Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 18.04.2008

OVG Berlin-Brandenburg: auflage, messung, menschliche stimme, öffentliche sicherheit, vorgarten, gaststätte, anwohner, vergleich, zahl, polizei

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 N 52.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 BImSchG, § 5 Abs 1
Nr 3 GastG, § 1 Abs 2 ImSchG
BE, Ziff 6.8 Abschn A2 TA Lärm,
§ 24 Abs 1 VwVfG
Behördliche Pflichten bei der Ermittlung eines Sachverhalts;
Lärmschutzgutachten oder Lärmschutzmessungen anlässlich
des Betriebs einer Gaststätte
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 18. April 2008 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,- EUR
festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Die Kläger wenden sich gegen eine die Betriebszeit einschränkende Auflage des
Beklagten, die dem Lärmschutz dienen soll. Sie sind Inhaber der am 10. Juli 2003
erteilten Erlaubnis für eine Schank- und Speisewirtschaft in der in Berlin - Friedenau,
gelegenen Gaststätte. Unmittelbar angrenzend an die Hauswand des
Mehrfamilienmiethauses befindet sich ein Vorgarten mit 104 Plätzen, für den die
Gaststättenerlaubnis ebenfalls gilt. Seit Juni 2005 kam es zu Beschwerden von
Anwohnern wegen Störungen der Nachtruhe durch den Vorgartenbetrieb, insbesondere
durch Schreien, Lachen, Grölen und Applaudieren der Gäste. Das Umweltamt des
Beklagten besichtigte am 11. Oktober 2005 die Örtlichkeit und berechnete die vom
Vorgartenbereich ausgehende Lärmimmission im Bereich der H. mit 68,0 dB (A) und im
Bereich der Straßenecke mit 66,6 dB (A). Nach Anhörung erteilte der Beklagte mit
gleichlautenden Bescheiden vom 6. Dezember 2005 den beiden Klägern die Auflage,
den Vorgartenbetrieb zur Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) zu unterlassen; Aufräum-
und Abbauarbeiten seien zeitlich so vorzunehmen, das die Stilllegung des Vorgartens in
dieser Zeit gewährleistet sei. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in
Höhe von 2.500,- Euro angedroht. Der Widerspruchsbescheid vom 11. April 2006
bestätigte diese Bescheide und führte zur Begründung aus: Die auf § 5 Abs. 1 Nr. 3
Gaststättengesetz (GastG) gestützte Auflage diene dem vorrangigen Schutz der
Anwohner vor gesundheitsgefährdendem Lärm. Für eine wie hier bebauungsrechtlich im
Mischgebiet liegende Gaststätte liege der Grenzwert zur Tageszeit bei 60 dB (A) und zur
Nachtzeit bei 45 dB (A). Der Nachtzeit-Grenzwert werde in der H. um 23 dB (A) und im
Eckbereich um 21,6 dB (A) überschritten. Diese Überschreitung sei außergewöhnlich
hoch. Nach subjektiver Empfindung verdopple sich Lärm, wenn er sich um 10 dB (A)
erhöhe, und verdreifache sich, wenn er sich um 15 dB (A) erhöhe. Der
Straßenverkehrslärm könne die Geräuschemissionen des Vorgartens nicht überlagern.
Zudem werde Verkehrslärm als weniger störend empfunden als Lärmspitzen z.B. durch
lautes Auflachen. Hiernach seien die Anwohner nachhaltig und gesundheitsgefährdend
beeinträchtigt. Zur Abwehr der Beeinträchtigung seien gleichgeeignete mildere Mittel
nicht gegeben, insbesondere fehle es an der Eignung, wenn Markisen oder seitliche
Windfänge eingerichtet oder die Sitzplätze vermindert würden. Wirtschaftliche
Erwägungen des Gaststättenbetriebes müssten hinter dem Schutz vor
gesundheitsgefährdendem Lärm zurückstehen.
Die gegen die Auflage gerichtete Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit dem
hier angegriffenen Urteil abgewiesen.
Mit ihrem fristgemäß eingelegten und begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung
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Mit ihrem fristgemäß eingelegten und begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung
machen die Kläger geltend:
1. Die Richtigkeit des angegriffenen Urteils sei ernstlich zweifelhaft. Das
Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung ungeprüft eine errechnete Lärmprognose
anstelle von tatsächlichen Messungen zugrunde gelegt. Tatsächlich zuverlässige
Emissionswerte für die den Klägern erteilte Auflage würden fehlen. Es gebe auch keinen
allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die rechnerisch ermittelten Werte
bestätigt oder übertroffen würden, wenn die Lärmwerte tatsächlich gemessen würden.
Eine tatsächliche Messung im Einzelfall könne vielmehr deutlich niedrigere Werte
ergeben als die rechnerische Prognose, denn die nähere Umgebung könne je nach
baulicher Ausgestaltung zu unterschiedlichen Resonanzen führen, und auch die
Ausrichtung der Geräuschquelle könne abweichende Werte ergeben (Beweisangebot:
Sachverständigengutachten). Die Behörde handele ermessensfehlerhaft, wenn sie den
Klägern eine wirtschaftlich derart belastenden Auflage erteile, ohne die hierfür
notwendigen tatsächlichen Grundlagen durch konkrete Messungen an mehreren Tagen
zusammengestellt zu haben. Werde die tatsächliche Lärmbelastung gar nicht
festgestellt, sei die Auflage unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht verkenne auch,
dass der Beklagte den Klägern zunächst habe ermöglichen müssen, selbst Maßnahmen
zur Lärmverminderung zu ergreifen, etwa durch Verringerung der Zahl der Sitzplätze
oder deren teilweise Überdachung. Im Ermessenswege müsse auch berücksichtigt
werden, dass an diesem Ort jahrzehntelang eine Gaststätte mit Vorgarten ohne zeitliche
Einschränkungen betrieben worden sei.
2. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Sie werfe die
entscheidungserhebliche Frage auf, ob die Anwendung des Lärmprognoseverfahrens
rechtmäßig sei. Diese Frage wolle auch der Beklagte geklärt wissen, bevor er das
Prognoseverfahren flächendeckend einsetze. Der Beklagte behandele wesentlich gleiche
Sachverhalte ungleich, wenn er Gaststätten nur dann auf Lärmimmission überprüfe,
wenn sich Anwohner über Lärm beschweren würden, und andere Gaststätten unbehelligt
lasse. Fraglich sei, ob es mit höherrangigem Recht vereinbart werden könne, wenn der
Beklagte das theoretische Prognoseverfahren ausschließlich anlassbezogen bei
einzelnen Gaststättenbetreibern durchführe. Dies habe ernsthafte wirtschaftliche
Konsequenzen, zumal wenn innerhalb der geschlossenen Räume das Rauchen verboten
sei.
Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.
II.
Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Gegen die Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im
Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht legt seiner Beurteilung
zutreffend die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 3 Gaststättengesetz (GastG) zugrunde,
wonach dem Gewerbetreibenden jederzeit Auflagen zum Schutze gegen schädliche
Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) für die
Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke erteilt werden können.
Die allein streitbefangene Auflage, den Vorgartenbetrieb zur Nachtzeit zu unterlassen,
zielt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts darauf, schädliche Umwelteinwirkungen
zu verhindern. Hierzu führt die Vorinstanz im Wesentlichen aus:
Die Lärmprognose habe für den Vorgarten einen Lärmpegel von 66,6 dB (A) bzw. 68 dB
(A) errechnet. Dies überschreite im Mischgebiet den Tageswert von 60 dB (A) und den
Nachtwert von 45 dB (A). Das Prognoseverfahren des Beklagten entspreche den Regeln
von Nr. 11 Abs. 5 der Ausführungsvorschriften zum Landesimmissionsschutzgesetz. Der
Einsatz eines Wertes von 75 dB (A) für die Schallleistung pro Gast sei unbedenklich.
Selbst bei Ansetzung von nur 71 dB (A), wie sie in der Studie des Bayerischen
Landesamtes für Umweltschutz über „Geräusche aus `Biergärten`“ vorgesehen sei,
würden sich hier Lärmpegel von 64 dB (A) bzw. 66,6 dB (A) ergeben, die oberhalb der
zulässigen Grenzwerte lägen. Auf einen Zuschlag zu dem errechneten Lärmpegel von
jeweils 3 dB (A) für Unterhaltungslärm und für Reflexionen von umliegenden
Hauswänden usw. habe der Beklagte verzichtet, obwohl dieser Zuschlag nach den
Ausführungsvorschriften möglich sei. Auch dies zeige, dass die prognostizierten Werte
weit außerhalb des Zulässigen lägen.
Eine tatsächliche Messung zur Verifizierung der Ergebnisse habe der Beklagte bei dieser
Sachlage nicht vornehmen müssen. Eine tatsächliche Messung wäre ohnehin nur
punktuell gültig und für niedrigere und somit zulässige Werte ergebe sich kein Anhalt.
Die Kläger hätten nichts dafür aufgezeigt, dass das Prognoseverfahren generell oder im
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Die Kläger hätten nichts dafür aufgezeigt, dass das Prognoseverfahren generell oder im
konkreten Fall unrichtige Ergebnisse erbringe. Zwar seien die an der H. gelegenen
Häuser durch Verkehrslärm vorbelastet, doch überlagere dieser nicht die Lärmbelastung
durch den Schankvorgarten, denn der Verkehrslärm erreiche zur Nachtzeit nur den
Pegel von 62 dB (A). Der Vorgarten trete weiterhin als Störquelle in Erscheinung. Die von
Nr. 7.2 TA Lärm vorgesehene Privilegierung für seltene Ereignisse komme den Klägern
nicht zugute, denn der Vorgartenbetrieb beschränke sich nicht auf höchstens 10 Tage
oder Nächte innerhalb eines Kalenderjahres bzw. zwei aufeinander folgende
Wochenenden. Außerdem würden die nach Nr. 6.3 TA Lärm für seltene Ereignisse
zulässigen Richtwerte von 55 dB (A) nachts hier deutlich überschritten.
Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei angesichts der eklatanten
Überschreitung der maßgeblichen Richtwerte um jeweils über 20 dB (A) nicht zu
beanstanden. Dies gelte unabhängig davon, ob aktuelle Beschwerden von Anwohnern
vorlägen. Deren Zurückhaltung könne vielfältige Gründe haben. Im Interesse der
Gesundheit der Anwohner sei es Aufgabe des Beklagten, Auflagen zum Schutze zu
erlassen. Mildere Mittel seien mit Blick auf die erhebliche Überschreitung der Richtwerte
nicht erkennbar. Eine Reduzierung der Vorgartenplätze müsse, um geeignet zu sein, so
umfangreich sein, dass vom Vorgartenbetrieb kaum etwas übrigbliebe. Nach der
Berechnung des Beklagten sei bereits bei zehn Gästen der zulässige Tagesrichtwert
erreicht. Auch Markisen oder Vorhänge könnten den Geräuschpegel nicht um mehrere
10 dB (A) senken.
Diese Begründung des Verwaltungsgerichts steht im Einklang mit den maßgeblichen
Rechtsvorschriften und der einschlägigen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der
Kläger war der Beklagte nicht verpflichtet, den vom Vorgarten der Gaststätte
ausgehenden Schall tatsächlich zu messen. Bei der Ermittlung eines Sachverhalts, den
die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legen will, hat sie alle für den Einzelfall
bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen,
jedoch bestimmt sie selbst Art und Umfang der Ermittlungen (§ 24 Abs. 1 und 2 VwVfG
i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln). Ist die Schalleinwirkung auf die Nachbarschaft
Ausgangspunkt einer Entscheidung, so kann sie diese tatsächlich messen oder von
einem rechnerischen Verfahren Gebrauch machen, in das die relevanten Faktoren
eingehen und das eine empirisch erprobte Zuverlässigkeit aufweist. Von einem solchen
rechnerischen Verfahren hat der Beklagte hier Gebrauch gemacht. Der Ablauf des nach
empirischer Erprobung festgelegten Verfahrens ergibt sich aus Ziffer 11 Abs. 5 Buchst. f
der Ausführungsvorschriften zum Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin – AV LImschG
Bln - vom 27. März 2006 (ABl. S. 1463). Als wesentliche Schallquelle der
Schankvorgärten wird darin die „menschliche Stimme (Reden, lautes Lachen etc.)“
angesetzt, und zwar bei „Einnehmen von Speisen und Getränken in üblicher Lautstärke“
ein Dauerschallleistungspegel von 75 dB (A). Für die Bestimmung der
Gesamtschallleistung des Schankvorgartens hat der Beklagte entsprechend der
Vorgabe ein Drittel der Gesamtzahl der Sitzplätze als gleichzeitig wirksam eingesetzt.
Die empirische Erprobung dieses Verfahrens ergibt sich aus dem Hinweis auf Wallner,
Lärmimmissionen durch Gaststätten und „Schankgärten“ in Wien und deren
medizinische Begutachtung, Zeitschrift für Lärmbekämpfung, Heft 4/93. Die
Verfahrensvorgaben in Ziffer 11 Abs. 5 Buchst. f der AV LImSchG Bln beziehen ferner ein
die Größe des Schankvorgartens, den Abstand seines Mittelpunktes zum Immissionsort
(hier: Fenster der nahegelegenen Wohnung), die Reflexion des Bodens und etwaiger
umgebender Gebäudeseiten, ggf. die Zerlegung der Vorgartenfläche in Teilflächen und
die erhöhte Störwirkung, wenn das Geräusch des Schankvorgartens besonders impuls-
oder informationshaltig ist und sich dadurch auffällig vom Hintergrundgeräusch abhebt.
Diese Verfahrensvorgaben verwenden gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 LImSchG Bln Begriffe
nach den Definitionen des § 3 Abs. 1 bis 6 des Bundes-Immis-sionsschutzgesetzes
(BImSchG). Insofern ist eine hinreichende Bestimmtheit sichergestellt. Die früher
geltende Verordnung zur Bekämpfung des Lärms vom 23. März 2004 (GVBl. S. 148) ist
mit Inkrafttreten des Landes-Immissionsschutzgesetzes am 16. Dezember 2005 außer
Kraft getreten (§ 18 LImSchG Bln). Die Anknüpfung an die Begriffsdefinitionen des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlaubt ferner den Bezug zu allgemeinen
Verwaltungsvorschriften, die die Bundesregierung gemäß § 48 Abs. 1 BImSchG zur
Durchführung dieses Gesetzes erlassen hat und zu denen die Technische Anleitung zum
Schutz gegen Lärm - TA Lärm - vom 26. August 1998 (GMBl. S. 503) gehört.
Entsprechend der Ermächtigung in § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BImSchG enthält die TA
Lärm Vorschriften über das Verfahren zur Ermittlung der Emissionen und Immissionen.
Gemäß Ziffer 6.8 TA Lärm gelten für die Ermittlung der Geräuschimmissionen die
Vorschriften des Anhangs, der eine Ermittlung nicht nur durch Messung (Abschnitt A 3),
sondern auch durch Prognose (Abschnitt A 2) zulässt. Bei der Prognose werden
Eingabedaten in eine Berechnung eingestellt, um rechnerisch festzustellen, ob sich die
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Eingabedaten in eine Berechnung eingestellt, um rechnerisch festzustellen, ob sich die
Geräuschimmission innerhalb der Immissionsrichtwerte hält (Abschnitt A.2.1 und 2.2).
Als Eingangsdaten für die Berechnung können Messwerte, Erfahrungswerte oder
Herstellerangaben verwendet werden; wenn aufgrund besonderer Vorkehrungen eine im
Vergleich zu den Erfahrungswerten weitergehende dauerhafte Lärmminderung
nachgewiesen ist, können die der Lärmminderung entsprechenden Korrekturwerte bei
den Eingangsdaten berücksichtigt werden (Abschnitt A.2.3.2). Das gibt dem Betreiber
der emittierenden Anlage die Möglichkeit, besondere Vorkehrungen zu treffen, eine
dauerhafte Lärmminderung im Vergleich zu den Erfahrungswerten nachzuweisen und
damit auf den Erlass immissionsrechtlicher Anordnungen Einfluss zu nehmen. Jedenfalls
geht auch die TA Lärm davon aus, dass Erfahrungswerte grundsätzlich geeignet sind,
eine Prognose der Geräuschimmissionen zu erstellen.
Diese Wertung folgt der zu Geräuschimmissionen durch Gaststätten entwickelten
Rechtsprechung. Nach der nachbarschützenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG
sind Auflagen zum Schutz vor Lärmbelästigungen gerechtfertigt, wenn Geräusche das
unter Berücksichtigung der Lage der Gaststätte den Anwohnern zumutbare Maß
übersteigen (BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1980 - 1 B 41.80 - juris, Rn. 12). Was
als zumutbar hinzunehmen ist, bestimmt sich einerseits nach der Lärmart und der
Intensität der Geräusche - sie können nach dem einschlägigen technischen Regelwerk
ermittelt werden -, andererseits nach der gegebenen Situation, in der Lärmquelle und
Immissionsort sich befinden; die Schutzwürdigkeit richtet sich nach der materiellen
baurechtlichen Lage (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1996 - 1 C 10.95 – juris, Rn. 28 =
BVerwGE 101, 157 bis 166 = GewArch 1996, 426 bis 429 = NVwZ 1997, 276 bis 278
m.w.N.). In Fortführung dieser Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht
ausgeführt: Zur Frage schädlicher Umwelteinwirkungen und zur Beurteilung der von
einer Gaststätte ausgehenden Geräusche könne die TA Lärm als normkonkretisierende
Verwaltungsvorschrift des Bundes herangezogen werden. Die Zumutbarkeit von
Geräuschen könne nach dem einschlägigen technischen Regelwerk ermittelt werden. In
Ermangelung sonst einschlägiger Regelwerke sei dafür derzeit die TA Lärm anzuwenden
(BVerwG, Beschluss vom 9. April 2003 - 6 B 12.03 -, GewArch 2003, 300 [301]; dem
folgend z.B. OVG Saarlouis, Urteil vom 29. August 2006 - 1 R 21/06 -, NVwZ-RR 2007,
598 [599 f] und VGH München, Urteil vom 17. Juni 2008, NJOZ 2009, 2174 [2178]).
Damit ist klargestellt, dass auch die Vorschriften der TA Lärm über das Verfahren zur
Ermittlung der Emissionen und Immissionen anwendbar sind, die wie ausgeführt nicht
nur die Messung, sondern auch die (rechnerische) Prognose zulassen. Auch die
Prognose ist danach grundsätzlich eine sachnahe objektive Beurteilung, während -
zwangsläufig subjektiv gefärbte - Beschwerden der Nachbarn allein eine Auflage nach § 5
Abs. 1 Nr. 3 GastG noch nicht rechtfertigen (hierzu OVG Bautzen, Beschluss vom 30. Mai
1997 - 3 S 713/96 -, GewArch 1998, 37 [39] und VGH München, Urteil vom 17. Juni 2008,
a.a.O. [2179]). Dass die tatsächliche Messung des Lärmpegels nicht ohne weiteres
sachnäher ist, folgt auch daraus, dass die Gefahrenabwehr auf einen längeren künftigen
Zeitabschnitt zielt, der ohnehin nicht in einer einmaligen oder mehrmaligen Messung
erfasst werden kann, weil der Lärmpegel je nach Zahl und Lautstärke der Gäste
differieren wird (vgl. hierzu VG Ansbach, Urteil vom 27. November 2007 - AN 4 K
05.02693 und AN 4 K 06.02762 -, juris Rn. 46). Demgegenüber erscheint es sogar
sachnäher, langjährig bestätigte Durchschnittswerte rechnerisch einzusetzen. Dass das
Berechnungsverfahren sich bei fortschreitenden Erkenntnissen ändern kann, ist dabei
nur selbstverständlich.
Die Behauptungen der Kläger, tatsächlich gemessene Immissionswerte würden geringer
ausfallen als die vom Beklagten errechneten, erweisen sich angesichts der in die
rechnerische Prognose einbezogenen Faktoren als spekulativ und unwahrscheinlich.
Sofern die Kläger darauf verweisen, der Beklagte hätte ihnen ermöglichen müssen,
Maßnahmen zur Lärmverminderung zu ergreifen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass sie
während des mehrmonatigen Widerspruchsverfahrens nicht gehindert waren, von sich
aus in dieser Weise tätig zu werden. Dem Beklagten konnte sich mit Blick auf die
gravierende Überschreitung der Immissionsrichtwerte kein Mittel aufdrängen, das zur
Lärmverminderung im gebotenen Ausmaß als geeignet, aber gleichwohl für die Kläger
milder erschien. Aus dem gleichen Grund drängte sich dem Verwaltungsgericht die
Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Erkundung milderer Mittel nicht auf.
Sollten sich bei einer tatsächlichen Messung - insbesondere nach neugeschaffenen
Vorkehrungen gegen die Lärmimmission - niedrigere Lärmwerte ergeben, die dem
Immissionsrichtwert nahekommen oder ihn sogar unterschreiten, so wäre dies ein
anderer (Immissions-) Sachverhalt, der den Klägern ein Wiederaufgreifen des Verfahrens
gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 VwVfG eröffnen würde.
Soweit sich die Kläger auf eine am gleichen Ort seit Jahrzehnten betriebene Gaststätte
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Soweit sich die Kläger auf eine am gleichen Ort seit Jahrzehnten betriebene Gaststätte
mit Vorgarten ohne zeitliche Einschränkungen berufen, verkennen sie den Sachverhalt.
Denn die in den Jahren 1962 bis 1984 an die jeweiligen Inhaber erteilten
Gaststättenerlaubnisse enthielten keine Befugnis zur Nutzung der vor dem Haus
gelegenen Straßenfläche im Sinne eines Vorgartens. Erst im Jahre 1985 wurde die
Erlaubnis erweitert auf einen 9 m² großen Vorgarten und im Jahre 1997 auf einen 30 m²
großen Vorgarten, allerdings mit dem Hinweis, dass Geräuschbelästigungen vor dem
geöffneten Fenster benachbarter Wohnräume nachts 45 dB (A) nicht überschreiten
dürfen. Diese immissionsrechtliche Maßgabe enthielten auch die danach erteilten
Erlaubnisse bis hin zu den Erlaubnissen der Kläger.
2. Eine Zulassung der Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gerechtfertigt. Grundsätzliche Bedeutung hat
eine Rechtssache, wenn sie eine Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die sich im
Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung bedarf. Zur Darlegung dieses
Zulassungsgrundes muss der Antragsteller eine bestimmte, für das Berufungsverfahren
erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren und außerdem angeben, worin die
allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328). Die von den Klägern
gestellte Frage, ob die Anwendung des Lärmprognoseverfahrens rechtmäßig ist, ist in
dieser Allgemeinheit - anders im Einzellfall, wie vorstehend ausgeführt - nicht zu
beantworten, weil es auf die jeweiligen Besonderheiten des Sachverhalts und die
Eigenheiten des beabsichtigten Prognoseverfahrens ankommt. In ähnlicher Weise hat
das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Fragen, ob Lärmmessungen zu der
streitbefangenen Zeit vorgenommen werden müssen oder Rückschlüsse aus einer
vorverlagerten Zeit ausreichen, ferner ob eine nochmalige Messung entbehrlich ist,
wenn nachträglich Auflagen erteilt werden, einer grundsätzlichen Klärung nicht
zugänglich sind, weil ihre Beantwortung von den konkreten Umständen des jeweiligen
Einzelfalles abhänge. Die tatsächlichen Verhältnisse könnten so liegen, dass auf ähnliche
Lärmpegel zu anderen Zeiten geschlossen werden könne, etwa bei „impulsartigen
Geräuschen wie Unterhaltungen, Lachen und Rufen der Gäste“; auch im Falle
nachträglicher Auflagen seien nicht ohne Weiteres neue Lärmmessungen geboten
(BVerwG, Beschluss vom 18. September 1991 - 1 B 107.91 -, NVwZ-RR 1992, 68 [68 f]).
Die weitere Frage der Kläger, ob der Beklagte das Prognoseverfahren ausschließlich
anlassbezogen bei einzelnen Gaststättenbetreibern durchführen dürfe, bedarf keiner
obergerichtlichen Klärung, weil sich ihre Beantwortung bereits aus dem geschriebenen
Ordnungsrecht ergibt: In Wahrnehmung ihrer Aufgabe, Gefahren für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, treffen die Ordnungsbehörden ihre Maßnahmen
nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 1 Abs. 1, § 12 Abs. 1 ASOG Bln). Auch die
Befugnisnorm des § 17 Abs. 1 ASOG Bln, wonach sie zur Abwehr einer im einzelnen Falle
bestehenden Gefahr die notwendigen Maßnahmen treffen „können“, räumt ihnen ein
Einschreitensermessen ein. Ein anlassbezogenes Einschreiten entspricht daher dem
Zweck des eingeräumten Ermessens (zum Opportunitätsprinzip im Polizei- und
Ordnungsrecht vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2007, §
10 Rn. 32 bis 34; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Kapitel E
Rn. 18 und Kapitel F Rn. 134). So erscheint es beispielsweise denkbar, von einem
Einschreiten abzusehen, wenn der für die Nachtzeit geltende Immissionsrichtwert von
der Straßenseite aus überschritten wird, die Bewohner ihre Schlafräume jedoch in
hofseitigen Teilen des Gebäudes haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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