Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 28.06.2004
OVG Berlin-Brandenburg: anspruch auf rechtliches gehör, öffentliches interesse, bauarbeiten, ausführung, treppenhaus, verfall, fristablauf, fristberechnung, erlöschen, subjektiv
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 2.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 2 S 104.05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 78 Abs 1 BauO BB, § 68 Abs 1
Nr 1 BauO BB, § 73 Abs 1 Nr 1
BauO BB
Erlöschen einer Baugenehmigung infolge Ablaufs der
Geltungsdauer und mangels Baufortschritts
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Potsdam vom 28. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 50.025 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks R.-Straße in K., Landkreis Potsdam-
Mittelmark. Die Voreigentümerin hatte das Grundstück 1996 mit einem
zweigeschossigen Wohngebäude mit ausgebautem Dachgeschoss bebaut. Gleichzeitig -
jedoch ohne Baugenehmigung – ließ sie einen ca. sieben Meter tiefen, den rückwärtigen
Grundstücksteil mit den Außenabmessungen 20 m x 14,50 m fast vollständig in
Anspruch nehmenden Baugrubenaushub für eine Tiefgarage vornehmen. Im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam (4 K 3873.96)
hatte der Antragsgegner im Ortstermin vom 8. April 1998 für den Fall der Einreichung
entsprechender Bauvorlagen die positive Bescheidung eines Bauantrags auf Erteilung
einer Baugenehmigung für eine Tiefgarage mit 12 Stellplätzen in Aussicht gestellt.
Hierzu kam es jedoch nicht. Stattdessen beantragte die Voreigentümerin im Januar
1999 die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Schwimmhalle mit Treppenhaus an
gleicher Stelle für die im Erdgeschoss des Hauses inzwischen eingerichtete
physiotherapeutische Praxis. Die Erteilung der Baugenehmigung hierfür wurde vom
Antragsgegner jedoch abgelehnt.
Daraufhin beantragte die Voreigentümerin im Juli 1999 wiederum eine Baugenehmigung
für eine Tiefgarage mit 9 Stellplätzen, die ihr mit Bescheid vom 15. Juli 1999 (überreicht
am 3. August 1999) auch erteilt wurde. Die Antragsteller erwarben das Grundstück Ende
2000 und verfolgten das Begehren der Voreigentümerin auf Erteilung einer
Baugenehmigung für eine Schwimmhalle mit Treppenhaus anstelle der Tiefgarage nach
dem Eigentumswechsel weiter. Die hierauf gerichtete Klage 4 K 2377/01 ist noch beim
Verwaltungsgericht Potsdam anhängig. Am 30. April 2001 trat der Bebauungsplan KLM-
BP-010 „Musikerviertel“ in Kraft, dessen Geltungsbereich auch das Grundstück der
Antragsteller umfasst.
Mit Schreiben vom 23. März 2004 beantragten die Antragsteller eine Verlängerung der
Baugenehmigung vom 15. Juli 1999 für die Tiefgarage. Dies ist vom Antragsgegner mit
Bescheid vom 28. April 2004 mit der Begründung abgelehnt worden, dass die
Baugenehmigung mit Ablauf ihrer dreijährigen Geltungsdauer erloschen und ein Antrag
auf Verlängerung nicht innerhalb dieser Frist gestellt worden sei.
Bei einer Ortsbesichtigung am 26. Mai 2004 stellte der Antragsgegner fest, dass in der
Tiefgaragenbaugrube umfangreiche Bewehrungs- und Schalungsarbeiten durchgeführt
wurden. Er erließ mit Bescheid vom 27. Mai 2004 eine Baueinstellungsverfügung, mit der
er den Antragstellern weitere Arbeiten zur Errichtung der Tiefgarage auf dem Grundstück
unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagte. Den Antrag auf
Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen
die Baueinstellungsverfügung und den Kostenbescheid vom 27. Mai 2004 sowie die
hilfsweise beantragte einstweilige Anordnung mit dem Ziel, den Antragstellern zur
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hilfsweise beantragte einstweilige Anordnung mit dem Ziel, den Antragstellern zur
Baugrubensicherung zumindest noch die fehlende Betonverfüllung zu gestatten, hat das
Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluss vom 28. Juni 2004 zurückgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die vorliegende
Beschwerde.
II.
1. Soweit die Antragsteller geltend machen, durch den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Potsdam vom 28. Juni 2004 in ihrem Anspruch auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden zu sein, weil das Gericht bereits vor Ablauf
der ihnen gesetzten Stellungnahmefrist von 3 Tagen zu dem ihrem
Prozessbevollmächtigten erst am 28. Juni 2004 zugegangenen Schriftsatz der
Beigeladenen vom 23. Juni 2004 entschieden hat, führt dieser „partielle“ Gehörsverstoß
nicht zu einer Aufhebung des Beschlusses. Die Beschwerde ist ein allgemeines
Rechtsmittel, das der Überprüfung erstinstanzlicher Beschlüsse in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht dient, soweit die dargelegten Gründe dazu Anlass geben (§ 146 Abs.
4 Satz 6 VwGO). Die Antragsteller können damit voll umfänglich die erstinstanzliche
Entscheidung angreifen, ohne - wie bei Gehörsrügen in zulassungsgebundenen
Verfahren – darlegen zu müssen, was sie bei ausreichender Gehörsgewährung noch
Entscheidungserhebliches vorgetragen hätten, aufgrund dessen auch eine andere
Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. Beschluss des Senats vom 29. September
2005 – OVG 2 S 72.04 – m. w. N.). Das Fehlen solcher Darlegungen im vorliegenden Fall
ist damit zwar unschädlich. Die danach allein maßgeblichen übrigen Beschwerdegründe
führen jedoch nicht zum Erfolg des Rechtsmittels.
2. Die Baueinstellungsverfügung rechtfertigt sich aus § 73 Abs. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 1 Nr. 1
BbgBO n.F., weil die Ausführung des Bauvorhabens durch die Antragsteller im Mai 2004
erfolgte, obwohl eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Tiefgarage nicht mehr
vorlag und eine nachträgliche Verlängerung der Geltungsdauer der Baugenehmigung
vom 15. Juli 1999 zuvor mit Bescheid vom 28. April 2004 vom Antragsgegner abgelehnt
worden war. Die Baugenehmigung vom 15. Juli 1999 ist gemäß § 78 Abs. 1 BbgBO a.F.
nach dreijähriger Geltungsdauer erloschen, weil mit der Ausführung des Bauvorhabens
durch die Antragsteller nach der Erteilung der Baugenehmigung nicht im Sinne des
Gesetzes begonnen worden war. Mit dem Bau beginnt, wer die Bauarbeiten für das
genehmigte Vorhaben nachhaltig aufnimmt. Bloße Scheinaktivitäten, ohne den
zusätzlichen Fertigstellungswillen, mit dem Ziel, die Baugenehmigung auch ernsthaft zu
verwirklichen, genügen hierfür nicht (vgl. Reimus/Semtner/Langer, BbgBO, 2. Aufl. 2004,
§ 69 RNr. 7; BayVGH, Urteil vom 29. Juni 1987, BRS 47 Nr. 143). Schließlich besteht ein
öffentliches Interesse daran, die Übereinstimmung eines nicht in angemessener Zeit
begonnenen Vorhabens mit den baurechtlichen Zulässigkeitsanforderungen erneut zu
überprüfen (VGH BW, Urteil vom 25. März 1999, BRS 62 Nr. 169).
Über den Baugrubenaushub mit dem Berliner Verbau und die Betonsohle hinaus, die als
Arbeiten zwar zu den wesentlichen Baumaßnahmen zur Ausführung eines Bauvorhabens
gehören (vgl. OVG Nds., Beschluss vom 7. Juli 1981, BRS 38 Nr. 157), im vorliegenden
Fall aber den Antragstellern nicht zurechenbar sind, weil sie schon weit vor dem
Grundstückserwerb durch die Voreigentümerin veranlasst worden waren, sind von ihnen
nachfolgend keine wesentlichen Bauarbeiten nach der Erteilung der Baugenehmigung für
die Tiefgarage vom 15. Juli 1999 in Ausnutzung der Genehmigung mehr durchgeführt
worden.
Ausgehend von dem im Ortsterminsprotokoll des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8.
April 1998 festgestellten Bauzustand der Baugrube, wonach diese bereits „ausgehoben
und verschalt“ gewesen sein soll, wobei hier – auch zugunsten der Antragsteller – davon
auszugehen ist, dass es sich um eine irrtümliche Bezeichnung des erst vorhandenen
Berliner Verbaus gehandelt haben muss, ist von den Antragstellern schon kein
Baubeginn oder zumindest eine Wiederaufnahme der Bauarbeiten im Sinne des § 74
Abs. 9 BbgBO a.F. angezeigt worden. Bei den Arbeiten, die die Antragsteller für den hier
maßgeblichen Tätigkeitszeitraum nach Bestandskraft der Baugenehmigung etwa von
September 1999 bis September 2002 mit der Beschwerdebegründung vom 28. Juli 2004
aufgelistet haben, handelt es sich nicht um solche, die einen zielführenden Baufortschritt
kennzeichnen. Die Antragsteller nannten im Wesentlichen das wiederholte Auspumpen
der Baugrube nach Wasseransammlungen, die Säuberung der Baugrube von Laub und
Ästen sowie Dämmarbeiten, wie das Aufnageln von Styrodurplatten mit nachfolgender
Anbringung von Dachpappe, wie sie auf den Fotos im Verwaltungsvorgang (Bl. 63 VV) zu
sehen sind. Diese Arbeiten dienten offenbar in erster Linie dem Schutz des Berliner
Verbaus und damit der Baugrube vor Witterungseinflüssen und sollten auch nach dem
eigenen Beschwerdevorbringen der Antragsteller nur soweit gehen, „als ihnen die
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eigenen Beschwerdevorbringen der Antragsteller nur soweit gehen, „als ihnen die
Möglichkeit zur Umnutzung in ein therapeutisches Bewegungsbad offen blieb“, nämlich
für den Fall des Erfolgs ihrer Klage 4 K 2377/01.
Allein der Umstand, dass - wie die Fotos im Verwaltungsvorgang (Bl. 63 VV) zeigen - der
zur Sicherung der Baugrube errichtete Berliner Verbau aus dem Jahre 1997 noch im Mai
2004 – und damit fast 8 Jahre nach seiner Errichtung - nahezu ungesichert durch
nachfolgende Bewehrung, Schalung und Betonschüttung vorhanden war und lediglich
teilweise Styrodur-Dämmung mit aufgebrachter Dachpappe (wohl) als Trennplatte für die
spätere Betonierung aufwies, so dass Feuchtigkeitseinwirkungen vor allem in den
unteren Teilbereichen zum Verfaulen der nicht druckimprägnierten, weil nur als
temporäre Sicherungsmaßnahme gedachten Bohlen mit nachfolgendem Erdeinbruch
führen konnten (vgl. Schreiben des Ingenieurbüros n. + e. vom 31. Mai 2004), zeigt,
dass die Antragsteller den Bau nicht fortschreiten ließen und auch nicht lassen wollten.
Vielmehr war ihnen offensichtlich daran gelegen, sich die von ihnen bevorzugte Option
auf die Errichtung einer Schwimmhalle anstelle der Tiefgarage bis zum Abschluss des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens 4 K 2377/01 baulich offen zu halten und keine
unnötigen Investitionen zu tätigen, zumindest nur solche, die dem Witterungsschutz
dienten und nachfolgend noch verwendbar sein würden. Das von den Antragstellern in
der Beschwerdebegründung aufgelistete, sich häufig wiederholende Abpumpen von
Wasser, stellt sich unter diesen Umständen ebenfalls nur als jeweilige Maßnahme zur
Sicherung der Baugrube, vor allem des Berliner Verbaus vor weiterem Verfall dar. Selbst
die im Mai 2004 durchgeführten Arbeiten (Bewehrung und Schalung) waren deshalb -
unabhängig davon, dass sie für die Fristberechnung nicht mehr von Bedeutung sind -
angesichts der akut aufgetretenen Gefahren durch ein Einbrechen der
Verbaukonstruktion mit nachfolgenden Geländeeinbrüchen auf den
Nachbargrundstücken in erster Linie eine Sicherungsmaßnahme, auch wenn sie dem
„Baufortschritt“ für die Errichtung der Tiefgarage zugleich dienlich waren, indem sie die
Betonschüttung vorbereiteten, zu der es jedoch aufgrund der angefochtenen
Baueinstellungsverfügung nicht mehr kam. Der Antragsgegner hat diese Bauarbeiten
auch nur als Baugrubensicherung anerkannt, aber die nachfolgende Betonschüttung
nicht mehr zugelassen, um eine weitere Verfestigung der Verhältnisse zu vermeiden und
stattdessen eine Erdauffüllung zu ermöglichen (vgl Protokollnotiz vom 1. Juni 2004, Bl. 71
VV).
Baumaßnahmen, die so zögerlich und stückwerkhaft durchgeführt werden, dass allein
schon dieser Umstand zum Verfall des zur Baugrubensicherung errichteten (Berliner)
Verbaus führt, stellen jedoch keinen zielführenden Baufortschritt dar, der den Fristablauf
für ein Erlöschen der Baugenehmigung hindern könnte. Dies gilt umso mehr, wenn
objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass subjektiv auch allenfalls eine
Baugrubensicherung in der Hoffnung auf die Realisierung eines anderen Bauprojekts
beabsichtigt ist, das noch im Klageverfahren verfolgt wird.
Auf die zahlreichen Angaben der Nachbarn, ob und, wenn ja, wann auf dem Grundstück
Bauaktivitäten entfaltet worden sind, sowie auf die von den Antragstellern geäußerten
Zweifel, inwieweit die Nachbarn überhaupt akustisch etwas von etwaigen Bauarbeiten
bemerkt haben oder das Baugrundstück einsehen konnten, kommt es deshalb nicht an.
Die formelle Illegalität allein rechtfertigt schon die Baueinstellungsverfügung. Insoweit
wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug
genommen. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ist nach dem Inkrafttreten des
Bebauungsplans KLM-BBP-010 „Musikerviertel“ schon im Hinblick auf die Überschreitung
der GRZ nicht mehr gegeben (vgl. textliche Festsetzungen Nr. 7, 8 sowie Begründung S.
20).
3. Soweit sich die Antragsteller mit der Beschwerde unter Hinweis auf die ergänzende
Stellungnahme des Ingenieurbüros n. + e. vom 12. Juli 2004 gegen die Ablehnung ihres
Hilfsantrages wenden, zumindest noch die Betonschüttung vornehmen zu dürfen, haben
sie ebenfalls keinen Erfolg. Dem Schreiben vom 12. Juli 2004 ist zu entnehmen, dass die
eingebrachte Baustahlbewehrung nunmehr die eigentliche Sicherung der Baugrube
darstellt, die verhindert, dass weitere Sandmassen einbrechen und es zu den
befürchteten Geländebrüchen auf den Nachbargrundstücken kommt. Die Schalung ist
dagegen aus Kostengründen inzwischen wieder entfernt worden, weil sie nach dieser
Stellungnahme für sich keine Sicherung der Baugrube darstellte, sondern nur der
Vorbereitung der Betonschüttung diente. Auch wenn den Antragstellern die
Betonverfüllung und damit die Errichtung der Tiefgaragenwand unter den gegebenen
Umständen als die wirtschaftlichste Maßnahme erscheint, die einen Baufortschritt mit
einer weiteren Baugrubensicherung vereinen würde, die weitere Verfolgung ihres
Bauprojekts (Schwimmbad) zudem nicht – wie die aufwändigere Erdverfüllung –
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Bauprojekts (Schwimmbad) zudem nicht – wie die aufwändigere Erdverfüllung –
ausschließen würde, stellt dies keine weitere Sicherungsmaßnahme dar, auf die sie
einen Anspruch haben könnten. Denn diese Baumaßnahme dient – im Gegensatz zu der
Erdverfüllung - der Verwirklichung eines Bauvorhabens, für das der Antragsgegner
bereits eine Verlängerung der Baugenehmigung abgelehnt hat, und die – wie dargelegt –
auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig erscheint
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52
Abs. 1, § 47 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt insoweit der erstinstanzlichen
Streitwertfestsetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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