Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 10.06.2008
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 11.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 11 S 53.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 1 Nr 2 BImSchG, § 11
Abs 1 S 2 BauO BB
Baurechtlicher Nachbarschutz: Ansiedlung mehrerer Betreiber
von Windenergieanlagen in einem Windpark;
Rücksichtnahmegebot bei verminderter Turbulenzintensität
einer Turbine im Verhältnis zur genehmigten Turbulenzintensität
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Potsdam vom 10. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird insoweit unter Änderung des Beschlusses
des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 10. Juni 2008 für beide Rechtszüge auf je
7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlagen der Beigeladenen. Er
selbst betreibt in Groß Haßlow eine Windkraftanlage vom Typ Lagerwey LW50/750 mit
einem Rotordurchmesser von 50,5 Metern und einer Nabenhöhe von 74,5 Metern (WKA
11), für die der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit Bescheid vom 20. Oktober 1997 eine
Baugenehmigung erteilte. Die Beigeladene betreibt ebenfalls am Standort Groß Haßlow
zehn Windkraftanlagen vom Typ Gamesa G 58 mit einem Rotordurchmesser von 58
Metern und einer Nabenhöhe von 71 Metern (WKA 1-10), die der Antragsgegner durch
Bescheid vom 9. August 2007 immissionsschutzrechtlich genehmigte. Mit Bescheid vom
13. November 2007 ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung dieses
Genehmigungsbescheides für die Errichtung und den Betrieb der WKA 1-9 und für die
Errichtung der WKA 10 an. Diese Anordnung ist Gegenstand des Verfahrens 5 L 787/07
Potsdam / OVG 11 S 2.08. Mit Bescheid vom 20. April 2008 ordnete er die sofortige
Vollziehung des Genehmigungsbescheides vom 9. August 2007 auch für den Betrieb der
WKA 10 an. Durch Beschluss vom 10. Juni 2008 hat es das Verwaltungsgericht
abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers vom 8., 9.
und 24. Oktober 2007 bezüglich des Betriebs der WKA 10 wiederherzustellen. Hiergegen
richtet sich die vorliegende Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die Beschwerde ist nicht begründet, denn die nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 VwGO zu
berücksichtigenden Einwände des Antragstellers rechtfertigen keine Änderung des
angefochtenen Beschlusses.
Es ist gemessen am Beschwerdevorbringen bei summarischer Prüfung überwiegend
wahrscheinlich, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Betriebs der
Windkraftanlage 10 rechtmäßig ist. Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist § 6
Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 2 BbgBO, wonach die Erteilung der
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unter anderem voraussetzt, dass die
Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und anderer Anlagen und Einrichtungen
sowie die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden
dürfen. Für die Beurteilung der Standsicherheit der Windkraftanlage des Antragstellers
ist von der diese Anlage betreffenden Baugenehmigung des Landkreises Ostprignitz-
Ruppin Nr. 01345/97 vom 20. Oktober 1997 auszugehen, deren Bestandteil gemäß
Nebenbestimmung 1.10 die der Baugenehmigung beigefügten bautechnischen
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Nebenbestimmung 1.10 die der Baugenehmigung beigefügten bautechnischen
Nachweise mit Prüfbericht Nr. 1, Prüfverzeichnis Nr. 97169 Ü, sind. Dieser Prüfbericht
des Prüfingenieurs für Baustatik Professor D. vom 25. August 1997, dem eine statische
Berechnung des Fundaments beigefügt ist, betrifft den Stahl-Vollwandturm mit
Flachgründung für die Windkraftanlage Lagerwey LW 50/750 und gelangt zu dem
Ergebnis, dass im Hinblick auf die Standsicherheit keine Bedenken bestehen. Der
Prüfbericht legt eine Windaufnahme "nach DIBt-Richtlinie für Windkraftanlagen, Juni 1993"
sowie die Lasten aus der Windkraftanlage nach Angaben des Herstellers zu Grunde. Es
ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die DIBt-Richtlinie 1993 auch in der zurzeit
der Genehmigung der Windkraftanlage des Antragstellers anwendbaren Fassung von
1995 für die Berechnung der Turbulenzintensität von einem für alle Geschwindigkeiten
konstanten Auslegungswert von 20% ausgegangen ist. Dieser Auslegungswert wird
durch den Betrieb der WKA 10 der Beigeladenen nach den im Genehmigungsverfahren
eingeholten Sachverständigengutachten nicht überschritten. Der TÜV Nord ist in seiner
gutachtlichen Stellungnahme zur Turbulenzbelastung im Windpark Groß Haßlow vom
Oktober 2007 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Windkraftanlage des Antragstellers
auch bei Betrieb der WKA 10 einer effektiven Turbulenzintensität von 17,9% ausgesetzt
wird. Soweit der Antragsteller die Berechnungsweise des TÜV Nord angreift, legt er
jedenfalls nicht dar, dass dieser zu einer Überschreitung des Auslegungswerts von 20 %
hätte gelangen müssen. Darüber hinaus schließt die G. GmbH (i. F.: GL) in ihrer
gutachtlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2007 ebenfalls mit der Feststellung,
dass die Turbulenzintensität des Auslegungswertes der Windkraftanlage 11 deutlich
unterschritten werde und die Standsicherheit dieser Windkraftanlage in der
Windparkkonfiguration aufgrund der Turbulenz- und Windbedingungen bestätigt werden
könne.
Der Antragsteller bestreitet auch nicht, dass der Turm seiner Windkraftanlage auf eine
Turbulenzintensität von 20% ausgelegt ist und dass diese Turbulenzintensität durch den
Betrieb der Windkraftanlage 10 nicht überschritten wird. Er macht jedoch geltend, dass
die Turbine nur auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt sei und demgemäß
dieser niedrigere Wert angesetzt werden müsse. Dem vermag der Senat bei
summarischer Prüfung nicht zu folgen. Es liegt auf der Hand und bedarf keines
besonderen Sachverstandes, dass bei dem Betrieb einer Windkraftanlage gerade deren
Turm und Gründung aufgrund der einwirkenden Hebelkräfte im Hinblick auf die
Standsicherheit der Anlage besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Standsicherheit
ist die Eigenschaft einer baulichen Anlage, die die vorgesehene Beanspruchung
gewährleistet, ohne dass derart starke physische Veränderungen an der baulichen
Anlage entstehen können, die eine Gefährdung bedeuten würde. Im Regelfall ist damit
eine Einsturzgefahr gemeint, die insbesondere Leben oder Gesundheit von Menschen
oder Tieren gefährden würde (vgl. Jäde/Dirnberger, Bauordnungsrecht Brandenburg, § 11
BbgBO, Rn. 7). Dies betrifft insbesondere Baugrund und Tragwerk. Aber auch soweit sich
das Erfordernis der Standsicherheit auf einzelne Teile einer baulichen Anlage erstreckt,
hat der Antragsteller deren Gefährdung in Bezug auf seine Windkraftanlage nicht
glaubhaft gemacht. Soweit er geltend macht, dass die aus Glasfaserkunststoff
bestehenden Rotorblätter seiner Windkraftanlage der größten Gefährdung durch
Turbulenzerhöhungen ausgesetzt seien, legt er selbst nicht dar, auf welche
Turbulenzintensität die Rotorblätter ausgelegt seien. Soweit er geltend gemacht, die
Turbine seiner Windkraftanlage sei auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt,
erscheint schon zweifelhaft, ob das von ihm mit der Antragsschrift eingereichte
undatierten Schreiben der E. B.V. dies bestätigt. Dieses englischsprachige Schreiben
bezieht sich ausweislich seines Betreffs auf die "Lagerwey Wind-turbine 750/50". Da
"Wind-turbine" mit Windenergieanlage zu übersetzen ist, kann nicht ohne weiteres davon
ausgegangen werden, dass mit dem im Folgenden benutzten Ausdruck "turbine"
lediglich ein Maschinenteil, etwa der Generator der Windkraftanlage gemeint ist. Sollte
sich die Aussage hingegen auf die gesamte Windkraftanlage beziehen, so stünde dies
zumindest im Hinblick auf Turm und Gründung der Windkraftanlage des Antragstellers im
Widerspruch zur Baugenehmigung vom 20. Oktober 1997, an der sich der Antragsteller
festhalten lassen muss.
Aber selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Maschine der Windkraftanlage des
Antragstellers lediglich auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt ist, könnte dies
nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche des
Antragstellers gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Betrieb der
WKA 10 der Beigeladenen rechtfertigen. Denn der Umstand, dass einzelne Teile der
Windkraftanlage den für Turm und Gründung genehmigten und nach DIBt 1993/1995
schon damaligem Standard entsprechenden Auslegungswert für die Turbulenzintensität
nicht ausschöpfen, kann kein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers darin
begründen, dass andere Betreiber die Planung iher Windkraftanlagen dem anpassen.
Anderenfalls hätte es der Antragsteller praktisch in der Hand, durch mehr oder weniger
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Anderenfalls hätte es der Antragsteller praktisch in der Hand, durch mehr oder weniger
willkürlichen Ansatz bestimmter Auslegungswerte die Konkurrenzsituation in Windparks
zusteuern (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Januar 2000 - 7 B 2180/99
-, NVwZ 2000,1064, sowie bei Juris, dort Rn. 10). Schon aus diesem Grund kann sich der
Antragsteller auch nicht darauf berufen, dass die Beigeladene mit dem Betrieb der WKA
10 gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot verstoße.
Hiervon abgesehen ginge auch eine bei offenen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in
der Hauptsache vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus.
Denn auch wenn man davon ausgingen, dass die Maschine seiner Windkraftanlage
lediglich auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt ist, würde die Überschreitung
des Auslegungswertes offensichtlich nicht zu akuten Gefahren führen, sondern vielmehr
einen vorzeitigen Verschleiß der maschinentechnischen Teile der Anlage bedingen und
gegebenenfalls einen erhöhten Überwachungs- und Wartungsaufwand verursachen, der
zudem finanziell ausgeglichen werden könnte, wenn die immissionsschutzrechtliche
Genehmigung zum Betrieb der WKA 10 im Hauptsacheverfahren aufgehoben werden
sollte (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 24. Januar 2000, a.a.O.).
Dieser Nachteil wäre auch dadurch relativiert, dass die Windkraftanlage des
Antragstellers bei Inbetriebnahme der WKA 10 bereits etwa die Hälfte ihrer insgesamt
auf circa 20 Jahre prognostizierten Lebensdauer erreicht hatte. Im Übrigen gelangt GL in
ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2007 für die Bauteile Maschine
und Rotorblätter der WKA 11 zu einer effektiven Turbulenzintensität, die nur um 0.5 %
über dem vom Antragsteller behaupteten Auslegungswert von 16 % liegt. Hinzu kommt,
dass eine Erhöhung der Turbulenzintensität am Standort der WKA 11 des Antragstellers
überhaupt nur dann auftritt, wenn diese sich in der Nachlaufströmung der WKA 10
befindet, die der TÜV Nord in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom Oktober 2007 mit
einem Bereich von 241° bis 265° angegeben hat. Unter weiterer Berücksichtigung der in
dieser gutachtlichen Stellungnahme aufgeführten relativen Häufigkeiten der
Windrichtungen am Standort dürfte auf den genannten Bereich lediglich ein Bruchteil von
voraussichtlich nicht mehr als einem Drittel entfallen. In diesen Fällen wäre es im übrigen
auch dem Antragsteller möglich, seine Windkraftanlage zu deren Schonung
vorübergehend abzuschalten, wie auch der TÜV Nord dies in seiner gutachtlichen
Stellungnahme beschrieben hat, oder die Anlage vorübergehend mit einer reduzierten
Last zu fahren, was der Antragsteller nach eigenem Vortrag bereits praktiziert hat.
Demgegenüber würde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der
Widersprüche des Antragstellers gegen die Genehmigung zum Betrieb der WKA 10 dazu
führen, dass diese während des Rechtsbehelfsverfahrens zunächst außer Betrieb bliebe
und zur Nutzung regenerativer Energien, deren Ertrag die Beigeladene für jede
Windkraftanlage mit jährlich 1,6 Millionen kWh Strom angibt, nicht zur Verfügung stünde.
Für den Betrieb auch der genehmigten WKA 10 streitet aber ein besonderes öffentliches
Interesse, weil der Gesetzgeber insbesondere in § 1 EEG zum Ausdruck gebracht hat,
dass es im Interesse des Klima-, Natur- und Umweltschutzes liege, eine nachhaltige
Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und dazu den Anteil erneuerbarer
Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2010 auf mindestens 12,5% und bis zum
Jahr 2020 auf mindestens 20% zu erhöhen. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber durch das
am 1. Januar 2009 in Kraft tretende Gesetz zur Neuregelung des Rechts der
Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender
Vorschriften vom 25. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2074) als Beitrag zur Erreichung der
Klimaschutzziele der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der
Bundesrepublik Deutschland (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 16/8148, S.
26) sogar erhöht und dessen § 1 Abs. 2 dahin formuliert, den Anteil Erneuerbarer
Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2020 auf mindestens 30 Prozent und
danach kontinuierlich weiter zu erhöhen. Bereits dieses besondere öffentliche Interesse
an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Genehmigungsbescheides überwiegt
das Suspensivinteresse des Antragstellers (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 24.
November 2008 - OVG 11 S 74.08 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die den
angefochtenen Beschluss teilweise ändernde Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs.
1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich der Senat
mangels näherer Angaben des Antragstellers zur wertmäßigen Bemessung der von ihm
besorgen Schäden bzw. wirtschaftlichen Einbußen pauschalierend an Tz. 19.2 i.V.m.
2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004,
1327). Dieser Wert war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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