Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 28.02.2008
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 M 67.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 1 InsO, § 22 Abs 2
InsO, § 38 InsO, § 55 Abs 1
InsO, § 55 Abs 2 InsO
Insolvenzrecht: Begründung einer Masseverbindlichkeit durch
den vorläufigen Insolvenzverwalter bei unterbliebenem
allgemeinen Verfügungsverbot des Schuldners
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 28. Februar 2008 wird geändert.
Dem Kläger wird, soweit sich die Klage gegen die in dem angefochtenen Bescheid vom
24. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27. März 2006
festgesetzten Schmutzwassergebühren für den Zeitraum vom 14. September bis zum
31. Dezember 2005 richtet, Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter
Beiordnung von Rechtsanwalt M., bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Versagung von
Prozesskostenhilfe hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, § 166 VwGO
in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet insoweit
im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht
mutwillig. Der Kläger ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt nicht voraus, dass der Prozesserfolg
schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die bereits dann
gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in
Betracht kommt wie ein Unterliegen (BVerwG, Beschluss vom 8. März 1999 - 6 B 121/98
-, juris).
Grundsätzlich ist für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Erkenntnisstand im
Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages maßgebend. Dieser
Zeitpunkt ist in der Regel erreicht, wenn neben der Klage bzw. dem Antrag oder dem
Rechtsmittel die Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse
vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2003 - 1 B 386/02 -, juris).
Gemessen daran ist dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt
K. zu gewähren, soweit er sich mit seiner Klage gegen die in dem angefochtenen
Bescheid festgesetzten Schmutzwassergebühren für den in die Zeit der vorläufigen
Insolvenzverwaltung fallenden Zeitraum vom 14. September bis zum 31. Dezember
2005 wendet. Insoweit ist der Ausgang des Klageverfahrens bei Bewilligungsreife offen
gewesen.
Die Frage, ob der Beklagte die Schmutzwassergebühren für den vorgenannten Zeitraum
als Masseverbindlichkeit durch Bescheid gegenüber dem Kläger gelten machen konnte
oder ob er vielmehr gehalten war, sie durch Anmeldung als Insolvenzforderung (vgl. § 38
InsO) zur Insolvenztabelle geltend zu machen, beurteilt sich nach § 55 Abs. 2 InsO.
Gemäß Satz 1 dieser Norm gelten Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen
Insolvenzverwalter begründet worden sind, nach Eröffnung des Verfahrens, die hier am
16. Februar 2006 erfolgt ist, als (sonstige) Massenverbindlichkeiten. Gleiches gilt nach
Satz 2 der Vorschrift für Verbindlichkeiten aus vom Schuldner begründeten
Dauerschuldverhältnissen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm
verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. § 55 Abs. 2 InsO
gilt seinem Wortlaut nach indes nur für Rechtshandlungen eines vorläufigen
Insolvenzverwalters, „auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des
Schuldners übergegangen ist“. Damit knüpft die Vorschrift an die in § 22 Abs. 1 InsO
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Schuldners übergegangen ist“. Damit knüpft die Vorschrift an die in § 22 Abs. 1 InsO
geregelte Rechtsstellung des so genannten „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters
an, auf den die umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das
Schuldnervermögen infolge eines dem Schuldner auferlegten allgemeinen
Verfügungsverbotes übergegangen ist. Der Umstand, dass der „starke“ vorläufige
Insolvenzverwalter im Wesentlichen dieselbe Rechtsstellung wie der Insolvenzverwalter
im eröffneten Verfahren (vgl. § 80 Abs. 1 InsO) inne hat, rechtfertigt es, die Wirkungen
des eröffneten Verfahrens in das Eröffnungsverfahren vorzuverlagern und die von dem
vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten
einzuordnen.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass das Insolvenzgericht dem
Schuldner in dem Beschluss vom 13. September 2005 kein allgemeines
Verfügungsverbot auferlegt hat, den Kläger vielmehr zum so genannten „schwachen“
vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 2 InsO bestellt hat, ihn gleichwohl aber e
r m ä c h t i g t hat, zur Aufrechterhaltung des Hotelbetriebes „S.“ zu Lasten der
künftigen Masse Verbindlichkeiten zu begründen und zu bezahlen. Eine unmittelbare
Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO auf eine derartige Fallgestaltung scheidet aus.
Angesichts dessen kann die Abgabenforderung nur über eine analoge Anwendung des §
55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeit geworden sein. Hierfür reicht indessen
möglicherweise eine bloße Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur
Begründung bestimmter Verbindlichkeiten nicht aus; vielmehr könnte ein
ausdrückliches, der Ermächtigung entsprechendes partielles Verfügungsverbot zu
Lasten des Schuldners erforderlich sein, das hier nicht vorliegt (offen gelassen in BGH,
Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01 -, Rdnr. 36, juris). Diese Frage ist im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu klären, was schon für sich genommen zur
Gewährung von Prozesskostenhilfe führt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass
der vorliegende Fall selbst dann im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu klärende Fragen
aufwirft, wenn man davon ausgeht, dass es für eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2
InsO genügt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter in einem Teilbereich nur neben und
nicht anstelle des Schuldners handeln kann. Denn in diesem Falle müsste geklärt
werden, ob die in Rede stehende Abgabenverbindlichkeit vorliegend vom vorläufigen
Insolvenzverwalter oder vom Schuldner begründet worden ist. Auch diese Frage ist im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu klären, weil die Inanspruchnahme der
Abwasserbeseitigung durchaus auch dem Schuldner zugerechnet werden kann,
nachdem dieser das Hotel schon vor Beginn der vorläufigen Insolvenzverwaltung
verpachtet hat und der Kläger den Pachtvertrag hat weiter laufen lassen.
Hinsichtlich der angefochtenen Festsetzung der Vorauszahlungen für das Jahr 2006 fehlt
es der Klage jedoch an der hinreichenden Erfolgsaussicht. Durch den endgültigen
Gebührenbescheid für 2006 vom 19. Februar 2007 haben sich die in dem angefochtenen
Gebührenbescheid festgesetzten Vorauszahlungen für 2006 erledigt, so dass es an
einem Rechtsschutzbedürfnis für die Aufrechterhaltung der Klage fehlt. Ungeachtet
dessen bestehen keine Zweifel daran, dass die Vorauszahlungen, soweit sie auf den
Zeitraum ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen, Masseverbindlichkeiten im
Sinne des § 55 Abs. 1 Ziffer 1 InsO sind, die durch Bescheid geltend gemacht werden
durften.
Die Kostenentscheidung beruft auf § 155 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung
bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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