Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: vorläufige dienstenthebung, hinreichender tatverdacht, post, disziplinarverfahren, beamtenverhältnis, geständnis, ergänzung, zeugenaussage, wahrscheinlichkeit, aussetzung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 83.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 83 DB 1.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 38 BDG, § 63 Abs 2 BDG, § 67
Abs 3 BDG, § 88 VwGO
Vorläufige Dienstenthebung; Einbehaltung von Bezügen;
Schriftsatz; Berücksichtigung; hinreichender Tatverdacht;
maßgeblicher Zeitpunkt
Leitsatz
1. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine schriftliche Entscheidung das Gericht verlässt, muss sie
gegebenenfalls zurückgeholt werden, wenn dies etwa zum Zwecke einer Änderung oder auch
einer Ergänzung im Hinblick auf eine noch in den Verfügungsbereich der Geschäftsstelle
gelangte Stellungnahme eines Beteiligten erforderlich ist.
2. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt für die vorläufige
Dienstenthebung die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit ei-nem
hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das
Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist.
3. Für die Überprüfung einer Dienstenthebung durch die Verwaltungsgerichte ist auf die Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Potsdam vom 30. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen
rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
Nach § 67 Abs. 3 BDG i.V.m. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die
Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern
oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten
Gründe. Bezogen auf den hiernach durch das Beschwerdevorbringen begrenzten
Prüfungsstoff hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung
der Anordnung der Deutschen Post AG vom 15. Dezember 2008 im Ergebnis zu Recht
abgelehnt.
1. In den Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses heißt es, der Antragsteller wende
sich nicht gegen die Dienstenthebung. Die Beschwerde rügt insofern zu Recht eine
Verletzung von § 3 BDG i.V.m. § 122 Abs. 1, § 88 VwGO. Danach darf das Gericht zwar
über das Begehren des Antragstellers nicht hinausgehen. Es ist aber an die Fassung der
Anträge nicht gebunden. Vielmehr hat es das tatsächliche Rechtsschutzziel zu ermitteln
(vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1984 - 2 C 24.83 -, juris Rn. 18; Urteil vom 3. Juli 1992 -
8 C 72.90 -, juris Rn. 19). Dem erstinstanzlichen Vorbringen des Antragstellers ist zu
entnehmen, dass er - über den ursprünglichen Wortlaut des Antrags hinaus - nicht nur
die Einbehaltung von Bezügen, sondern auch die vorläufige Dienstenthebung zum
Gegenstand des Aussetzungsverfahrens gemacht hat. Ob sich dies bereits aus der
Formulierung des Betreffs in der Antragsschrift ergibt, kann auf sich beruhen. Da der
Aussetzungsantrag gemäß § 63 BDG nicht an eine Frist gebunden ist, konnte der
Antragsteller sein Begehren noch zu einem späteren Zeitpunkt klarstellen. Das ist
jedenfalls mit dem Schriftsatz vom 26. Juni 2009 geschehen, der am 29. Juni 2009 bei
dem Verwaltungsgericht eingegangen ist und bei der Entscheidung hätte berücksichtigt
werden müssen, zumal diese ausweislich der Geschäftsstellenverfügung frühestens am
2. Juli 2009 zur Post gegeben worden ist. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine schriftliche
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2. Juli 2009 zur Post gegeben worden ist. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine schriftliche
Entscheidung das Gericht verlässt, muss sie gegebenenfalls zurückgeholt werden, wenn
dies etwa zum Zwecke einer Änderung oder auch einer Ergänzung im Hinblick auf eine
noch in den Verfügungsbereich der Geschäftsstelle gelangten Stellungnahme eines
Beteiligten erforderlich ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2008
- 5 NC 67.08, 5 M 6.08 -, juris Rn. 4).
Das Verwaltungsgericht hat wegen unrichtiger Auslegung des Antrags subjektiv in vollem
Umfang über das Begehren des Antragstellers entschieden. Es liegt daher kein
Teilbeschluss vor, bei dem der unbeschiedene Teil des Streitgegen-standes im
erstinstanzlichen Verfahren anhängig bleibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August
1992 - 7 B 58.92 und 113.92 -, juris Rn. 7). Auch handelt es sich nicht um einen
übergangenen Antrag im Sinne von § 120 VwGO, der nur mit einem Antrag auf
Beschlussergänzung geltend gemacht werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März
1984, a.a.O.; Urteil vom 3. Juli 1992, a.a.O.; Beschluss vom 25. August 1992, a.a.O.;
Urteil vom 22. März 1994 - 9 C 529.93 -, juris Rn. 11; Urteil vom 7. Juli 1994 - 3 C 35.92 -,
juris Rn. 27). Das Verwaltungsgericht hat vielmehr einen Vollendbeschluss erlassen, der
wegen Verletzung des § 88 VwGO an einem Verfahrensmangel leidet, welcher
gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren zu beseitigen ist.
Der Fehler führt gleichwohl nicht zur (Teil-)Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Nach dem Prüfungsstoff des Senats wirkt er sich nicht auf das Entscheidungsergebnis
aus. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung liegen
nicht vor.
Gemäß § 63 Abs. 2 BDG ist die vorläufige Dienstenthebung auszusetzen, wenn
ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG
kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde den Beamten
gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens unter anderem dann
vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) erkannt werden wird. Insofern ist im
Aussetzungsverfahren zu prüfen, ob nach der hier gebotenen und möglichen nur
summarischen Beurteilung die Verhängung der Höchstmaßnahme überwiegend
wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 2009 - 2 AV 4.09 -, juris Rn. 12,
14). Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F.,
jetzt § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses
Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat;
nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen
ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. September 1997 - 2 WDB 3.97, 4.97 -, BVerwGE
113, 143, 145; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2007 - 81 SN 1.05, 81
DB 2.07 -, BA S. 3).
Die Antragsgegnerin wirft dem Antragsteller vor, die Pflicht zur uneigennützigen
Amtsführung, zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten und zur Befolgung von
Weisungen (§ 54 Satz 2 und 3, § 55 Satz 2 BBG a.F., jetzt § 34 Satz 2 und 3, § 35 Satz 2
BeamtStG) dadurch verletzt zu haben, dass er im Zeitraum von August 2008 bis
Oktober 2008 während seiner Tätigkeit als Zusteller 44 Sendungen vorsätzlich dem
ordnungsgemäßen Postlauf und dem Gewahrsam der Deutschen Post AG endgültig
entzogen, teilweise geöffnet und darin befindliches Bargeld (etwa 200 Euro) entwendet
sowie die Sendungen in die Wohnung einer Bekannten verbracht habe. Sie stützt sich
dafür auf die Angaben der Frau H., auf die von Frau P. übergebenen Briefsendungen und
auf das vom Antragsteller am 15. Oktober 2008 abgelegte Geständnis. Das
Verwaltungsgericht bemerkt dazu, dass Anhaltspunkte, die gegen die Rechtmäßigkeit
der vorläufigen Dienstenthebung sprechen könnten, vom Antragsteller weder
vorgetragen worden noch sonst ersichtlich seien. Im Zusammenhang mit dem
Tatvorwurf bezieht es sich auf die gegenwärtig vorliegenden Tatsachen, Beweise und
Indizien. Dies kann nur so zu verstehen sein, dass die angefochtene Entscheidung den
hinreichenden Tatverdacht bejaht und mangels Sachvortrags des Antragstellers für nicht
weiter erörterungsbedürftig hält.
Der dagegen gerichtete Angriff der Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar hat
das Verwaltungsgericht auch bei der Tatsachenwürdigung den Schriftsatz vom 26. Juni
2009 nicht zur Kenntnis genommen, in dem der Antragsteller seine Version des
Tatgeschehens schildert. Diese Einlassung vermag indessen den hinreichenden
Tatverdacht nicht zu erschüttern.
Der Antragsteller räumt ein, Postsendungen mit nach Hause genommen zu haben. Er
bestreitet jedoch, sie geöffnet zu haben. Vielmehr habe es sich um nicht zustellbare
Briefe gehandelt, die er zu Hause habe bearbeiten wollen. Üblicherweise hätte er sie
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Briefe gehandelt, die er zu Hause habe bearbeiten wollen. Üblicherweise hätte er sie
zurück in die Poststelle tragen müssen. Dazu habe ihm jedoch die Zeit gefehlt, da seine
Lebensgefährtin Nachtschicht gehabt habe und er deshalb die Kinder vom Kindergarten
habe abholen müssen.
Dieses Vorbringen ist wenig plausibel und widerspricht den vorhandenen
Beweisergebnissen. Der Antragsteller will den Eindruck erwecken, es habe sich um einen
einmaligen Vorgang gehandelt („keine Zeit gehabt“). Tatsächlich erstrecken sich die
Einlieferungsdaten der Sendungen, soweit die Tagesstempel dies erkennen lassen, über
einen Zeitraum von zwei Monaten. Auch ist nicht ersichtlich, wie er die „faulen Briefe“ zu
Hause hätte bearbeiten können (Rücksendung, Adressermittlung, Vernichtung). Zudem
hat er bereits am 15. Oktober 2008 zugegeben, Sendungen „aus Frust“ geöffnet und
etwa 200 Euro entnommen zu haben. Wenn der Antragsteller nunmehr erklärt, er sei bei
der Befragung unter Druck gesetzt worden und habe aus einem „Fluchtgedanken“
heraus die Vorwürfe zugegeben, so passt dazu nicht, dass er das Geständnis im
Schreiben vom 17. Oktober 2008 nicht widerrufen, sondern noch einmal bestätigt hat: Er
schäme sich sehr, dass er dies getan habe; er habe es nicht für sich, sondern für seinen
kranken Sohn getan. Schließlich wird der Tatvorwurf durch die schriftliche
Zeugenaussage der Frau P. vom 18. Dezember 2008 (Blatt 52 - 55 der Ermittlungsakte)
bestätigt. Auch wenn die Aussage erst nach der Anordnung der vorläufigen
Dienstenthebung erstattet wurde, ist sie im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen.
Für die Überprüfung einer Dienstenthebung durch die Verwaltungsgerichte ist auf die
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (vgl. OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. August 2005 - 80 SN 1.05 -, juris Rn. 13; zu §
126 WDO: BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2002 - 2 WDB 1.02 -, juris Rn. 5). Weder der
Schriftsatz vom 26. Juni 2009 noch die Begründung des Rechtsbehelfs nehmen im
Einzelnen zu dem Inhalt der Zeugenaussage Stellung. Der Vorwurf des Antragstellers,
Frau P. wolle ihn schädigen, bleibt ohne Substanz. Soweit die Beschwerdebegründung im
Übrigen pauschal auf erstinstanzlichen Vortrag Bezug nimmt, genügt sie nicht den
formellen Anforderungen.
Gegen die Erwartung des Verwaltungsgerichts, auf der Grundlage des gegebenen
Tatvorwurfs werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis erkannt, wendet sich die Beschwerde nur insofern, als sie die
fehlerhafte Feststellung rügt, es sei bereits Disziplinarklage erhoben worden. Daran ist
zwar richtig, dass der Gegenstand des Verfahrens 18 K 2439/08.OB in der
angefochtenen Entscheidung unzutreffend wiedergegeben wird. Die weitere Annahme
der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe darauf seine Prognose über das Ergebnis
des Disziplinarverfahrens gestützt, liegt jedoch fern und wird vom Antragsteller nicht
näher erläutert.
Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder Anhaltspunkte für
einen sonstigen Ermessensfehlgebrauch bei der Entscheidung über die vorläufige
Dienstenthebung rügt die Beschwerde nicht.
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 38 Abs. 2
Satz 1 BDG gestützten Einbehaltung von 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge. Der
vom Verwaltungsgericht im Einzelnen darstellte Maßstab für die gerichtliche Überprüfung
der durch die Antragsgegnerin zu treffenden Ermessensentscheidung wird von der
Beschwerde nicht in Zweifel gezogen. Sie beanstandet allerdings zu Recht die
Feststellung im angefochtenen Beschluss, der Antragsteller sei den Aufforderungen zur
Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen.
Das Verwaltungsgericht übergeht damit den Schriftsatz des Antragstellers vom 16.
Februar 2009, mit dem durch Bezugnahme auf die Verfügung der Antragsgegnerin vom
23. Januar 2009 belegt wird, dass der Antragsteller die erforderlichen Unterlagen am 20.
Januar 2009 eingereicht hat. Anhaltspunkte für die materielle Unrichtigkeit der
Entscheidung über die Einbehaltung der Dienstbezüge, die die Antragsgegnerin auch
unter Berücksichtigung dieser Unterlagen aufrecht erhalten hat, sind indessen nicht
dargelegt. Die Antragsgegnerin kommt zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller nach
Abzug der festen Ausgaben monatlich 373,84 Euro verbleiben. Die Beschwerde stellt
weder die ordnungsgemäße Berechnung dieses Betrages in Frage, noch macht sie
geltend, der Antragsteller sei damit nicht ausreichend alimentiert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 BDG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).
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