Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 11.06.2009

OVG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, altersrente, ermessensausübung, wiedergabe, einkünfte, link, sammlung, quelle, ergänzung, sozialhilfe

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 S 80.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 5 VwGO, § 80 Abs 4 S
3 VwGO, § 114 S 2 VwGO, § 146
Abs 4 S 6 VwGO, § 5 S 1 VwVG
BB
Vollstreckung eines Anschlussbeitrages; Pfändungs- und
Einziehungsverfügung - Anordnung, die unterhaltsberechtigte
Ehefrau des Vollstreckungsschuldners bei der Ermittlung des
unpfändbaren Teils des Einkommens nicht zu berücksichtigen;
Nachholung von Ermessenserwägungen
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Cottbus vom 11. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 185,90 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller schuldet dem Antragsgegner einen Anschlussbeitrag sowie
abgabenrechtliche Nebenleistungen. Der Antragsteller bezieht eine Altersrente in Höhe
von monatlich 1 026,53 €, seine Ehefrau eine solche in Höhe von 473,63 €. Zur
Beitreibung der Rückstände erließ der Antragsgegner am 8. Juli 2008 eine Pfändungs-
und Einziehungsverfügung gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Nachdem diese dem Antragsgegner mitgeteilt hatte, dass sich kein pfändbarer Betrag
ergebe, da der für die Pfändung maßgebliche monatliche Zahlbetrag im Hinblick auf die
unterhaltsberechtigte Ehefrau des Antragstellers unterhalb der Pfändungsfreigrenze
liege, ordnete der Antragsgegner am 24. Juli 2008 an, dass die Ehefrau des
Antragstellers wegen deren eigener Altersrente „bei der Berechnung des pfändbaren
Einkommens nicht berücksichtigt werden muss“. Die Deutsche Rentenversicherung
Bund ermittelte daraufhin einen pfändbaren Betrag in Höhe von monatlich 24,40 € und
überwies diesen ab 1. Oktober 2008 an den Antragsgegner. Die Widersprüche des
Antragstellers wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 30. September 2008 und 16.
Oktober 2008 zurückgewiesen. Über die am 14. November 2008 erhobene Klage ist
noch nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2009 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung
der Klage angeordnet. Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 15. Juni 2009 zugestellt
worden. Der Antragsgegner hat am 17. Juni 2009 Beschwerde erhoben und diese am 25.
Juni 2009 begründet.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat für die bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
Klage gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO maßgeblichen ernstlichen Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides darauf abgestellt, dass sich die
vollstreckungsrechtliche Anordnung des Antragsgegners gemäß § 850 c Abs. 4 ZPO, die
Ehefrau des Antragstellers bei der Berechnung des unpfändbaren Teils der Altersrente
unberücksichtigt zu lassen, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig
erweise und dies auf die Pfändungs- und Einziehungsverfügung durchschlage. Weder aus
der Anordnung noch aus den Widerspruchsbescheiden sei ersichtlich, ob oder in welcher
Weise der Antragsgegner das ihm in § 850 c Abs. 4 ZPO eingeräumte Ermessen
tatsächlich ausgeübt habe. Einer Nachholung der Ermessenserwägungen stehe § 114
Satz 2 VwGO entgegen.
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Die fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, bei denen die Prüfung im
Beschwerdeverfahren wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ansetzt, geben keinen Anlass zu
einer anderen Bewertung. Die Rüge des Antragsgegners, er habe in seinem
Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2008 seine Ermessenserwägungen mitgeteilt,
indem er darauf abgestellt habe, dass die Ehefrau des Antragstellers wegen deren
Renteneinkünfte bei der Berechnung des unpfändbaren Einkommens des Schuldners
nicht berücksichtigt werde, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach § 850 c Abs. 4
ZPO, der hier über § 5 Satz 1 VwVGBbg i.V.m. § 319 AO und § 54 Abs. 4 SGB I
anwendbar ist, kann die Vollstreckungsbehörde nach billigem Ermessen bestimmen,
dass eine Person mit eigenen Einkünften, der der Schuldner auf Grund gesetzlicher
Verpflichtung Unterhalt gewährt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des
Einkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Eine fehlerfreie
Ermessensausübung setzt – mit Ausnahme in jedem Fall voraus, dass die Behörde ihre
Entscheidung auf Grund eines vollständig ermittelten Sachverhalts getroffen und dabei
sämtliche Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt hat, die nach
Sinn und Zweck der das Ermessen einräumenden Norm maßgeblich sind. Um eine
gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung vornehmen zu können, muss
diese im Verwaltungsverfahren, spätestens aber in dem Widerspruchsbescheid
begründet werden. Im anschließenden gerichtlichen Verfahren ist lediglich eine
Ergänzung, nicht jedoch eine Nachholung von Ermessenserwägungen zulässig (§ 114
Satz 2 VwGO). Vorliegend hat der Antragsgegner sowohl in seiner Ausgangs- als auch in
seiner Widerspruchsentscheidung die Nichtberücksichtigung der Ehefrau bei der
Ermittlung des unpfändbaren Teils des Einkommens des Antragstellers ausschließlich
auf den Umstand gestützt, dass diese eine eigene Rente bezieht. Eine solche
Begründung vermag eine Ermessensausübung schon deshalb nicht zu tragen, weil sie
sich in der Wiedergabe der tatbestandlichen Voraussetzung für eine
Ermessensentscheidung nach § 850 c Abs. 4 ZPO erschöpft. Das Vorliegen eigener
Einkünfte des Unterhaltsberechtigten eröffnet eine Ermessensausübung nach dieser
Vorschrift, macht diese aber nicht entbehrlich. Selbst wenn für den Antragsgegner
letztlich die konkrete Höhe der von der Ehefrau des Antragstellers bezogenen
Altersrente für deren gänzliche Nichtberücksichtigung bei der Ermittlung des
unpfändbaren Teils des Einkommens des Antragstellers maßgeblich gewesen sein sollte,
würde das nichts an dem Ermessensausfall ändern. Weder aus der Ausgangs- noch aus
der Widerspruchsentscheidung ist ansatzweise ersichtlich, warum die Höhe der
Altersrente eine vollständige Nichtberücksichtigung der unterhaltsberechtigten Ehefrau
aus der Sicht des Antragsgegners rechtfertigt. Eine Begründung hierfür hat der
Antragsgegner erstmals im gerichtlichen Verfahren gegeben, indem er darauf
hingewiesen hat, sich bei seiner Entscheidung grundsätzlich an dem Eckregelsatz für die
Sozialhilfe zuzüglich eines 20-prozentigen Zuschlags zu orientieren. Darin ist –
ungeachtet der Frage ihrer Richtigkeit – eine vollständige Nachholung von
Ermessenserwägungen zu sehen, die nicht durch § 114 Satz 2 VwGO gedeckt und daher
nicht geeignet ist, die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Bescheides zu beseitigen.
Mit Blick auf die Zurückweisung der Beschwerde und der daraus folgenden
Kostenentscheidung bedarf es keiner Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag
des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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