Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 11.09.2006

OVG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, überwiegendes öffentliches interesse, eugh, dienstleistungsfreiheit, europäisches gemeinschaftsrecht, vollziehung, firma

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 115.06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 11. September 2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 300.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die im Februar 2001 mit Sitz in Berlin gegründete, nicht börsennotierte Antragstellerin
betätigt sich nach eigener Darstellung im Beschwerdeverfahren als
Dienstleistungsunternehmen für den in Gibraltar unter der Firma D. ansässigen
Veranstalter von Oddset-Sportwetten sowie für den Vermittler von Sportwetten B., der
für diese Tätigkeit im Besitz einer unbefristeten DDR-Lizenz aus dem Jahre 1990 sein
soll. Die Firma D. ist von der Regierung in Gibraltar als Anbieter von Sportwetten mit der
„Gaming Licence No. …“ für das „Offshore-Buchmachergeschäft“ lizensiert. Die
Dienstleistungen der Antragstellerin bestehen nach ihren Angaben in Aufbau und Betrieb
der Internetseite, einer deutschsprachigen Hotline sowie der Werbung für die Firma D..
Als solche wirbt die Antragstellerin u. a. auf der Grundlage eines im September 2005
geschlossenen Vertrages als „Exklusiv Partner von Hertha BSC“ während der Heimspiele
der Lizenzspielermannschaft von Hertha BSC im Rahmen des Spielbetriebs der
Fußballbundesliga im Berliner Olympiastadion für ihre Marken „d.“ und „W.“.
Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin untersagte der
Antragstellerin mit Verfügung vom 18. August 2006 unter Anordnung der sofortigen
Vollziehung jegliche Art der Veranstaltung, Vermittlung und Werbung für Sportwetten,
weil derartiges Verhalten Privatpersonen ohne behördliche Erlaubnis im Land Berlin
verboten sei und zudem den Straftatbestand des § 284 StGB erfülle. Den gegen diese
Verfügung erhobenen Widerspruch hat der Antragsgegner zwischenzeitlich durch
Widerspruchsbescheid vom 4. September 2006 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete
Klage vom 7. September 2006 wird beim Verwaltungsgericht Berlin unter dem
Geschäftszeichen VG 35 A 247.06 geführt.
Die Antragstellerin hatte beim Verwaltungsgericht Berlin beantragt, die aufschiebende
Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag
mit Beschluss vom 11. September 2006 mit der Begründung abgelehnt, die
Antragstellerin betreibe unerlaubtes Glücksspiel im Sinne von § 284 StGB. Sie halte in
ihren Verkaufskiosken im Olympiastadion Unterlagen zum Abschluss von Sportwetten
bereit und veranstalte insbesondere auch durch die Erstellung eines Internetauftritts für
deutsche Teilnehmer entweder selbst Glücksspiele, leiste jedenfalls Beihilfe dazu oder
stelle zumindest Einrichtungen hierfür bereit. Weil weder sie noch die Firma D. in
Gibraltar hierfür eine Erlaubnis für das Land Berlin besäßen, stelle ihre Tätigkeit einen
Verstoß gegen § 284 StGB und damit gleichzeitig eine Gefahr für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung dar. Die in Gibraltar erteilte Konzession gelte nicht in Berlin. Aus
Gemeinschaftsrecht ergebe sich nichts Gegenteiliges. Auf die Herrn H. nach DDR-Recht
erteilte Genehmigung zur Veranstaltung von Sportwetten komme es nicht an. Die
Untersagungsverfügung stelle weder einen rechtswidrigen Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, noch könne sie
sich mit Erfolg auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten gem. Art. 43 und 49 EG-
Vertrag berufen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch durch überwiegende
öffentliche Interessen im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gerechtfertigt.
Unabhängig von einer Strafbarkeit der unerlaubten Vermittlung gewerblich
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Unabhängig von einer Strafbarkeit der unerlaubten Vermittlung gewerblich
veranstalteter Sportwetten, seien diese als ordnungsrechtlich verboten anzusehen.
Dieses Verbot begründe bereits ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung.
Gleichrangige private Interessen der Antragstellerin stünden dem nicht gegenüber.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
II.
Die nach §§ 146 und 147 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor: Die
aufschiebende Wirkung der Klage sei wiederherzustellen, weil Ziffer 1 der
Untersagungsverfügung im Bescheid vom 18. August 2006 jedenfalls gegen
europäisches Gemeinschaftsrecht verstoße. Denn das Bundesverfassungsgericht habe
in seinem Urteil vom 28. März 2006 zu dem mit der Rechtslage in Berlin
übereinstimmenden bayerischen Sportwettenmonopol entschieden, dass dieses mit Art.
12 Abs. 1 GG unvereinbar sei. Dabei habe das Bundesverfassungsgericht sowohl Defizite
bei der landesgesetzlichen Regelung selbst als auch bei deren Vollzug festgestellt.
Zugleich habe das Gericht betont, dass die Anforderungen des deutschen
Verfassungsrechts in Fällen mit Gemeinschaftsrechtsbezug parallel zu den vom
Europäischen Gerichtshof formulierten Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen
seien. Blieben aber die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts nicht hinter denjenigen des
Grundgesetzes zurück, verstießen die Rechtsvorschriften der Bundesländer zu
Sportwetten in ihrer derzeitigen Ausgestaltung eindeutig gegen Art. 43 bzw. 49 des EG-
Vertrages. Eine bloße -im übrigen bisher nicht ausreichende - Veränderung der
Anwendungspraxis der defizitären Norm könne den Gemeinschaftsrechtsverstoß nicht
ausräumen. Verfassungskonforme und damit auch gemeinschaftsrechtskonforme
Zustände würden erst mit einer Neuregelung des Sportwettenrechts durch den
Gesetzgeber erreicht. Bis dahin komme der allgemein anerkannte Anwendungsvorrang
des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zum Tragen. Die
Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vermöge nur den nationalen
Verfassungsverstoß zu überbrücken. Das Bundesverfassungsgericht sei aber nicht
befugt, unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht, wie die Grundfreiheiten
vorübergehend zu suspendieren.
Unabhängig hiervon sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung unverhältnismäßig.
Gewichtige öffentliche Interessen am Sofortvollzug bestünden nicht. Namentlich sei die
Bekämpfung der Spielsuchtgefahr nicht eilbedürftig; es bestehe insoweit ein klarer
Wertungswiderspruch zur Behandlung des Automatenspiels. Demgegenüber seien die
wirtschaftlichen Belange der Antragstellerin und des Bundesligisten Hertha BSC Berlin
von erheblichem Gewicht.
Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin, das das Oberverwaltungsgericht gemäß
§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigt keine Änderung des
angefochtenen Beschlusses. Die Klage der Antragstellerin gegen die
Untersagungsverfügung vom 18. August 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 4. September 2006 hat unter dem mit der Beschwerde
allein geltend gemachten Gesichtspunkt der Verletzung von Gemeinschaftsrecht bei der
im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ist
insoweit nicht zu beanstanden.
1. Von der Beschwerde unbeanstandet ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen,
dass die Dienstleistungen der Antragstellerin für die Firma D. in Gibraltar eine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 17 Abs. 1 ASOG Bln darstellten,
weil ein von staatlichen Stellen des Landes Berlin nicht erlaubtes Veranstalten oder
Bewerben von Sportwetten den objektiven Straftatbestand des § 284 StGB erfülle und
landesrechtliche Normen der Erlaubnispflicht für Sportwettenangebote Privater verletze.
2. Ebenso wenig greift die Beschwerdebegründung die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts zur übergangsweisen Fortgeltung der landesrechtlichen Vorschriften
über das in seiner derzeitigen normativen Ausgestaltung mit dem Grundrecht aus Art.
12 Abs.1 GG unvereinbare staatliche Sportwettenmonopol (dazu BVerfG, Urteil vom 28.
März 2006 – 1 BvR 1054/01 -, NJW 2006, 1261 ff.) im Land Berlin an. Soweit die
Beschwerde beiläufig geltend macht, auch im Land Berlin seien die vom
Bundesverfassungsgericht festgestellten Defizite in der Anwendungspraxis des
staatlichen Sportwettenmonopols noch nicht abgestellt, so dass den an die
Weitergeltungsanordnung geknüpften Maßgaben des verfassungsgerichtlichen Urteils
nicht genügt sei, entspricht sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4
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nicht genügt sei, entspricht sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4
Satz 3 VwGO, weil sie sich mit den gegenteiligen Gründen der angefochtenen
Entscheidung nicht auseinandersetzt.
3. Die allein auf Verletzung von Gemeinschaftsrecht gestützte Beschwerde vermag dem
Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das
strafbewehrte Verbot der Veranstaltung von privaten Sportwetten beschränkt zwar die
Dienstleistungsfreiheit des den privaten Sportwettenanbieter unterstützenden
Unternehmens, ist aber im Ergebnis gerechtfertigt. Obwohl anzunehmen ist, dass
werbende, vermittelnde und dienstleistende Tätigkeiten für Sportwetten eines EG-
ausländischen Wettanbieters zur gemeinschaftsrechtlichen Freiheit des
Dienstleistungsverkehrs gehören, scheitert die Anwendung des innerstaatlichen Rechts
nicht am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.
a) Der Senat geht zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass die genannten
Tätigkeiten für von EG-ausländischen Buchmachern veranstaltete Sportwetten der
Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 ff. EG-Vertrag unterfällt, ohne jedoch der weiteren
Frage nachgegangen zu sein, ob die dem Wettanbieter erteilte Konzession diesen auch
in Gibraltar zu entsprechendem Tätigwerden berechtigt. Sollte dies - wie der
Antragsgegner behauptet - nicht der Fall sein, ist bereits fraglich, ob überhaupt ein
gemeinschaftsrechtlicher Bezug besteht. Denn ein Inhaber einer derart beschränkten
Erlaubnis könnte sich nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, da diese nach der
ständigen Rechtsprechung des EuGH voraussetzt, dass der Dienstleistende in einem
anderen Mitgliedstaat rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt (vgl. EuGH, Urteil
vom 29. November 2001 -C-17/00 [De Coster]-, http://curia.europa.eu/de, Rn. 29; Urteil
vom 24. März 1994 –C275/92 [Schindler]-, NJW 1994, 2013 Rn. 43). Daran dürfte es
fehlen, wenn dem Konzessionsinhaber ein Tätigwerden im Ausstellerstaat untersagt ist.
Ungeachtet dessen wird der grenzüberschreitende Bezug der Tätigkeit von
Wettvermittlern auch mit der Erwägung in Frage gestellt, dass das Verhältnis zwischen
Wettvermittler und -kunde rein innerstaatlich zu qualifizieren sei. Auf die von EG-
ausländischen Wettanbietern (Buchmachern) gegenüber den Wettkunden
wahrgenommene Dienstleistungsfreiheit könne sich der Wettvermittler nicht berufen; er
könne deren Grundfreiheiten nicht in eigenem Namen geltend machen (vgl. OVG
Koblenz, Beschluss vom 28. September 2006 -6 B 10895/06-, juris Rn. 15 bis 18 m.w.N.).
Aus der Sicht des Senats spricht demgegenüber vieles dafür, dass auch die im Inland
stattfindende Vermittlung von im EG-Ausland ansässigen Buchmachern veranstalteten
Sportwetten und entsprechende Dienstleistungen die erforderliche
grenzüberschreitende Dimension aufweist und daher an der Dienstleistungsfreiheit
teilnimmt. In der Rechtssache Zenatti (Urteil vom 21. Oktober 1999 -C-67/98 -, GewArch
2000, 19 Rn. 24, 25) hat der EuGH dargelegt, dass eine Tätigkeit, die die Teilnahme an
einem Glücksspiel ermöglicht, in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit
falle, sobald wenigstens einer der Leistungsanbieter in einem anderen Staat als dem
niedergelassen sei, in dem die Leistung angeboten werde. Die Leistungen, die der
Veranstalter der Wetten und seine Bevollmächtigten erbrächten, wiesen einen
grenzüberschreitenden Charakter auf. Diese Ausführungen lassen sich (nur) in dem
Sinne verstehen, dass nicht nur die im EG-Ausland ansässigen Wettanbieter, sondern
auch ihre im Inland tätigen Hilfspersonen die Dienstleistungsfreiheit für sich in Anspruch
nehmen können. Jedenfalls differenziert der EuGH für den grenzüberschreitenden
Charakter der Leistung, der Bereitstellung von Gewinnchancen, nicht zwischen den
beiden Erbringern dieser Leistung. Dass der EuGH in der Rechtssache Gambelli (Urteil
vom 6. November 2003 -C-243/01-, NJW 2004, 139 Rn. 58) die Rechtsstellung des
Wettvermittlers in Bezug auf die Grundfreiheiten nicht ausdrücklich gewürdigt hat,
obwohl sich das strafrechtliche Ausgangsverfahren gegen Sportwettvermittler richtete,
kann keine hinreichende Grundlage für die Annahme bieten, die Vermittler kämen nicht
auch selbst in den Genuss der Dienstleistungsfreiheit. Die vom Wettvermittler kraft
Vertrages mit dem Veranstalter zu erbringende Leistung in Gestalt der Weiterleitung der
Sportwetten hat grenzüberschreitenden Bezug (vgl. Korte, NVwZ 2004, 1449 [1451]).
Nichts anderes dürfte für Erbringer anderer Dienstleistungen für Anbieter von
Sportwetten gelten.
b) Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts löst entgegen der Ansicht der
Antragstellerin vorliegend nicht die Verpflichtung aus, das landesrechtliche Monopol für
Sportwetten und den dieses flankierenden Straftatbestand des § 284 StGB
unangewendet zu lassen. Die Nichtanwendungspflicht mitgliedstaatlichen Rechts setzt
voraus, dass bei der Anwendung von gemeinschafts- und innerstaatlichem Recht auf
denselben Sachverhalt eine Normkollision auftritt. Daran fehlt es, nachdem das
Bundesverfassungsgericht durch das Urteil vom 28. März 2006 eine inhaltlich
modifizierte und bis Ende 2007 befristete Weitergeltung des als verfassungswidrig
erkannten staatlichen Wettmonopols angeordnet hat.
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Das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die unmittelbar innerstaatlich wirkenden
Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten zeichnen sich durch einen
Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem innerstaatlichen Recht aus (vgl.
nur EuGH, Urteil vom 9. März 1978 -106/77 [Simmenthal]-, NJW 1978, 1741; Urteil vom
22. November 2005 -C-144/04 [Mangold/Helm]-, NJW 2005, 3695 Rn. 77; BVerwG, Urteil
vom 25. Mai 2005 -2 C 14/04-, NVwZ 2005, 1080 [1081] m.w.N.). Auf die Frage, ob und
unter welchen Voraussetzungen dieser gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang im
Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht suspendiert werden kann (dazu OVG Münster,
Beschluss vom 28. Juni 2006 -4 B 961.06- NVwZ 2006, 1078 ff., juris Rn. 36 ff.;
Vorlagebeschluss des VG Köln vom 21. September 2006 -1 K 5910/05-), kommt es nicht
an. Denn die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit einerseits und die Anwendung des
vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der modifizierten Weitergeltungsanordnung
geschaffenen Übergangsrechts lässt einen Normkonflikt in Bezug auf die nicht erlaubte
und strafbewährte Tätigkeit der Antragstellerin nicht entstehen (im Ergebnis ebenso:
VGH Mannheim, Beschluss vom 28. Juli 2006, -6 S 1987/05-, juris Rn. 7; VGH München,
Beschluss vom 10. Juli 2006 -22 BV 05.457-, juris Rn. 42; OVG Bremen, Beschluss vom 7.
September -1 B 273/06-, S. 9 des Umdrucks; VGH Kassel, Beschluss vom 25. Juli 2006 -
11 TG 1465/06-, juris Rn. 42). Dies verkennt die Beschwerde der Antragstellerin.
Nach der Rechtsprechung des EuGH können mitgliedstaatliche Vorschriften zur
Beschränkung von Glücksspielen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie
den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Störungen der
sozialen Ordnung gerechtfertigt sein. Dabei ist es dem Ermessen der Mitgliedstaaten
überlassen zu beurteilen, ob und welche einschränkenden Maßnahmen zur Erreichung
dieser Ziele notwendig sind. Die Beschränkungen, die auf solche Gründe gestützt sind,
müssen aber geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu
gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten
beitragen. Auch eine begrenzte Erlaubnis von Glücksspielen im Rahmen von
Ausschließlichkeitsrechten, die den Vorteil bietet, die Spiellust und den Spielbetrieb zu
kanalisieren, die Risiken der Betrugs- und sonstigen Begleitkriminalität auszuschalten
und die sich ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, dient der
Verwirklichung der am Allgemeininteresse ausgerichteten Ziele. Eine solche Begrenzung
ist aber nur zulässig, wenn sie in erster Linie wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten
zum Spiel zu vermindern, und wenn die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe der
Erlöse nur eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen
restriktiven Politik ist. Ermuntern die Mitgliedstaaten die Verbraucher zur Teilnahme an
Glücksspielen im Interesse der Einnahmenerzielung, können sie sich zur Rechtfertigung
von Glücksspielbeschränkungen nicht auf die öffentliche Sozialordnung und die darin
begründete Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spielen zu vermindern, berufen. Die
Aufgabe zu prüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften angesichts ihrer konkreten
Anwendungsmodalitäten wirklich den Zielen dienen, die sie rechtfertigen könnten, und
ob die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen
stehen, obliegt den nationalen Gerichten (Urteil vom 6. November 2003 [Gambelli],
a.a.O. Rn. 62, 67, 69 und 75; Urteil vom 21. Oktober 1999 [Zenatti], a.a.O. Rn. 35 – 37).
Dass der EuGH von dieser Rechtsprechung abrücken könnte, legt auch der
Schlussantrag des Generalanwalts vom 16. Mai 2006 in der Rechtssache Placanica u.a.
(C-338/04, 359/04 und 360/04; http://curia.europa.eu/de) nicht nahe; danach sei die
italienische Strafdrohung, eine bis zu dreijährige Freiheitsstrafe, für die ungenehmigte
Wettvermittlung unverhältnismäßig.
Gemessen an diesen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen stellt sich das staatliche
Wettmonopol in der Gestalt, die es durch die mit einer Maßgabe versehene befristete
Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts erhalten hat, als
gerechtfertigte Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dar. Die den Mitgliedstaaten
vom EuGH zugestandene Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die Notwendigkeit
nationaler Beschränkungen für Sportwetten hat das Bundesverfassungsgericht
höchstrichterlich ausgeübt. Es hat seiner Entscheidung aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisse zum Suchtpotenzial von Sportwetten zugrunde gelegt, womit auch der
Forderung des EuGH, dass Rechtfertigungsgründe von einer Untersuchung zur Zweck-
und Verhältnismäßigkeit der beschränkenden Maßnahmen begleitet sein müssten (vgl.
Urteil vom 13. November 2003 -C-42/02 [Lindman]-, http://curia.europa.eu/de, Rn. 25),
genüge getan sein dürfte. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht das Bayerische
Staatslotteriegesetz deswegen für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG erklärt, weil das
staatliche Wettmonopol nicht konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren
ausgerichtet ist. Das Bundesverfassungsgericht hat damit gerade auch ein normatives
Regelungsdefizit in Bezug auf materielle und strukturelle Vorkehrungen zur
Suchtbekämpfung und zur Begrenzung der Wettleidenschaft beanstandet. Zugleich hat
es als Ergebnis seiner verfassungsrechtlichen Ausführungen die Parallelität der
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es als Ergebnis seiner verfassungsrechtlichen Ausführungen die Parallelität der
verfassungsrechtlichen und der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben festgestellt. Danach
entsprechen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts an die Rechtfertigung eines
staatlichen Monopols denen des Grundgesetzes (Rn. 144 des Urteils). Daraus lässt sich
aber nicht der Schluss ziehen, dass sich das staatliche Wettmonopol bis zu einer
landesrechtlichen Neuregelung im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht befinde und
deswegen unangewendet bleiben müsse, weil dem Europarecht Übergangsfristen zur
Erreichung eines europarechtskonformen Zustandes fremd seien (so aber etwa VG
Potsdam, Beschluss vom 11. September 2006 -3 L 312/06-, S. 6 ff. des Umdrucks; VG
München, Urteil vom 21. Juni 2006 -M 16 K 05.2229-, S. 22 des Umdrucks m.w.N.;
Vallone/Dubberke, GewArch 2006, 240 [241]) .
Vielmehr genügt das landesrechtliche Wettmonopol bei Beachtung der in den Gründen
des Urteils des Bundesverfassungsgerichts niedergelegten Maßgabe für die weitere
Anwendbarkeit der landesrechtlichen Vorschriften zum Lotteriewesen in seiner konkreten
Anwendung – und damit in der Diktion des EuGH: angesichts seiner konkreten
Anwendungsmodalitäten – den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben an eine kohärente
und systematische Begrenzung der Wetttätigkeiten. Die vom Bundesverfassungsgericht
für die Übergangszeit ausgesprochene inhaltlich modifizierte Weitergeltung der
landesrechtlichen Vorschriften trägt den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen in der
Sache Rechnung und bindet als gesetzesvertretendes Übergangsrecht kraft § 31 Abs. 1
BVerfGG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und
Behörden.
Inhaltlich verlangt die verfassungsgerichtliche Maßgabe, dass unverzüglich ein
Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und
der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des
staatlichen Monopols andererseits herzustellen ist (Rn. 157 des Urteils). Mit dieser
Maßgabe wird zugleich dem vordringlichen Anliegen der gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben, dass die Erzielung von Einkünften für fiskalische, soziale und karitative Zweck
nicht der Hauptzweck der Wettbeschränkung sein darf, entsprochen. Die mit der
Maßgabe versehene verfassungsgerichtliche Weitergeltungsanordnung, der für den
Freistaat Bayern gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft zukommt (vgl. dazu die
Veröffentlichung der Entscheidungsformel in BGBl. I, 1161), bildet während der
verfassungsgerichtlich eingeräumten Übergangszeit als gesetzesvertretendes
Übergangsrecht die Rechtsgrundlage für das staatliche Wettmonopol auch in den
übrigen Bundesländern, auf deren Rechtslage die verfassungsrechtliche Bewertung
gleichermaßen zutrifft. Mit der Weitergeltungsanordnung hat das
Bundesverfassungsgericht die durch die Unvereinbarkeitserklärung ausgelöste
Anwendungssperre für das Bayerische Staatslotteriegesetz aufgehoben. Es wird
angenommen, dass in einem solchen Falle die verfassungsgerichtliche
Weitergeltungsanordnung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung die Rechtsgrundlage für
die Realisierung des mit der für verfassungswidrig erklärten Norm verfolgten Anliegens
darstellt (vgl. Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand März
2006, § 35 Rn. 46 unter Bezugnahme auf BVerfGE 98, 169 [215]). Nach anderer Lesart
erteilt das Bundesverfassungsgericht einer verfassungswidrigen Norm mit der
Anordnung ihrer weiteren Geltung keinen eigenen Normanwendungsbefehl, sondern
ermöglicht, indem es von der Nichtigerklärung absieht, nur die befristete Fortgeltung
(vgl. M. Graßhof, in Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], BVerfGG, 2. Auflage, § 78 Rn.
38). Auf die Unterschiede in der dogmatischen Begründung der Rechtsnatur des
Übergangsrechts kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang nicht an, da nach
dem einen wie dem anderen Verständnis die fragliche Norm trotz ihrer
Verfassungswidrigkeit anwendbar bleibt. Diese vorübergehende Anwendbarkeit ist
allerdings mit einer inhaltlichen Modifizierung „nach Maßgabe der Gründe“ verbunden,
wodurch das Bundesverfassungsgericht der Sache nach als Ersatzgeber
gesetzesvertretendes Übergangsrecht geschaffen hat (vgl. Bethge, a.a.O., § 35 Rn. 29;
Heusch, in Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], a.a.O., § 31 Rn. 82). Es hat damit auch
nicht, wie die Antragstellerin meint, jenseits seiner Kompetenz unmittelbar geltendes
Gemeinschaftsrecht vorübergehend suspendiert, sondern lediglich den den
Anwendungsvorrang auslösenden Normkonflikt zwischen Gemeinschaftsrecht und
nationalem Recht aufgelöst.
Sämtliche in § 31 Abs. 1 BVerfGG genannten staatlichen Stellen haben aufgrund ihrer
Bindung die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts einschließlich der sie
tragenden Gründe in Bezug auf die Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes auch
in Parallelfällen zu beachten. Ein Parallelfall ist anzunehmen, wenn ein im Wesentlichen
gleichgelagerter Sachverhalt auf der Grundlage der bindenden Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts keine abweichende verfassungsrechtliche Bewertung
rechtfertigt (vgl. Heusch, a.a.O., § 31 Rn. 68). Stellt sich, wie im Land Berlin, die
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rechtfertigt (vgl. Heusch, a.a.O., § 31 Rn. 68). Stellt sich, wie im Land Berlin, die
gesetzliche Ausgestaltung des Wettmonopols ebenso wie im Freistaat Bayern dar,
entfaltet das Urteil vom 28. März 2006 im Hinblick auf die weitere, aber inhaltlich
modifizierte Anwendung des landesrechtlichen Monopols für Sportwetten
Bindungswirkung auch für die hiesigen staatlichen Stellen.
4. An der sofortigen Vollziehung der gegen die Antragstellerin ergangenen
Untersagungsverfügung besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse.
Aus dem Umstand, dass die Vermittlung von unerlaubten Sportwetten nach den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Übergangszeit trotz der festgestellten
Unvereinbarkeit des staatlichen Wettmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG als
ordnungsrechtlich verboten angesehen werden kann, folgt – unabhängig von der
Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung dieses Tatbestandes – zugleich ein
besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung, da nur so die mit dem Verbot
verfolgten Schutzzwecke auch während der Übergangszeit sichergestellt werden können
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. September 2006 -1 BvR 2399/06-, www.bverfg.de Rn. 10
m.w.N.). Eines Nachweises besonderer Gefahren für die Allgemeinheit bedarf es nicht
(vgl. VGH Kassel, a.a.O. Rn. 49).
Diesen die sofortige Vollziehung rechtfertigenden öffentlichen Interessen stehen keine
gleichrangigen privaten Interessen der Antragstellerin an der Fortsetzung ihrer
gewerblichen Tätigkeit gegenüber. Die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens darauf, dass
sie ihr Gewerbe als Dienstleisterin für private Sportwetten weiterhin ungehindert
betreiben kann, ist schon deshalb eingeschränkt, weil sie diese Tätigkeit in Kenntnis der
entgegenstehenden nationalen Rechtsvorschriften und mit dem Risiko einer die
Rechtmäßigkeit staatlicher Sportwettenmonopole bestätigenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung aufgebaut und ausgeweitet hat. Ihre unternehmerische Entscheidung
war deshalb von vornherein risikobehaftet; allein auf den Verlust künftiger Einnahmen
und Entwertung von Investitionen gestützte wirtschaftliche Interessen überwiegen die
entgegenstehenden öffentlichen Belange nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und Ziffern 54.2.1, 1.5 der
Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung Juli
2004 (NVwZ 2004,1327). Mangels anderer Erkenntnisse über den für die
Streitwertbemessung maßgeblichen Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns
der Antragstellerin, insbesondere der Vergütung ihrer Dienstleistungen durch die Firma
D., hat der Senat keine Veranlassung, die vom Verwaltungsgericht am Wert des
Werbevertrages mit Hertha BSC orientierte Streitwertfestsetzung in Zweifel zu ziehen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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