Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: ersatzvornahme, vwvg, zwangsgeld, ausnahme, androhung, ermessen, link, sammlung, vorrang, quelle

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 2.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 2 B 10.06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 92 Abs 3 VwGO, § 11 Abs 1 S
2 VwVG
Die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Zwangsgeldes vor
der Ersatzvornahme
Tenor
Das Berufungsverfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Gründe
Das Berufungsverfahren ist durch die übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in
der Hauptsache erledigt und daher entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Über die Kosten des Berufungsverfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem
Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu
entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, die Kosten des Verfahren dem Beklagten
aufzuerlegen, da die Berufung der Kläger voraussichtlich Erfolg gehabt hätte und der
Beklagte aus diesem Grund die in dem Bescheid des Bezirksamts Spandau von Berlin
vom 8. September 2003 enthaltene Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 300
Euro, die nach dem Beschluss des Senats vom 20. Oktober 2006 – OVG 2 N 215.05 –
allein noch den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet, in der mündlichen
Verhandlung aufgehoben hat.
Dass die Androhung des Zwangsgeldes entgegen der Annahme des
Verwaltungsgerichts rechtswidrig gewesen ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt hat
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), folgt daraus, dass ein Zwangsgeld bei vertretbaren
Handlungen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (VwVG)
vom 27. April 1953, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S.
157), das in der jeweiligen Fassung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das
Verfahren der Berliner Verwaltung vom 8. Dezember 1976 (GVBl. S. 2735, ber. S. 2898)
für das Vollstreckungsverfahren der Behörden Berlins gilt, nur dann verhängt werden
kann, wenn die Ersatzvornahme untunlich ist, besonders, wenn der Pflichtige
außerstande ist, die Kosten zu tragen, die aus der Ausführung durch einen anderen
entstehen. Dieser Wortlaut lässt – bei allen begrifflichen Unschärfen, die der veraltende
(vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, 24. Aufl. 2006) Ausdruck „untunlich“
aufweist - jedenfalls erkennen, dass Ersatzvornahme und Zwangsgeld im
Anwendungsbereich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gleichrangig sind,
sondern dass – anders als nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land
Brandenburg (vgl. §§ 17, 20, 23) und verschiedenen anderen
Landesvollstreckungsgesetzen - ein gesetzlicher Vorrang des Zwangsmittels der
Ersatzvornahme vor dem des Zwangsgeldes besteht und die Vollstreckungsbehörde
kein Auswahlermessen hat (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 4. Dezember 2003, BRS 66
Nr. 202; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2001 – 1 O 3654/00 -, Juris;
App/Wettlaufer, Verwaltungsvollstreckungsrecht, 4. Aufl. 2005, S. 196, 199;
Engelhardt/App, VwVG-VwZG, 6. Aufl. 2004, Rn. 7 zu § 11 VwVG; Sadler, VwVG-VwZG, 6.
Aufl. 2006, Rn. 4 zu § 11 VwVG). Die ausnahmsweise Verhängung eines Zwangsgeldes
statt der Ersatzvornahme kommt entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht
schon dann in Betracht, wenn sie „effektiv und vernünftig“ ist, denn mit einer solchen
extensiven Auslegung des Begriffs „untunlich“ als bloßem Zweckmäßigkeitsvorbehalt
würde das durch den Gesetzgeber erkennbar gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis
ausgehebelt. „Untunlich“ ist eine Ersatzvornahme vielmehr nur dann, wenn sie in einem
besonders hohem Maße unangemessen oder unzweckmäßig ist und sich deshalb
geradezu aufdrängt (vgl. auch VGH Kassel, Beschluss vom 19. April 1989, NVwZ 1990,
481; OVG Lüneburg, a.a.O.).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Argumentation des Beklagten, es
müsse den Klägern überlassen bleiben, über den Verbleib der noch verwertbaren
Baumaterialien zu befinden, ist eine reine Zweckmäßigkeitsüberlegung, die bei praktisch
allen Beseitigungsanordnungen zutrifft und daher das gesetzliche Regel-Ausnahme-
Verhältnis aushöhlen würde. Auch § 9 Abs. 2 VwVG und der verfassungsrechtliche
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Denn
Ersatzvornahme und Zwangsgeld stehen hinsichtlich der Schwere des Eingriffs im
allgemeinen etwa auf gleicher Stufe (vgl. App/Wettlaufer,
Verwaltungsvollstreckungsrecht, 4. Aufl. 2005, S. 196). Auch im vorliegenden Einzelfall
kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine Ersatzvornahme die
Kläger stärker belasten würde als das Zwangsgeld. Denn die Verhängung des
Zwangsgeldes schließt nicht aus, dass bei Erfolglosigkeit eine Ersatzvornahme
angedroht und festgesetzt werden könnte.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO)
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