Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 17.03.2009

OVG Berlin-Brandenburg: eugh, ausstellung, psychologisches gutachten, mitgliedstaat, see, inhaber, entzug, anerkennung, entziehen, gemeinschaftsrecht

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 N 26.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 StVG, § 11 Abs 8 FeV,
§ 46 Abs 1 FeV, Art 8 Abs 2
EWGRL 439/91, Art 8 Abs 4
EWGRL 439/91
Entziehung einer österreichischen Fahrerlaubnis bei Wohnsitz in
Deutschland; Anerkennungsgrundsatz gilt nicht bei
Duplikatführerschein; Versagung der Anerkennung einer älteren
ausländischen Fahrerlaubnis nach Entziehung einer jüngeren
inländischen Fahrerlaubnis
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 2009 wird abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 10 000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Dem Kläger, österreichischer Staatsangehöriger, wurde am 6. Juli 1967 durch die
Bezirkshauptmannschaft Zell am See eine österreichische Lenkberechtigung für die
Klassen A, A 1 und B und am 16. Juli 1970 für die Klassen C1 (befristet bis zum 31. März
2006), C (befristet bis zum 31. Oktober 2000), F und G (letztere befristet bis zum 30.
September 2002) erteilt. Am 19. August 1985 erhielt er eine deutsche Fahrerlaubnis der
Klassen 1 und 2. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. April 2003,
rechtskräftig seit dem 29. April 2003, wurde ihm die deutsche Fahrerlaubnis wegen
fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs unter Alkoholeinfluss entzogen; die
gemessene Blutalkoholkonzentration hatte 1,75 Promille betragen. Für die Neuerteilung
einer Fahrerlaubnis wurde eine Sperrfrist von 8 Monaten ausgesprochen. Am 1. April
2004 stellte der Kläger bei der Bezirkshauptmannschaft Zell am See des Landes
Salzburg einen Antrag auf Aufstellung eines Duplikatführerscheins, der ihm am 8. April
2004 ausweislich der Auskünfte dieser Behörde vom 2. Juni 2004 und vom 9. März 2005
mit der Begründung ausgestellt wurde, dass das alte Dokument nicht mehr gut lesbar
gewesen und der Kläger seit dem Jahr 2001 in Zell am See mit Hauptwohnsitz gemeldet
sei. Laut Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 26. November 2008
wurde ihm „wegen Verschleiß“ unter dem 18. April 2006 ein neuer Führerschein für die
Klassen A, B und F ausgestellt. Nachdem der Kläger der Aufforderung des Beklagten
nicht nachgekommen war, zur Feststellung seiner Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, entzog ihm der
Beklagte mit Bescheid vom 13. Dezember 2004 die österreichische Fahrerlaubnis. Der
Widerspruch des Klägers blieb erfolglos, ebenso das Verfahren auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes (zuletzt Beschluss des Senats vom 25. September 2006 -
OVG 1 S 47.05 -). Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. März 2009 die gegen
den Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2007 gerichtete Anfechtungsklage abgewiesen und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte zu Recht aus der
Weigerung des Klägers, das von dem Beklagten geforderte Gutachten vorzulegen, auf
dessen Nichteignung geschlossen habe. Der Kläger könne sich auch nicht auf den
gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz berufen, da ihm nach dem Entzug
der deutschen Fahrerlaubnis durch die Bezirkshauptmannschaft Zell am See des Landes
Salzburg am 8. April 2004 bzw. 18. April 2006 keine neuen Fahrerlaubnisse erteilt,
sondern wegen der Unleserlichkeit des alten Dokuments lediglich ein sog.
Duplikatführerschein ausgestellt worden sei.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Zulassungsgründe der
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Zulassungsgründe der
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der
besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der grundsätzlichen
Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Abweichung von einer Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs, auf die sich der Kläger beruft, liegen nicht vor.
1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Der Einwand des Klägers, die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens sei rechtswidrig, weil der Beklagte im Hinblick auf den
Anerkennungsgrundsatz aus Artikel 1 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates verpflichtet
gewesen sei, seinen unter dem 18. April 2006 neu ausgestellten österreichischen
Führerschein nach Ablauf der durch das Amtsgericht Tiergarten gesetzten Sperrfrist
anzuerkennen, greift nicht durch. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in der
angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Anerkennungsgrundsatz
nicht dazu führe, dass der Wohnsitzstaat dem Inhaber einer in einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis diese nicht entziehen könne, falls sich der
Betreffende in einer seine mangelnde Kraftfahreignung belegenden Weise über die
Vorschriften des Straßenverkehrsrechts hinwegsetze. Die diesbezügliche
Rechtsprechung des EuGH ist vorliegend nicht einschlägig. Grundsätzlich werden zwar
nach Artikel 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die von den Mitgliedstaaten ausgestellten
Führerscheine gegenseitig anerkannt. Infolge dessen ist es nach gefestigter
Rechtsprechung des EuGH Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen, ob die im
Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, darunter derjenigen über
die Fahrtauglichkeit nach Anhang III der Richtlinie, erfüllt sind und ob somit die Erteilung
einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Die anderen Mitgliedstaaten sind
dementsprechend grundsätzlich nicht befugt, die Beachtung der in der Richtlinie
aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Allerdings gestatten Artikel 8
Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG den Mitgliedstaaten aus Gründen der Sicherheit
des Straßenverkehrs, unter bestimmten Umständen ihre innerstaatlichen Vorschriften
über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf jeden
Inhaber eines Führerscheins anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem
Hoheitsgebiet hat. Diese Befugnis kann aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen
Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ausgeübt
werden (EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C 329.06 - und - C 343.06 -, Rn. 58, 59).
Hingegen greift der Anerkennungsgrundsatz in den Fällen ein, in denen dem Betroffenen
von einem Mitgliedstaat eine neue Fahrerlaubnis erteilt wurde, ihm zuvor die
deutsche Fahrerlaubnis entzogen worden war (EuGH, a.a.O., Rn. 54). So liegt der Fall hier
jedoch nicht. Der Kläger verkennt, dass ihm mit der Ausstellung der
Duplikatführerscheine am 8. April 2004 bzw. am 18. April 2006 keine neuen
Fahrerlaubnisse erteilt wurden, sondern lediglich ein neues Papierdokument ausgestellt
wurde, welches auf die am 6. Juli 1967 bzw. 16. Juli 1970 bereits erteilten Fahrerlaubnisse
Bezug nahm. Dabei kommt es entgegen der Meinung des Klägers nicht auf die bloße
Ausstellung des Papierdokuments an, sondern maßgeblich ist die durch den
Führerschein bescheinigte Erteilung der Fahrerlaubnis, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 StVG. Denn
der Anerkennungsgrundsatz greift nicht bereits dann ein, wenn ohne (Neu)Erteilung
einer Fahrerlaubnis lediglich ein neuer Führerschein, etwa wegen Verlusts oder
Beschädigung des alten Papierdokuments, ausgestellt wird. Dies ergibt sich aus dem
Gemeinschaftsrecht. Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG, welcher die Ausstellung
des Führerscheins regelt, nimmt ausdrücklich Bezug auf das Bestehen einer Prüfung der
Fähigkeiten, Verhaltensweisen und der Kenntnisse sowie auf die Erfüllung
gesundheitlicher Anforderungen. Daraus ergibt sich, dass mit der Formulierung
„Ausstellung des Führerscheins“ in der Richtlinie 91/439/EWG nicht die bloße Ausstellung
des Führerscheindokuments, sondern die durch den Führerschein verkörperte Erteilung
der Fahrerlaubnis gemeint ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der
Rechtsprechung des EuGH. So heißt es in dem Urteil des EuGH vom 26. Juni 2008, Rn.
44, dass die betreffenden Vorabentscheidungsverfahren sich u.a. mit dem Aspekt
befassten, die sich aus einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten
Führerschein vorläufig auszusetzen. Auch im Übrigen stellt
der EuGH im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Ausstellung eines
Führerscheins immer auf das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen, nämlich
für die Erteilung der Fahrerlaubnis, ab (vgl. etwa EuGH a.a.O., Rn. 52 ff.). Der EuGH hat
darüber hinaus in dem Urteil vom 19. Februar 2009 - C 321.07 - Rn. 96 ff. - der Fall betraf
ebenfalls eine in Österreich erworbene Fahrerlaubnis - klargestellt, dass die
Mitgliedstaaten berechtigt seien, die Anerkennung eines früher in einem anderen
Mitgliedstaat erworbenen Führerscheins zu versagen, wenn eine später ausgestellte
zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers entzogen worden sei, da nicht
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zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers entzogen worden sei, da nicht
feststehe, dass der Betroffene zu dem Zeitpunkt, zu dem er von der älteren
Fahrerlaubnis Gebrauch mache, zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei. So liegt
der Fall hier. Maßgeblich ist, dass der Kläger nach Erteilung der ersten Fahrerlaubnis in
Österreich im Jahr 1967 bzw. 1970 in Deutschland eine zweite Fahrerlaubnis erworben
hat, die wegen Nichteignung entzogen wurde, was der Beklagte zum Anlass nahm,
Zweifel an seiner Kraftfahreignung auch im Hinblick auf seine erste österreichische
Fahrerlaubnis anzumelden und diese aufgrund der Nichtvorlage des geforderten
Gutachtens schließlich zu entziehen. Nach alledem kann sich der Kläger im Hinblick auf
seine 2004 und 2006 erhaltenen Führerscheinduplikate nicht auf den
gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz berufen.
2. Im Hinblick darauf weist die Rechtssache auch keine besonderen rechtlichen
Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, da sie keine Fragen aufwirft, die im
Zulassungsverfahren nicht geklärt werden könnten. Insbesondere kann der Kläger nicht
mit dem Einwand gehört werden, das Verwaltungsgericht habe zunächst eine andere
Rechtsauffassung vertreten, da es dem Beklagten mit Schreiben vom 3. Juli 2008 Abhilfe
nahegelegt habe. Die auftretenden rechtlichen Fragen sind vielmehr in der
Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt. Der Einwand, keinem Urteil des EuGH könne
entnommen werden, dass maßgeblich für die Frage nach dem im Rahmen der Richtlinie
von den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennenden Führerschein sei, ob dieser neue
Führerschein innerhalb eines Erlaubnisverfahrens und nach erneuter Prüfung und
Attestierung der Fahreignung ausgestellt wurde, ist unerheblich, weil in den
vorstehenden Ausführungen des Senats zu 1. bereits deutlich geworden ist, dass es mit
der Rechtsprechung des EuGH im Einklang steht, dass der Beklagte dem Kläger die
österreichische Fahrerlaubnis entzog, nachdem dieser Ausstellung des
österreichischen Führerscheins in Deutschland in einer seine Kraftfahreignung in Frage
stellenden Weise auffällig geworden ist und die 2004 bzw. 2006 ausgestellten
Duplikatführerscheine keine neuen Fahrerlaubnisse darstellen, auf die der
Anerkennungsgrundsatz anzuwenden wäre.
3. Ebenso wenig kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nach § 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO zu. Diese liegt nur vor, wenn die Rechtssache eine rechtliche oder
tatsächliche Frage aufwirft, die für die Entscheidung des Berufungsgerichts
entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit der Klärung in einem
Berufungsverfahren bedarf. Daran fehlt es im Hinblick auf die vorstehenden
Ausführungen zu 1. Vor allem hat das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des EuGH
auch nicht einschränkend ausgelegt.
4. Es liegt auch keine Abweichung von dem Beschluss des Senats vom 25. September
2006 - 1 S 47.05 - im Eilverfahren vor. Sofern der Kläger geltend macht, der Senat sei in
dieser Entscheidung davon ausgegangen, dass ihm unter strikter Beachtung der
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts der Führerschein nicht hätte entzogen werden
dürfen, beziehen sich diese Ausführungen auf eine Interessenabwägung im Eilverfahren,
wobei nur eine summarische Prüfung erfolgt ist und die aufgeworfenen Rechtsfragen
nicht abschließend beantwortet wurden. Der entscheidende Aspekt des vorliegenden
Verfahrens, dass nämlich die bloße Ausstellung eines Ersatzführerscheins der
Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nicht gleichsteht, ist in dem Beschluss noch nicht
erörtert worden. Der Senat hat im Übrigen ausgeführt, dass dem Kläger möglicherweise
die Berufung auf den Anerkennungsgrundsatz versagt sein könnte.
Eine Abweichung von der Rechtsprechung des EuGH ist von dem Zulassungsgrund des §
124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht erfasst und liegt abgesehen davon auch nicht vor; insoweit
wird Bezug genommen auf die Ausführungen zu 1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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