Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.11.2006

OVG Berlin-Brandenburg: besoldung, rechtfertigung, lebenshaltungskosten, anteil, anpassung, bindungswirkung, vergütung, gleichbehandlung, arbeiter, leistungsfähigkeit

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 4.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 4 N 1.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 73 BBesG
Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach
Gesetzesänderung; unterschiedliche Besoldung;
Ungleichbehandlung
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. November 2006 wird abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.865,60 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Darlegungen der Klägerin,
auf die sich die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt (vgl. § 124 a Abs. 4
Satz 4 VwGO), rechtfertigen eine Zulassung der Berufung nicht.
Aus den Darlegungen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Gemessen an den geltend gemachten Aspekten hat das Verwaltungsgericht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit richtig entschieden, dass der Klägerin ein (vom ihr ab
dem 1. Januar 2000 geltend gemachter) Anspruch auf Dienstbezüge ohne eine
Absenkung nach Maßgabe der 2. Besoldungs-Übergangsverordnung - 2. BesÜV - nicht
zusteht.
Insoweit kommt es nicht darauf an, ob - wie von der Klägerin geltend gemacht - die seit
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des § 73
BBesG (Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 - juris) ergangenen Änderungen
des § 73 BBesG und der 2. BesÜV (Verlängerung der Verordnungsermächtigung bis zum
31. Dezember 2009, weitere schrittweise Anhebung des Vomhundertsatzes, vgl.
BBVAnpG 2003/2004 vom 10. September 2003, BGBl. I S. 1798) die Bindungswirkung
der Verfassungsgerichtsentscheidung zumindest - wie die Klägerin meint (Ziffer 1.a. der
Zulassungsgründe) - ab dem Jahr 2005 haben entfallen lassen, so dass sie einer
erneuten Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht (mehr) entgegenstünde. Die
Gesetzesänderungen stellen jedenfalls keine neuen Umstände dar, die zu einer
nochmaligen Vorlage an das Bundesverfassungsgericht Anlass geben könnten. Es
handelt sich insoweit lediglich um die Fortführung der bisherigen Vorgehensweise des
Gesetzgebers, die ursprünglich bis zum 30. September 1992 befristete
Verordnungsermächtigung in § 73 BBesG sukzessive zu verlängern (vgl. im Einzelnen die
Darstellung bei BVerfG, a.a.O., Rn. 6 ff.). Gleiches gilt für die schrittweise Anpassung des
Vomhundertsatzes in § 2 Abs. 1 der 2. BesÜV, der 1991 zunächst bei 60 vom Hundert
lag und in der Folgezeit immer weiter angehoben worden ist (vgl. auch insoweit BVerfG,
a.a.O., Rn. 11 ff.). Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin (Ziffer
1.b.aa. der Zulassungsgründe) nichts für die Annahme, die niedrigere Besoldung der
Beamten im Beitrittsgebiet gemäß § 73 BBesG und der 2. BesÜV gerate nunmehr in
Konflikt mit dem Grundgesetz. Insbesondere lässt sich der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2003 solches nicht entnehmen. Die Frage,
ab wann die unterschiedliche Besoldung ihre Rechtfertigung verliert und folglich
gleichheitswidrig wird, hängt zunächst ab von der Fortdauer oder der Nivellierung der
vom Bundesverfassungsgericht als Rechtfertigung erkannten Unterschiede der
wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse im Beitrittsgebiet und im bisherigen
Bundesgebiet. Dass sich diese Verhältnisse gegenüber den Feststellungen des
Bundesverfassungsgerichts grundlegend geändert hätten, wird nicht dargelegt. Daneben
ergibt sich eine gegebenenfalls schon vor der (völligen) Angleichung der wirtschaftlichen
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ergibt sich eine gegebenenfalls schon vor der (völligen) Angleichung der wirtschaftlichen
und finanziellen Verhältnisse zum Tragen kommende zeitliche Begrenzung der
unterschiedlichen Besoldung durch den Charakter des § 73 BBesG als
Übergangsregelung, die nicht beliebig verlängerbar ist und nicht in ein spezielles
Bundesbesoldungsgesetz „Ost“ bzw. eine dauerhafte Aufrechterhaltung zweier
unterschiedlich bemessener Besoldungen in Ost und West umschlagen darf (BVerfG,
a.a.O., Rn. 113 ff.). Diese Grenze ist ersichtlich nicht schon deshalb erreicht, weil der
Gesetzgeber seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die bisherige
Vorgehensweise einer sukzessiven Verlängerung der Verordnungsermächtigung und
einer schrittweisen Anhebung der Besoldung im Beitrittsgebiet weiterverfolgt hat. Dass
diese Anhebung in den ersten Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung in relativ
kurzer Zeit in stärkerem Maße erfolgt ist, während die Anhebungen in den letzten Jahren
relativ gesehen niedriger ausgefallen sind, wie die Klägerin geltend macht, besagt noch
nichts darüber, dass die unterschiedliche Besoldung in eine dauerhafte
Aufrechterhaltung zweier unterschiedlich bemessener Besoldungen in Ost und West
umgeschlagen wäre. Diese relative Verlangsamung der Anpassung der Bezüge ergab
sich im Übrigen auch schon vor den letzten Erhöhungen durch das BBVAnpG 2003/2004,
ohne dass das Bundesverfassungsgericht diesen Umstand zum Anlass genommen
hätte, hieraus auf eine gegenwärtige oder auch nur sich alsbald abzeichnende
Verfassungswidrigkeit zu schließen.
Die weiteren Einwände der Klägerin (1.b.bb der Zulassungsbegründung), mit denen sie
auf eine besondere Situation im Land Berlin abstellt, wonach fiskalische Aspekte einer
abgesenkten Besoldung nur eine unterordnete Bedeutung hätten (weil anders als im
übrigen Beitrittsgebiet nur ein geringer Anteil der Beamten eine abgesenkte Besoldung
erhielte), begründen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel. Insoweit ist zunächst zu
berücksichtigen, dass sich die Rechtfertigung der unterschiedlichen Besoldung nicht
allein aus rein fiskalischen Interessen, also dem Bemühen, Ausgaben möglichst zu
sparen, ergibt, sondern nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus
den unterschiedlichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen im Beitrittsgebiet
und dem bisherigen Bundesgebiet. Hierzu hat es zusammenfassend ausgeführt (a.a.O.,
Rn. 109):
Nach alledem lassen sich die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und deren
Entwicklung im Beitrittsgebiet noch hinreichend aussagekräftig als allen neuen Ländern -
und gerade ihnen - gemeinsame Folge des Transformationsprozesses erklären. Trotz
der regionalen Unterschiede innerhalb des Beitrittsgebietes und der weitgehend
angenäherten Lebenshaltungskosten zwischen Ost und West ist eine generalisierende
und typisierende Betrachtung der neuen Länder in besoldungsrechtlicher Hinsicht noch
sachlich vertretbar. Die schwache Finanzkraft der neuen Länder stellt als Folge und
Ausdruck der gesamtwirtschaftlichen Situation einen wirtschaftspolitisch noch plausiblen
und besoldungsrechtlich noch hinreichend sachgerechten Grund dafür dar, dass
Beamte, Richter und Soldaten übergangsweise noch immer geringer besoldet werden.
Es kommt hiernach nicht entscheidend und erst recht nicht allein darauf an, in welchem
Umfang sich durch die abgesenkte Besoldung für den Haushalt einer Körperschaft im
Beitrittsgebiet Einsparungen ergeben, sondern allgemein auf die unterschiedlichen
wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zwischen dem Beitrittsgebiet und dem
bisherigen Bundesgebiet. Dass im Übrigen der Hinweis der Klägerin auf den
verhältnismäßig geringen Anteil an Beamten mit abgesenkter Besoldung im Land Berlin
keine Sondersituation Berlins bezeichnet, zeigt sich ohne weiteres daran, dass die
gleiche Situation für den Bereich des Bundes besteht, dessen Beamte ebenfalls -
verfassungsrechtlich beanstandungsfrei (vgl. BVerfG, a.a.O:, Rn. 91) - von der
Absenkung der Besoldung im Beitrittsgebiet betroffen sind.
Die bloße Behauptung der Klägerin, das Bundesverfassungsgericht habe sich mit der
(vermeintlichen) Sondersituation Berlins nicht befasst, ist in dieser Form unsubstantiiert.
Sie trifft im Übrigen nicht zu, wie bereits der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin
festgestellt hat (Urteil vom 16. März 2004 - OVG 4 B 11.02 - juris Rn. 20). Aus dieser
Rechtsprechung, auf die sich das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil stützt,
ergibt sich ferner, dass sich die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Ostteils
der Stadt bzw. Berlins insgesamt von denjenigen des bisherigen Bundesgebietes
unterscheiden (etwa hinsichtlich des Bruttoinlandsproduktes, der Steuerdeckungsquote,
der Arbeitslosenquote, des allgemeinen Preis- und Lohnniveaus und der
sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrenzen). Die Klägerin zeigt keine Aspekte
auf, die die (fortdauernde) Tragfähigkeit dieser Erwägungen in Zweifel ziehen. Soweit sie
auf erstinstanzlichen Vortrag verweist, der sich mit der Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts auseinandersetzt, genügt dies nicht den
Darlegungsanforderungen. Die dortige Kritik geht im Übrigen auf die Untersuchung der
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Darlegungsanforderungen. Die dortige Kritik geht im Übrigen auf die Untersuchung der
verschiedenen Kenngrößen zur Ermittlung der wirtschaftlichen und finanziellen
Verhältnisse in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin (a.a.O. Rn. 25 ff.) nicht
näher ein.
Der Einwand zur Haushaltslage Berlins greift ebenfalls nicht durch. Die prekäre
Haushaltslage des Landes ist offensichtlich und wird von der Klägerin auch durch ihren
Hinweis auf die erfolglose Verfassungsklage des Landes auf Sanierungshilfen des
Bundes nicht in Abrede gestellt. Ihr Rechtsstandpunkt, dass es hierauf bzw. einen
Vergleich mit der Leistungsfähigkeit der alten Bundesländer nicht ankomme,
entscheidend sei vielmehr, dass eine Ungleichbehandlung im Land Berlin bestehe,
obwohl (abgesehen von der Finanzlage) alle sonstigen rechtlichen Gesichtspunkte für
eine Gleichbehandlung sprechen würden, berücksichtigt nicht den vom
Bundesverfassungsgericht angewandten Maßstab. Es kommt hiernach für die
Rechtfertigung der durch § 73 BBesG übergangsweise bewirkten Ungleichbehandlung auf
die unterschiedlichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse im Beitrittsgebiet und
dem bisherigen Bundesgebiet an und nicht darauf, ob im Bereich eines Dienstherrn je
nach Dienstort zum Teil nur eine abgesenkte Besoldung gewährt wird (was sich für Berlin
nicht anders darstellt als für den Bereich des Bundes). Die von der Klägerin noch
angesprochene Vergütung der Arbeiter und Angestellten im Land Berlin besagt nichts
über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 73 BBesG.
Die Rechtssache weist auf der Grundlage der Zulassungsbegründung (dort Ziffer 2.)
keine besonderen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, die die
Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderten. Die Einwände der Klägerin lassen
sich vielmehr ohne weiteres im Zulassungsverfahren ausräumen (s.o.).
Der Rechtssache kommt auf der Grundlage der Zulassungsbegründung (dort Ziffer 3.)
schließlich keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Klägerin
formuliert schon keine konkrete Rechtsfrage, sondern verweist insoweit nur auf die durch
ihre vorangegangenen Ausführungen „zur Prüfung gestellten Rechtsfragen“ und ihre
erstinstanzliche Auseinandersetzung mit dem vg. Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin. Das genügt nicht zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache. Auch jene Ausführungen sind im Übrigen nicht geeignet, einen weiteren
Klärungsbedarf aufzuzeigen. Die entscheidungserheblichen Fragen sind auch für das
Land Berlin durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Kernthese
der Klägerin, das Bundesverfassungsgericht habe die Sondersituation Berlins nicht
behandelt oder nicht (hinreichend) gewürdigt, führt in diesem Zusammenhang schon
deshalb nicht weiter, weil sich daraus - selbst wenn sie zutreffen würde - mit Blick auf die
Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung nichts ableiten ließe.
Außerdem ergibt sich aus den von der Klägerin angeführten Umständen keine relevante
Sondersituation Berlins noch hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner Betrachtung
der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse im Beitrittsgebiet Berlin
unberücksichtigt gelassen (s.o.). Entscheidend war für das Bundesverfassungsgericht,
dass eine generalisierende und typisierende Betrachtung in besoldungsrechtlicher
Hinsicht trotz der regionalen Unterschiede innerhalb des Beitrittsgebietes und der
weitgehend angenäherten Lebenshaltungskosten zwischen Ost und West noch sachlich
vertretbar ist (a.a.O., Rn. 109).
Der Hinweis der Klägerin auf die Angleichung der Löhne bei den Mitarbeitern der
Deutschen Bahn und auf eine für 2009 beabsichtigte Angleichung der Löhne und
Gehälter bei der Bundeswehr begründet ebenfalls keinen weitergehenden
Klärungsbedarf in dieser Rechtssache.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem Zweijahresbetrag der
Differenz zwischen der Besoldung (Endgrundgehalt A 11 nebst ruhegehaltfähiger
Zulagen) nach dem Bundesbesoldungsgesetz und der 2. BesÜV zum Zeitpunkt der
Einleitung der Instanz (vgl. zur Streitwertpraxis des Senats Beschluss vom 16. November
2006 - OVG 4 L 16.06 - sowie Beschluss vom 11. Oktober 2007 - OVG 4 L 29.07 -).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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