Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 10.11.2006

OVG Berlin-Brandenburg: satzung, winterdienst, grundstück, nichtigkeit, benutzungsgebühr, erlass, lastenverteilung, verwaltung, unterliegen, anschluss

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 A 1.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, § 2 Abs 1 S 2
KAG BB, § 6 Abs 4 KAG BB, §
49a Abs 7 StrG BB
Normenkontrolle - Nichtigkeit einer
Straßenreinigungsgebührensatzung wegen Nichtigkeit der
Gebührensatzregelungen
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt
Potsdam vom 10. November 2006 mit Ausnahme ihres § 5 Abs. 2 nichtig ist.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragstellerin ist eine Wohnungsbaugenossenschaft. Sie ist Eigentümerin von
Grundstücken im Stadtgebiet von Potsdam (Babelsberg), für die sie zu
Straßenreinigungsgebühren herangezogen wird.
Mit ihrem Normenkontrollantrag stellt die Antragstellerin die
Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam von 10. November
2006 (SGS) zur Überprüfung, die im Amtsblatt für die Landeshauptstadt Potsdam vom
5. Dezember 2006 bekannt gemacht worden ist. Mit der Satzung ist die
Landeshauptstadt Potsdam wieder zu einer Bemessung der Gebühren für die
Straßenreinigung und den Winterdienst nach dem Frontmetermaßstab zurückgekehrt,
nachdem sie zwischenzeitlich eine Gebührenbemessung nach dem
Quadratwurzelmaßstab geregelt hatte.
Die Satzung hat u.a. folgenden Wortlaut:
„§ 1 Benutzungsgebühren
(1) Die Landeshauptstadt Potsdam erhebt für die von ihr nach Maßgabe der
Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam in der jeweils gültigen
Fassung durchgeführte Straßenreinigung sowie Winterdienst auf den öffentlichen
Straßen Benutzungsgebühren.
(2) Das Gesamtgebührenaufkommen darf 75 vom Hundert der Gesamtkosten der
Straßenreinigung nicht übersteigen.
§ 2 Gebührenmaßstab und Gebührensatz
(1) Maßstab für die Benutzungsgebühr sind die Grundstücksseite entlang der
gereinigten Straße, durch die das Grundstück erschlossen ist (Frontlänge) und die nach
Straßenart, Umfang und Häufigkeit der Reinigung bestimmte Reinigungsklasse nach den
Festlegungen der Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam in der
jeweils gültigen Fassung.
Grenzt ein durch die Straße erschlossenes Grundstück nicht oder nicht mit der
gesamten der Straße zugewandten Grundstücksseite an diese Straße, so wird anstelle
der Frontlänge bzw. zusätzlich zur Frontlänge die der Straße zugewandte
Grundstücksseite zugrunde gelegt. Zugewandte Grundstücksseiten sind diejenigen
Abschnitte der Grundstücksbegrenzungslinie, die mit der Straßengrenze gleich, parallel
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Abschnitte der Grundstücksbegrenzungslinie, die mit der Straßengrenze gleich, parallel
oder in einem Winkel von weniger als 45 Grad verlaufen. Keine zugewandten Seiten sind
die hinter angrenzenden und zugewandten Fronten liegenden abgewandten Seiten.
Grenzt ein durch die Straße erschlossenes Grundstück nicht oder nur zum Teil an
diese Straße und weist es im Übrigen keine ihr zugewandte Grundstücksseite auf, so
wird die Frontlänge bzw. Grundstücksseite zugrunde gelegt, die sich bei einer gedachten
Verlängerung dieser Straße in gerade Linie ergeben würde.
Grenzt ein Grundstück mit verschiedenen Grundstücksseiten an verschiedene
Straßenteile derselben Erschließungsanlage, so wird die längste Grundstücksseite von
den an die verschiedenen Straßenabschnitte grenzenden Grundstücksseiten als
Frontlänge zur Bemessung der Straßenreinigungsgebühr zu Grunde gelegt.
(2) Wird ein Grundstück durch mehrere Straßen erschlossen, so werden deren
Grundstücksseiten bei der Ermittlung der Frontlänge entsprechend der erschließenden
Straßen berücksichtigt. Bei abgeschrägten oder angerundeten Grundstücksgrenzen wird
der Schnittpunkt der geraden Verlängerung der Grundstücksgrenzen zugrunde gelegt.
Wird ein Grundstück über eine unselbständige öffentliche Stichstraße oder einen
unselbständigen öffentlichen Stichweg erschlossen, ist nur die an den Hauptzug
angrenzende bzw. dem Hauptzug zugewandte Seite zugrunde zu legen.
(3) Bei der Feststellung der Frontmeter der Grundstücksseiten werden Bruchteile
eines Meters bis zu 50 cm einschließlich abgerundet und über 50 cm aufgerundet.
(4) Die Benutzungsgebühr für die Straßenreinigung beträgt je Frontlängenmeter
(Meter Grundstücksseite Absätze 1 bis 3) jährlich bei Grundstücken, die dem Anschluss-
und Benutzungszwang unterliegen in der
Die Benutzungsgebühr für den Winterdienst beträgt je Frontlängenmeter (Meter
Grundstücksseite Absätze 1 bis 3) jährlich bei Grundstücken, die dem Anschluss- und
Benutzungszwang unterliegen in der
(5) Die Zugehörigkeit einer Straße zu den in Absatz 4 genannten Reinigungsklassen
und Winterdienstkategorien ergibt sich aus dem der gültigen Straßenreinigungssatzung
der Landeshauptstadt Potsdam anliegendem Straßenverzeichnis. Die Anzahl und die Art
der Reinigung ergibt sich aus § 3 Abs. 2, die Art des Winterdienstes aus § 4 der
Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam in der jeweils gültigen
Fassung.
[…]
§ 5 Inkrafttreten
(1) Diese Satzung tritt am 01.01.2007 in Kraft.
(2) Gleichzeitig tritt die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt
Potsdam vom 14.06.2004, geändert durch die Erste Satzung zur Änderung
Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam vom 11.05.2005
und die Zweite Satzung zur Änderung der Straßenreinigungsgebührensatzung der
Landeshauptstadt Potsdam vom 14.12.2005 außer Kraft.
[…]
Die Antragstellerin wurde auf der Grundlage der angegriffenen Satzung mit
Gebührenbescheiden vom 3. Januar 2007 zu Straßenreinigungsgebühren für folgende
Grundstücke herangezogen: Gemarkung B., Flur, Flurstück (K.), Flurstück (K.), Flurstück
(K.). Diese Grundstücke liegen nebeneinander. Sie weisen in etwa folgende Lage und
Zuschnitt auf:
Bei der Heranziehung zu den Straßenreinigungsgebühren legte der Oberbürgermeister
der Stadt Potsdam nicht nur die gemeinsame Straßenfront der Grundstücke, sondern
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der Stadt Potsdam nicht nur die gemeinsame Straßenfront der Grundstücke, sondern
zusätzlich auch die Strecken A und B zu Grunde; insgesamt setzte er danach eine
"Frontlänge" von 157 m an.
Die Antragstellerin ist u.a. der Auffassung, dass der in der Satzung verankerte
Frontmetermaßstab - im Gegensatz zum vorher geregelten Quadratwurzelmaßstab -
unwirksam sei. Dies zeige ihr Fall. Die nach der Satzung ermittelten Frontmeter (157 m)
überstiegen die tatsächliche Länge, mit der die Grundstücke zusammen an die Straße
angrenzten (127 m). Die darin liegende „mehrfache“ Heranziehung verstoße gegen § 6
Abs. 4 KAG, gegen das Äquivalenzprinzip sowie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3
Abs. 1 GG.
Die Antragstellerin beantragt festzustellen,
dass die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam
vom 10. November 2006 nichtig ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin hält die Satzung für gültig. Der in der Satzung verwendete
Frontmetermaßstab sei ein anerkannter und sachgerechter
Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dabei sei aus Gründen der Gleichheit der
Abgabenbelastung die Anwendung von Projektionen und Fiktionen unerlässlich, um
sicherzustellen, dass die nicht an der Straßenfront verlaufenden Grundstücksseiten
erschlossener Hinterlieger- bzw. Teilhinterliegergrundstücke vollständig in die
Gebührenerhebung einbezogen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der gemäß § 47 Abs. 1 und 2 VwGO zulässige Normenkontrollantrag ist im Wesentlichen
begründet. Die angegriffene Straßenreinigungsgebührensatzung ist - mit Ausnahme der
Regelung über das Außerkrafttreten der Vorgängersatzung (§ 5 Abs. 2 SGS) - nichtig.
Dies folgt aus der Nichtigkeit der Regelungen über die Gebührensätze für die
Straßenreinigung und den Winterdienst (§ 2 Abs. 4 SGS). Die Gebührensätze sind
überhöht, weil ihre Kalkulation nicht im Einklang mit dem in der Satzung geregelten
Frontmetermaßstab steht.
Die Rückkehr der Antragsgegnerin vom Quadratwurzel- zum Frontmetermaßstab ist
rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Beide Maßstäbe sind anerkannte und
zulässige Maßstäbe für die Bemessung von Straßenreinigungsgebühren, wenn auch der
Frontmetermaßstab schwieriger zu regeln und zu vermitteln sein mag (vgl. Lenz, KStZ
2004, Seite 110 ff.). Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Regelung zur
Frontmeterberechnung bei Teilhinterliegergrundstücken (§ 2 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGS),
auch wenn sie zu den von der Antragstellerin gerügten Ergebnissen führt; dies ist noch
vom Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers gedeckt, der bei der Regelung des
Frontmetermaßstabes gerade auch die Hinterlieger- und Teilhinterliegergrundstücke
einbeziehen muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 8 NB 5/93 -, juris).
Kehrseite dieses Gestaltungsspielraumes ist, dass der Satzungsgeber den konkret
gewählten Frontmetermaßstab auch schon bei der Kalkulation des Gebührensatzes
korrekt anwenden muss, um zu zutreffenden Gebührensätzen zu gelangen. Bei der
Kalkulation des Gebührensatzes für die Straßenreinigung sind die veranschlagten
Reinigungskosten, soweit sie gebührenfähig sind (vgl. § 49 a Abs. 7 BbgStrG), durch die
Gesamtzahl der im Satzungsgebiet vorhandenen Maßstabseinheiten zu teilen.
Unterschätzt der Satzungsgeber die nach dem gewählten Gebührenmaßstab insgesamt
vorhandenen Maßstabseinheiten, führt dies zu überhöhten Gebührensätzen.
So liegt es hier. Die von der Antragsgegnerin konkret vorgenommene Ausgestaltung des
Frontmetermaßstabes weist zwar insoweit ein Bestimmtheitsproblem auf, als die
Bedeutung des § 2 Abs. 1 Satz 6 SBS im Gesamtgefüge der Regelungen in Rede steht.
Ungeachtet dessen ist aber klar und eindeutig geregelt, dass bei
Vollanliegergrundstücken auf die Grundstückseite abstellt wird, die an die Straße
angrenzt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SBS), dass bei Hinterliegergrundstücken auf die
Grundstücksseite abgestellt wird, die der Straße zugewandt ist und dass bei
Teilhinterliegergrundstücken auf die Länge der an die Straße angrenzenden und
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Teilhinterliegergrundstücken auf die Länge der an die Straße angrenzenden und
zusätzlich auf die Länge der der Straße zugewandten Seite abgestellt wird (vgl. § 2 Abs.
1 Satz 2 bis 4). Wie die Erläuterungen der Vertreter der Antragsgegnerin in der
mündlichen Verhandlung gezeigt haben, ist die Antragsgegnerin bei der Kalkulation des
Gebührensatzes indessen nicht durchgängig von dem solchermaßen verstandenen
Gebührenmaßstab ausgegangen, sondern teilweise auch von einem Verfahren
"lotrechter Projektion auf die Straße", für dessen Anwendung die tatsächlich getroffene
Maßstabsregelung nicht den geringsten Anhalt bietet. Die angewandte Projektion betrifft
dabei keineswegs seltene und deshalb zu vernachlässigende Grundstückszuschnitte,
sondern im Gegenteil häufig auftretende Fallgestaltungen. Die Projektion führt bei
Hinterliegergrundstücken und Teilhinterliegergrundstücken, bei denen die der Straße
zugewandte Grundstücksseite schräg zur Straße verläuft, zu Frontmeterzahlen, die
unter denen liegen, die der in der Satzung tatsächlich gewählte Frontmetermaßstab
ergibt.
Die kalkulatorische Unterschätzung der im Satzungsgebiet vorhandenen Frontmeter und
mithin die überhöhte Festsetzung des Gebührensatzes liegt danach auf der Hand. Der
überhöhte Gebührensatz hat zur Folge, dass die Verwaltung die
Straßenreinigungsgebührensatzung nicht rechtsfehlerfrei anwenden kann. Wird beim
Erlass von Gebührenbescheiden der Frontmetermaßstab so gehandhabt, wie er im
Rahmen der Gebührenkalkulation praktiziert worden ist (also mit den genannten
Projektionen), dann weicht die Lastenverteilung zwischen den einzelnen
Gebührenpflichtigen von der Lastenverteilung ab, die der Satzungsgeber mit dem in der
Satzung in Wahrheit geregelten Frontmetermaßstab festgelegt hat. Dies führt im
Übrigen zu einer relativen Mehrbelastung der Antragstellerin, weil ihre Grundstücke
durch das Projektionsverfahren nicht begünstigt werden. Würde die Verwaltung hingegen
beim Erlass von Gebührenbescheiden den in Wahrheit geregelten Frontmetermaßstab
anwenden, käme es insgesamt zu einer Gebührenüberhebung, die nach § 49 a Abs. 7
Satz 2 BbgStrG, aber auch nach § 1 Abs. 2 SGS unzulässig wäre.
Der gleiche Fehler liegt auch der Regelung über die Gebührensätze für den Winterdienst
(§ 2 Abs. 4 SGS) zu Grunde, weil über den Verweis in § 2 Abs. 4 Satz 2 SGS auch für den
Winterdienst die hier vom der Antragsgegnerin verkannte Maßstabsregelung des § 2
Abs. 1 SGS gilt.
Die Nichtigkeit der Gebührensatzregelungen in § 2 Abs. 4 SGS für die Straßenreinigung
und den Winterdienst zieht die Unwirksamkeit der zur Überprüfung gestellten Satzung
insgesamt nach sich, weil eine Abgabensatzung ohne gültigen Abgabensatz nicht den
nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG vorgeschriebene Mindestinhalt aufweist und keine
gesetzliche Abgabe zum Entstehen bringen kann.
Die Unwirksamkeitsfolge gilt indessen nicht für die Regelung in § 5 Abs. 2 SGS, mit der
die vorausgegangene Satzung und ihre Änderungen ausdrücklich außer Kraft gesetzt
worden sind. Eine solche Aufhebungsregelung indiziert den Willen des Satzungsgebers,
auf Vorgängersatzungen auch dann nicht zurückgreifen zu wollen, wenn sich die
Nachfolgesatzung als ungültig erweisen sollte. Nach dem Rechtsgedanken des § 139
BGB hat die Außerkraftsetzung der Vorgängersatzung regelmäßig selbst dann Bestand,
wenn die abgabenrechtlichen Regelungen der Nachfolgesatzung nichtig sind. Hier gilt
nichts anderes, weil der Satzungsgeber mit der vorliegenden Satzung bewusst vom
Quadratwurzelmaßstab abrücken wollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit dem hier
entsprechend anwendbaren § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten
Gründe vorliegt.
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