Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, polizei, demonstration, aufzug, veranstalter, öffentliche sicherheit, wahrscheinlichkeit, beschränkung, versammlungsfreiheit

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 71.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 GG, § 15 Abs 1
VersammlG
Versammlungsrecht: Zulässigkeit eines Auflagenbescheides zur
Verlegung einer geplanten Wegstrecke wegen unzureichender
Fläche zur polizeilichen Aufgabenwahrnehmung
Leitsatz
Steht aufgrund der örtlich-räumlichen Verhältnisse einer für die Durchführung eines Aufzuges
von mehreren tausend Teilnehmern beanspruchten Straße keine ausreichende Fläche für die
polizeiliche Aufgabenwahrnehmung im Falle unvorhersehbarer Ereignisse oder eines
unfriedlichen Verlaufs zur Verfügung, kann dies eine Verlegung der Wegstrecke rechtfertigen.
Die mit einer Wegstreckenauflage einhergehende Beschränkung des Versammlungsrechts ist
insbesondere dann hinzunehmen, wenn dem Anliegen der Versammlung durch die
Durchführung auf der bestätigten Route in vergleichbarer Weise genügt wird wie auf der
ursprünglich beanspruchten Wegstrecke.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 28. April 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde, mit der sich der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Antrages auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den für sofort
vollziehbar erklärten versammlungsrechtlichen Auflagenbescheid des Antragsgegners
vom 20. April 2009 und die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche
Verfahren wendet, bleibt ohne Erfolg. Hinsichtlich der Sachentscheidung über den Antrag
auf vorläufigen Rechtsschutz rechtfertigt das Beschwerdevorbringen, anhand dessen der
Senat zu prüfen hat, ob die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung deren
Ergebnis trägt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), eine Änderung des angefochtenen
Beschlusses nicht.
Der Antragsteller meldete für den 1. Mai 2009 in der Zeit von 13.30 Uhr bis 18.30 Uhr
einen Aufzug zum Thema „Mayday – Parade für globale soziale Rechte“ mit einer
erwarteten Teilnehmerzahl von 7.000 Personen an, der auf der Route von „Unter den
Linden (Bebelplatz)“ über die Friedrichstraße, Leipziger Straße, Wilhelmstraße,
Kochstraße/Rudi-Dutschke-Straße zum Moritzplatz führen sollte. Der Antragsgegner
bestätigte die Anmeldung mit der für sofort vollziehbar erklärten Wegstreckenauflage,
dass der Aufzug nicht durch die Friedrichstraße und die Leipziger Straße, sondern über
die Glinkastraße und die Behrenstraße zur Wilhelmstraße zu führen sei, wo er wieder
Anschluss an die angemeldete Route finde. Die Versammlungsbehörde begründete die
Auflage mit den Örtlichkeiten in der Friedrichstraße, deren Enge und Fahrbahngestaltung
„schon für sich“ einen Aufzug in der hier geplanten Form einer „politischen Parade“ mit
sechs oder sieben Musikwagen mit einer Stärke von seitens der Polizei erwarteten 8.000
oder mehr Teilnehmern nicht gestatte, weil weder Zugangs- noch Rettungswege zu den
angrenzenden Häusern oder zu in Not geratenen Versammlungsteilnehmern noch
hinreichende Ausweich-, Räum- und Fluchtmöglichkeiten für die
Versammlungsteilnehmer bei unvorhergesehenen Entwicklungen bestünden. Zudem sei
insbesondere nach den Erfahrungen mit einer Demonstration, die am 28. März 2009
unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ stattgefunden habe und an der sich
das Mayday-Bündnis im antikapitalistischen Block beteiligt habe, aus dem bzw. aus dem
„schwarzen“ Block heraus es wiederholt zu Straftaten (Werfen von sog. Polenböllern und
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„schwarzen“ Block heraus es wiederholt zu Straftaten (Werfen von sog. Polenböllern und
Glasflaschen gegen Polizeibeamte und -fahrzeuge sowie gegen eine Filiale der Berliner
Sparkasse, Ausbruchversuch am Endplatz) gekommen sei, ein umfassend friedlicher
Verlauf wie in den Vorjahren (in Kreuzberg) nicht gewährleistet. Bei einem Zug durch die
Friedrichstraße sei für Störergruppen, die die Versammlung ohne Rücksicht auf die
Veranstalter und friedliche Teilnehmer missbrauchten, die Möglichkeit gegeben, eine
Vielzahl von ihnen als „Reizobjekte“ empfundenen Ziele anzugreifen, ohne dass die
Polizei mangels vorhandenen Einsatzraums dies verhindern, die Straftäter identifizieren
und gezielt gegen sie vorgehen könne.
Das Verwaltungsgericht hat die Wegstreckenauflage bei summarischer Prüfung als
rechtmäßig angesehen und in der Interessenabwägung dem öffentlichen Interesse an
ihrer sofortigen Durchsetzung das größere Gewicht beigemessen. In der weiteren
Begründung geht es davon aus, dass die Versammlungsfreiheit im Rahmen des § 15
Abs. 1 VersG nur dann der Beschränkung durch Auflagen unterworfen werden darf, wenn
eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass sie zur
Abwehr unmittelbarer Gefahren für gleichwertige Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit
oder Ordnung notwendig ist, wobei besonders der mit der Versammlung intendierte
Zweck und das Selbstbestimmungsrecht des Grundrechtsträgers u.a. über den Ort (die
Route) zu berücksichtigen sei mit der Folge, dass die Anforderungen an eine
Beschränkung um so höher seien, je nachhaltiger sie sich auf die Vermittlung des
Anliegens der Veranstalter in der Öffentlichkeit auswirkten. Insofern sei es mit der
Versammlungsfreiheit nicht vereinbar, mit der Friedrichstraße eine der prominentesten
Geschäftsstraßen Berlins auf Dauer von jeder Art größerer Veranstaltungen freizuhalten.
Im Gegensatz zum Kurfürstendamm und zur Tauentzienstraße seien die räumlichen
Verhältnisse in dem hier beanspruchten Teil der Friedrichstraße jedoch vergleichsweise
beengt, was die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit erheblich erschwere und bei
der Gefahrenprognose durch einen herabgeminderten Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu
berücksichtigen sei. Eine Demonstration mit mehr als 10.000 Teilnehmern ließe sich
allenfalls verantworten, wenn deren Friedlichkeit völlig außer Zweifel stünde. Eine
unmittelbar drohende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit sei hier bereits dann
anzunehmen, wenn an einem im Übrigen friedlichen Aufzug von mehreren Tausend
Demonstranten eine größere Zahl gewaltgeneigter und –bereiter Personen teilnehme
und eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass es zu Ausschreitungen
kommen werde. Zwar spreche für den Antragsteller, dass die bisherigen drei Mayday-
Veranstaltungen zu den Maifeiertagen der Vorjahre friedlich verlaufen seien; insofern
könnten ihm aktuelle auslegungsbedürftige Ankündigungen weiterer Aktivitäten und
Aktionen des Mayday-Bündnisses ebenso wenig vorgehalten werden wie gewalttätige
Auswüchse bei Demonstrationen friedlicher Gruppierungen, die bereits viele Jahre
zurücklägen. Er müsse sich allerdings Verbindungen und Überschneidungen sowohl
hinsichtlich des Teilnehmerkreises als auch hinsichtlich der Thematik bezüglich der vom
Antragsgegner herangezogenen Versammlung am 28. März 2009 entgegenhalten
lassen, bei der es trotz Distanzierung der Veranstalter zur Bildung eines Schwarzen
Blocks gekommen sei, der von Außenstehenden durchgesetzt worden sei und aus dem
heraus es zu Würfen mit Feuerwerkskörpern und Glasflaschen auf Personen und Sachen
gekommen sei. Auch wenn es sich dabei um vereinzelte Ereignisse gehandelt habe,
zeigten sie das Gewaltpotenzial bestimmter Demonstrationsteilnehmer, dessen
jederzeitige Eskalation insbesondere mit Blick auf aus Sicht dieser Straftäter
lohnenswerte Ziele in der Friedrichstraße zu befürchten sei. Deshalb bedürfte es einer
engmaschigen Begleitung des Aufzuges durch die Polizei, die angesichts der
Verhältnisse in der Friedrichstraße nicht möglich sei. Einem Gewaltausbruch, wie er sich
am 28. März 2009 am Platz der Abschlusskundgebung ereignet habe, könnte der
Antragsgegner nichts entgegensetzen, einerlei ob sich die Teilnehmerzahl auf die vom
Antragsteller erwarteten 7.000 Personen beschränke oder noch übertroffen werde. In
dieser Lage müsse das Recht des Antragstellers, die Aufzugsroute selbst zu bestimmen,
zurücktreten, zumal nach dem Vorbringen des Antragstellers nichts Hinreichendes dafür
erkennbar sei, dass die Nutzung der Friedrichstraße im Zentrum des Anliegens der
Versammlung stehe.
Mit der Beschwerde beanstandet der Antragsteller, dass der vom Verwaltungsgericht
angelegte herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab für Beschränkungen der
Versammlungsfreiheit nicht ausreichend sei. Die Tatsachengrundlage der
Gefahrenprognose sei aber auch für sich schon nicht zureichend, weil damit eine
Zurechnung der am 28. März 2009 aus dem Schwarzen Block heraus begangenen
Gewalttaten vorgenommen werde, obwohl die dem Mayday-Bündnis zuzurechnenden
Teilnehmer vor dem Schwarzen Block marschiert seien. Die Mayday-Parade zeichne sich
überdies durch eine offene Struktur ohne Blockbildung oder auch nur höhere Dichte von
Teilnehmern aus und sei mit traditionellen Demonstrationen nicht zu vergleichen; sie
habe auch aus Sicht der Leiterin der Verfassungsschutzbehörde „eher Spaß- und
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habe auch aus Sicht der Leiterin der Verfassungsschutzbehörde „eher Spaß- und
Volksfestcharakter“ und werde vom Landeskriminalamt auf dem achtstufigen
„Wahrscheinlichkeitsraster“ dem Vernehmen nach nur auf Stufe 6 behandelt, wie in der
Presse verlautbart worden sei (Tagesspiegel vom 29. April 2009, S.7/8). Außerdem habe
der Antragsgegner es unterlassen, mildere Mittel zur Vermeidung der weitergehenden
Beschränkung durch die Wegstreckenauflage zu prüfen. Neben den vom Veranstalter
bereits vorgeschlagenen Maßnahmen (Schließung der U-Bahnhof-Eingänge, Parkverbot,
Entfernung von Fahrrädern, Wegstreckenänderung erst bei Konkretisierung des
Gefahrenverdachts) wäre es zur Sicherung des vom Antragsgegner für notwendig
gehaltenen Operationsraumes für die Polizei auch möglich, einen oder beide
Bürgersteige mit Gittern abzusperren, da der verbleibende Straßenraum für den Aufzug
breit genug sei und die Polizei auf beiden Seiten ungehindert agieren könne. Es könne
nicht sein, dass der Antragsgegner erwiesenermaßen friedlichen Demonstrationen die
Wegstrecke aufgrund von quasi militärischen Überlegungen zum der Polizei am besten
gefallenden Einsatzraum vorschreibe.
Dieses Vorbringen ist weder rechtlich noch tatsächlich geeignet, die Interessenabwägung
im Ergebnis zugunsten des Antragstellers zu beeinflussen.
Der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte rechtliche Maßstab hält der Überprüfung
stand. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses lässt nicht erkennen, dass
damit – wie der Antragsteller salopp formuliert – die Hürde für Beschränkungen der
Versammlungsfreiheit zu niedrig angesetzt worden sei. Vielmehr hat das
Verwaltungsgericht die Modalitäten der konkreten Versammlung bei Nutzung der von ihr
beanspruchten Route durch die Friedrichstraße zugrunde gelegt und dabei die engen
örtlichen Verhältnisse einschließlich der im Falle von Störungen verbleibenden
Möglichkeiten für ein für die Teilnehmer und Dritte gefahrloses Einschreiten von Polizei
und Rettungskräften zutreffend berücksichtigt. Der in diesem Zusammenhang stehende
Hinweis auf einen herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab darf nicht dahin
missverstanden werden, dass Abstriche von der im Rahmen der gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 1 VersG erforderlichen, auf konkrete Tatsachen
(im Gegensatz zu bloßen Vermutungen) zu stützenden Gefahrenprognose (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <353>) zulässig
wären. Vielmehr zielt dieser Hinweis auf die besondere Situation, die sich aus den
örtlichen Verhältnissen ergeben würde, wenn es zu Störungen aus der Versammlung in
der effiziente Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht zulassenden Friedrichstraße käme;
denn mit hoher Wahrscheinlichkeit könnten schon geringe Ursachen zu
schwerwiegenden Folgen für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, auch für Leib und
Leben Dritter und bedeutende Sachwerte führen, weil unter den Verhältnissen der
Belegung dieser Straße mit einem Aufzug von mehreren tausend Menschen nicht
rechtzeitig und wirksam genug eingeschritten werden könnte. Unter solchen Umständen
erfordert das Vorliegen einer Gefahr eine geringere Wahrscheinlichkeit; in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass an die Wahrscheinlichkeit
eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und
folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.
Februar 1974 – I C 31.72 - BVerwGE 45, 51). Dass im Übrigen nach den örtlichen
Verhältnissen die Sicherheit der Versammlungsteilnehmer wie auch die Wahrnehmung
aller im Zusammenhang mit dem Aufzug und dessen Umfeld wahrzunehmenden
Polizeiaufgaben gewährleistet sein muss, bedarf keiner näheren Begründung. Zu den
Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit gehört auch die Funktionsfähigkeit staatlicher
Einrichtungen und die damit begründete Fähigkeit, die Schutzpflichten des Staates für
bedeutende Rechtsgüter zu erfüllen; insofern kann je nach den Umständen des
einzelnen Falls auch die Wahl einer bestimmten Aufzugsroute durch den Veranstalter
bereits die Gefahrenschwelle überschreiten. Dabei geht es nicht darum, dass der Polizei
in jedem Falle optimale Einsatzmöglichkeiten verbleiben, sondern es muss die
Wahrnehmung der Aufgaben von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten sichergestellt
sein.
Das wäre nach den insoweit nicht zu beanstandenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts zur Gefahrenprognose im Übrigen, die durch das
Beschwerdevorbringen nicht erschüttert werden, hier ohne die Wegstreckenauflage nicht
mehr der Fall.
Die Überlegungen des Antragstellers, man könne einen oder beide Gehwege der
Friedrichstraße absperren und der Polizei als „Operationszone“ vorbehalten, sind dafür
nicht hinreichend und auch vom Verwaltungsgericht zutreffend nicht in Erwägung
gezogen worden. Abgesehen davon, dass eine engmaschige Begleitung des Aufzuges in
der Friedrichstraße den Deeskalationsbemühungen des Antragsgegners zuwiderliefe,
würde auch durch die vorgeschlagene Freihaltung der Bürgersteige nicht gewährleistet,
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würde auch durch die vorgeschlagene Freihaltung der Bürgersteige nicht gewährleistet,
dass bei einem unfriedlichen Verlauf rechtzeitig genügend polizeiliche Einsatzkräfte an
das Geschehen herangeführt werden können, Verletzte geborgen und versorgt werden
können sowie Brandgefahren abgewehrt werden können. Im Übrigen wäre bei den
ohnehin schon beengten Verhältnissen in der Friedrichstraße eine Absperrung des
Gehwegs oder gar beider Gehwege mit einer erheblichen Verletzungsgefahr für die sich
in der Friedrichstraße drängenden Menschenmassen verbunden.
Die Befürchtung eines unfriedlichen Verlaufs ist nach den aktuellen Erkenntnissen auch
unter Berücksichtigung der dagegen mit der Beschwerde erhobenen tatsächlichen
Einwände nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn man davon ausgeht, dass das
veranstaltende Mayday-Bündnis aufgrund der Erfahrungen in den Vorjahren keine oder
in Gestalt der vom Antragsgegner dargestellten Zwischenfälle von der FAU (Freie
ArbeiterInnen Union) zugerechneten Teilnehmern bei Veranstaltungen im Jahre 2004
jedenfalls nur vernachlässigungsfähige Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Verlauf
des Aufzuges bietet, was etwa auch durch die am gestrigen Tage in der Presse
wiedergegebene Einschätzung des Landeskriminalamtes („nur Stufe 6 im Raster“) und
der – vom Antragsteller allerdings nur unvollständig wiedergegebenen - Äußerung der
Leiterin der Verfassungsschutzabteilung bei der Senatsveraltung für Inneres („weniger
störanfällig“, „ihre größte Sorge gelte nicht den Extremisten, sondern den „unpolitischen
Kids“, die das Demoszenario für eigene Randale nutzen wollten“) hervorgeht, bieten die
Ereignisse während der Großdemonstration am 28. März 2009 mit dem Motto „Wir
zahlen nicht für eure Krise!“, an der sich das Mayday-Bündnis beteiligt hatte,
hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass aus dem Aufzug am 1. Mai
Störungen mit solcher Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind, dass eine Führung des
Aufzuges durch die Friedrichstraße aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht vertretbar
ist. Daran ist auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdevorbringen
hervorgehobenen Unterschiede zwischen der Mayday-Parade und dem am 28. März
2009 in Blöcken der verschiedenen teilnehmenden Gruppen organisierten Aufzug, die
der Senat nicht verkennt, festzuhalten. Das Motto beider Versammlungen ist ähnlich
und zielt auf einen identischen Teilnehmerkreis, so dass auch die am 28. März 2009 im
sog. Schwarzen Block vorhandenen gewaltgeneigten und –bereiten Teilnehmer
angesprochen werden, wobei berücksichtigt werden muss, dass in Berlin beständig ein
Potential von mehreren hundert sog. Autonomen besteht, das bei Demonstrationen des
linksextremen Teils des Spektrums ohnehin aktiv ist. Die beschriebene offene Struktur
der Mayday-Parade spricht zwar dagegen, dass es zur Bildung eines sog. Schwarzen
Blocks von sog. Autonomen kommen wird, sie kann aber nicht verhindern, dass sich
auch diese Personen unter die Teilnehmer des Aufzuges mischen, und ermöglicht dies
auch dann, wenn sich der friedliche Veranstalter und ihm zuzurechnende Teilnehmer von
diesem gewaltbereiten Personenkreis distanzieren wollten. So wurde die Bildung eines
Schwarzen Blocks auch bei der Demonstration am 28. März 2009 von Außenstehenden
gegen die Veranstalter durchgesetzt (vgl. den Artikel „Berlin: 25000 auf Demo gegen
Krise“ auf de.indymedia.org). Eine Distanzierung von den Gewalttätern ist allerdings
weder im Zuge der Demonstration am 28. März 2009 noch danach erfolgt. In der
Presseerklärung des Mayday-Bündnisses zu den Ereignissen heißt es dazu nur schlicht:
„Gegen Ende der Demonstration kam es jedoch durch Provokationen der Polizei zu
Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.“ In Kommentierungen
aus dem Teilnehmerkreis der Demonstration zu dem auf indymedia verbreiteten Artikel
zu der Demonstration am 28. März 2009 wird die Integration des Schwarzen Blocks und
die geübte Solidarität überwiegend begrüßt. Das Bemühen der Beschwerde, für die
Veranstaltung am 28. März 2009 zwischen den Teilnehmern des Mayday-Bündnisses
und dem Schwarzen Block zu trennen, verkennt, dass das Verwaltungsgericht im
Wesentlichen darauf abstellt, dass eine parallele Entwicklung der Mayday-Parade mit
entsprechenden Sympathisierungstendenzen der Teilnehmer gerade aufgrund der
Struktur der Veranstaltung nicht auszuschließen ist und von den Veranstaltern auch
kaum wirksam verhindert werden kann. Es mag wohl sein, dass die von der Beschwerde
beschriebene offene Struktur grundsätzlich polizeilich leichter zu beherrschen ist, wenn
es zu gewalttätigen Aktionen kommt. Dass dies jedoch gleichermaßen unter den
beengten Verhältnissen der Friedrichstraße gilt, überzeugt den Senat nicht.
Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass die Veranstaltung in diesem Jahr
nicht mehr nur wie in den vergangenen Jahren durch Friedrichshain/Kreuzberg und
Neukölln führen soll, sondern durch „Unter den Linden“ über die Friedrichstraße nach
Kreuzberg geführt werden soll, in mehrfacher Hinsicht Bedeutung zu. Zum einen
bestehen für eine solche Route keinerlei Erfahrungswerte mit der Mayday-Parade, was
die Feststellung bislang friedlicher Verläufe in der Vergangenheit insofern relativiert, als
auch die Veranstalter selbst nicht sicher vorhersehen können, wie sich die ungleich
attraktivere Route auf Zahl und Verhalten der Teilnehmer auswirken wird. Zum anderen
weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass die Wegstrecke „Unter den Linden“
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weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass die Wegstrecke „Unter den Linden“
und durch die Friedrichstraße an einer Vielzahl von „Reizobjekten“ vorbeiführt, was
gerade solche Personen ansprechen wird, die über das Motto des Aufzuges hinaus bereit
sind, ihren Unmut durch Aktionen gegen die dort ansässigen Geschäfte,
Repräsentanzen und Institutionen zu äußern. Auch ist damit zu rechnen, dass das
Verbot, die Friedrichstraße für die Demonstration am 28. März 2009 nutzen zu dürfen,
das Interesse des seinerzeit teilnehmenden gewaltbereiten Personenkreises noch
intensiviert haben dürfte, dort aktiv zu werden. Angesichts dessen, dass bei der
Demonstration am 28. März 2009 sog. Polenböller, Glasflaschen oder Teile davon sowie
andere Gegenstände von Gewalttätern geworfen wurden, besteht danach die Gefahr
folgenschwerer Schäden in diesem Bereich, der in der Szene nicht ohne Grund
mehrdeutig als „GlitzerGlitzer-Friedrichstraße“ bezeichnet wird (vgl. den bereits
eingeführten Artikel auf der Internet-Plattform de.indymedia.org).
Schließlich ist die Einschränkung, die das Versammlungsrecht des Antragstellers durch
die Wegstreckenauflage erfährt, vergleichsweise gering. Die im Kooperationsgespräch für
den Veranstalter auftretenden Personen haben die nunmehr bestätigte Aufzugsroute
selbst ins Gespräch gebracht und nicht etwa sogleich deutlich gemacht, weshalb die
Vermittlung des mit dem Aufzug verfolgten Anliegens dessen Führung durch die
Friedrichstraße unabdingbar mache. Die insoweit erst mit dem Antrag auf vorläufigen
Rechtsschutz mitgeteilte Argumentation, es gehe darum, die Kritik an prekären Arbeits-
und Lebensbedingungen im Zusammenhang mit der momentanen Finanzkrise an
symbolisch passenden Orten zu äußern, u.a. vor der in der Friedrichstraße ansässigen
Deutschen Bank und dem Warenhaus der Kette H&M, wirkt angesichts dessen
nachgeschoben, und die verbleibende Wegstrecke bietet nach der Einschätzung des
Senats hinreichend Gelegenheit, an gleichermaßen symbolisch passenden Orten dem
Anliegen der Versammlung gerecht zu werden.
Nach allem ist auch die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
erstinstanzliche Verfahren zu Recht erfolgt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine
hinreichende Erfolgsaussicht besitzt (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt insoweit die mit
einem Erfolg der Beschwerde verbundene Vorwegnahme der Hauptsache.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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