Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 30.03.2007

OVG Berlin-Brandenburg: aufnahme einer erwerbstätigkeit, ausreise, erwerbstätigkeit im ausland, aufschiebende wirkung, ausländer, aufenthaltserlaubnis, erlöschen, lebensgemeinschaft, anfang

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 11.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 11 S 33.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. März 2007 wird mit Ausnahme
der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (VG Berlin 11 A 826.06) gegen
den Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2006 wird angeordnet und
wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, türkischer Staatsangehöriger, der 1987 mit einem Visum zu
Arbeitszwecken (Hymnensänger) für den Tebli Gemeinde e. V. (Moschee) in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist war, erhielt zuletzt am 12. Oktober 1992 eine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ab dem 21. September 2005 bis zum 15. Januar 2007
übte er in Sürmene/Türkei eine Erwerbstätigkeit aus, während seine Ehefrau und die drei
volljährigen Kinder in Deutschland verblieben. Am 14. und 21. Februar 2006 war er zu
Vorsprachen bei dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg erschienen und nach einem
Vermerk der Ausländerbehörde vom 7. November 2006 (VV Bl. 144 R) danach
krankgeschrieben und in Berlin bis Ende Mai 2006 behandelt worden. Ferner hatte er am
13. April und 6. November 2006 bei dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg
vorgesprochen; ausweislich des Bescheides vom 20. März 2006 wurden seiner Ehefrau
für eine Bedarfsgemeinschaft mit dem Antragsteller Leistungen nach dem SGBII
bewilligt.
Mit Bescheid vom 7. November 2006 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur
unverzüglichen Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung mit der Begründung an:
Mit Blick auf seine Beschäftigung in der Türkei seit September 2005 sei davon
auszugehen, dass seine Ausreise nicht nur aus einem vorübergehenden Grund erfolgt
und seine Aufenthaltserlaubnis damit nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen sei. Da
er zum Zeitpunkt der Ausreise auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
bezogen habe, sei diese Rechtsfolge auch nicht gemäß § 51 Abs. 2 AufenthG
ausgeschlossen gewesen.
Den hiergegen gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag lehnte das
Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss mit der Begründung ab, entgegen
der Auffassung des Antragstellers habe dieser mit der Beschäftigung als Prediger in
Sürmene seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlagert und sei im Sinne von § 51 Abs. 1
Nr. 6 AufenthG nicht nur vorübergehend ausgereist. Dass er möglicherweise die
Motivation gehabt habe, nach Deutschland zurückzukehren, sei unbeachtlich, da sein
Auslandsaufenthalt nicht nur von kurzer Dauer und sein Aufenthalt in der Türkei
zunächst auf unabsehbare Zeit angelegt gewesen sei. Ein Auslandaufenthalt von mehr
als sechs Monaten sei, wie sich der Wertung des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG entnehmen
lasse, in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich langfristig und es sei unerheblich, dass seine
Ehefrau sowie seine volljährigen Kinder in Deutschland verblieben seien und er diese im
Jahr 2006 dreimal kurzzeitig besucht habe.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat
auf der Grundlage des maßgeblichen Beschwerdevorbringens Erfolg.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kann der Senat im vorliegenden
summarischen Verfahren nicht bereits feststellen, dass der Antragsteller mit dem
Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2006 offensichtlich zu Recht gemäß §
50 Abs. 1 AufenthG vollziehbar zur Ausreise aufgefordert ist und ihm gemäß §§ 58 Abs.
1, 2 Nr. 1, 59 AufenthG die Abschiebung angedroht werden durfte, weil er ohne den nach
§ 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel und damit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG im Jahr 2006 unerlaubt eingereist sei. Vielmehr erscheint dem Senat das
Erlöschen des Aufenthaltstitels des Antragstellers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6, 7 AufenthG
anlässlich der Aufnahme der Berufstätigkeit in der Türkei ab 21. September 2005
zweifelhaft und mit Blick auf den langjährigen Aufenthalt des Antragstellers in
Deutschland mit seiner Familie der Sofortvollzug auch nicht geboten.
1. Zunächst kann der Senat im vorliegenden Verfahren nicht feststellen, dass die dem
Antragsteller am 12. Oktober 1992 erteilte Aufenthaltserlaubnis, die zunächst als
Niederlassungserlaubnis gemäß § 101 Abs. 1 S. 1 AufenthG fort galt, nach Ausreise und
Aufnahme der Tätigkeit in der Türkei zum 21. September 2005, die er nach eigener
Einlassung bis zum 15. Januar 2007 ausübte, im Jahr 2006 bereits gemäß § 51 Abs. 1 Nr.
7 AufenthG erloschen war, auf welche Regelung sich auch weder das Verwaltungsgericht
noch der Antragsgegner so gestützt hatten. Nach dieser Vorschrift erlischt ein
Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten oder
einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist.Bei der
Frist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG handelt es sich allerdings um eine gesetzliche
Ausschlussfrist (vgl. zur mit § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG übereinstimmenden Regelung
von § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG: VGH BW, Beschluss vom 22. Januar 1997 - 11 S 2934/96 -,
InfAuslR 1997, 305; HessVGH, Beschluss vom 16. März 1999 - 10 TZ 325/99 -, InfAuslR
1999, 454, 456; OVG NRW, Beschluss vom 4. August 2004 - 18 B 2264/03 -, InfAuslR
2004, 439; BayVGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 24 CS 05.601 -, in Juris). Mit dieser
gegenüber § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG eigenständigen Regelung steht fest, dass die dort
genannte Frist grundsätzlich zu dem unwiderleglichen Schluss führt, dass der Ausländer
zu einem nicht nur vorübergehenden Zweck ausgereist ist, worauf § 51 Abs. 1 Nr. 6
AufenthG abstellt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucksache 11/6321 S. 71
f.). Nr. 7 ergänzt den Erlöschensgrund der Nr. 6 des § 51 Abs. 1 AufenthG aus Gründen
der Rechtsklarheit. Diese Funktion von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG dürfte dafür sprechen,
dass die Regelung nur restriktiv gemäß ihrem Wortlaut, der auf eine Ausreise und
Wiedereinreise abstellt, im Fall der Überschreitung der normierten 6-Monatsfrist
eingreift. Hingegen dürfte eine zwar längere Ausreise aus Deutschland mit
zwischenzeitlichen kurzfristigen Einreisen ohne Überschreitung der 6-Monatsfrist im
Rahmen des § 50 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zu würdigen sein (so wohl auch BayVGH,
Beschluss vom 21. April 2005 - 24 CS 05.601 -, in Juris; möglicherweise weitergehend
OVG NRW, Beschluss vom 24. April 2006 - 18 B 2764/06 - in Juris, das seine
Entscheidung dann aber auf § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG - wortgleich mit § 51 Abs. 1 Nr. 6
AufenthG - gestützt hat).
Dem dürfte auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss
vom 30. Dezember 1988 - 1 B 135/88 -, InfAuslR 1989, 114f.) zu § 9 Abs. 1 Nr 3 AuslG in
der bis zum 31. Dezember 1990 gültigen Fassung (BGBl. I 1965 S. 353) nicht
entgegenstehen. Zu dieser Regelung hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden,
es verstehe sich von selbst, dass ein Ausländer das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis
nicht vermeiden könne, indem er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten nach der
Ausreise mehr oder weniger kurzfristig in das Bundesgebiet zurückkehre. Die Vorschrift
von § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG entspricht im Grundsatz jedoch gerade § 51 Abs. 1 Nr. 6
AufenthG, wobei in § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG gesetzlich nicht einmal die 6-Monatsfrist als
Maßstab für einen nicht vorübergehenden Grund des Verlassens des Bundesgebietes
normiert war. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts wird deshalb im Rahmen von
§ 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zur Würdigung der Frage des vorübergehenden Grundes der
Ausreise weiterhin Geltung beanspruchen können. Zu der eigenständigen strikten
Regelung von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kann sie hingegen wohl so nicht herangezogen
werden.
Nach den Erkenntnissen des Senats aus dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners
ist jedoch davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seinen erneuten Einreisen nach
Deutschland wohl bereits Ende Januar 2006, seiner Anwesenheit in der Folge im Februar,
April und Mai sowie Anfang November 2006 jedenfalls jeweils vor Ablauf von sechs
Monaten nach Ausreise im September 2005 wieder nach Deutschland eingereist war.
2. Dem Senat erscheint entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch das
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2. Dem Senat erscheint entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch das
Erlöschen des Aufenthaltstitels des Antragstellers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG
anlässlich der Aufnahme der Berufstätigkeit in der Türkei ab 21. September 2005
zweifelhaft und keineswegs ausreichend belegt, um den Sofortvollzug einer
Ausreisverpflichtung im vorliegenden Fall zwangsweise durchzusetzen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt die Aufenthaltserlaubnis, wenn der Ausländer
aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Ein solcher Grund
liegt zweifelsfrei in den Fällen der auf Dauer beabsichtigten Rückkehr des Ausländers in
sein Heimatland vor. Aber auch dann, wenn der Ausländer beabsichtigt, später in das
Bundesgebiet zurückzukehren, kann der Grund für das Verlassen des Bundesgebietes
seiner Natur nach nicht nur vorübergehend sein. Ob er dies ist, beurteilt sich nicht nach
dem inneren Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der konkreten
Gegebenheiten des Einzelfalles, zu denen auch die Dauer der Abwesenheit und
Ungewissheit der Rückkehr zählen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1988 - 1
B 135/88 -, InfAuslR 1989, 114f.). Als Orientierungshilfe kann auch die Wertung von § 51
Abs. 1 Nr. 7 AufenthG mit seiner 6-Monatsfrist herangezogen werden. Sie macht eine
Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles jedoch nicht entbehrlich. So
kann einerseits ein nicht unerheblich längerer Auslandsaufenthalt seiner Natur nach nur
vorübergehend sein. Andererseits schließt eine Rückkehr schon vor Ablauf von sechs
Monaten nach der Ausreise nicht aus, dass der Ausländer das Bundesgebiet aus einem
seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde verlassen hat.
Das Verwaltungsgericht hat es für seine Würdigung des Verhaltens des Antragstellers als
nicht nur vorübergehendes Verlassen des Bundesgebiets als maßgeblich angesehen,
dass dieser zwangsläufig seinen Lebensmittelpunkt mit der zunächst aufgenommenen
Tätigkeit als Prediger ab September 2005 in Sürmene/Türkei bis zur Aufgabe dieser
Erwerbstätigkeit im Januar 2007 dort genommen habe. Maßgeblich sei insoweit, dass für
den Antragsteller die Rückkehr nach Deutschland völlig ungewiss gewesen sei, allein die
Motivation der Rückkehr sei ebenso unbeachtlich wie der Verbleib der Ehefrau und der
erwachsenen Kinder in Berlin.
Diese Schlussfolgerungen erscheinen dem Senat hingegen nicht zwingend, wie der
Antragsteller zu Recht rügt. Als Auslegungshilfe für die Beurteilung des maßgeblichen
Ausreisewillens können entsprechend den vorläufigen Anwendungshinweisen zum
AufenthG des Bundesministern des Innern vom 22. Dezember 2004 (Ziff. 51.1.4.1)
Umstände herangezogen werden, wie die der Aufgabe von Wohnung und Arbeitsstelle im
Bundesgebiet sowie Mitnahme des Eigentums oder die Verpflichtung zur endgültigen
Ausreise. Insoweit ist hier zunächst festzustellen, dass der Antragsteller unbestritten
seine Ehewohnung in Berlin weiterhin behalten hatte. Er hat sich auch nicht von seiner
Ehefrau getrennt, wie die zwischenzeitlichen Einreisen im Jahr 2006 und letztlich die
Rückkehr Anfang 2007 zu der Ehefrau unter Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nunmehr
wieder in Berlin zeigen. In der Zeit der Erwerbstätigkeit in der Türkei hatte er zugleich am
14., 21. Februar 2006, 13. April und 6. November 2006 bei dem Jobcenter Friedrichshain-
Kreuzberg vorgesprochen. Hiermit ist ein Wille zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im
Bundesgebiet wiederholt dokumentiert. Es mag zwar bei Ausreise im September 2005
ungewiss gewesen sein, wann er in das Bundesgebiet zu seiner Ehefrau zwecks Führung
der ehelichen Lebensgemeinschaft dort wieder zurückkommen könnte. Dass ein solcher
Rückkehrwille bereits bei Ausreise jedoch bestand, erscheint plausibel. Dies belegen die
Bindungen die, wie dargelegt, im Bundesgebiet auch zwischenzeitlich nicht aufgegeben
worden waren, sondern durch Besuchsaufenthalte, Aufenthalte zwecks Meldung beim
Jobcenter und sogar Krankenbehandlung im Mai 2006 im Bundesgebiet aufrechterhalten
worden sind. Bei einer solchen Sachlage dürfte die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im
Ausland zur Vermeidung einer weiteren Arbeitslosigkeit bei vorhandenem
objektivierbaren Willen der Fortführung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im
Bundesgebiet nicht bereits zwingend den Schluss auf eine dauerhafte Ausreiseabsicht
erlauben.
Soweit dem Antragsteller vom Antragsgegner und dem Verwaltungsgericht vorgeworfen
wird, dass er die Frage der vorübergehenden Ausreise gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG
durch eine entsprechende Fristverlängerung zur Ausreise hätte klären lassen müssen,
trifft dies so nicht zu. Diese Norm sieht lediglich die Möglichkeit der Verlängerung der
Sechsmonatsfrist von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zur Vermeidung des Erlöschens eines
Aufenthaltstitels mit Ablauf der Sechsmonatsfrist nach Ausreise vor. Die Erforderlichkeit
der Klärung der Frage des vorübergehenden Ausreisewillens vor Ausreise eines
Ausländers durch die Ausländerbehörde im Rahmen der Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr.
6 AufenthG regelt diese Norm nicht.
Hiernach waren der Sofortvollzug von Ausreiseaufforderung und
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Hiernach waren der Sofortvollzug von Ausreiseaufforderung und
Abschiebungsandrohung auszusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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