Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: trennung der verfahren, kapitalanleger, erlass, aussetzung, bekanntmachung, hauptsache, sammlung, einvernahme, link, quelle

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 6 S 53.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 123 Abs 1 VwGO, § 123 Abs 3
VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, §
920 ZPO, § 7 Abs 1 KapMuG
Einstweilige Anordnung; Aussagegenehmigung; Präsident der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht;
Anordnungsgrund; zivilrechtlicher Schadensersatzprozess;
Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten;
Beweisbeschluss; Vernehmung als Zeuge; Verbindung;
Trennung; Aussetzung; Kapitalanleger-Musterverfahren
Leitsatz
Es besteht kein Anordnungsgrund für eine im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte
Aussagegenehmigung, wenn der zivilgerichtliche Schadensersatzprozess wegen Verletzung
von Kapitalmarktinformationspflichten, in dem die Vernehmung des Zeugen beschlossen ist,
voraussichtlich wegen eines Kapitalanleger-Musterverfahrens ausgesetzt wird.
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Oktober 2010 wird auf die
Beschwerde der Antragsgegnerin mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens des ersten Rechtszuges. Die
Antragsteller zu 1., 2., 10., 12., 14., 15., 16., 19., 37. und 38. tragen die Kosten des
Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Antragsteller, die Schadensersatzklagen gegen die Beigeladene wegen Verletzung
von Kapitalmarktinformationspflichten erhoben haben, begehren im Wege der
einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung einer
Aussagegenehmigung für den Präsidenten der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht J. in den von ihnen beim Landgericht anhängig gemachten
Klageverfahren bzw. in einem diese Rechtsstreitigkeiten verbindenden Musterverfahren
nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). Diesem Antrag hat das
Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 im Hinblick auf die von den
Antragstellern zu 1., 2., 10., 12., 14., 15., 16., 19., 37. und 38. beim Landgericht
München I geführten Verfahren stattgegeben; im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.
Die von der Antragsgegnerin gegen den Beschluss, soweit er den Anträgen stattgibt,
erhobene Beschwerde ist zulässig und begründet. Das für die Prüfung des Senats allein
maßgebliche Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt eine
Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Die Antragsteller haben den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach
§ 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123
Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend
ausgeführt hat, begehren sie mit der Erteilung der Aussagegenehmigung eine
Vorwegnahme der Hauptsache, die dem Zweck des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens widerspricht und deshalb lediglich dann in Betracht kommt,
wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unabdingbar notwendig ist, weil
sonst schwere und unzumutbare und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu
beseitigende Nachteile drohen. Derartige Nachteile sind hier nicht ersichtlich.
Wie die Antragsgegnerin unter Vorlage des Beschlusses vom 21. Oktober 2010 zum
Aktenzeichen 22 O 22586/08 vorgetragen hat, hat das Landgericht München I das
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Aktenzeichen 22 O 22586/08 vorgetragen hat, hat das Landgericht München I das
Verfahren der Antragstellerin zu 1. im Hinblick auf das vor dem Oberlandesgericht
München anhängige Verfahren nach dem Kapitalanleger-Muster-verfahrensgesetz zum
Aktenzeichen KAP 03/10 zeitlich unbefristet ausgesetzt. Mithin droht in diesem
Verfahren derzeit nicht die von den Antragstellern befürchtete Klageabweisung wegen
Verlusts des Beweismittels „S.“.
Auch den übrigen Antragstellern droht absehbar keine Klageabweisung wegen der nicht
vorliegenden Aussagegenehmigung. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob im Hinblick
darauf, dass das Landgericht München I mit Beschluss vom 29. Oktober 2009 unter
anderem die Verfahren der Antragsteller zur Durchführung der Beweisaufnahme
verbunden hat, wobei das Verfahren 22 O 22586/08 der Antragstellerin zu 1. führt, und
nach Angabe des Vorsitzenden Richters am Landgericht Ruderisch eine Trennung der
Verfahren bislang nicht erfolgt ist, die Aussetzung auch die Verfahren der Antragsteller
zu 2., 10., 12., 14., 15., 16., 19., 37. und 38. erfasst. Gegen eine Aussetzung auch dieser
Verfahren spricht allerdings, dass in diesen Verfahren mit Verfügungen vom 20.
Dezember 2010 die Frist zur Beibringung der Aussagegenehmigung jeweils
antragsgemäß bis zum 31. März 2011 verlängert wurde. Jedenfalls ist aber davon
auszugehen, dass nach Bekanntmachung des beim Oberlandesgericht München
anhängigen Musterverfahrens zum Aktenzeichen KAP 03/10 im Klageregister des
elektronischen Bundesanzeigers das Landgericht München I auch die Verfahren der
Antragsteller zu 2., 10., 12., 14., 15., 16., 19., 37. und 38. gemäß § 7 Abs. 1 KapMuG
aussetzen wird. Nach dieser Vorschrift sind nach Bekanntmachung eines
Musterverfahrens im Klageregister von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis
zum Erlass des Musterentscheids noch anhängig werdenden Verfahren auszusetzen,
deren Entscheidung von der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung oder der im
Musterverfahren zu klärenden Rechtsfrage abhängt. Diese Voraussetzungen liegen im
Hinblick auf die zivilrechtlichen Klagen aller Antragsteller vor.
Wie die Antragsteller vorgetragen haben, haben sie identische Klageschriften beim
Landgericht München I eingereicht. Soweit das Landgericht München I im Hinblick auf
das Verfahren der Antragstellerin zu 1. in dem Beschluss vom 21. Oktober 2010
ausgeführt hat, dass die von der Klagepartei gerügten Ad-hoc-Mitteilungspflichten
Gegenstand des anhängigen Kapitalanleger-Musterver-fahrens sind, trifft dies also auch
für die Verfahren der übrigen Antragsteller zu. Der Umstand, dass die Beigeladene mit
an das Landgericht München I gerichtetem Schriftsatz vom 14. Oktober 2010 die
Aufhebung, hilfsweise Berichtigung des Vorlagebeschlusses beantragt sowie mit
Schriftsatz an das Oberlandesgericht vom selben Tag sofortige Beschwerde gegen den
Vorlagebeschluss erhoben hat, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Da auf
Grund dieser Anträge bislang weder das Landgericht München I noch das
Oberlandesgericht München den Vorlagebeschluss aufgehoben haben, das
Oberlandesgericht vielmehr, wie den Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten der
Beigeladenen an dieses Gericht vom 15. und 29. Oktober sowie 16. November 2010 zu
entnehmen ist, die Beigeladene zur Bestimmung eines Musterklägers angehört hat, ist
zur Zeit lediglich von einer Verzögerung der Eintragung auszugehen. Dass das
Landgericht noch vor einer Entscheidung über die Eintragung des Musterverfahrens im
Klageregister die Klageverfahren der Antragsteller zu 2., 10., 12., 14., 15., 16., 19., 37.
und 38. fortsetzt, erscheint im Hinblick auf den Aussetzungsbeschluss vom 21. Oktober
2010 bzw. die gewährten Fristverlängerungen ausgeschlossen.
Soweit die Antragsteller beantragt haben, die Antragsgegnerin im Hinblick auf ein
anstehendes Kapitalanleger-Musterverfahren im Wege einer einstweiligen Anordnung zur
Erteilung der begehrten Aussagegenehmigung zu verpflichten, fehlt es schon deshalb an
einem Anordnungsanspruch, weil derzeit noch kein Beweisbeschluss des
Oberlandesgerichts vorliegt, aus dem sich ergibt, dass eine Einvernahme des
Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beabsichtigt ist. Der
Umstand, dass die Antragsteller in einem derartigen Verfahren gemäß § 12 KapMuG
berechtigt sind, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, erlaubt ihnen
allenfalls, die Vernehmung des Zeugen S. zu beantragen; ein entsprechender
Beweisbeschluss des Oberlandesgerichts ist insoweit nicht entbehrlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren für erstattungsfähig zu erklären, weil
die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat
(vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2
Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache kommt
eine Reduzierung des Auffangstreitwertes nicht in Betracht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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