Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 19.11.2007

OVG Berlin-Brandenburg: befangenheit, link, quelle, sammlung, ausschluss, verfahrensbeteiligter, rüge, missbrauch, verfahrensgegenstand

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 5 N 2.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 124
Abs 2 Nr 5 VwGO, § 45 Abs 1
ZPO
Besorgnis der Befangenheit: Fehlerhafte Entscheidung des
erstinstanzlichen Gerichts über einen Ablehnungsantrag als
berufungsrelevanter Verfahrensfehler; Folgen einer Mitwirkung
des abgelehnten Richters an der Entscheidung über den
Befangenheitsantrag
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 19.
November 2007 wird auf den Antrag des Klägers zugelassen.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist begründet.
Bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Klägers im Beschluss vom 19.
November 2007 ist der Kammer ein der Beurteilung des Berufungsgerichts
unterliegender Verfahrensfehler unterlaufen, indem der Kammervorsitzende K. bei der
Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch mitgewirkt hat.
Grundsätzlich stellt die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs eine der Überprüfung
im Berufungszulassungsverfahren entzogene unanfechtbare Vorentscheidung dar (§§
146 Abs. 2, 173 VwGO, § 512 ZPO). Sie ist daher regelmäßig nicht geeignet, einen
Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu begründen (vgl. OVG
Münster, Beschluss vom 7. August 2001 - 1 A 3047.01 -, Juris Rn. 2; OVG Lüneburg,
Beschluss vom 8. Januar 2002 - 1 MA 3669.01 -, Juris Rn. 7 ff.). Die Rüge der unrichtigen
Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs ist ausnahmsweise jedoch beachtlich, wenn die
zurückweisende Entscheidung zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt (vgl.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. September 2008 - OVG 9 N 100.08 -, Juris
Rn. 3; VGH München, Beschluss vom 6. März 2008 - 15 ZB 07.429 -, Juris Rn. 17; ferner
für das Revisionsverfahren Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15. Mai 2008 -
BVerwG 2 B 77.07 -, Juris Rn. 6). Diese Voraussetzung liegt vor, da der abgelehnte
Vorsitzende der Kammer bei der Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch mitgewirkt
hat und die Kammer bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch Bedeutung und
Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.
Gem. § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet in den Fällen, in denen ein
Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wird, grundsätzlich das Gericht,
dem der abgelehnte Richter angehört, ohne dessen Mitwirkung. Es ist lediglich dann die
Mitwirkung des abgelehnten Richters im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
unbedenklich, wenn ein gänzlich untaugliches bzw. rechtsmissbräuchliches
Ablehnungsgesuch vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 1 BvR
1273.07 -, Juris Rn. 19). Davon ist vorliegend jedoch nicht auszugehen. Als
rechtsmissbräuchlich ist das Ablehnungsgesuch etwa zu qualifizieren, wenn alle Richter
eines Gerichts abgelehnt werden, das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet
wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen
können, oder wenn gegen den Richter unqualifizierte Angriffe wegen seiner angeblich
rechtsstaatswidrigen Rechtsfindung erhoben werden. Völlige Ungeeignetheit ist
anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den
Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche
Gesuche in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach
der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des
Richters ergeben (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 19 ff.). Da ein vereinfachtes
Ablehnungsverfahren nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen
offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, ist eine enge
Auslegung der dafür maßgeblichen Voraussetzungen geboten. Danach scheidet die
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Auslegung der dafür maßgeblichen Voraussetzungen geboten. Danach scheidet die
Bewertung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig aus, wenn ein - auch nur
geringfügiges - Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erforderlich ist (BVerfG,
a.a.O., Rn. 21).
Gemessen daran war das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 19. November 2007
weder rechtsmissbräuchlich noch gänzlich untauglich. Es erforderte ein - zudem
erhebliches - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand. Es hat ausführlich thematisiert,
dass der abgelehnte Vorsitzende den anberaumten Termin nicht verschoben hat,
obwohl über die PKH-Beschwerde noch nicht entschieden war. Ferner hat es die
Begründung des Vorsitzenden aufgegriffen, nach der die geltend gemachte
Terminskollision für eine Verlegung nicht ausreiche. Die Annahme der Kammer in ihrem
Beschluss vom 19. November 2007, der Kläger wolle die Besorgnis der Befangenheit
nicht aus den in seinem Ablehnungsgesuch dargelegten Gründen geltend machen, da er
sein Befangenheitsgesuch erst am Tag der auf 12.45 Uhr festgesetzten mündlichen
Verhandlung um 10.30 Uhr übermittelt habe, um dem Gericht keine
Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Gründen zu ermöglichen, ist haltlos. Ein
Verfahrensbeteiligter muss sich bei der Entscheidung, wann er ein Ablehnungsgesuch
stellt, nicht von der Frage leiten lassen, ob es dem Gericht möglich sein wird, über das
Ablehnungsgesuch so zeitig zu entscheiden, dass ein anberaumter Termin zur
mündlichen Verhandlung noch durchgeführt werden kann (vgl. dazu auch § 47 Abs. 2
ZPO). Erst wenn ein Beteiligter sich in eine Verhandlung einläßt oder Anträge stellt, ohne
den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, steht ihm nach § 54 Abs. 1
VwGO i.V.m. § 43 ZPO das Ablehnungsrecht nicht mehr zu. Die Schlussfolgerung der
Kammer, die einem vor diesem Zeitpunkt greifenden Ausschluss des Ablehnungsrechts
gleichkommt, verbietet sich daher. Im Übrigen gibt es für ihre Annahme, der Kläger habe
dem Gericht keine Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Gründen ermöglichen
wollen, keine belastbaren Anhaltspunkte.
Die gleichwohl erfolgende Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung des
abgelehnten Richters war daher objektiv willkürlich und verstößt gegen Art. 101 Satz 2
GG. Die Folgen dieser Entscheidung wirken weiter und führen zur fehlerhaften Besetzung
der Richterbank bei dem angefochtenen Urteil (vgl. Bundesverwaltungsgericht, a.a.O.,
Rn. 6; ferner Beschlüsse vom 10. Mai 2006 - BVerwG 10 B 56.05 -, Juris Rn. 8 und vom 9.
November 2001 - BVerwG 6 B 59.01 -, Juris Rn. 8 zu § 138 Nr. 1 VwGO; OVG Berlin-
Brandenburg, a.a.O., Rn. 3). Dass es auf diesem Fehler beruht, ist unwiderleglich zu
vermuten (Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Okt.
2008, § 124 Rn. 62; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Aufl., §
124 Rn. 65).
Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens folgt der
Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
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