Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: satzung, anschluss, stand der technik, unechte rückwirkung, befreiung, erlass, amtsblatt, stadt, abwasseranlage, vollstreckung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 A 2.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 4 S 1 GemO BB, § 15
GemO BB, § 15 KomVerfG, § 64
WasG BB, § 66 Abs 3 WasG BB
Freistellung durch die Wasserbehörde vom Anschluss- und
Benutzungszwang; kein schutzwürdiges Vertrauen bei der
Rückwirkungsanordnung in einer Satzung, die einen gesetzlich
vorgesehenen Anschluss- und Benutzungszwang begründet
Tenor
Der Normenkontrollantrag wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Antragsteller darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich mit dem vorliegenden Normenkontrollverfahren gegen die
von der Antragsgegnerin am 16. Dezember 2005 beschlossene und im Amtsblatt für die
Stadt F. vom 30. Dezember 2005 bekannt gemachte Abwasserbeseitigungssatzung, die
u.a. in §§ 6 und 7 eine Verpflichtung des Grundstückseigentümers zum Anschluss seines
Grundstücks an die bestehende öffentliche Abwasseranlage sowie deren Benutzung
enthält (Anschluss- und Benutzungszwang), in § 8 eine Befreiung hiervon vorsieht und
sich in § 27 Rückwirkung zum 20. März 1993 beimisst.
Der Antragsteller ist Eigentümer des im Gebiet der Antragsgegnerin gelegenen
Grundstücks E., auf dem er eine eigene Abwasserkläranlage betreibt. Durch Verfügung
vom 30. August 2004 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, sein
Grundstück an die öffentliche Abwasseranlage anzuschließen und drohte ihm für den Fall
der Zuwiderhandlung den Erlass eines Bußgeldbescheides an. Hiergegen wandte sich
der Antragsteller mit seinem Schreiben vom 20. September 2004 und stellte zugleich
einen Antrag auf Befreiung vom Anschlusszwang, den die Antragsgegnerin mit Bescheid
vom 24. November 2004 unter Hinweis auf die fehlende wasserrechtliche
Nutzungsgenehmigung der Wasserbehörde für den Betrieb der Abwasserkläranlage
ablehnte. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 21.
Dezember 2004 Widerspruch ein, über den die Antragsgegnerin bislang nicht
entschieden hat.
Zur Begründung seines Normenkontrollantrages trägt der Antragsteller vor: Die
Satzungsbestimmungen zum Anschluss- und Benutzungszwang sowie deren
Befreiungstatbestände (§§ 6 bis 8 der Abwasserbeseitigungssatzung) seien rechtswidrig.
Die von dem Antragsteller auf seinem Grundstück betriebene Abwasserkläranlage weise
einen höheren Umweltstandard auf als die öffentliche Abwasseranlage der
Antragsgegnerin. Die Satzung stehe daher nicht im Einklang mit den Möglichkeiten, die §
15 Gemeindeordnung - GO - und § 18 a Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz - WHG -
vorsähen. Der Satzung fehle die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, soweit sie sich in
§ 27 Rückwirkung auf den 20. März 1993 und damit auf einen Zeitpunkt zumesse, in
dem das Brandenburgische Wassergesetz - BbgWG - noch nicht in Kraft getreten sei. Die
Rückwirkungsanordnung verstoße zudem gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG garantierten
Vertrauensschutz, weil dadurch - für den Bürger angesichts diverser
Vorgängersatzungen in nicht mehr überschaubarer Weise - in längst abgeschlossene,
der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingegriffen werde. Insbesondere gebe es
keine Hinweise auf die Ungültigkeit der Abwasserbeseitigungssatzung der
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keine Hinweise auf die Ungültigkeit der Abwasserbeseitigungssatzung der
Antragsgegnerin vom 24. Januar 2003. Der Ersatz dieser wirksamen Satzung durch die
angefochtene Satzung stelle eine unzulässige echte Rückwirkung dar (Hinweis auf
BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1978 - IV C 70.75 -, BauR 1978, 396).
Für den Antragsteller ist in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen.
Der Antragsteller hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Nichtigkeit der Abwasserbeseitigungssatzung der Antragsgegnerin, bekannt
gemacht im Amtsblatt für die Stadt ... vom 30. Dezember 2005, festzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass § 15 GO eine ausreichende gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Satzung darstelle und deren rückwirkendes
In-Kraft-Treten unbedenklich sei, weil es dabei um eine so genannte unechte
Rückwirkung handele. Die Rückwirkungsregelung sei nämlich nur deshalb in die Satzung
aufgenommen worden, um Zweifel an der Gültigkeit der zuvor erlassenen
Schmutzwasserbeseitigungssatzungen auszuräumen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin eingereichten Satzungsunterlagen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Antragstellers entscheiden, da in der
Ladungsverfügung darauf hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zulässig. Er ist fristgerecht innerhalb der Zwei-Jahresfrist des § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO nach der Bekanntmachung der Schmutzwasserbeseitigungssatzung am
30. Dezember 2005 im Amtsblatt für die Stadt ... gestellt worden. Der Antragsteller ist
antragsbefugt, da er als Eigentümer des im Satzungsgebiet gelegenen Grundstücks
gemäß §§ 6 und 7 der Satzung dem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegt. Er hat
auch das erforderliche Interesse an der Prüfung der Satzung, weil diese bisher nicht
außer Kraft getreten ist und sich darauf die von dem Antragsteller angegriffene
Anschlussverfügung sowie die Ablehnung der Befreiung vom Anschlusszwang durch die
Antragsgegnerin stützt.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Die Abwasserbeseitigungssatzung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Verfahrens- oder Formfehler hat der Antragsteller innerhalb der Jahresfrist des § 5 Abs. 4
Satz 1 GO nicht geltend gemacht.
Die Satzung ist auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig.
Es bestehen keine Hinweise darauf, dass §§ 6 bis 8 der Satzung rechtswidrig sein
könnten. Während der in §§ 6 und 7 geregelte Anschluss- und Benutzungszwang den
gesetzlichen Vorgaben des § 15 Abs. 1 GO entspricht, trägt die Bestimmung über die
Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang in § 8 dem in § 15 Abs. 2 GO
eingeräumten Ermessen in sachgerechter Weise Rechnung. Das gilt im Hinblick auf § 15
Abs. 2 Satz 2 GO auch, soweit § 8 eine Freistellung der Gemeinde von der
Abwasserbeseitigungspflicht (vgl. § 66 Abs. 3 BbgWG) voraussetzt, weil eine derartige
Freistellung durch die Wasserbehörde - wie der Ablehnungsbescheid vom 24. November
2004 zeigt - vor allem dann in Betracht kommt, wenn der Abwasserproduzent über eine
Abwasserkläranlage verfügt, die dem Stand der Technik entspricht und für die eine
wasserrechtliche Nutzungsgenehmigung erteilt worden ist (vgl. zu einer solchen
Verwaltungspraxis auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2007 - 12 B
32.07 -, juris). Die Forderung nach einer weiterreichenden satzungsrechtlichen
Befreiungsregelung für eine Abwasserkläranlage wie des Antragstellers, deren legaler
Betrieb nicht durch eine wasserrechtliche Nutzungsgenehmigung belegt ist, lässt sich
schließlich auch nicht aus § 18 a Abs. 1 Satz 2 WHG herleiten, wonach dem Wohl der
Allgemeinheit auch die Beseitigung von häuslichem Abwasser durch dezentrale Anlagen
entsprechen kann. Diese Vorschrift, die den Kommunen mehr Spielraum für die
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entsprechen kann. Diese Vorschrift, die den Kommunen mehr Spielraum für die
„Optimierung ihrer Entsorgungskonzepte“ eröffnen soll, verpflichtet die Gemeinde nicht,
von der Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs bei einer bestehenden
zentralen Abwasserbeseitigungsanlage abzusehen und begründet keinen Anspruch des
Grundstückseigentümers auf Befreiung vom Anschluss an das öffentliche Kanalnetz (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1997 - 8 B 234/97 -, NvwZ 1998, 1080).
Die von dem Antragsteller wegen der Rückwirkungsanordnung in § 27 der Satzung in
Abrede gestellte gesetzliche Befugnis der Antragsgegnerin für eine in die Vergangenheit
wirkende Regelung ergibt sich bereits aus dem in der Kommunalverfassung vom 17. Mai
1990 (vgl. § 15 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise
in der DDR vom 17. Mai 1990 - Kommunal-verfassung -, Gesetzblatt der Deutschen
Demokratischen Republik Teil I vom 25. Mai 1990, S. 255) sowie in der
Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (vgl. § 15 GO i.d.F. vom 15. Oktober 1993,
GVBl. 1993, S. 398) verankerten, dem allgemeinen Wohl dienenden Anschluss- und
Benutzungszwang (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1997, a.a.O.), so
dass es in diesem Zusammenhang auf den zeitlichen Geltungsbereich des BbgWG (hier
insbesondere der §§ 64 ff. BbgWG) nicht ankommt. Entgegen der Auffassung des
Antragstellers verletzt die rückwirkende Anordnung des Anschluss- und
Benutzungszwangs in § 27 der Satzung nicht das verfassungsrechtliche
Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG). Rückwirkend belastende Normen sind nicht
schlechthin unzulässig. Die Grenzen für ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit ergeben
sich vielmehr aus dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz, wobei offen bleiben kann, ob
es sich hier um einen Fall echter oder unechter Rückwirkung handelt (vgl. dazu BVerfG,
Entscheidung vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66 und andere -, BVerfGE 30,
367). Auf ein schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Antragsteller vorliegend nicht
berufen, weil er wegen der in der Kommunalverfassung enthaltenen Ermächtigung der
Antragsgegnerin, durch Satzung einen Anschluss- und Benutzungszwang zu begründen,
bereits im Zeitpunkt der Rückwirkung der angegriffenen Satzung mit einer solchen
Regelung rechnen musste. Darüber hinaus steht hier der Gesichtspunkt des
rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes der Rückwirkung auch deshalb nicht entgegen, da
vor Erlass der Satzung eine - wie der Antragsteller selbst anführt - unklare Rechtslage
bestand, die die Antragstellerin zum Anlass genommen hat, von ihr selbst
angezweifeltes früheres Satzungsrecht durch eine nunmehr gültige Satzung zu ersetzen
(vgl. zu den einzelnen Rechtfertigungsgründen für eine rückwirkende Regelung BVerfG,
Entscheidung vom 23. März 1971, a.a.O.). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die
Zweifel an der Wirksamkeit der Schmutzwasserbeseitigungssatzung der
Antragsgegnerin vom 24. Januar 2003 objektiv begründet sind. Der Verweis des
Antragsstellers auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 1978,
a.a.O., nach dem eine Beitragssatzung in der Regel rückwirkend geändert werden darf,
wenn dies dazu dienen soll, eine unwirksame Satzung durch eine gültige Satzung zu
ersetzen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese zum Erschließungsbeitragsrecht
ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist hier nicht einschlägig, da
sie auf dem abgabenrechtlichen Doppelbelastungsverbot beruht, das auf den
vorliegenden Fall nicht übertragbar ist. Ungeachtet dessen geht auch das
Bundesverwaltungsgericht in einer jüngeren Entscheidung davon aus, dass die
verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Rückwirkungsanordnung nicht (notwendig)
dadurch berührt wird, dass sich die Zweifel an der Gültigkeit einer Satzung als objektiv
unbegründet erweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 1989 - 8 C 83/87 - DVBl 1989,
678, im Anschluss an das Urteil vom 20. Januar 1978, a.a.O.).
Ob im Übrigen mit dem rückwirkenden Erlass der Satzung eine Heilung ursprünglich
fehlerhafter, den Anschluss- und Benutzungszwang konkretisierender Verwaltungsakte
eintreten kann (vgl. zur Konkretisierung des Anschluss- und Benutzungszwangs durch
Verwaltungsakt OVG Münster, Urteil vom 7. März 1994 - 22 A 753/92 -, NVwZ-RR 1995,
244), ist eine andere, die Wirksamkeit der Satzung nicht berührende und daher im
Normenkontrollverfahren nicht zu klärende Frage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit dem hier
entsprechend anwendbaren § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten
Gründe vorliegt.
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