Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, erlass, verwertungsverbot, verwaltungsbehörde, fahreignung, verwaltungsakt, ausnahmefall, entziehen, sammlung, quelle

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 233.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 13 Nr 2b FeV, § 46 Abs 3 FeV
Fahrerlaubnisentziehung bei wiederholten Zuwiderhandlungen
unter Alkoholeinfluss- Tilgung von Verkehrsverstößen
Leitsatz
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV ist auf den Zeitpunkt der Gutachtenanforderung
abzustellen. Ein danach eintretendes Verwertungsverbot für einen Verkehrsverstoß lässt die
Rechtmäßigkeit der darauf gestützten Gutachtenanordnung nicht entfallen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 16. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, über die gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO die
Berichterstatterin entscheiden kann, ist unbegründet. Das für die Prüfung des
Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Beschwerdevorbringen des Antragstellers (vgl. §
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung des angegriffenen Beschlusses
nicht.
Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs des Antragstellers gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid über
die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragsgegners vom 15. September 2010
wiederherzustellen. Die vom Antragsteller dagegen mit der Beschwerde vorgebrachten
Gründe sind nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu
stellen. Denn daraus ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist
und unter Berücksichtigung dessen im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO das private
Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Bescheids überwiegt.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon
ausgegangen, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
rechtmäßig war. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV i.V.m. § 46
Abs. 3 FeV. Die Vorschrift schreibt zwingend die Beibringung eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens vor, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im
Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Diese Voraussetzungen lagen
im Fall des Antragstellers sowohl bei Erlass der Anordnung als auch bei Ablauf der ihm
gesetzten Frist für die Beibringung des Gutachtens - unstreitig - vor. Der Antragsteller
wurde am 14. März 2000 durch Urteil des Amtsgerichts Senftenberg wegen Trunkenheit
im Verkehr verurteilt und aufgrund einer seit dem 20. August 2009 rechtskräftigen
Entscheidung des Amtsgerichts Stuttgart wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a
StVG (festgestellte Atemalkoholkonzentration: 0,32 mg/l) mit einem Bußgeld belegt.
Zudem fällt ihm eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener
Ortschaften um 26 km/h zur Last, die mit einem seit dem 23. August 2005
rechtskräftigen Bußgeldbescheid geahndet wurde. Bereits die beiden
Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss rechtfertigten die
Anordnung des Gutachtens.
Dagegen wendet die Beschwerde im Kern ein, dass keine wiederholte Zuwiderhandlung
vorliege, weil die mit Urteil vom 14. März 2000 geahndete Trunkenheitsfahrt wegen des
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vorliege, weil die mit Urteil vom 14. März 2000 geahndete Trunkenheitsfahrt wegen des
Verwertungsverbots nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG nicht mehr berücksichtigt werden
dürfe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei nicht auf den Zeitpunkt der
Anordnung des Gutachtens oder den Fristablauf für dessen Beibringung, sondern auf
denjenigen der Entziehungsverfügung bzw. des Widerspruchsbescheids abzustellen; im
Zeitpunkt des Entziehungsbescheids sei die Entscheidung des Amtsgerichts
Senftenberg jedoch bereits getilgt gewesen.
Der Senat folgt dieser Rechtsauffassung nicht. Nach Maßgabe des materiellen Rechts,
wie es in § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV seinen Niederschlag gefunden hat, ist eine
Abweichung von dem sonst bei der Anfechtung von Fahrerlaubnisentziehungen
geltenden Grundsatz, dass die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten
Behördenentscheidung maßgeblich ist, geboten. Das ergibt sich bereits daraus, dass die
Vorschrift bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss
die Anordnung eines Gutachtens zwingend vorsieht, der Fahrerlaubnisbehörde mithin
alternative Handlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Mit der von Gesetzes
wegen zwingenden Gutachtenanordnung wäre es unvereinbar, wenn die nachträgliche
Tilgung von Verkehrsverstößen die Rechtmäßigkeit der Anordnung beeinflussen könnte.
Zudem gebieten Sinn und Zweck der Gutachtenanordnung, die der Abwehr von
Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs dient, eine nachträgliche Tilgung von
Verkehrsverstößen außer Betracht zu lassen. Denn die gesetzlich bestimmte sachliche
Notwendigkeit für die Überprüfung der Fahreignung des Betroffenen durch Einholung
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wird durch die nachträgliche Tilgung nicht
berührt. Ein - wie hier - nach Erlass der Anordnung des Gutachtens eintretendes
Verwertungsverbot für einen Verkehrsverstoß lässt die Rechtmäßigkeit der darauf
gestützten Gutachtenanordnung mithin nicht rückwirkend entfallen (vgl. ebenso OVG
Bautzen, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 3 B 18/08 - juris Rn. 5 f.; OVG Greifswald,
Beschluss vom 13. Februar 2007 - 1 M 13/07 - juris Rn. 7). Dass es sich bei der
Anordnung des Gutachtens nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt, sondern nur
um eine Vorbereitungsmaßnahme im Rahmen des Entziehungsverfahrens handelt,
ändert entgegen der Auffassung der Beschwerde an diesen Erwägungen nichts.
Schließlich trägt auch der Einwand des Antragstellers nicht, dass infolge dieser
Rechtsansicht „faktisch eine zeitlich unbegrenzte Verwertungsmöglichkeit eigentlich
schon getilgter Voreintragungen“ auftrete, wenn nur rechtzeitig die Anordnung zur
Beibringung eines Gutachtens erfolge, so dass die Verwaltungsbehörde auch noch nach
Jahren die Fahrerlaubnisentziehung darauf stützen könne. Abgesehen davon, dass das
vorliegende Verfahren keinen Anhalt für eine derartige zeitliche Vorgehensweise der
Fahrerlaubnisbehörde bietet, ist die Frage einer etwaigen unverhältnismäßigen
Verzögerung des Entziehungsverfahrens und ihrer Rechtsfolge unabhängig von der hier
streitgegenständlichen Auslegung des § 13 Nr. 2 Buchst. b FeV zu beurteilen. Der von
der Beschwerde konstruierte extreme Ausnahmefall kann hierauf keinen Einfluss haben.
Bestehen danach gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Gutachtens vorliegend
keine Bedenken, durfte der Antragsgegner gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 8 Satz 1
FeV auf die mangelnde Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen
schließen und ihm gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die
Fahrerlaubnis entziehen, nachdem der Antragsteller das Gutachten nicht beigebracht
hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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