Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: einkünfte, eltern, verfassungskonforme auslegung, anerkennung, link, quelle, sammlung, entziehen, aufzählung, tatsachenfeststellung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 6 N 51.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124
Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124 Abs 2
Nr 3 VwGO, § 124a Abs 4 S 4
VwGO, § 21 Abs 1 BAföG
Ausbildungsförderung; Einkommen der Eltern; Anrechnung;
negative Einkünfte; positive Einkünfte; fiktiver Steuerabzug;
Verfassungsmäßigkeit; Härteklausel; Immobiliengeschäfte;
Unvermeidlichkeit der Aufwendungen; Vorausleistungen;
ernstliche Richtigkeitszweifel; besondere tatsächliche und
rechtliche Schwierigkeiten; grundsätzliche Bedeutung;
Darlegungsanforderungen
Leitsatz
Zur Frage der Anwendbarkeit der Härteklausel des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG auf negative
Einkünfte der Eltern des Auszubildenden, die infolge von Verlusten bei Immobiliengeschäften
entstanden sind.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. August 2009 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von BAföG unter Berücksichtigung des fiktiven
Steuerabzugs der positiven Einkünfte ihrer Eltern. Das Verwaltungsgericht hat die hierauf
gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die Behörde habe das Einkommen
der Eltern der Klägerin rechnerisch zutreffend ermittelt. Als Einkommen zu
berücksichtigen seien nur die positiven Einkünfte. Nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 1
Satz 2 BAföG sei ein Ausgleich der positiven Einkünfte mit Verlusten aus anderen
Einkunftsarten nicht zulässig. Eine Berücksichtigung „ersparter“ Steuern sei auch über
die Härteregelung des § 25 Abs. 6 BAföG nicht möglich. Es widerspräche dem Sinn der
Regelung, das Verfahren zu vereinfachen, wenn die Ämter gezwungen wären, eine
eigene Steuerberechnung anzustellen. Den wirtschaftlichen Belastungen der Eltern
werde ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass es durch die steuerliche
Berücksichtigung der negativen Einkünfte von vornherein zu einer nicht unerheblich
geminderten Steuerschuld gekommen sei. Eine darüber hinausgehende
Berücksichtigung fiktiver Einkünfte sei nicht geboten.
Ihren hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung stützt die Klägerin auf
die Zulassungsgründe ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO, besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs.
2 Nr. 2 VwGO sowie grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
1. Der Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO liegt nicht vor. Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner
tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen
Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur
die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung
Zweifeln unterliegt. Zu ihrer Darlegung muss sich die Zulassungsbegründung gemäß §
124a Abs. 4 Satz 4 VwGO konkret fallbezogen und hinreichend substanziiert mit den
Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen und dartun, dass und
weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen
unrichtig entschieden hat. Ob an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts
ernstliche Zweifel bestehen, wird allein anhand der Ausführungen in der angefochtenen
Entscheidung sowie der vom Rechtsmittelführer zur Darlegung des geltend gemachten
Zulassungsgrundes vorgetragenen Gesichtspunkte beurteilt. Vom Rechtsmittelführer
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Zulassungsgrundes vorgetragenen Gesichtspunkte beurteilt. Vom Rechtsmittelführer
nicht genannte Umstände können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie
offensichtlich sind. Das Vorbringen der Klägerin zeigt keine ernstlichen Richtigkeitszweifel
auf, sie sind auch nicht offensichtlich.
Die Klägerin macht geltend, § 21 BAföG müsse verfassungskonform ausgelegt werden.
Für eine verfassungskonforme Auslegung ist vorliegend jedoch kein Raum. Das
Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Regelung des § 21 Abs. 1
BAföG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Nichtannahmebeschluss vom 15. September
1986 - 1 BvR 363/86 -, FamRZ 1987, S. 901 f.). Für eine erneute Überprüfung der
Verfassungsmäßigkeit sieht der Senat vor diesem Hintergrund keinen Anlass.
Soweit die Klägerin für sich das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 25 Abs. 6
Satz 1 BAföG wegen der Nichtberücksichtigung der fiktiven Steuerabzüge bei der
Einkommensermittlung reklamiert, gilt im Ergebnis nichts anderes. Es fehlt bereits an
einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Erwägung des Verwaltungsgerichts,
dass Zweck der Regelungen in § 21 Abs. 1 BAföG sei, die Ausbildungsförderungsämter
von der Notwendigkeit einer eigenen Steuerprüfung zu entlasten. Entgegen der Ansicht
der Klägerin handelt es sich hierbei nicht um ein „Scheinargument“. Ob eine
Steuerprüfung durch die Ausbildungsförderungsämter im Einzelfall „schwierig“ ist oder,
wie die Klägerin meint, zumindest vorliegend durch „einen Blick auf die
Lohnsteuertabelle“ bewerkstelligt werden kann, ist dabei nicht entscheidend. Die
Auffassung der Klägerin würde dazu führen, dass die Regelung in § 21 Abs. 1 BAföG
letztlich leer liefe, weil die dort zugrundeliegende pauschalierende Betrachtung über eine
Anwendung der Härteklausel des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG „aufgeweicht“ würde, denn
sie wäre in allen Fällen anzuwenden, in denen negative Einkünfte nach § 21 Abs. 1 BAföG
unberücksichtigt bleiben. Die Anwendung des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG setzt
demgegenüber grundsätzlich die Unvermeidlichkeit der geltend gemachten finanziellen
Belastungen voraus. Das zeigt die Regelung in § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG. Danach
unterfallen der Härteklausel nach Satz 1 insbesondere außergewöhnliche Belastungen
nach den §§ 33 bis 33b des Einkommensteuergesetzes sowie Aufwendungen für
behinderte Personen, denen der Einkommensbezieher nach dem bürgerlichen Recht
unterhaltspflichtig ist. Die Aufzählung ist zwar nicht abschließend („insbesondere“),
macht aber deutlich, von welcher Art und von welchem Gewicht die Aufwendungen nach
den Vorstellungen des Gesetzgebers sein müssen, um im Rahmen der Härteregelung
berücksichtigt werden zu können. Kennzeichnend für die Aufwendungen ist, dass der
Einkommensbezieher sich ihnen aus sittlichen oder rechtlichen Gründen nicht entziehen
kann. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die geltend gemachten Einkommensverluste der Eltern der Klägerin beruhen nicht auf
unvermeidlichen Aufwendungen, sondern auf fehlgeschlagenen Immobiliengeschäften.
Ihnen liegen mit einem Verlustrisiko behaftete Vermögensdispositionen zugrunde, die
die Eltern der Klägerin als Unterhaltsverpflichtete in Kenntnis der auf sie zukommenden
Unterhaltslasten eingegangen sind. Es wäre mit dem Zweck des § 25 Abs. 6 BAföG nicht
vereinbar, das sich realisierende Verlustrisiko dieser Einkommensdispositionen durch
Anerkennung eines Härtefreibetrages auf die Ausbildungsförderungsämter abzuwälzen,
deren Leistungen weitgehend aus Steuermitteln finanziert werden. In Fällen der
vorliegenden Art erscheint es vielmehr angemessen, etwaigen faktischen finanziellen
Engpässen der Eltern des Betroffenen über die Regelung in § 36 BAföG über
Vorausleistungen Rechnung zu tragen, mit der Folge eines Übergangs des
Unterhaltsanspruchs des Leistungsempfängers auf das Ausbildungsförderungsamt (§ 37
BAföG), wie es hier im Übrigen jedenfalls für einen Teil des zwischen den Beteiligten
streitigen Zeitraums auch geschehen ist.
Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, die Klägerin habe
den nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG erforderlichen „besonderen Antrag“ nicht rechtzeitig
gestellt, kommt es vor diesem Hintergrund nicht (mehr) an.
2. Auch der Zulassungsgrund besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten
im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht gegeben. Besondere Schwierigkeiten
weist eine Rechtssache auf, wenn der konkret zu entscheidende Rechtsstreit
entscheidungserhebliche Fragen aufwirft, deren Lösung in tatsächlicher oder rechtlicher
Hinsicht überdurchschnittliche Schwierigkeiten bereitet. Das ist anzunehmen, wenn die
Angriffe des Rechtsmittelführers gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtliche
Würdigung, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln
an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben, die sich nicht ohne
weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines
Berufungsverfahrens erfordern, wenn also das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner
Entscheidung über den Zulassungsantrag keine positive oder negative Aussage zur
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Entscheidung über den Zulassungsantrag keine positive oder negative Aussage zur
Erfolgsaussicht der angestrebten Berufung treffen kann, diese Erfolgsaussichten
vielmehr offen sind. Stützt der Rechtsmittelführer seinen Antrag auf den
Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der
Rechtssache, muss er darlegen, welche begründeten Zweifel gegen die erstinstanzliche
Entscheidung bestehen, die den Ausgang des Rechtsstreits als offen erscheinen lassen
(OVG Münster, Beschluss vom 31. Juli 1998 - 10 A 1329/98 -).
Das Vorbringen der Klägerin genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen. Es
beschränkt sich darauf, das Vorliegen dieses Zulassungsgrundes zu behaupten, zeigt
aber nicht auf, worin die besonderen Schwierigkeiten zu erblicken sein sollen. Zudem
zeigen die Darlegungen unter 1., dass sich die anstehenden Rechts- und
Tatsachenfragen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne weiteres
klären lassen.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche
Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt
einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche
Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts
obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober
2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei juris). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und
entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die
Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen
sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die
Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist.
Die Klägerin versäumt es bereits, eine klärungsbedürftige grundsätzlich bedeutsame
Rechtsfrage zu formulieren. Sie lässt sich ihrem Vorbringen auch nicht mittelbar
entnehmen. Im Übrigen zeigen die Darlegungen unter 1. auch insoweit, dass der Fall
nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist
gerichtskostenfrei (§ 188 Satz 2 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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