Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: eheliche gemeinschaft, rat der europäischen union, einreise, integration, schutz der gesundheit, schutz der ehe, aufrechterhaltung der ordnung, aufenthaltserlaubnis, emrk

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 2.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 2 B 6.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 28 Abs 1 S 5 AufenthG 2004,
Art 3 Abs 1 GG, Art 7 Abs 2
EGRL 86/2003, Art 8 Abs 1 MRK,
§ 30 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG
2004
(Sprachanforderungen bei Ehegattennachzug)
Leitsatz
§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verletzt keine höherrangigen Rechte, soweit
Sprachanforderungen als Voraussetzung des Nachzugs von ausländischen Ehegatten zu
Ausländern und zu Deutschen aufgestellt werden. Legt der nachzugswillige Ehegatte keinen
Nachweis darüber vor, dass er sich zumindest auf ein-fache Art in deutscher Sprache
verständigen kann, ist eine beantragte Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug
abzulehnen.
Im Einzelnen verstoßen die Sprachanforderungen weder gegen den Schutz der Ehe gemäß
Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie verletzen
auch nicht Gemeinschaftsrecht.Zur Verfassungsmäßigkeit der Sprachanforderungen an
nachziehende Ehegatten als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist indische Staatsangehörige und begehrt die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zu ihrem deutschen Ehemann, dem
Beigeladenen zu 2.
Die kinderlose Klägerin ist am 16. April 1982 geboren und nach Aktenlage ohne
Berufsausbildung und Beschäftigung. Sie lebt in dem Dorf T… im Punjab bei ihrer
Familie. Das Dorf liegt etwa 50 km entfernt von Amritsar, der Hauptstadt des
gleichnamigen Distrikts des Bundesstaates Punjab. Die Schule hat die Klägerin bis zur 8.
Klasse besucht. Ihre Muttersprache ist Panjabi. Darüber hinaus spricht sie Hindi und hat
geringe englische Sprachkenntnisse.
Die Klägerin und der - ebenfalls ledige und kinderlose - Beigeladene zu 2 haben am 16.
August 2004 in Amritsar geheiratet. Der am 31. August 1951 geborene Beigeladene zu
2 ist deutscher Staatsangehöriger und lebt in I… im Landkreis G… (Niedersachsen). Er
hat bis zum Vorruhestand bei der V… AG gearbeitet. Ein früherer Arbeitskollege von ihm
ist Herr S…. Er kennt außerdem weitere in Deutschland lebende Inder. In den Jahren
2001 und 2004 reiste er - auf Vermittlung seiner in Deutschland lebenden indischen
Bekannten - insgesamt dreimal nach Indien. Auf der zweiten Reise im Januar 2004 lernte
er die Klägerin kennen.
Am 22. Dezember 2004 beantragte die Klägerin bei der deutschen Botschaft in Neu
Delhi die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Mit Bescheiden vom 31.
August und 22. September 2005 lehnte die Botschaft die Visumerteilung ab. Die
Klägerin nahm die dagegen beim Verwaltungsgericht Berlin erhobene Klage am 10.
Januar 2006 zurück (VG 3 V 76.05).
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Am 5. Mai 2006 beantragte die Klägerin bei der Botschaft in Neu Delhi erneut die
Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Der Beigeladene zu 1 teilte der
Botschaft mit, dass von seiner Seite keine Bedenken gegen eine Visumerteilung
bestünden. Mit Bescheid vom 9. März 2007 lehnte die Beklagte die Visumerteilung indes
erneut ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ehe zwischen der Klägerin nicht in
den Schutzbereich des Art. 6 GG falle.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Dezember 2007 die gegen die Ablehnung
erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es an, dass zwar weder eine
Scheinehe festgestellt werden könne noch der Wille zur Herstellung der ehelichen
Gemeinschaft zweifelhaft sei, jedoch seien von der Klägerin nicht die nach dem
Aufenthaltsgesetz erforderlichen Sprachkenntnisse nachgewiesen worden. Eine
Verständigung auf einfache Art in deutscher Sprache setze wenigstens voraus, dass der
Ausländer Sätze mit Subjekt, Prädikat und Objekt bilden und entsprechende Sätze mit
geläufigen Alltagsbegriffen mehr als nur selten verstehen könne. Diese Anforderungen
erfülle die Klägerin nicht. Sie sei bisher nur imstande, einzelne deutsche Worte zu sagen,
nicht aber, einfache Sätze zu sprechen, geschweige denn, solche Sätze zu verstehen.
Dies ergebe sich aus der Aussage des als Zeugen vernommenen Herrn S…, der für die
Eheleute bei Telefonaten als Sprachmittler fungiere. Die Anforderung an einen
nachziehenden ausländischen Ehegatten, sich zumindest auf einfache Art in deutscher
Sprache verständigen zu können, stehe auch im Einklang mit höherrangigem Recht. Das
Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Die Klägerin hat am 18. Februar 2008 Berufung gegen das Urteil eingelegt. Sie ist der
Auffassung, dass sie einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum
Ehegattennachzug habe. Es bestehe schon kein Anlass zu Zweifeln an ihrer Fähigkeit,
sich in einfacher Art mündlich in der deutschen Sprache zu verständigen. Die mündliche
Verständigung sei ausreichend. Die von der Beklagten gestellte Forderung, ein
Sprachzertifikat des Goethe-Instituts oder einer von diesem lizensierten Sprachschule
über das Bestehen des Sprachkurses SD1 vorzulegen, sei nicht mit dem gesetzlichen
Spracherfordernis zu vereinbaren. Die Klägerin sei in der Lage, unabhängig von einem
solchen Zertifikat sich in einfacher Sprache mündlich zu verständigen, mithin langsam
Gesprochenes und gegebenenfalls Wiederholtes zu verstehen sowie einfach zu
antworten. Ab Februar 2008 habe die Klägerin einen dreimonatigen, täglich drei
Unterrichtsstunden dauernden Sprachkurs in Amritsar besucht. Ihre anschließenden
Versuche, den Test SD1 zu bestehen, seien jedoch erfolglos geblieben. Im Übrigen
verstoße das Spracherfordernis gegen deutsches Verfassungsrecht sowie
Gemeinschaftsrecht und dürfe deshalb nicht angewandt werden. Es verletze den die Ehe
schützenden Art. 6 Abs. 1 GG. Die Integration könne genauso gut durch nach Einreise zu
besuchende Kurse gefördert werden. Ein Großteil der nachzugswilligen Ehegatten werde
durch die Bestimmung von der Nachzugsmöglichkeit ausgeschlossen, da im Ausland
vielfach vor Ort die Infrastruktur zum Spracherwerb fehle. Die Normierung der
Ausnahmen von den Sprachanforderungen verstoße auch gegen das
Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. So gebe es etwa keinen sachlichen
Grund, sie - die Klägerin - anders als die visumfrei einreiseberechtigten sog.
Positivstaatler nicht vom Spracherfordernis auszunehmen. Ferner verletzten die
Sprachanforderungen den Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie. Der
Nachweis von Sprachkenntnissen vor der Einreise sei keine „Integrationsmaßnahme“ im
Sinne der Vorschrift. Auch Art. 8 Abs. 1 EMRK werde verletzt, da dem Beigeladenen zu 2
allein die Wahl zwischen einem Wegzug ins Ausland oder dem Verzicht auf die
Herstellung der ehelichen Gemeinschaft bleibe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2007 zu ändern und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. März 2007 zu verpflichten, eine
Aufenthaltserlaubnis in Form eines Visums zum Ehegattennachzug zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das angegriffene Urteil habe einen Anspruch der Klägerin auf
Erteilung eines Visums zu Recht verneint. Die Klägerin habe nicht die erforderlichen
einfachen Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen. Zur sprachlichen
Verständigung bei Telefonaten bedürften die Klägerin und der Beigeladene zu 2 weiterhin
eines Sprachmittlers. Die mangelnden Kenntnisse beträfen das Sprechen ebenso wie
das Verstehen. Der Erwerb von einfachen Sprachkenntnissen sei der Klägerin auch nicht
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das Verstehen. Der Erwerb von einfachen Sprachkenntnissen sei der Klägerin auch nicht
unmöglich. Die Kenntnis der lateinischen Schrift sei unabdingbar für die Integration in
Deutschland. Die Festlegung des Spracherfordernisses sei auch verfassungsgemäß.
Insbesondere sei kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG festzustellen. Die Integration
sowie die Verhinderung von Zwangsehen seien legitime gesetzgeberische Ziele. Die
Forderung von einfachen Sprachkenntnissen sei zu deren Erreichung auch geeignet und
erforderlich. Der nach der Einreise erforderliche Integrationskurs ziele auf ein anderes,
höheres Sprachniveau, könne in einem längeren Zeitraum von zwei Jahren absolviert
werden und stelle einen erfolgreichen Abschluss nicht sicher. Es sei erforderlich, dass die
Einreisenden bereits vor der Einreise Sprachkenntnisse erlangten. Angemessen sei das
Spracherfordernis, weil das bedeutsame Ziel der Integration auch die Auferlegung von
Mühen und finanziellen Lasten rechtfertige. Die zu erwerbenden Kenntnisse müssten nur
einfache sein. Weiter stelle die gesetzliche Regelung auch keinen Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG dar. Der Verzicht des Sprachnachweises
bei den Staatsangehörigen bestimmter Staaten rechtfertige sich aus den besonders
engen (wirtschaftlichen) Beziehungen, die Deutschland zu diesen Staaten pflege. Auch
ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK sei nicht festzustellen; insoweit würden im Ergebnis keine
strengeren Maßstäbe gelten als nach Art. 6 Abs. 1 GG.
Der Beigeladene zu 1 hat keinen Antrag gestellt. Er trägt vor, dass er einer
Visumerteilung zustimmen würde, und verweist insoweit auf den persönlichen Eindruck
vom Beigeladenen zu 2, der keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Ehe habe
aufkommen lassen. Gleichzeitig hält er jedoch den Nachweis des Spracherwerbs für
notwendig.
Der Beigeladene zu 2 hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt. In der
mündlichen Verhandlung hat er angegeben, dass er und seine Ehefrau weiter in
ständigem telefonischen Kontakt stünden. Er werde jetzt mehr „Druck“ machen, damit
seine Frau doch noch genügende Sprachkenntnisse erwerbe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und
die Verwaltungsvorgänge verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Sie ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die
Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Form des Visums zum
Ehegattennachzug ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die
Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
1) Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug ist -
ungeachtet der bereits im Mai 2006 erfolgten Antragstellung - § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2
i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur
Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.
August 2007 - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I S. 1970; neu gefasst durch
Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl. I S. 162). Abzustellen ist auf die Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der
Tatsacheninstanz, soweit es wie hier um die Erteilung einer Erlaubnis aus Rechtsgründen
geht (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43/06 -, NVwZ 2008, 333; OVG
Berlin, Urteil vom 24. September 2002 - 8 B 3.02 -, OVGE 24, 128).
Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für
das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die
Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Nach
§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen
Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen
Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und zur
Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische
Familienangehörige (Familiennachzug) wird nach § 27 Abs. 1 AufenthG zum Schutz von
Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt.
a) Für die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Folgen der
Regelungen der §§ 27, 28 AufenthG genügt nicht allein die formalrechtliche familiäre
Bindung. Nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG wird der Familiennachzug nicht zugelassen,
wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet
wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu
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wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu
ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn nur ein Ehegatte die eheliche
Lebensgemeinschaft herstellen will (sog. einseitige Scheinehe, vgl. OVG Bln-Bbg,
Beschluss vom 18. Juli 2008 - 2 N 207.07 -). Hinsichtlich des Nachweises, ob der
Herstellungswille beider Ehegatten besteht, trägt ungeachtet der Vorschrift des § 27
Abs. 1a Nr. 1 AufenthG der Ausländer die materielle Beweislast (OVG Bln-Bbg, Urteil
vom 29. Januar 2009 - 2 B 11.08 -, juris; HessVGH, Beschluss vom 3. September 2008 -
11 B 1690/08 -, juris Rz 4).
In Anwendung dieser Maßgaben hat der Senat die notwendige Überzeugung für die
Feststellung gewonnen, dass die Klägerin und der Beigeladene zu 2 den Willen haben,
eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von § 27 Abs. 1 AufenthG im Bundesgebiet
herzustellen und zu wahren. Dies folgt aus den zutreffenden Erwägungen des
Verwaltungsgerichts, auf die der Senat insoweit Bezug nimmt, und wird bestätigt durch
das Gesamtergebnis der im Berufungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse, vornehmlich
der Befragung des Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung.
b) Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist es Voraussetzung für die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis an den Ehegatten eines Ausländers, dass der Ehegatte sich
zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Die Anforderung ist
gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG auch auf den ausländischen Ehegatten eines
Deutschen anzuwenden.
Mit der Vorschrift sollen nach der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzentwurfs
der Bundesregierung vom 23. April 2007 (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 173 f.) die Betroffenen
dazu angeregt werden, sich bereits vor ihrer Einreise einfache Deutschkenntnisse
anzueignen und dadurch ihre Integration im Bundesgebiet zu erleichtern. Daneben steht
ausweislich der Gesetzesmotive der Schutz von Opfern von Zwangsverheiratungen im
Mittelpunkt der Regelung. Bereits präventiv sollen derartige Verheiratungen verhindert
werden, indem die durch den Spracherwerb gestärkten Frauen weniger leicht zu Opfern
werden. Jedenfalls soll den Opfern durch den Spracherwerb ein eigenständiges
Sozialleben in Deutschland ermöglicht und der Zugang zu Hilfsangeboten von Anfang an
erleichtert werden.
Was das Niveau der erforderlichen Sprachkenntnisse angeht, so soll es nach den
Gesetzesmotiven allein erforderlich sein, sich auf „zumindest rudimentäre Weise“ im
Gastland verständigen zu können (BT-Drs. 16/5065, S. 174). Nach den vom
Bundesministerium des Innern herausgegebenen Hinweisen zum
Richtlinienumsetzungsgesetz entspricht die gesetzliche Voraussetzung der Definition
des Sprachniveaus der Stufe „A1“ der kompetenten Sprachanwendung des
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens des Europarats - GER
(Bundesministerium des Innern [Hg.], Hinweise zum Richtlinienumsetzungsgesetz,
Stand: 18.12.2007 [veröffentlicht unter www.bmi.bund.de], Rz 210 ff.). Die Stufe A1 GER
beinhaltet danach als unterstes Sprachstandsniveau die folgenden sprachlichen
Fähigkeiten:
„Kann sich mit einfachen, überwiegend isolierten Wendungen über Menschen und
Orte äußern. Kann sich auf einfache Art verständigen, doch ist die Kommunikation völlig
davon abhängig, dass etwas langsamer wiederholt, umformuliert oder korrigiert wird.
Kann einfache Fragen stellen und beantworten, einfache Feststellungen treffen oder auf
solche reagieren, sofern es sich um unmittelbare Bedürfnisse oder um sehr vertraute
Themen handelt, z.B. wo sie/er wohnt, welche Leute sie/er kennt oder welche Dinge
sie/er hat.“
Das beschriebene Sprachniveau ist nach Auffassung des Senats geeignet, die in § 30
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderte Fähigkeit der Verständigung in deutscher
Sprache auf einfache Art näher zu bestimmen. Es macht insbesondere deutlich, dass an
die Verständigung auf einfache Art keine überhöhten Forderungen zu stellen sind. Eine
genauere grammatikalische Beschreibung der Anforderungen, wie sie das
Verwaltungsgericht im Ausgangsurteil vorgenommen hat (Fähigkeit zur Bildung und zum
Verständnis von Sätzen mit Subjekt, Prädikat und Objekt), erhöht die Ansprüche an das
erforderliche Sprachniveau, ohne dass dafür Anlass besteht, und ist der Prüfung der
Sprachkenntnisse nicht zugrunde zu legen.
Die Fähigkeit, sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können,
umfasst auch eine einfache schriftliche Verständigung in deutscher Sprache (ebenso VG
Berlin, Urteil vom 23. Juli 2008 - 15 V 3.08 -, juris Rz 28 ff.). Dafür spricht schon, dass das
Aufenthaltsgesetz an anderer Stelle Kenntnisse der deutschen Sprache fordert, unter
bestimmten Voraussetzungen allerdings die mündliche Verständigung genügen lässt (§
9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 5 AufenthG). Im Gesetz kommt es mithin zum Ausdruck,
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9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 5 AufenthG). Im Gesetz kommt es mithin zum Ausdruck,
wenn mündliche Kenntnisse genügen (vgl. zur parallelen Problematik im
Staatsangehörigkeitsrecht, BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 - 5 C 8.05 -, juris Rz
14). Vor allem spricht für die Forderung auch einfacher schriftlicher Kenntnisse der
Gesetzeszweck der Integrationsförderung. Um ihn zu erreichen, ist die Fähigkeit,
einfache Texte in deutscher Sprache lesen und schreiben zu können, von besonderer
Bedeutung. Nicht nur im Umgang mit Behörden, sondern auch zur Teilhabe am
sonstigen sozialen Miteinander und am wirtschaftlichen Leben in Deutschland erscheint
die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben geradezu unabdingbar.
Der Nachweis einfacher Sprachkenntnisse im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AufenthG ist nicht auf die Vorlage eines Zertifikats SD1 des Goethe-Instituts oder der
von diesem lizensierten Partner beschränkt. Das Erfordernis eines in dieser Art
spezifizierten Nachweises lässt sich weder dem Gesetz entnehmen, noch dürfte es
geboten sein. Davon geht auch die Beklagte aus, wenn sie in ständiger Praxis bei
offensichtlich vorhandenen, im Gespräch mit behördlichen Mitarbeitern belegten
Sprachkenntnissen auf die Vorlage eines Zertifikats verzichtet. Nach Auffassung des
Senats gelten einfache Sprachkenntnisse jedenfalls als nachgewiesen, wenn ein solches
Zertifikat vorgelegt wird.
c) Die Klägerin vermag die so näher bestimmte Anforderung, sich auf einfache Art -
mündlich und schriftlich - in deutscher Sprache verständigen zu können, nicht zu
erfüllen. Sie hat weder durch Vorlage eines SD1-Zertifikats noch auf andere geeignete
Weise nachgewiesen, dass sie die genannten Mindestanforderungen erfüllt. Schon ihre
Behauptung, sich mündlich auf Deutsch in einfacher Weise verständigen zu können, hat
sie nicht glaubhaft gemacht. Insofern beschränkt sich ihre Sprachpraxis auch nach dem
ergänzenden Vortrag des Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung auf
einzelne Wörter in sehr wenigen, stark beschränkten Themenbereichen, insbesondere im
Zusammenhang mit dem Empfang finanzieller Leistungen des Beigeladenen zu 2. Lese-
und Schreibkenntnisse hat sie nach ihren eigenen Angaben nicht. Ebenso wenig greift
hier eine der in § 30 Abs. 1 Sätze 2, 3 AufenthG vorgesehenen Ausnahmen ein.
Insbesondere besteht bei der Klägerin nicht ein erkennbar geringer Integrationsbedarf;
sie hätte nach der Einreise einen Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs (vgl. § 4
Abs. 2 Integrationskursverordnung - IntV -).
d) § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
Die Vorschrift verletzt keine die Klägerin schützenden höherrangigen Rechte, soweit sie
Sprachanforderungen als Voraussetzung des Nachzugs von ausländischen Ehegatten zu
Deutschen festlegt. Dies entspricht der - soweit ersichtlich - durchgängig in der
Rechtsprechung sowie einem Teil der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. VG Berlin, Urteil
vom 28. Januar 2009 - 2 V 76.07 -, EA S. 7 ff.; Urteil vom 23. April 2008 - 3 V 49.07 -,
juris 20 ff.; Urteil vom 23. Juli 2008 - 15 V 3.08 -, juris Rz 36; Urteil vom 10. November
2008 - 12 V 88.07 -, juris Rz 23 ff. und Urteil vom 10. Dezember 2008 - 12 V 20.07 -, juris
Rz 24 ff.; VG Koblenz, Beschluss vom 22. August 2008 - 3 L 849/08.KO -, juris Rz 6; VG
Oldenburg, Urteil vom 7. November 2007 - 11 A 147/06 -, juris Rz 16; VG Frankfurt a.M.,
Urteil vom 16. Februar 2009 - 1 K 4071/08.F -, juris Rz 16 ff., zweifelnd: OVG Bln-Bbg,
Beschluss vom 1. Juli 2008 - 11 S 38.08 -, EA S. 3 ff.; Hillgruber, ZAR 2006, 304;
Hailbronner, AuslR, Kommentar, Stand: Dezember 2008, § 30 AufenthG Rz 43 ff.; ders.,
FamRZ 2008, 1583; Breitkreutz/Franßen-de la Cerda/Hübner, ZAR 2008, 381, 383 f.;
differenzierend Thomas, SächsVBl. 2009, 56, 60; a.A.: Göbel-Zimmermann, ZAR 2008,
169, 172 f.; Marx in GK-AufenthG, Stand: Februar 2009, § 30 Rz 65 ff.; ders.,
Stellungnahme zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags zum
Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes, 16. Mai 2007, Innenausschuss A-Drs.
16(4)209 D, 4 ff.; ders., InfAuslR 2007, 413, 415 ff.; Dienelt, Stellungnahme zur Anhörung
des Innenausschusses des Deutschen Bundestags zum Entwurf des
Richtlinienumsetzungsgesetzes, Innenausschuss A-Drs. 16(4)209 H, 5 f.; Kingreen, ZAR
2007, 13, 18 f.; Markard/Truchseß, NVwZ 2007, 1025, 1026 ff.; Fischer-Lescano, KJ 2006,
236, 241).
aa) Die Sprachanforderungen verletzen die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 6
Abs. 1 GG.
Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist allerdings berührt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält Art. 6 Abs. 1 GG
neben dem Grundrecht als Abwehrrecht im klassischen Sinne eine Institutsgarantie
sowie eine wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des Ehe und
Familie betreffenden Rechts (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1957 - 1 BvL 4/54 -,
„Steuersplitting“, BVerfGE 6, 55, 71 ff.). Dabei erreicht jedoch die wertentscheidende
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„Steuersplitting“, BVerfGE 6, 55, 71 ff.). Dabei erreicht jedoch die wertentscheidende
Grundsatznorm nicht das Maß an Verbindlichkeit, das der Institutsgarantie oder dem
Freiheitsrecht eigen ist (BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 -,
„Volljährigenadoption I“, juris Rz 38). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die
Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und
familiäres Zusammenleben. Die wertentscheidende Grundsatznorm gebietet dem Staat,
Ehe und Familie zu schützen und zu fördern. Das Bundesverfassungsgericht hat die aus
der wertentscheidenden Grundsatznorm für den Bereich des Nachzugs ausländischer
Ehegatten entstehenden Folgen näher dargelegt. Danach korrespondiert der
Förderungspflicht ein Anspruch des Grundrechtsträgers, dass die zuständigen Behörden
und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden
ehelichen Bindungen in einer Weise berücksichtigen, die der großen Bedeutung des
Schutzes der Ehe entspricht. Sowohl der bereits im Bundesgebiet lebende als auch der
zuzugswillige Ehegatte sind im persönlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG
betroffen, wenn und soweit dem anderen Ehegatten der Aufenthalt im Bundesgebiet
zum Zwecke des ehelichen Zusammenlebens versagt wird (Beschluss vom 12. Mai 1987
- 2 BvR 1226/83 u.a. -, „Familiennachzug“, BVerfGE 76, 1, 41 ff.). Die Entscheidung,
gemeinsam in Deutschland zu leben, verdient einen besonderen staatlichen Schutz,
wenn einer der Ehepartner die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Dies gilt vor dem
Hintergrund, dass der deutsche Ehepartner durch eine Verweigerung des Nachzugs vor
die Entscheidung gestellt wird, zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft ins
Ausland ziehen oder die Trennung der ehelichen Gemeinschaft hinnehmen zu müssen
(BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 -, „Ausweisung“, juris Rz 33).
Die Verknüpfung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug mit dem
Nachweis einfacher Sprachkenntnisse berührt den so beschriebenen Schutzbereich des
Art. 6 Abs. 1 GG bereits insofern, als er das Recht auf ein eheliches und familiäres
Zusammenleben umfasst. Denn dieses Recht drückt sich gerade auch in der Möglichkeit
des häuslichen Zusammenlebens aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR
1226/83 u.a. -, NJW 1988, 626, 627). Auch mit dem ggf. bestehenden Zwang des
deutschen Ehegatten zum Verlassen des Landes, der sich mittelbar ergibt, wenn sein
ausländischer Partner die Anforderungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht
erfüllt, berührt die gesetzliche Regelung den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG.
Die Forderung einfacher Sprachkenntnisse stellt allerdings weder einen Eingriff in die
Institutsgarantie noch - anders als das Verwaltungsgericht meint - einen Eingriff in das
Freiheitsrecht des Art. 6 Abs. 1 GG dar. Eingriffe sind nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts die staatlichen Maßnahmen, die die Ehe schädigen, stören
oder sonst beeinträchtigen könnten (BVerfG, Beschluss vom 3. Oktober 1989 - 1 BvL
78/86 u.a. -, „Schlüsselgewalt“, juris Rz 27). Die Annahme eines derartigen Eingriffs bei
Reglementierungen des Ehegattennachzugs hat das Bundesverfassungsgericht
abgelehnt (Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, NJW 1988, 626, 628).
Denn Art. 6 Abs. 1 GG begründe nicht einen grundrechtlichen Anspruch von
ausländischen Ehegatten auf Nachzug zu ihren berechtigterweise in der Bundesrepublik
Deutschland lebenden ausländischen Ehegatten. Das Grundgesetz überantworte es
vielmehr weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt festzulegen, in
welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Ausländern der Zugang zum
Bundesgebiet ermöglicht werde. Diese Festlegungen seien an Art. 6 Abs. 1 GG zu
messen, soweit dieser eine wertentscheidende Grundsatznorm enthalte.
Aufgrund der Berührung des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG in Gestalt der
wertentscheidenden Grundsatznorm sind dem gesetzgeberischen Handeln Grenzen
gesetzt. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger
Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinen im
Bundesgebiet lebenden nahen Angehörigen ständigen Aufenthalt zu nehmen. Stehen
diesem Anspruch öffentliche Interessen gegenüber, sind die familiären Belange des
Betroffenen und die gegenläufigen öffentlichen Belange mit dem Ziel eines schonenden
Ausgleichs gegeneinander abzuwägen. Die zu treffenden Regelungen müssen den
Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots entsprechen. Dabei ist
einerseits der hohe Rang zu beachten, der Ehe und Familie im Gefüge des
Grundgesetzes zukommt. Andererseits steht dem Gesetzgeber im Ausländerrecht von
Verfassungs wegen ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Kreis der öffentlichen
Interessen, die verfolgt werden dürfen, soll nicht unangemessen eingeengt werden. Der
Einschätzungsvorrang der Rechtsetzungsorgane hinsichtlich künftiger Verhältnisse und
Entwicklungen muss gewahrt bleiben. Auf diese Einschätzungen bezogen kann im Wege
der gerichtlichen Kontrolle allein eine Vertretbarkeitsprüfung durchgeführt werden
(Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, NJW 1988, 626, 629). Ausländer
sowie Deutsche, die Ehen mit Ausländern schließen, müssen damit rechnen, dass das
eheliche und familiäre Zusammenleben sich nicht stets in der Bundesrepublik
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eheliche und familiäre Zusammenleben sich nicht stets in der Bundesrepublik
Deutschland vollziehen kann (Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 6 Rz 11). Eine
Verletzung der wertentscheidenden Grundsatznorm liegt (erst) dann vor, wenn es dem
Ehepartner oder Familienmitglied nicht möglich oder nicht zumutbar ist, dem Ausländer
ins Ausland zu folgen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn einem deutschen Kind wegen
seiner Beziehung zu der in Deutschland lebenden Mutter die Herstellung der
Lebensgemeinschaft mit seinem Vater im Ausland und damit das Verlassen der
Bundesrepublik nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.
August 1994 - 2 BvR 1542/94 -, juris Rz 11).
Gemessen an dem so konkretisierten Maßstab des grundgesetzlichen Schutzes der Ehe
verletzt das Erfordernis der Sprachkenntnisse gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG
nicht das Grundrecht der Klägerin aus Art. 6 Abs. 1 GG.
Die genannten Zielrichtungen der Regelung, nämlich die Förderung der Integration und
die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen, sind offenkundig legitime gesetzgeberische
Ziele. Das Spracherfordernis ist auch geeignet, diese Ziele zu erreichen. Ihm liegt die
Annahme zugrunde, dass der Erwerb einfacher Sprachkenntnisse durch den
ausländischen Ehegatten vor der Einreise nach Deutschland regelmäßig dessen
Einfügung in das soziale und wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik deutlich
verbessern wird. Bei dieser Annahme handelt es sich um eine Einschätzung künftigen
Geschehens, die vertretbar und damit von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.
Abgesehen davon erscheint es offenkundig, dass Sprachkenntnisse zur besseren und
schnelleren Integration beitragen, indem sie von Beginn an die Teilnahme am sozialen
Leben ermöglichen. Soweit die Geeignetheit hinsichtlich der Bekämpfung von
Zwangsehen mit dem Argument in Zweifel gezogen wird, dass die Eheschließung unter
Zwang selbst nicht verhindert werden könne (Markard/Truchseß aaO, 1027), ist auf die
vom Gesetzgeber beabsichtigte mittelbare Wirkung zu verweisen. Aufgrund der
Sprachkenntnisse wird die Ausnutzung einer Nötigungslage in Deutschland erschwert.
Die insoweit bestehende Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist zu
respektieren.
Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass ein Mittel zur Verfügung gestanden hätte,
welches es erlaubte, das gesetzgeberische Ziel in gleich effektiver Weise, aber in einer
die Ehe der Betroffenen weniger belastenden Art und Weise zu erreichen. Soweit die
damit angesprochene Erforderlichkeit des Spracherfordernisses in Frage gestellt und
darauf hingewiesen wird, dass auch eine Verpflichtung zum Spracherwerb erst nach der
Einreise in Betracht komme, vermag dies nicht zu überzeugen. Eine derartige Regelung
würde sich zwar wegen der schnelleren Zuzugsmöglichkeit und der einfacheren
Zugänglichkeit der Lehrangebote in Deutschland als ein gegenüber dem Spracherwerb
vor der Einreise milderes Mittel darstellen. Sie wäre allerdings erheblich weniger effektiv.
Weder die Teilnahme an einem Integrationskurs nach § 44a AufenthG, die keinen
erfolgreichen Abschluss sicherstellt, noch sonstige Sprachkurse in Deutschland, bis zu
deren Erfolg notwendigerweise ein gewisser Zeitraum vergehen würde, wären eine
gleichwertige Alternative. Derartige Mittel wären im Übrigen erheblich kontrollbedürftig
und würden den Spracherwerb damit nicht gleich sicher garantieren.
Die Sprachanforderungen sind auch angemessen. Die Abwägung der Belange der Ehe
mit den der angegriffenen Regelung zugrunde liegenden öffentlichen Interessen wird
dem Gewicht des Schutz- und Förderungsgebots des Art. 6 Abs. 1 GG in seiner
Ausprägung als wertentscheidender Grundsatznorm gerecht. Art. 6 Abs. 1 GG
verpflichtet den Gesetzgeber nicht, die Gestattung eines Ehegattennachzugs von
geringeren Anforderungen an die Vorbereitung einer Integration in die wirtschaftlichen
und sozialen Verhältnisse in Deutschland abhängig zu machen, als dies durch den
Nachweis einfacher Sprachkenntnisse erreicht werden kann.
Dabei ist zunächst das besondere Gewicht, das den mit der Regelung verfolgten
Belangen beigemessen werden darf, festzustellen. Dem gesetzgeberischen Ziel der
Förderung der Integration ist hohe Bedeutung zuzumessen (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss
vom 1. Juli 2008 - 11 S 38.08 -, EA S. 7 f.). Die Möglichkeit der Einfügung nachziehender
Ehegatten in die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Bundesrepublik ist nicht
nur Voraussetzung für ihre persönliche Fortentwicklung im Gastland, sondern in erster
Linie ein soziales und wirtschaftliches Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist
darüber hinaus auch verfassungsrechtlich fundiert: Die Integration ist schon aus
sozialstaatlichen Gründen (Art. 20 Abs. 1 GG) anzustreben; sie dient auch der freien
Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Darüber hinaus ist sie Voraussetzung für
eine Teilhabe am politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere an
der politischen Meinungsbildung, und lässt sich damit auch auf das Demokratieprinzip
zurückführen (Art. 20 Abs. 1 GG). Die Verhinderung von Zwangsverheiratungen berührt
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zurückführen (Art. 20 Abs. 1 GG). Die Verhinderung von Zwangsverheiratungen berührt
darüber hinaus zentrale Grundrechte der Betroffenen, nämlich die
Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) und mittelbar die sexuelle Selbstbestimmung
und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG).
Die die betroffenen nachzugswilligen Ehegatten belastenden Wirkungen der
Sprachanforderungen sind zwar nicht gering. Mit Blick auf die hochrangigen öffentlichen
Interessen sind sie jedoch hinzunehmen.
Die Sprachanforderungen können für junge Ehen eine Belastung mit sich bringen, da sie
dazu führen können, dass eine gewisse Zeit bis zur Herstellung des häuslichen
Zusammenlebens vergeht. Weist ein nachzugswilliger Ehegatte die einfachen
Sprachkenntnisse indes bereits vor der Heirat oder im zeitlichen Zusammenhang mit
dieser nach, entfällt jede Wartezeit. Ist dies nicht der Fall, kann der Zeitraum von
wenigen Wochen bis zu - wie hier - mehreren Jahren dauern; nicht ausgeschlossen ist,
dass im Einzelfall auch eine dauerhafte Verhinderung des Nachzugs in die
Bundesrepublik Deutschland die Folge sein kann. Mit Blick auf die tatsächliche
Belastung, nämlich die konkreten Anforderungen und Bedingungen des Spracherwerbs,
erweist sich dennoch die Angemessenheit des Spracherfordernisses.
Dies betrifft zunächst den Umstand, dass die dargestellten Anforderungen an den
Nachweis einfacher Sprachkenntnisse gering sind. Sie stellen - ungeachtet der sehr
unterschiedlichen bildungsmäßigen, kulturellen und muttersprachlichen
Voraussetzungen bei den ausländischen Ehepartnern - eine verhältnismäßig niedrige
Hürde auf, die in ihren Anforderungen kaum mehr herabzusetzen ist. In zahlreichen
Ländern bieten das Goethe-Institut und vielfältige weitere Sprachschulen Sprachkurse
an. Solche Sprachkurse stehen weiter über verschiedene Medien zur Verfügung, und
zwar grundsätzlich auch in den in Rede stehenden Drittländern. Dort ist mindestens für
die regionalen Zentren regelmäßig von einer Zugänglichkeit des Internet auszugehen.
Auch bei fehlendem Internetzugang besteht die Möglichkeit des Zugriffs auf Sprachkurse
über Bücher, Audio-Kassetten oder CDs.
Die Art und Weise des Spracherwerbs bleibt den nachziehenden Ehegatten im Übrigen
freigestellt. Was die finanziellen Aufwendungen für die Absolvierung eines Sprachkurses
angeht, so ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Auferlegung eines gewissen
finanziellen Aufwands unbedenklich erscheint, wenn es um eine grundlegende
Lebensentscheidung wie die Übersiedlung zum Ehegatten in ein anderes Land geht.
Zum anderen können sich die ausländischen Ehegatten in der Regel zur Unterstützung
an ihren in Deutschland lebenden Ehepartner halten. Im vorliegenden Fall des Nachzugs
zu einem deutschen Ehepartner vermag dieser durch (telefonische) Gespräche und
brieflichen Kontakt auch den Spracherwerb selbst zu unterstützen. Von Bedeutung für
die Angemessenheit der Sprachanforderungen ist ferner die in § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2
AufenthG vorgesehene Ausnahmeregelung für die nachzugswilligen Ehegatten, die
wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in
der Lage sind, die Anforderungen zu erfüllen. Für diese Fälle der nicht vom Ehegatten zu
beseitigenden Hindernisse beim Spracherwerb wird vom Spracherfordernis abgesehen.
Als Indiz für eine Unangemessenheit der Sprachanforderungen würde es erscheinen,
wenn eine Mehrzahl der nachzugswilligen Ehegatten, die sich um die Erlangung und den
Nachweis von einfachen Sprachkenntnissen bemühen, im Ergebnis über einen längeren
Zeitraum vom Ehegattennachzug ausgeschlossen würde, etwa in Folge eines Fehlens
der strukturellen Voraussetzungen zum Erlernen der deutschen Sprache in den
Herkunftsländern (so vor allem Marx, InfAuslR 2007, 413, 416 f., ders. in GK-AufenthG §
30 Rz 65, 69, 96). Mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 Familienzusammenführungsrichtlinie, der
den Mitgliedsstaaten die Normierung einer Wartefrist zum Familiennachzug von zwei
Jahren freistellt, könnte die Erheblichkeit bei einer regelmäßiger Überschreitung dieses
Zeitraums anzunehmen sein (vgl. Marx, GK-AufenthG, aaO. Rz 91, und in InfAuslR 2007,
413, 416).
Eine Überschreitung dieser Maßgabe lässt sich indes auf der Grundlage der verfügbaren
Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Sprachanforderungen nicht feststellen.
Insbesondere lassen die dazu bisher von der Bundesregierung vorgelegten statistischen
Daten eine weite Teile der nachzugswilligen Ehegatten ausschließende Wirkung nicht
erkennen (vgl. Antworten der Bundesregierung auf Parlamentarische Anfragen, BT-Drs.
16/7288 vom 27. November 2007, BT-Drs. 16/8175 vom 18. Februar 2008, BT-Drs.
16/9137 vom 7. Mai 2008, BT-Drs. 16/10198 vom 2. September 2008, BT-Drs. 16/10732
vom 29. Oktober 2008, BT-Drs. 16/11997 vom 17. Februar 2009). Zum einen ist zwar
von 2006 zu 2008, mithin im Einführungszeitraum der gesetzlichen Regelung, ein
Rückgang der Erteilung von Visa zum Ehegattennachzug weltweit um etwas mehr als
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Rückgang der Erteilung von Visa zum Ehegattennachzug weltweit um etwas mehr als
20% zu beobachten (von 39.585 auf 30.766, BT-Drs. 16/11997 S. 18 ff.). Seitdem bleibt
die Zahl der Erteilungen jedoch im Wesentlichen stabil und steigt in einigen Ländern, wie
etwa Indien, wieder erheblich an. Zum anderen liegt die Erfolgsquote für die Prüfung SD1
in den Hauptherkunftsländern bei insgesamt deutlich über 50%, nämlich - ermittelt von
Januar bis August 2008 - bei rund 60% (nicht differenziert nach Erst- oder
Wiederholungsversuch, BT-Drs. 16/10732 S. 24 f.). Die Erfolgsquote für Teilnehmer, die
vorher einen Sprachkurs des Goethe-Instituts besucht haben („Goethe-Interne“), lag im
gleichen Zeitraum bei 73% weltweit. In Indien absolvierten von Januar bis August 2008
73% aller Prüflinge sowie 79% der „Internen“ den SD1-Test erfolgreich (BT-Drs. 16/11997
S. 24 ff.).
Auch der vorliegende Einzelfall bietet keinen Anlass, die Angemessenheit der
Sprachanforderungen hinsichtlich der Person der Klägerin in Zweifel zu ziehen. Die
Klägerin, die acht Jahre zur Schule gegangen ist, hat die tatsächliche Möglichkeit zum
Erwerb von einfachen deutschen Sprachkenntnissen. Der Umstand, dass ihre
Muttersprache Panjabi, eine der indogermanischen Sprachfamilie entstammende
Tonsprache, üblicherweise in einer eigenen Schrift, der Gurmukhi, geschrieben wird,
ändert hieran nichts. Die Klägerin muss zwar insoweit zum Erwerb der Schriftsprache ein
für sie neues (das lateinische) Alphabet lernen. Das unterscheidet sie aber zunächst
nicht von zahlreichen weiteren nicht deutschsprachigen Menschen, die in einer anderen
als der lateinischen Schrift ihre Muttersprache gelernt haben und sich für den Erwerb der
deutschen Sprache ebenfalls diese Schrift aneignen müssen. Dies bedeutet zweifellos
eine gewisse Erschwerung des Lernprozesses, schließt den Spracherwerb aber nicht aus
und bedeutet auch keine erhebliche, also zu einer Unangemessenheit führende
Belastung. Die Sprachkursangebote der Sprachschulen richten sich regelmäßig auf
diese Besonderheit ein und bieten mitunter auch besondere Kurse für lernunerfahrene
Sprachschüler (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine kleine parlamentarische
Anfrage, BT-Drs. 16/11997, S. 8).
Die Klägerin ist auch nicht etwa faktisch an der Absolvierung eines oder verschiedener
Sprachkurse gehindert. Dies gilt zum einen in räumlicher Hinsicht. Von ihrem Wohnort
aus vermag sie die an verschiedenen Orten in Indien angebotenen Sprachkurse des
Goethe-Instituts wie anderer Sprachschulen in Anspruch zu nehmen, sei es in der
Distriktstadt Amritsar, in der Hauptstadt des Bundesstaates Chandigarh oder auch in
Indiens Hauptstadt Neu Delhi. Den Besuch eines Sprachkurses in Amritsar im Frühjahr
2008 hat sie selbst vorgetragen. Sie hätte darüber hinaus mindestens Zugriff auf über
Tonträger vermittelte Sprachkurse. Auch in finanzieller Hinsicht bestehen für die Klägerin
keine erheblichen Hürden. Sie hat zwar vorgetragen, dass das Wohnen in Amritsar zur
Absolvierung des Sprachkurses für sie und ihre Familie „erhebliche finanzielle
Belastungen“ mit sich bringe, jedoch gerade nicht, dass ihr dies den Spracherwerb
unmöglich mache. Nach den Angaben des Beigeladenen zu 2 im Termin zur mündlichen
Verhandlung hat er den Sprachschulbesuch finanziell getragen. Der Beigeladene zu 2
lässt der Klägerin weiterhin regelmäßig nicht unerhebliche finanzielle Unterstützung
zukommen.
Darüber hinaus gehende - hier nicht gegebene - besondere Fallkonstellationen bedürfen
vorliegend keiner Entscheidung. Insbesondere in Fällen, in denen auch Kinder des
deutschen Ehegatten - etwa aus erster Ehe - wegen der Herstellung der ehelichen
Gemeinschaft im Ausland das Bundesgebiet verlassen müssten oder der deutsche
Ehegatte gezwungen wäre, sich zwischen der häuslichen Gemeinschaft mit seinem
ausländischen Ehepartner und dem weiteren Umgang mit seinem in Deutschland
lebenden Kind zu entscheiden, erscheint es zwar nicht von vornherein ausgeschlossen,
dass sich das Fehlen einer über § 30 Abs. 1 Satz 2, 3 AufenthG hinausgehenden
Ausnahmeregelung mit Blick auf die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1 GG als
unverhältnismäßig erweisen könnte. Selbst das Scheitern einer - gegebenenfalls
vorrangig zu prüfenden - verfassungskonformen Auslegung und die etwaige Annahme
einer Verfassungswidrigkeit in derart gelagerten Ausnahmefällen würde jedoch nicht
dazu führen, dass die Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG insgesamt
verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre. Ein Verfassungsverstoß wäre gegebenenfalls
allein insoweit festzustellen, als das Aufenthaltsgesetz keine derartige Konstellationen
erfassende Härtefallregelung enthält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. März 2006 - 1 BvR
1750/01 -, „Langzeitstudiengebühren“, juris Rz 25).
bb) Das Spracherfordernis verletzt weder das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3
Satz 1 GG noch den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.
Nach dem Diskriminierungsverbot darf niemand wegen seiner Heimat und Herkunft
benachteiligt oder bevorzugt werden. Es erfasst indes nicht eine Differenzierung nach
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benachteiligt oder bevorzugt werden. Es erfasst indes nicht eine Differenzierung nach
Staatsangehörigkeit (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 1994 - 1 BvR 1687/92 -,
„Parabolantenne I“, juris Rz 29) oder dem Bildungsniveau.
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, zwei im Wesentlichen gleiche Sachverhalte
nicht ohne hinreichend gewichtigen Grund unterschiedlich zu behandeln (BVerfG, Urteil
vom 28. April 1999 - 1 BvL 11/94 u.a. -, „DDR-Rentenanwartschaften“, BVerfGE 100,
138, 174). Als Grund für eine Ungleichbehandlung kommt grundsätzlich jede vernünftige
Erwägung in Betracht. Es ist zunächst Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte
auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft, vorausgesetzt, die Auswahl ist
sachlich vertretbar und nicht sachfremd. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, die
zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Die Anforderungen
sind allerdings höher, wenn - wie hier - verschiedene Personengruppen, und nicht nur
verschiedene Sachverhalte, ungleich behandelt werden, jedenfalls soweit die
Benachteiligten den begünstigenden Umstand in ihrer Person nicht oder nur schwer
erfüllen können. Ebenfalls höhere Anforderungen gelten für Ungleichbehandlungen, die
sich auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken
können.
Nach diesem Maßstab ist ein die Klägerin treffender Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgebot nicht festzustellen.
Allerdings wird durch die für bestimmte Personengruppen geregelten Ausnahmen vom
Spracherfordernis beim Ehegattennachzug zwischen verschiedenen Zuwanderergruppen
im Hinblick auf die Notwendigkeit des Nachweises von Sprachkenntnissen
unterschieden. So müssen nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG diejenigen
ausländischen Ehegatten keine Sprachkenntnisse nachweisen, die für die Einreise auch
kein Visum benötigen (sog. Positivstaatler). Dabei handelt es sich um die
Staatsangehörigen von Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, von
Neuseeland und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die Staatsangehörigen von
Andorra, Honduras, Monaco und San Marino, die keine Erwerbstätigkeit ausüben wollen
(§ 41 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Aufenthaltsverordnung - AufenthV -). Diese
Ungleichbehandlung trifft die Klägerin unmittelbar, da sie allein aufgrund des von ihr
nicht beeinflussbaren Umstandes nicht von der Ausnahme profitiert, dass sie
Staatsangehörige Indiens ist und Indien nicht zu den in § 41 AufenthV genannten
Staaten gehört.
Auch gegenüber den durch § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG Privilegierten wird die
Klägerin ungleich behandelt. Nach dieser Vorschrift gelten die Sprachanforderungen
nicht für Ehegatten, bei denen ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne der
Integrationskursverordnung besteht oder die aus anderen Gründen nach der Einreise
keinen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs hätten. Dies betrifft vor allem
Personen, die eine Hoch- oder Fachhochschulausbildung oder eine entsprechende
Qualifikation besitzen oder eine Erwerbstätigkeit ausüben, die regelmäßig eine solche
Qualifikation erfordert, und gilt auch dann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass
sich der Ausländer ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, gesellschaftliche und
kulturelle Leben der Bundesrepublik Deutschland einfügen wird (vgl. zum
Teilnahmeanspruch § 4 Abs. 2 IntV). Weiter sind nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG
vom Spracherfordernis ausgenommen die Ehegatten von Ausländern, die einen
Aufenthaltstitel als Hochqualifizierter, Forscher oder Selbständiger besitzen. Ehegatten
von Unionsbürgern brauchen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6, § 3 des Gesetzes über die
allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern vom 30. Juli 2004 (Freizügigkeitsgesetz/EU -
FreizügG/EU -) keine Sprachkenntnisse nachzuweisen.
Die genannten Ausnahmevorschriften betreffen verschiedene Personengruppen und
berühren zudem den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG. Die Grenze der
gesetzgeberischen Freiheit ist dabei nicht erst bei Vorliegen von Willkür, sondern bereits
dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis
zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt
(BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 - 1 BvL 16/96 u.a. -,
„Gesundheitsstrukturgesetz“, juris Rz 72). Vorliegend besteht jedoch eine derartige
sachliche Rechtfertigung.
Grund für die abweichende Behandlung der visumfrei einreisenden Personen nach § 30
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG gegenüber den Angehörigen anderer Staaten ist
ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs die Rücksichtnahme auf die
bedeutenden wirtschaftlichen Beziehungen, die Deutschland zu den Staaten, für die die
Visumfreiheit gilt, unterhält (BT-Drs. 16/5065, S. 175 li.Sp.). Auch außenpolitische
Rücksichtnahmen gegenüber diesen Staaten können zur Rechtfertigung herangezogen
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Rücksichtnahmen gegenüber diesen Staaten können zur Rechtfertigung herangezogen
werden. Diese Gründe für die Freistellung einer großen Personengruppe vom
Spracherfordernis erscheinen gemessen am Grad der Ungleichbehandlung noch
sachgerecht.
Was die in § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG genannte Personengruppe angeht
(Hochqualifizierte, Forscher, Selbständige), so verbindet der Gesetzgeber mit deren
Ansiedlung ein erhebliches migrationspolitisches Interesse der Bundesrepublik
Deutschland (Motive, BT-Drs. 16/5065, S. 174), da sie Deutschland als Wissenschafts-
und Wirtschaftsstandort stärken und dem Arbeitsmarkt positive Impulse geben sollen.
Dieser Differenzierungsgrund, für den ein grundlegender Beurteilungsspielraum des
Gesetzgebers zu berücksichtigen ist, erscheint hinreichend gewichtig, um die
Ausnahmeregelung zu rechtfertigen. Die Differenzierung wird weiter durch die - nicht zu
beanstandende - Annahme des Gesetzgebers gestützt, dass bei den besonders
qualifizierten oder selbständig tätigen Ausländern im Allgemeinen davon ausgegangen
werden kann, dass unabhängig vom Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse in
der Regel keine Integrationsprobleme durch den Nachzug von Ehegatten entstehen.
Die Zuwanderung von Unionsbürgern ist ebenfalls in besonderem Maße
migrationspolitisch erwünscht und wäre bei Geltung der Sprachanforderungen unter
Umständen gefährdet. Die entsprechende Privilegierung erscheint deshalb sachgerecht.
Was schließlich die von § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG erfassten Ausländer mit
geringem Integrationsbedarf angeht, so liegt es auf der Hand, dass sie vor dem
Hintergrund des Gesetzeszweckes der Integrationsförderung unter dem Gesichtspunkt
des Gleichbehandlungsgebots keinen Bedenken unterliegt.
cc) Es verstößt ferner nicht gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte
Vertrauensschutzgebot, dass § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG - wie im Fall der Klägerin
- ohne Übergangsregelung auch bei bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung
begonnenen Verfahren Anwendung findet. Die Vorschrift entfaltet keine echte
Rückwirkung, da sie nicht gestaltend in einen in der Vergangenheit liegenden
Sachverhalt eingreift. Im Fall einer unechten Rückwirkung geht der verfassungsrechtliche
Vertrauensschutz jedoch nicht so weit, den Bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren.
Der Einzelne kann sich nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, wenn
sein Vertrauen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme
durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann. Dabei ist abzuwägen
zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des
gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG, Beschluss vom 16.
Oktober 1968 - 1 BvL 7/62 -, juris Rz 33 ff.). Diese Abwägung ergibt hier, dass der
Gesetzgeber die Grenzen, die seiner Gestaltungsfreiheit durch das
Vertrauensschutzgebot gezogen sind, ungeachtet des Fehlens einer Übergangsregelung
nicht überschritten hat. Mit den nunmehr vor der Einreise nachzuweisenden
Sprachkenntnissen soll - wie bereits ausgeführt - die Integration der Ausländer in die
Bundesrepublik gefördert werden, ein - schon mit Blick auf die wirtschaftliche
Eingliederung der nachziehenden Ehegatten - Allgemeininteresse von besonderem
Gewicht. Diesem ist das Interesse der Eheleute auf sofortige Herstellung der ehelichen
Gemeinschaft während einer Übergangsfrist unterzuordnen.
dd) Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG begegnet auch unter europa-
und völkerrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken.
Das Spracherfordernis verstößt in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht nicht gegen die
Richtlinie RL 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf
Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie, Amtsblatt der
Europäischen Union Nr. L 251/12 vom 3. Oktober 2003 S. 0012 - 0018) (ebenso vor
allem Hailbronner, FamRZ 2005, 1, 5; a.A.: Marx, in GK-AufenthG, Stand: Februar 2009, §
30 Rz 74 ff.). Deren Art. 7 Abs. 2 sieht in Gestalt einer Freistellungsklausel vor, dass die
Mitgliedstaaten gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen
können, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen.
Soweit vertreten wird, dass Art. 7 Abs. 2 Satz 1 Familienzusammenführungsrichtlinie
lediglich Maßnahmen wie die Bereitstellung bestimmter Angebote als Voraussetzung der
Erteilung einer Nachzugsgenehmigung ermögliche (vgl. Groenendijk, European Journal of
Migration and Law 2006, 215, 223 f.; ders, ZAR 2006, 191, 195 f.), vermag dies nicht zu
überzeugen. Zwar dürfte sich der zur Begründung angeführten Entstehungsgeschichte
des Art. 5 der Richtlinie RL 2003/109/EG vom 25. November 2003 betreffend die
Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen
(Daueraufenthaltsrichtlinie) der Wille zu einer gewissen Beschränkung der Befugnisse der
Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausformung von Integrationsregeln entnehmen lassen.
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Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausformung von Integrationsregeln entnehmen lassen.
Es erscheint jedoch zweifelhaft, auf die historische Auslegung einer anderen Richtlinie
abzustellen und daraus herzuleiten, den Richtlinien liege ein übergreifendes,
trennscharfes Begriffssystem zugrunde. Unabhängig hiervon gibt jedenfalls der Wortlaut
des § 7 Abs. 2 Familienzusammenführungsrichtlinie - auch unter Berücksichtigung dieser
Einschränkungsabsicht - nichts dafür her, dass der geforderte Nachweis einfacher
Sprachkenntnisse vor der Einreise unzulässig sein soll. Aus der Formulierung des Art. 7
Abs. 2 Satz 2 Familienzusammenführungsrichtlinie, nach dem auf Flüchtlinge die
Integrationsmaßnahmen nach Satz 1 erst nach Gewährung der
Familienzusammenführung Anwendung finden können sollen, lässt sich vielmehr
schließen, dass Satz 1 auch Erfordernisse meint, die vor Gestattung des
Familiennachzuges erfüllt sein müssen.
Das Spracherfordernis verletzt schließlich nicht die der Klägerin aus Art. 8 EMRK
zustehenden Rechte (ebenso vor allem Hailbronner, FamRZ 2008, 1583, 1587).
Danach hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Nach
Abs. 2 darf eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der
Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für
die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur
Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der
Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Nach
der gefestigten Rechtsprechung des EGMR kann (auch) Art. 8 EMRK nicht dahingehend
interpretiert werden, dass er den Staat generell dazu verpflichtet, die Wahl des ehelichen
Wohnsitzes eines (teilweise) ausländischen Ehepaares im Inland zu respektieren und
eine Familienzusammenführung in seinem Staatsgebiet zu bewilligen. Bei der Regelung
und Anwendung des Aufenthaltsrechts ist allerdings der Schutz von Ehe und Familie
angemessen zu berücksichtigen (EGMR, Urteil vom 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645
-, „Gül/Schweiz“, InfAuslR 1996, 245, 246; Urteil vom 31. Januar 2006 - 50435/99 -,
„Rodrigues da Silva/Niederlande“, EuGRZ 2006, 562, 563 f.). Daraus folgt für den
Gesetzgeber die Pflicht, bei der Regelung des Aufenthaltsrechts für nachziehende
Familienangehörige neben öffentlichen Interessen, wie etwa der Einwanderungskontrolle
oder der Integration von Einwanderern, die bestehenden ehelichen und familiären
Bindungen eines Ehegatten an im Aufenthaltsstaat lebende Personen angemessen zu
berücksichtigen. Lediglich in besonderen Fallgestaltungen, in denen der Schutz einer
familiären Gemeinschaft, nämlich konkret die Aufrechterhaltung einer familiären
Beziehung, ausschließlich durch die Erteilung einer Nachzugserlaubnis erreicht werden
kann, wird ein Anspruch auf Familiennachzug aus Art. 8 EMRK abgeleitet (EGMR, Urteil
vom 21. Dezember 2001 - 31465/96 -, „Sen/Niederlande“, InfAuslR 2002, 334, 337).
Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (zu Art. 4 Abs. 1 letzter
Unterabsatz Familienzusammenführungsrichtlinie) ist Artikel 8 EMRK nicht so
auszulegen, dass ein Mitgliedstaat danach notwendigerweise verpflichtet wäre, die
Familienzusammenführung in seinem Hoheitsgebiet zu gestatten. Jedenfalls könne das
Erfordernis der Integration unter mehrere der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten
rechtmäßigen Ziele fallen (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - Rs. C-540/03 -,
„Parlament/Rat der Europäischen Union“, Rz 66, ABl. EU 2006 Nr. C 190 S. 1 = NJW
2006, 3266 [LS]).
Hieran gemessen lässt sich ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK nicht feststellen. In der
Grundkonstellation des Nachzugs sind die Ehegatten gerade nicht unausweichlich auf ein
eheliches Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland angewiesen. Das
Spracherfordernis als solches hat auch keine ehegefährdende Wirkung. Vorliegend ist
nicht erkennbar, dass die Aufrechterhaltung der ehelichen Beziehung der Klägerin und
des Beigeladenen zu 2 ausschließlich durch die Erteilung einer Nachzugserlaubnis
erreicht werden kann. Zunächst kann die Klägerin die eheliche Gemeinschaft in
Deutschland herstellen, sobald sie einfache deutsche Sprachkenntnisse nachgewiesen
hat. Sie hat - wie bereits ausgeführt - nicht dargelegt, dass ihr dies prinzipiell nicht
möglich ist. Für den Fall, dass der Klägerin den Nachweis dauerhaft nicht erbringen
sollte, besteht auch die Möglichkeit, dass der Beigeladene zu 2 die eheliche
Gemeinschaft durch Zuzug zu seiner Ehefrau nach Indien herstellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in
Verbindung mit § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache die
grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aufwirft, ob die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AufenthG mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
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