Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.06.2010

OVG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, unternehmer, leistungsfähigkeit, mitgliedstaat, verordnung, zugang, lizenz, unternehmen, widerruf, sozialversicherung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 98.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 Abs 2 EWGV 881/92, § 5
GüKG, § 3 Abs 2 GüKG, § 3 Abs
5 GüKG, § 1 GBZugV
Widerruf einer Lizenz für den grenzüberschreitenden
gewerblichen Güterverkehr
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 15. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Antragsteller wendet sich gegen den für
sofort vollziehbar erklärten Widerruf der ihm erteilten Lizenz für den
grenzüberschreitenden gewerblichen Güterverkehr vom 26. Oktober 2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2010. Das Verwaltungsgericht hat es
abgelehnt, die aufschiebende Wirkung seiner dagegen gerichteten Klage
wiederherzustellen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass sich der Antragsteller
als unzuverlässig und nicht leistungsfähig im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 1 und 2 des
Güterkraftverkehrsgesetzes (GüKG) erwiesen und daher die ihm erteilte Erlaubnis nach §
3 Abs. 5 GüKG habe widerrufen werden können, weil er seinen Zahlungsverpflichtungen
gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern seit geraumer Zeit in erheblichem Umfange
nicht nachgekommen sei. Das der Behörde zustehende Ermessen sei durch Art. 8 Abs.
2 der Verordnung über den Zugang zum Güterkraftverkehr in der Gemeinschaft für
Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere
Mitgliedstaaten (EWG Nr. 881/92) des Rates vom 26. März 1992 entsprechend
eingeschränkt.
Das für die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Beschwerdevorbringen
des Antragstellers (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung des
angegriffenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend dem
öffentlichen Interesse am Vollzug der Widerrufsentscheidung Vorrang gegeben
gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Ermächtigungsgrundlage für den im angefochtenen Bescheid vom 26. Oktober 2009
angeordneten Widerruf der Gemeinschaftslizenz ist Art. 8 Abs. 2, 1. Spiegelstrich der
Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum
Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem
Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (ABl. L 95 vom 9. April
1992, S. 1) in der seit dem 1. Mai 2004 geltenden Fassung (ABl. L 236 vom 23.
September 2003, S. 33 - VO EWG 881/92 -) in Verbindung mit den §§ 5 Satz 1, 3 Abs. 5
GÜKG. Nach Art. 8 Abs. 2, 1. Spiegelstrich VO EWG 881/92 entziehen die zuständigen
Behörden die Gemeinschaftslizenz, wenn der Inhaber die Voraussetzungen des Art. 3
Abs. 2 und 3 VO EWG 881/92 nicht mehr erfüllt. Nach Art. 3 Abs. 2 VO EWG 881/82 wird
die Gemeinschaftslizenz gemäß den Art. 5 und 7 VO EWG 881/92 jedem gewerblichen
Güterkraftverkehrsunternehmer erteilt, der in einem Mitgliedstaat nach den
Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und des Mitgliedstaates über den Zugang zum
Beruf des Verkehrsunternehmers zur Durchführung des grenzüberschreitenden
Güterkraftverkehrs berechtigt ist. Nach § 5 Satz 1 GüKG gilt die Gemeinschaftslizenz
nach Art. 3 VO EWG 881/92 für Unternehmer, deren Unternehmenssitz im Inland liegt,
als Erlaubnis nach § 3 GüKG. Nach § 3 Abs. 2 GüKG wird die Erlaubnis einem
Unternehmer, dessen Unternehmen seinen Sitz im Inland hat, für die Dauer von fünf
Jahren erteilt, wenn der Unternehmer und die zur Führung der
Güterkraftverkehrsgeschäfte bestellte Person zuverlässig sind (Nr. 1), die finanzielle
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Güterkraftverkehrsgeschäfte bestellte Person zuverlässig sind (Nr. 1), die finanzielle
Leistungsfähigkeit des Unternehmens gewährleistet ist (Nr. 2) und der Unternehmer
oder die zur Führung der Güterkraftverkehrsgeschäfte bestellte Person fachlich geeignet
ist (Nr. 3). Nähere Regelungen zur persönlichen Zuverlässigkeit, zur finanziellen
Leistungsfähigkeit sowie zur fachlichen Eignung finden sich in den §§ 1 bis 3 der
Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr – GBZuGV – vom 21. Juni 2000
(BGBl. I S. 918), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S.
2407).
Danach hat das Verwaltungsgericht den Antragsteller aufgrund der aufgelaufenen
Steuerschulden und Beitragsrückstände bei Krankenkassen zu Recht als unzuverlässig
und nicht leistungsfähig angesehen und damit die Widerrufsvoraussetzungen bejaht.
Nach § 3 Abs. 5 GüKG kann die Erlaubnis zurückgenommen oder widerrufen werden,
wenn - unter anderem – eine der Erteilungsvoraussetzungen nach Absatz 2 nachträglich
entfallen ist. Zu den Erteilungsvoraussetzungen gehören sowohl die Zuverlässigkeit des
Unternehmers (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GüKG) als auch die finanzielle Leistungsfähigkeit
seines Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GÜKG), die als gegeben anzusehen sind,
wenn der Unternehmer die Gewähr dafür bietet, dass das Unternehmen den
gesetzlichen Bestimmungen entsprechend geführt wird und die Allgemeinheit bei dem
Betrieb des Unternehmens vor Schäden oder Gefahren bewahrt bleibt, und die zur
Aufnahme und ordnungsgemäßen, insbesondere verkehrssicheren Führung des
Unternehmens erforderlichen finanziellen Mittel verfügbar sind. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1
Buchst. d) GBZugV sind hingegen schwere Verstöße gegen die abgabenrechtlichen
Pflichten, die sich aus unternehmerischer Tätigkeit ergeben, ein Anhaltspunkt für die
Unzuverlässigkeit des Unternehmers. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GBZugV ist die
finanzielle Leistungsfähigkeit zu verneinen, wenn die Zahlungsfähigkeit nicht
gewährleistet ist oder erhebliche Rückstände an Steuern oder an Beiträgen zur
Sozialversicherung bestehen, die aus unternehmerischer Tätigkeit geschuldet werden.
Angesichts der noch im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung bestehenden
Zahlungsrückstände besteht kein Zweifel am Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen.
Zur Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht
auch zu Recht auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt (ständige
Rechtsprechung zur allgemeinen Unzuverlässigkeit im Gewerberecht, grundlegend:
BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 146.80 -, BVerwGE 65, 1 ff., zitiert nach juris
Rn. 14; Senatsbeschluss vom 3. November 2009 – OVG 1 S 19.09 -, juris Rn. 4).
Dass zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung am 8. Januar 2010 der Antragsteller
weiterhin erhebliche Steuerschulden hatte, stellt die Beschwerde nicht in Abrede. Auch
wenn, wie die Beschwerde vorträgt, die verspäteten Abgaben der Steuererklärungen auf
nicht ordnungsgemäßes Handeln des vom Antragsteller beauftragten Steuerberaters
zurückzuführen sind und zum Teil deshalb Steuerschulden zu hoch angesetzt wurden,
entlastet dies den Antragsteller nicht. Denn auch die korrekt angesetzten
Steuerschulden hat der Antragsteller nicht fristgerecht beglichen. Vielmehr bestand zum
Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids immer noch eine Steuerschuld in
Höhe von rund 46.000,00 Euro. Auf später geleistete Zahlungen kommt es nicht an.
Die Wertung des Verwaltungsgerichts wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die
Zahlungsrückstände, von denen das Gericht ausging, nicht mehr in dieser Höhe
bestanden, denn jedenfalls waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung zumindest bei der City BKK noch nicht alle Schulden getilgt.
Vielmehr leistete der Antragsteller die letzte Zahlung dort erst am 15. Juli 2010. Auch die
Tatsache, dass der Antragsteller bereits vor Einleitung des Widerrufsverfahrens selbst
Kontakte zu den Krankenkassen zwecks Regulierung seiner Zahlungsrückstände
aufgenommen hat, führt nicht zu einer anderen Bewertung, denn von finanzieller
Leistungsfähigkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die notwendigen
Finanzmittel zu dem Zeitpunkt, zu dem Zahlungen zu leisten sind, auch verfügbar sind,
nicht wenn sie erst später im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen auf
aufgelaufene Schulden eingesetzt werden können. Aus diesem Grund hat ein
ordentlicher Unternehmer auch für die Fälle, in denen ihm zustehende eigene
Forderungen sich nicht oder nur verzögert realisieren lassen, finanzielle Vorsorge zu
treffen.
Dass der Antragsteller, wie vom Antragsgegner mitgeteilt, inzwischen erneut
Beitragsrückstände bei Krankenkassen hat entstehen lassen, kann zwar nicht zur
Begründung der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids herangezogen werden, ist aber
Indiz für die Richtigkeit der vom Antragsgegner getroffenen Prognose, der Antragsteller
werde auch künftig nicht finanziell leistungsfähig sein. Dabei kommt es – wie im
allgemeinen Gewerberecht – weder auf ein Verschulden des Unternehmers noch darauf
an, welche Ursachen zu der Überschuldung und wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit
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an, welche Ursachen zu der Überschuldung und wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit
des Betroffenen geführt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 146.80 -,
zit. nach juris Rn. 15).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 47.1 und 1.5 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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