Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: staatliches monopol, überwiegendes öffentliches interesse, werbung, aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, veranstaltung, gemeinschaftsrecht, internet, euv

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 203.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 S 2 Nr 3 VwGO, §
146 Abs 4 S 6 VwGO, § 4 Abs 1
GlSpielWStVtr, § 4 Abs 2
GlSpielWStVtr, § 4 Abs 4
GlSpielWStVtr
Glücksspielrecht: Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine
Untersagung der Vermittlung privater Sportwetten;
Vereinbarkeit von Glücksspielstaatsvertrag und Berliner
Ausführungsgesetz mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht
Leitsatz
Die Regelungen des Glückspielstaatsvertrages und des dazu erlassenen Berliner
Ausführungsgesetzes, nach denen die Annahme und Vermittlung von Sportwetten durch
Private nicht erlaubnisfähig ist und untersagt werden kann, unterliegen im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Verfassungs- und
Gemeinschaftsrecht keinen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von
Rechtsbehelfen gegen entsprechende Unterlassungsverfügungen hinreichenden Zweifeln.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 23. November 2007 wird zurückgewiesen. Dies gilt jedoch mit der Maßgabe, dass
der Antragsgegner Vollstreckungshandlungen erst nach Ablauf des 31. Dezember 2008
vornehmen darf.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 12.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist im Wesentlichen unbegründet.
Auf der Grundlage des innerhalb der am 3. Januar 2008 abgelaufenen Begründungsfrist
eingereichten Beschwerdevorbringens kann ihr schon deshalb kein Erfolg beschieden
sein, weil die – gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfende -
Beschwerdebegründung mit keiner Silbe berücksichtigt, dass der für das
Verwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung noch maßgebliche Übergangszeitraum
für die Anwendung der verfassungswidrigen Rechtslage zum Sportwettenmonopol im
Land Berlin am 31. Dezember 2007 abgelaufen ist und die Rechtmäßigkeit der in der
Hauptsache angegriffenen Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt nunmehr
anhand neuer rechtlicher Grundlagen, nämlich nach Art. I des Landesgesetzes über das
öffentliche Glücksspiel vom 15. Dezember 2007 (GVBl. S. 604) in Verbindung mit dem
Berliner Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag – BlnAGGlüStV – vom 15.
Dezember 2007 (GVBl. S. 610) und § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des am 1. Januar 2008 in
Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages – GlüStV – (GVBl. S. 604) zu beurteilen ist.
Auch danach kann die zuständige Behörde die Veranstaltung, Durchführung und
Vermittlung unerlaubter Glücksspiele sowie die Werbung hierfür untersagen, wobei
nunmehr die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen solche Anordnungen
kraft Gesetzes nach § 1 GlüStVG i.V.m. § 9 Abs. 2 GlüStV entfällt.
Die in der Hauptsache angefochtene Untersagungsverfügung lässt sich auf der
Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV aufrechterhalten. Das Vorliegen der
Voraussetzungen dieser neuen Rechtsgrundlagen ist auf der Grundlage der bisherigen
Senatsrechtsprechung (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2006 – OVG 1 S 90.06 –
veröffentlicht in juris) hinsichtlich der Annahme von Sportwetten durch den Antragsteller
für den in, Malta, ansässigen Wettanbieter T.. in der Betriebsstätte M. Damm nicht
zweifelhaft. Denn der Antragsteller besitzt die nach § 4 Abs. 1 GlüStV erforderliche
Erlaubnis für die Annahme und das Vermitteln von Sportwetten oder eine Tätigkeit als
gewerblicher Spielevermittler nicht, und sie kann ihm für die bisherige Ausgestaltung
seiner Tätigkeit nach §§ 5, 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 14 Abs. 1 Satz 1 BlnAGGlüStV auch
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seiner Tätigkeit nach §§ 5, 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 14 Abs. 1 Satz 1 BlnAGGlüStV auch
nicht erteilt werden.
Zweifel an der Vereinbarkeit der neuen Rechtslage mit höherrangigem Recht, die in der
Abwägung des – nunmehr gesetzlich begründeten - Vollziehungsinteresses des
Antragsgegners mit dem Aussetzungsinteresse geeignet wären, die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung zu rechtfertigen, bestehen nach dem für das vorläufige
Rechtsschutzverfahren geltenden Prüfungsmaßstab ebenfalls nicht. Allerdings hat das
Verwaltungsgericht Berlin verschiedene Parallelverfahren in der Hauptsache entschieden
und die dortigen Ordnungsverfügungen aufgehoben. In den Urteilsgründen hat das
Verwaltungsgericht neben verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neuregelung des
Glücksspielrechts insbesondere darauf abgestellt, dass die einschlägigen
Rechtsvorschriften gemeinschaftsrechtswidrig seien. Zwar könne eine Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit durch Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder
Gesundheit gerechtfertigt sein; diese müsse sich dabei jedoch an
Verhältnismäßigkeitskriterien messen lassen. Die derzeitige rechtliche und tatsächliche
Ausgestaltung des sog. Sportwettenmonopols genüge den gemeinschaftsrechtlichen
Anforderungen nicht, weil sie das Ziel der Spielsuchtbekämpfung nicht durch einen
kohärenten und systematischen Beitrag zur Begrenzung der Wetttätigkeiten
verwirkliche. Dies ergebe sich zum einen aus den unzureichenden Beschränkungen des
tatsächlichen Glücksspielangebots, das weiterhin als normaler Bestandteil des täglichen
Lebens erscheine, sowie dem unzulänglichen Werbeverbot, welches dazu führe, dass
reißerische und nicht lediglich informierende Werbung nach wie vor omnipräsent sei.
Zum anderen folge dies aus strukturellen Defiziten des Konzepts der Suchtprävention,
namentlich dem Fehlen gesetzlicher Höchsteinsatzgrenzen. Angesichts dieses Befundes
bedürfe es keiner Klärung, ob sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Neuregelung
auch daraus herleiten lasse, dass der Gesetzgeber nicht hinreichend nachgewiesen
habe, dass weniger einschneidende Maßnahmen keinen gleich großen
Suchtbekämpfungserfolg ermöglicht hätten (siehe etwa Urteil vom 7. Juli 2008 – VG 35 A
167.08 –).
Der Senat teilt bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein
möglichen und gebotenen summarischen Prüfung die insoweit dargelegten Zweifel am
Glücksspielstaatsvertrag und Berliner Ausführungsgesetz weder hinsichtlich ihrer
Verfassungsmäßigkeit (dazu sogleich unter 1.) noch hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit
Gemeinschaftsrecht (dazu nachfolgend 2.); den derzeit noch bestehenden Defiziten für
den Vollzug (dazu nachfolgend 3.) ist mit der tenorierten Umsetzungsfrist hinreichend
Rechnung getragen. Soweit die entscheidungserheblichen verfassungs- und
gemeinschaftsrechtlichen Fragen in dem vorliegenden Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden können, sind sie dem
Hauptsacheverfahren vorzubehalten; die Interessenabwägung geht dabei zu Ungunsten
des Antragstellers aus (dazu sodann 4.).
1. Der Senat vermag die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts nunmehr
geäußerten Bedenken gegen die Verfassungskonformität des Glücksspielstaatsvertrags
und des Berliner Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag nicht zu teilen.
Jedenfalls auf der Grundlage der Prüfung im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes ist
vielmehr – mit den unter nachfolgend 3. dargestellten Vorbehalten – von der
Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung auszugehen.
Sowohl die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts als auch die zum Teil
weitergehende Argumentation der Beteiligten sind diesbezüglich überholt, nachdem die
Neuregelung bereits Gegenstand eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens gewesen ist;
das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR
928/08 – (hier zitiert nach juris) entschieden, dass der Glücksspielstaatsvertrag, das
Berliner Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag und weitere, hier nicht
einschlägige Regelungen anderer Bundesländer vorrangig dem Ziel dienen, die
Bevölkerung, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor den Gefahren der
Glücksspielsucht und der mit Glücksspielen verbundenen Folge- und Begleitkriminalität
zu schützen, und dass damit überragend wichtige Gemeinwohlziele verfolgt werden, die
selbst objektive Berufswahlbeschränkungen zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfG
ebenda, Orientierungssatz 3b). Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten
Entscheidung u.a. ausgeführt (a.a.O., juris Rn. 29 ff., 39 ff.):
Insbesondere bei der Verhinderung von Glücksspielsucht und bei der wirksamen
Suchtbekämpfung handelt es sich um besonders wichtige Gemeinwohlziele. Spielsucht
kann zu schwerwiegenden Folgen nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für
ihre Familien und für die Gemeinschaft führen (vgl. BVerfGE 115, 276 <304 f.>). Zwar
haben unterschiedliche Glücksspielformen ein unterschiedliches Suchtpotenzial, wobei
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haben unterschiedliche Glücksspielformen ein unterschiedliches Suchtpotenzial, wobei
das von der Beschwerdeführerin vermittelte (...) weniger zu problematischem oder gar
pathologischem Spielverhalten beiträgt als beispielsweise Geld- oder
Glücksspielautomaten sowie Kasinospiele. Dies berührt jedoch nicht die Legitimität der
von den Landesgesetzgebern verfolgten Ziele.
(...) Wird der Gesetzgeber - wie hier - zur Verhütung von Gefahren für die
Allgemeinheit tätig, so belässt ihm die Verfassung bei der Prognose und Einschätzung
der in den Blick genommenen Gefährdung einen Beurteilungsspielraum, der vom
Bundesverfassungsgericht bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung zu beachten ist.
Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des
Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage
für die angegriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen abgeben können (vgl. BVerfGE
117, 163 <183> m.w.N.). Hieran gemessen sind die Erwägungen der
Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. (...) Es kommt hinzu,
dass die Landesgesetzgeber davon ausgehen, eine Ausweitung des Glücksspielangebots
werde die bereits jetzt gegebene Suchtgefahr zwangsläufig vergrößern (vgl.
NdsLTDrucks 15/4090, S. 62). Auch diese Prognose ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden und stützt zusätzlich die Annahme einer Gefahr, zu deren Verhinderung
Eingriffe in die Berufswahlfreiheit gerechtfertigt sein können.
Die angegriffenen Regelungen sind auch zur Zweckerreichung geeignet, weil mit ihrer
Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann (vgl. BVerfGE 63, 88 <115>; 67, 157
<175>; 96, 10 <23>; 103, 293 <307>; 115, 276 <308>). Die Regelungen zur
Erlaubnispflicht und zu den Erlaubnisvoraussetzungen (§ 4 Abs. 1 und 2, § 9 Abs. 4, § 25
Abs. 6 GlüStV, § 13 Abs. 1, § 14 i.V.m. §§ 7 und 8 Abs. 5 AGGlüStV Bln, § 3 Abs. 4, § 7
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 4, 7 Abs. 2, § 27 Abs. 3 NGlüSpG) sind sowohl dem Grunde als
auch dem konkreten Inhalt nach geeignet, um die verfolgten Gemeinwohlziele
durchzusetzen. Mithilfe des von den Ländern gewählten Prinzips des Verbots mit
Erlaubnisvorbehalt wird ein Kanalisierungseffekt erreicht, mit dem das Angebot an
Glücksspielen beschränkt und die Transparenz des Spielbetriebs gefördert wird. Die
zuständigen Landesbehörden werden durch das Erlaubniserteilungsverfahren in die Lage
versetzt, unmittelbar Einfluss auf die Zahl und die Personen der auf dem
Glücksspielmarkt tätigen Veranstalter und Vermittler zu nehmen.
(..) Die in § 5 Abs. 1 bis 4 GlüStV normierten Werbeverbote und
Werbebeschränkungen sind ebenfalls geeignet, zur Umsetzung der Ziele des
Staatsvertrags und der ihn ergänzenden Landesgesetze von Berlin und Niedersachsen
beizutragen. Auch hier erfolgt eine unmittelbare Verknüpfung mit dem Zielkatalog des §
1 GlüStV; denn die Werbung für öffentliches Glücksspiel darf ausdrücklich nicht in
Widerspruch zu den dort aufgeführten Zielen stehen. Werbung ist zu unterlassen, wenn
sie nach ihrer Form oder ihrem Inhalt zum Glücksspiel anreizt oder ermuntert und damit
problembehaftetem Glücksspielverhalten Vorschub leisten könnte. Auch darf Werbung
nicht mittels Medien erfolgen, die aufgrund ihrer "Reichweite in besonderem Maße zum
Gefährdungspotenzial von Glücksspielen" beitragen (vgl. NdsLTDrucks 15/4090, S. 68).
Die Regelung vermeidet Werbung mit Aufforderungscharakter und ist damit ein
geeignetes Mittel, um zur Verhinderung und Bekämpfung von Glücksspielsucht
beizutragen.
Das Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet
(§ 4 Abs. 4 GlüStV) ist geeignet, problematisches Spielverhalten einzudämmen. Das
Spielen per Internet ist durch ein hohes Maß an Bequemlichkeit sowie durch eine zeitlich
unbeschränkte Verfügbarkeit des Angebots gekennzeichnet. Hinzu kommt ein im
Vergleich zur Abgabe des Lottoscheins in der Annahmestelle höherer Abstraktionsgrad,
der geeignet ist, das virtuelle Glücksspiel in der Wahrnehmung des Spielers aus seinem
Bedeutungszusammenhang herauszulösen und insbesondere die Tatsache des
Einsatzes - und möglichen Verlustes von Geld - in den Hintergrund treten zu lassen. Die
Möglichkeiten des Internet-Glücksspiels zu beschneiden, bedeutet, die Umstände der
Teilnahme für den Einzelnen zu erschweren und ihm den Vorgang des Spielens
bewusster zu machen. Hierdurch kann einem Abgleiten in problematisches
Spielverhalten entgegengewirkt werden. Hinzu kommt, dass nach wie vor erhebliche
Bedenken bestehen, ob sich bei einer Teilnahme an Glücksspielen per Internet der im
Rahmen der Suchtprävention besonders wichtige Jugendschutz effektiv verwirklichen
lässt (vgl. BVerfGE 115, 276 <315>). Auch zur Vermeidung derartiger Präventionslücken
ist das Internetverbot das geeignete Mittel. (...)
Die Eingriffe in die Berufsfreiheit sind zur Erreichung der von den
Landesgesetzgebern angestrebten Ziele erforderlich. Ebenso wie bei der Frage der
Geeignetheit verfügt der Gesetzgeber auch bei der Einschätzung der Erforderlichkeit
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Geeignetheit verfügt der Gesetzgeber auch bei der Einschätzung der Erforderlichkeit
über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum (vgl. BVerfGE 102, 197 <218>; 115,
276 <309>). Infolge dieser Einschätzungsprärogative können Maßnahmen, die die
Landesgesetzgeber zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts wie der Abwendung
der Gefahren, die mit dem Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen verbunden
sind, für erforderlich halten, verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach
den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten
Erfahrungen feststellbar ist, dass Beschränkungen, die als Alternativen in Betracht
kommen, zwar die gleiche Wirksamkeit versprechen, indessen die Betroffenen weniger
belasten (vgl. BVerfGE 25, 1 <12, 19 f.>; 40, 196 <223>; 77, 84 <106>; 115, 276
<309>). Solche milderen Mittel sind vorliegend nicht gegeben.
Mit Blick auf diese verfassungsrechtlichen Zusammenhänge sind die aus der
Wesentlichkeitstheorie abgeleiteten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der
gesetzlichen Neuregelung, die das Verwaltungsgericht sowie die Antragsteller in einer
Reihe paralleler Verfahren vor dem Senat angeführt haben, nicht gerechtfertigt. Der
Glücksspielstaatsvertrag und das Berliner Ausführungsgesetz enthalten hinreichende
Regelungen, die Art und Zuschnitt der Sportwetten zum Gegenstand haben und den
Entscheidungsspielraum der Verwaltung im Erlaubniserteilungsverfahren nachhaltig
einengen. So ist in § 4 Abs. 4 GlüStV bestimmt, dass Glücksspiele im Internet weder
veranstaltet noch vermittelt werden dürfen. In § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV ist ein Verbot
organisatorischer Verbindungen von Sportveranstaltungen und
Glücksspielveranstaltungen angeordnet. In § 21 Abs. 2 Satz 2 GlüStV findet sich das
Verbot einer Verknüpfung von Sportberichterstattung und Sportwetten. In § 21 Abs. 2
Satz 3 Halbsatz 1 GlüStV ist bestimmt, dass Wetten während laufender Sportereignisse
verboten sind. § 21 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 GlüStV verbietet die Glücksspielteilnahme
via Telefon und SMS. Schließlich sind in § 21 Abs. 3 und § 22 Abs. 2 GlüStV
Anforderungen an die organisatorische Durchsetzung von Spielersperren normiert.
Damit hat der Gesetzgeber diejenigen Formen von Sportwetten selbst geregelt, denen
ein besonders hohes Suchtgefährdungspotenzial innewohnt und die deshalb bei der
Bekämpfung der Spielsucht besonders große Bedeutung haben, und zwar im Sinne
eines auch den staatlichen Monopolveranstalter treffenden absoluten Verbots; ferner
ergeben sich aus diesen Vorschriften Mindestanforderungen, die die Einhaltung dieser
Verbote sicherstellen, sofern eine Erlaubnis erteilt wird.
Die Regelung weiterer Detailfragen insbesondere zur technischen Ausgestaltung der
einzelnen Glücksspiele durfte der Gesetzgeber den Verwaltungsentscheidungen im
Erlaubnisverfahren überlassen. Ein Regelungsdefizit im Sinne der Wesentlichkeitstheorie
lässt sich angesichts der bereits im GlüStV selbst enthaltenen Regelungsdichte aus dem
Zusammenspiel von grundsätzlichen Vorgaben im GlüStV und näherer Ausgestaltung
im Erlaubniserteilungsverfahren nicht ableiten (ebenso BayVGH, Beschluss vom 2. Juni
2008 – 10 CS 08.1102 –, juris, Rn. 20 f.). Dies gilt auch für die Fragen der Durchsetzung
der Werbungsbeschränkungen, der Festlegung eines Einsatzlimits und der (lediglich)
graduellen Verminderung der Zahl der Annahmestellen. Bezüglich der
Annahmestellendichte merkt der Senat ergänzend an, dass der Gesetzgeber bei der
Festlegung der Höchstzahl der zulässigen Annahmestellen auch berücksichtigen durfte,
dass den vorhandenen Annahmestellen bzw. ihren Betreibern Bestandsschutz
zukommt; er durfte sich deshalb für ein allmähliches Abschmelzen ihrer Anzahl
entscheiden. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dem Gesichtspunkt des
Bestandsschutzes der Annahmestellenbetreiber könne allein wegen der seit Verkündung
der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts verstrichenen Zeitspanne
keine Bedeutung zugemessen werden, verkennt, dass auch die jeweiligen Betreiber der
Annahmestellen Träger der Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG sind, in deren
Berufsausübung sowie in deren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der
Landesgesetzgeber nicht beliebig eingreifen durfte.
2. Zur Frage der Vereinbarkeit des GlüStV und des BlnAGGlüStV mit den Vorgaben des
Gemeinschaftsrechts teilt der Senat nicht die vom Verwaltungsgericht und den
Antragstellern der Parallelverfahren geäußerten Bedenken.
a) Die Neuregelung ist in formeller Hinsicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Dies
gilt zunächst unter dem Gesichtspunkt der Notifizierungspflicht für
wettbewerbsbeeinträchtigende Rechtsnormen. Der GlüStV wurde von der Kommission
notifiziert; eine Notifizierungspflicht auch des BlnAGGlüStV ist mangels eines vom Inhalt
des Staatsvertrags abweichenden Regelungsinhalts nicht ersichtlich (vgl. zur parallelen
Rechtslage in Hessen: HessVGH, Beschluss vom 13. August 2008 – 7 B 29/08 –, Seite 4
des Entscheidungsabdrucks).
Ebenso wenig ergeben sich Bedenken gegen die formelle
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Ebenso wenig ergeben sich Bedenken gegen die formelle
Gemeinschaftsrechtskonformität der Neuregelung unter dem Gesichtspunkt einer
fehlenden Evaluierung von Gefahren, die mit dem Betreiben von Glücksspielen
verbunden sind. Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 13. November 2003 (- C-42/02 -
Lindman, Slg. 2003, I. - 13519) darauf hingewiesen, dass Rechtfertigungsgründe, die von
einem Mitgliedsstaat geltend gemacht werden können, von einer Untersuchung zur
Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit der von diesem Staat erlassenen
beschränkenden Maßnahme begleitet werden müssen, und beanstandet, dass die dem
Gerichtshof übermittelten Akten kein Element statistischer oder sonstiger Natur
aufwiesen, das einen Schluss auf die Schwere der Gefahren zuließe, die mit dem
Betreiben von Glücksspielen verbunden sind oder gar auf einen besonderen
Zusammenhang zwischen solchen Gefahren und der Teilnahme der Staatsangehörigen
des betreffenden Mitgliedsstaats an in anderen Mitgliedsstaaten veranstalteten
Lotterien hindeuteten (sog. "Lindman-Kriterien“). Andererseits hat der EuGH auch
entschieden, dass aus dem Gemeinschaftsrecht keine Anforderungen an die
Begründung einer nationalen Regelung hergeleitet werden könnten (EuGH, Urteil vom
17. Juni 1997 - C-70/95 - Sodemare SA u. a., Slg. 1997, I. - 3395). Hiernach muss der
nationale Gesetzgeber eine solche Evaluierung nicht bereits vor Schaffung und
Inkraftsetzung einer einschränkenden Norm vorgenommen haben. Im Hinblick auf den
dem Gesetzgeber für eine Gefahrenprognose grundsätzlich zuzugestehenden
Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum bei der Bekämpfung von Suchtgefahren
muss es einer Beurteilung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, welche
Anforderungen an den Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung einer Suchtgefahr durch
Sportwetten zu stellen sind und ob unter Berücksichtigung der danach relevanten
Untersuchungen und Ergebnisse angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe den
ihm zustehenden Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum überschritten, indem er
gemäß § 27 GlüStV dessen Regelungen erst innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten
und ohne nähere Anforderungen an Inhalt und Reichweite einer solchen Evaluierung
einer Rechtsfolgenabschätzung unterwerfen will (ähnlich HessVGH, Beschluss vom 13.
August 2008 aaO., Seite 4 f. des Entscheidungsabdrucks).
b) Bei summarischer Prüfung ergeben sich auch keine durchgreifenden Bedenken gegen
die materielle Vereinbarkeit des GlüStV und des BlnAGGlüStV mit den Anforderungen
des Gemeinschaftsrechts.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 6. November
2003 - C-243/01 - Gambelli u. a., aaO.) können Beschränkungen der Grundfreiheiten auf
dem Gebiet der Wetttätigkeiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses
gerechtfertigt sein; jedoch müssen die Beschränkungen, die auf solche Gründe sowie auf
die Notwendigkeit gestützt sind, Störungen der sozialen Ordnung vorzubeugen, auch
geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinn zu gewährleisten, dass sie
kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen. Der insoweit
maßgebliche Begriff der Kohärenz, den das Gemeinschaftsrecht auch in Art. 3 EUV und
Art. 11 EUV verwendet, bezieht sich auf das Erfordernis einer Abstimmung und
widerspruchsfreien Gestaltung (vgl. Geiger, EUV-EGV, 3. Aufl. 2000, Rdnr. 12 zu Art. 1
EUV). Das bedeutet, dass verschiedene Maßnahmen zur Erreichung eines Zieles nicht
im Widerspruch zueinander stehen dürfen und in ein stimmiges Konzept münden
müssen. Es lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen, dass der Gesetzgeber
diesen Anforderungen nicht gerecht würde, und zwar sowohl hinsichtlich der
Widerspruchsfreiheit (sog. "innere Kohärenz") – dazu sogleich unter aa) – als auch
hinsichtlich der Zusammenschau mit anderen Regelungen (sog. "äußere Kohärenz") –
dazu nachfolgend bb) –.
aa) Anlass zu näherer Prüfung der inneren Kohärenz der Neuregelung bieten die
Übergangsregelung in § 25 Abs. 1 Satz 1 GlüStV, die Übergangsregelung in § 25 Abs. 6
GlüStV, die Sonderregelung für Rheinland-Pfalz in § 25 Abs. 3 GlüStV und der Umgang
mit fortgeltenden Gewerbeerlaubnissen für die Vermittlung oder Veranstaltung von
Glücksspielen nach dem Gewerbegesetz der DDR; durchgreifende Bedenken ergeben
sich hiernach nicht.
Die zitierten Übergangsregelungen stellen die innere Kohärenz des GlüStV nicht
grundsätzlich in Frage, sondern allenfalls für die Dauer ihrer zeitlichen Anwendbarkeit,
mithin bis zum 31. Dezember 2008 (dazu im weiteren nachstehend unter 3.); zu aus
diesen Regelungen abgeleiteten Zweifeln an der inneren Kohärenz des GlüStV über den
1. Januar 2009 hinaus sieht der Senat keine Anknüpfungspunkte.
Nach der Sonderregelung für Rheinland-Pfalz bleibt es diesem Bundesland weiterhin
gestattet, das staatliche Glücksspielmonopol nicht selbst auszuüben, sondern dieses
einer Gesellschaft des Privatrechts, an der das Land nicht – jedenfalls nicht mehrheitlich
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einer Gesellschaft des Privatrechts, an der das Land nicht – jedenfalls nicht mehrheitlich
– beteiligt ist, zu überlassen. Hintergrund ist, dass der beabsichtigte Rückerwerb der
privatisierten Gesellschaftsanteile der dortigen Lottogesellschaft durch das Land infolge
eines Kartellverfahrens blockiert und für den Umgang mit dieser Blockade keine
Vorsorge getroffen ist (vgl. insoweit OVG Koblenz, Beschluss vom 18. August 2008 – 6 B
10338/08.OVG –, Seite 7 f. des Entscheidungsabdrucks). Allerdings wird hierdurch das
Konzept des GlüStV noch nicht in Frage gestellt; der tatsächlich in Rheinland-Pfalz
bestehende Zustand erweist sich vielmehr als eine von den Vertragsschließenden des
GlüStV und den Landesgesetzgebern der jeweiligen Ausführungsgesetze gerade nicht
gewollte Abweichung vom Konzept des GlüStV (vgl. OVG Koblenz ebenda, ferner
HessVGH, Beschluss vom 13. August 2008 a.a.O., S. 7 des Entscheidungsabdrucks). Die
innere Kohärenz der Neuregelung wird durch eine ungewollte Abweichung von dem
verfolgten Konzept aber nur dann in Frage gestellt, wenn es sich als nicht möglich oder
politisch bzw. gesetzgeberisch nicht durchsetzbar herausstellt, für diese ungewollte
Abweichung binnen angemessener Zeit Abhilfe zu schaffen. Schon die dieser Frage
innewohnende zeitliche Komponente sprengt den Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzes; die nähere Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben.
Ähnliches gilt für den Umgang mit den derzeit noch fortgeltenden (vgl. dazu BVerwG,
Urteil vom 21. Juni 2006 – 6 C 19.06 –, DÖV 2007, 119) Glücksspielerlaubnissen aus der
Endzeit der DDR. Auch insoweit muss der näheren Aufklärung im Hauptsacheverfahren
vorbehalten bleiben, ob und inwieweit sich die Absicht der betroffenen Länder, ggf.
fortgeltende Gewerbeerlaubnisse für Sportwetten aus der Endzeit der DDR aufzuheben
(vgl. dazu HessVGH, Beschluss vom 13. August 2008 a.a.O. S. 8 des
Entscheidungsabdrucks), verwirklichen lässt; jedenfalls gegenwärtig sind keine
durchgreifenden Zweifel an der inneren Kohärenz des GlüStV veranlasst.
bb) Anlass zu näherer Prüfung der äußeren Kohärenz bieten zum einen die von dem
Regelungskonzept des GlüStV abweichende rechtliche Ausgestaltung der Pferdewetten
und der Automatenspiele, zum anderen die Frage der Effektivität des von dem
Gesetzgeber mit der Neuregelung zum 1. Januar 2008 verfolgten Konzepts; auch
insoweit sind jedoch durchgreifende Bedenken nicht gegeben.
(1) Der Bereich der Pferdewetten wird ebenso wie der Bereich der allgemeinen
Sportwetten von der konkreten Gefahr geprägt, die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten
mit der Folge zu überschätzen, dass die Suchtgefahr mit der Überzeugung steigt,
langfristig Gewinne verbuchen zu können. Im Unterschied zu dem für allgemeine
Sportwetten geltenden staatlichen Monopol besteht jedoch nach dem Rennwett- und
Lotteriegesetz vom 8. April 1922 (RGBl. I 1922, S. 335) in der Fassung vom 16.
Dezember 1986 (BGBl. I S. 2441), zuletzt geändert am 31. Oktober 2006 (BGBl. I S.
2407), ein System zugelassener Buchmacher, denn dem Gesetzgeber erschien es
ausreichend, lediglich Anforderungen der Sachkunde und der Zuverlässigkeit an
Buchmacher zu stellen (vgl. BT-Drucks. 10/5532, S. 25). Hier wurde also kein staatliches
Monopol für erforderlich gehalten, um die mit dem Gesetz verfolgten Ziele zu erreichen.
Auch für den Bereich der Automatenspiele gibt es kein staatliches Monopol, obwohl dort
die meisten Spieler mit problematischem oder gar pathologischem Spielverhalten
anzutreffen sind, so dass sich dort die Bekämpfung der Spielsucht als besonders
dringender Gemeinwohlbelang aufdrängt (vgl. hierzu HessVGH, Beschluss vom 13.
August 2008 a.a.O., S. 8 f. des Entscheidungsabdrucks).
Der Senat vermag im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes nicht die Feststellung zu
treffen, der Gesetzgeber habe diesbezüglich den ihm auch gemeinschaftsrechtlich
gegebenen Gestaltungsspielraum offensichtlich überschritten. Die Beantwortung der
Frage, ob sich der Gesetzgeber mit der Schaffung sektoral unterschiedlicher Regelungen
für einzelne, mehr durch historische Zufälligkeiten als durch systematische Kriterien von
einander abgegrenzten Teilbereichen des gesamten Glücksspielgeschehens noch
innerhalb seines Gestaltungsspielraums bewegt, setzt die Prüfung voraus, ob die
Teilregelungen in ihrer konkreten Ausgestaltung trotz der sektoralen Unterschiede
insgesamt gesehen jedenfalls stimmig das legitime Gemeinwohlinteresse wahren (vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Februar 2008 – 13 B 1215/07 –, a.a.O.),
etwa auch, ob der Gesetzgeber ein Monopolsystem im Hinblick auf den zu erwartenden
Kontrollaufwand bei der Beteiligung privater Anbieter im Rahmen des ihm zustehenden
Einschätzungs- und Gestaltungsspielraumes als weniger effektiv ansehen durfte (so
BayVGH, Beschluss vom 2. Juni 2008 – 10 CS 08.1102 –, a.a.O.) und ob es andere
Gründe gibt, für die verschiedenen Glücksspiele unterschiedliche Regelungen zu treffen
und folglich auch verschiedene Regelungsmethoden vorzusehen. Diese Prüfung sprengt
den Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und muss der Klärung
im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
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(2) Ebenso wenig kann der Senat bei summarischer Prüfung feststellen, dass es der seit
dem 1. Januar 2008 in Kraft befindlichen Neuregelung deswegen an äußerer Kohärenz
mangele, weil die Neuregelung strukturelle Defizite aufweise und von vornherein auf
Ineffektivität angelegt sei. Diese vermeintlichen strukturellen Defizite, welche das
Verwaltungsgericht in den Urteilen vom 7. Juli 2008 sowie, diesem folgend, die
Antragsteller in Parallelverfahren geltend machen, beruhen überwiegend darauf, dass
die Wesentlichkeitstheorie überspannt und die Regelung von Detailfragen im Zuge der
Erlaubniserteilungsverfahren als unzureichend angesehen wird; dass dieser Ansatz nicht
tragfähig ist, ergibt sich bereits aus dem vorstehend zitierten Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2008.
Allerdings ist zuzugestehen, dass Art und Ausmaß der von den staatlichen
Monopolanbietern praktizierten Werbung noch immer Bedenken auslöst und nicht stets
den Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrages entsprechen mag. Der Senat hält es
jedoch für verfehlt, aus dem Umstand, dass sich die Glücksspielaufsicht bisher
womöglich als noch nicht hinreichend effektiv erwiesen hat, um die
Werbebeschränkungen des GlüStV vollständig durchzusetzen, bereits im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die gesetzliche
Regelung auf fehlende Effektivität angelegt und deshalb im gemeinschaftsrechtlichen
Sinne inkohärent sei. Nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Umstände, dass die
Glücksspielaufsicht im Zuge der Trennung dieser behördlichen Aufgabe von den
fiskalischen Aufgaben der Verwaltung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit
dem Inkrafttreten der Neuregelungen umstrukturiert wurde und jedenfalls im Laufe des
Jahres 2008 überdies mit den zahlreichen Erlaubniserteilungsverfahren erheblich
belastet war, ist ein längerer Beobachtungszeitraum erforderlich, um feststellen zu
können, ob es sich bei der bisher möglicherweise unvollständigen Durchsetzung der im
GlüStV angelegten Werbeverbote gegebenenfalls um typische Anlaufschwierigkeiten
einer Neuregelung oder um ein normativ angelegtes, strukturelles Defizit handelt. Auch
dieser Gesichtspunkt bedarf weiterer Klärung im Hauptsacheverfahren.
3. Der GlüStV und das BlnAGGlüStV weisen jedenfalls für die Zeit nach Auslaufen der in
ihnen angelegten Übergangsfristen auch keine normativ begründeten Vollzugsdefizite
auf, die der Annahme ihrer Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtskonformität
entgegenstünden.
Allerdings ist zweifelhaft, ob der gegenwärtige Rechtszustand bereits den Anforderungen
genügt, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an eine nicht
fiskalischen Interessen, sondern dem Gemeinwohlbelang der Spielsuchtbekämpfung
dienende Berufszugangsbeschränkung zu stellen sind. Denn nach § 25 Abs. 1 Satz 1
GlüStV dürfen die bisher erlaubt tätigen Glücksspielanbieter ihre Tätigkeit bis zum 31.
Dezember 2008 fortsetzen, ohne zuvor ein an den Anforderungen des GlüStV
ausgerichtetes Erlaubniserteilungsverfahren durchlaufen zu haben. Dementsprechend
fehlt es jedenfalls bis zum 31. Dezember 2008 an wirksamen Einsatzlimits, an
Bestimmungen zum Jugendschutz, zur Gestaltung von Werbung der einzelnen
Annahmestelle, sowie an Detailregelungen zur technischen Ausgestaltung der einzelnen
Wettangebote. Ferner erweist sich aufgrund der weitreichenden, allerdings
gleichermaßen befristeten Ausnahmeregelung zu Internetwetten in § 25 Abs. 6 GlüStV
das Regelungskonzept des GlüStV als in sich nicht widerspruchsfrei. Dies rechtfertigt es
allerdings nicht, von einer Verfassungs- oder Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des GlüStV
und des BlnAGGlüStV schlechthin auszugehen. Denn die genannten
Übergangsregelungen und damit zugleich die von diesen Regelungen aufgeworfenen
Widersprüche bzw. Regelungslücken sind allesamt bis zum 31. Dezember 2008 befristet.
Deswegen war durch die tenorierte Fristbestimmung sicherzustellen, dass eine
zwangsweise Durchsetzung der Verbotsverfügung erst dann erfolgt, wenn die aus den
zitierten Übergangsregelungen folgenden Bedenken gegen die Verfassungs- und
Gemeinschaftsrechtskonformität des GlüStV durch Zeitablauf erledigt sind. Zu einer
über den 1. Januar 2009 hinausreichenden Regelung zugunsten privater
Glücksspielanbieter besteht insoweit kein Anlass.
Fernerhin verbleiben noch Restzweifel, ob die behördenorganisatorische Trennung der
Glücksspielaufsicht von den für die Finanzen und die Beteiligungsverwaltung des
Antragsgegners zuständigen Behörden gemäß § 9 Abs. 6 GlüStV in Verbindung mit Nr. 5
der Anlage zum ASOG in der durch Art. V des Gesetzes vom 15. Dezember 2007
geänderten Fassung (GVBl. 2007 S. 614) ausreicht, um sicherzustellen, dass effektives
ordnungsbehördliches Einschreiten nicht aus fiskalischen Motiven unterbleibt, wenn und
soweit der staatliche Monopolveranstalter Werbung betreibt, die den Vorschriften des
GlüStV nicht entspricht. Auch insoweit sieht der Senat keinen Raum dafür, wegen der in
der Vergangenheit und zum Teil auch lediglich aus anderen Bundesländern
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der Vergangenheit und zum Teil auch lediglich aus anderen Bundesländern
dokumentierten, rechtswidrigen Werbung bereits jetzt und im Verfahren einstweiligen
Rechtsschutzes von einem die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in Zweifel ziehenden
Vollzugsdefizit auszugehen. Vielmehr werden das Werbeverhalten der staatlichen
Anbieter und das Vollzugsverhalten der Glücksspielaufsicht zu beobachten und einer
Würdigung im Hauptsacheverfahren zuzuführen sein.
4. Schließlich besteht an der sofortigen Vollziehung der gegen den Antragsteller
ergangenen Untersagungsverfügung ein überwiegendes öffentliches Interesse. Aus den
Gründen, die das staatliche Wettmonopol und das Verbot der Veranstaltung und
Vermittlung von privaten Sportwetten rechtfertigen, folgt zugleich ein besonderes
öffentliches Interesse an der Vollziehung, da nur so die Verwirklichung der mit dem
Verbot verfolgten Schutzzwecke sichergestellt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom
25. Oktober 2006, a.a.O, S. 17 f. des Entscheidungsabdrucks, bei juris Rn. 33 ff.). Diesen
die sofortige Vollziehung rechtfertigenden öffentlichen Interessen stehen keine
gleichrangigen privaten Interessen des Antragstellers an der Fortsetzung seiner
gewerblichen Tätigkeit gegenüber. Sein Vertrauen darauf, dass er die Vermittlung
privater Sportwetten weiterhin ungehindert betreiben kann, ist schon deshalb stark
eingeschränkt, weil er diese Tätigkeit aufgenommen hat, obwohl ihm das Verbot der
Veranstaltung privater Wetten und die sich daran anknüpfenden ordnungs- und
strafrechtlichen Konsequenzen bekannt waren. Seine unternehmerische Entscheidung,
gleichwohl ein Wettbüro zu eröffnen, war von vornherein risikobehaftet und verdient kein
Vertrauen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO; die im Tenor
ausgeworfene Maßgabe für die Durchsetzung der Untersagungsverfügung fällt für die
Kosten nicht ins Gewicht. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3
Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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