nds, NVwZ 1997, 1229; Kuhla/Hüttenbrink, DVBl. 1999,
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DVBl. 1997, 932 [935 f.]; OVG Nds, NVwZ 1997, 1229; Kuhla/Hüttenbrink, DVBl. 1999,
898 [904]; Kuhla, DVBl. 2001, 172 [177 ff.]; Uechtritz, NVwZ 2000, 1217 [1219 f.]). Das
ist hier nicht der Fall; die Berufung würde aus den zum Zulassungsgrund ernstlicher
Zweifel an der Richtigkeit ausgeführten Gründen voraussichtlich erfolglos bleiben.
Die Berufung kann schließlich nicht wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen werden.
Die Rüge der Klägerin, dem angefochtenen Urteil sei eine Auskunft der ZaB vom 23.
März 2003 (Urteilsabdruck S. 6) zugrunde gelegt worden, die ihr nicht bekannt gegeben
worden sei und zu der sie deshalb auch nicht habe Stellung nehmen können, geht ins
Leere. Eine Stellungnahme der ZaB mit diesem Datum befindet sich nicht in der
Gerichtsakte, sondern nur die bereits erwähnte Stellungnahme vom 23. März 2001, die
dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bekannt gegeben worden ist. Der auf Seite 6
der Urteilsgründe wiedergegebene Inhalt dieser Auskunft belegt, dass das
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offensichtlichen Schreibfehler handelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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