Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 09.05.2007

OVG Berlin-Brandenburg: anspruch auf rechtliches gehör, faires verfahren, satzung, beitragspflicht, akteneinsicht, grundstück, bestimmtheit, hauptsache, veranlagung, beitragsforderung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 S 26.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 8 KAG
BB
Die Überprüfung eines Straßenbaubeitragsbescheids im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Frankfurt (Oder) vom 9. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 119,31 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen, das allein Gegenstand der Prüfung des
Oberverwaltungsgerichts ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung des
angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat für die Prüfung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angefochtenen Beitragsbescheides im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO darauf
abgestellt, dass solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts erst dann bestünden, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der
Hauptsache wahrscheinlicher sei als sein Misserfolg, wobei für die betreffende Prüfung im
Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ein im
Vergleich zum Hauptsacheverfahren reduzierter Prüfungsrahmen maßgeblich sei. Bei
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestünden keine ernstlichen Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der Einzelsatzung über die Erhebung von Straßenbaubeiträgen vom
1. September 2005 (ESABS) und der darauf beruhenden Beitragserhebung des
Antragsgegners. Auch wenn der Antragsgegner auf die im Hauptsacheverfahren
ergangenen gerichtlichen Auflagen bislang nur wenige Unterlagen eingereicht habe, sei
derzeit nicht davon auszugehen, dass solche nicht existierten, sondern dass der
Antragsgegner den Auflagen (im Hauptsacheverfahren) teilweise bislang nur
oberflächlich nachgekommen sei. Dies im Einzelnen zu klären, bleibe dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten, in dem die betreffenden Unterlagen angefordert und
noch nach wie vor vorzulegen seien.
Der Vorwurf des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Beitragssatzung trotz fehlender Satzungsunterlagen verneint und
damit den Anspruch auf rechtliches Gehör sowie auf ein faires Verfahren verletzt, greift
nicht durch. Der von dem Verwaltungsgericht angewandte Prüfungsmaßstab entspricht
der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur den Beschluss vom 1. August 2005 -
9 S 2.05 -, juris), wonach im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO
regelmäßig von der Wirksamkeit des dem Abgabenbescheid zugrunde liegenden
Satzungsrechts auszugehen ist und sich das Gericht auf die Kontrolle der äußeren
Gültigkeit der Satzung und sich ersichtlich aufdrängender materieller Satzungsfehler
sowie die Prüfung substanziierter Einwände des Antragstellers beschränken kann. Die
Prüfung findet dort ihre Grenzen, wo es um die Klärung schwieriger Rechts- und
Tatsachenfragen geht, deren abschließende Beurteilung dem Hauptsache-verfahren
vorbehalten bleibt. Angesichts dieses im vorläufigen Rechtsschutzverfahren reduzierten
Prüfungsrahmens ist die Verpflichtung des Gerichts eingeschränkt, Unterlagen zur
Überprüfung der Rechtmäßigkeit bzw. Gültigkeit der einschlägigen Beitragssatzung
heranzuziehen und konnte sich vorliegend das Verwaltungsgericht auf eine
summarische Prüfung der vom Antragsgegner eingereichten und vom Antragsteller
eingesehenen Satzungsunterlagen (siehe Beiakte 2 zu dem verwaltungsgerichtlichen
Verfahren 7 K 1694/06), die u. a. eine Karte des Abrechnungsgebietes, den
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Verfahren 7 K 1694/06), die u. a. eine Karte des Abrechnungsgebietes, den
Satzungstext, Abrechnungsunterlagen sowie eine Baubeschreibung enthalten,
beschränken. Gesteigerte Prüfungsanforderungen ergaben sich für das
Verwaltungsgericht auch nicht daraus, dass sich der Antragsteller im Gerichtsverfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes anhand vollständiger Satzungsunterlagen eingehend
informieren und ggf. zur Fehlerhaftigkeit der Satzung bzw. zu Abrechnungsfehlern
vortragen wollte. Im Hinblick auf die nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage
im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO war es dem Antragsteller zumutbar, sich außerhalb
des Gerichtsverfahrens Akteneinsicht zu verschaffen, selbst wenn gegenüber der
Behörde kein regelrechter Anspruch auf Akteneinsicht, sondern nur auf fehlerfreie
Ausübung des Ermessens, Akteneinsicht zu gewähren, besteht. Der Antragsteller hätte
sich daher - worauf er in dem gerichtlichen Schreiben vom 7. März 2007 auch
hingewiesen worden war - zunächst unmittelbar bei dem Antragsgegner um
Akteneinsicht bemühen müssen, bevor das Verwaltungsgericht gehalten war,
Unterlagen anzufordern, die es zwar im Hauptsacheverfahren, wegen des begrenzten
Prüfungsumfangs jedoch nicht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren benötigte (vgl. im
Einzelnen Beschluss des Senats vom 1. August 2005, a.a.O.).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides
vermag der Antragsteller darüber hinaus nicht damit zu begründen, dass sein zur
Veranlagung herangezogenes Grundstück zu ca. 60 v.H. im Innenbereich und zu 40 v.H.
im Außenbereich belegen sei, mithin zwei selbständige wirtschaftliche Einheiten bilde
und deshalb eine getrennte Veranlagung beider Grundstücksteile hätte erfolgen
müssen. Ungeachtet der Frage nach dem wirtschaftlichen Grundstücksbegriff ist ein
Bescheid nicht schon mangels inhaltlicher Bestimmtheit rechtswidrig, weil die
Beitragsforderungen für zwei Grundstücke in einem Betrag festgesetzt worden sind.
Maßgeblich ist vielmehr, ob eine Aufteilung dieses Betrages auf beide Grundstücke im
Wege der Auslegung möglich ist. Der inhaltlichen Bestimmtheit von Abgabenbescheiden
ist danach Genüge getan, wenn auf Grund der im Bescheid angegebenen
Berechnungsgrundlagen aus dem festgesetzten Gesamtbeitrag ohne weiteres und
zweifelsfrei der sich für jedes Grundstück ergebende Beitrag berechnet werden kann
(Driehaus in ders., Kommunalabgabenrecht, Stand September 2007, § 8 Rdnr. 76 a).
Das ist hier der Fall, da in dem angefochtenen Beitragsbescheid die
Bemessungsgrundlagen für beide Grundstücksteilflächen sowie die darauf entfallenden
Beiträge getrennt dargestellt sind.
Mit seinem weiteren, gegen die Wirksamkeit der Beitragssatzung gerichteten Vorbringen
dringt der Antragsteller nicht durch. Das gilt zunächst für die von ihm vertretene
Auffassung, dass die Regelung in § 4 Abs. 2 ESABS unwirksam sei, weil darin nur
Maßstabsregelungen für vollständig im Innen- oder Außenbereich belegene
Grundstücke, nicht jedoch für solche, die - wie im vorliegenden Fall - vom Innen- in den
Außenbereich übergingen, enthalten seien. Diese am Buchgrundstücksbegriff
angelehnte Auslegung des § 4 Abs. 2 ESABS ist nach dem Wortlaut der Satzungsnorm
nicht zwingend geboten und trägt zudem der Bedeutung des wirtschaftlichen
Grundstücksbegriffs nicht ausreichend Rechnung. Bei Anwendung des wirtschaftlichen
Grundstücksbegriffs (vgl. zu seiner beitragsrechtlichen Bedeutung in Brandenburg
Becker in Becker/Benedens/Deppe/Düwel/Kluge/Liedtke/Schmidt, Kommentar zum KAG,
Stand Oktober 2007, § 8 Rdnr. 114 ff., 129, mit eingehenden
Rechtsprechungsnachweisen) zerfällt - wie vom Antragsteller selbst angenommen - ein
vom Innen- in den Außenbereich übergehendes Grundstück in zwei selbständige
wirtschaftliche Einheiten, die als Grundstücke im Sinne des § 4 Abs. 2 ESABS gelten und
damit von dessen Maßstabsregelung erfasst werden können.
Der ebenfalls auf die Unwirksamkeit des § 4 Abs. 2 ESABS zielende Vorhalt des
Antragstellers, die vollständige und unabhängig von ihrer baulichen bzw. gewerblichen
Ausnutzbarkeit geregelte Heranziehung der im Außenbereich belegenen
Grundstücksfläche zu Beiträgen sei inäquivalent, weil es an einer entsprechenden
Vorteilslage fehle, geht ins Leere. Grundstücke im Außenbereich werden von der
Beitragspflicht erfasst, soweit für diese die Möglichkeit der Inanspruchnahme der
Einrichtung oder Anlage besteht (Vorteilslage). Dass der Antragsteller die im
Außenbereich liegende Fläche seines Grundstücks lediglich zu landwirtschaftlichen
Zwecken nutzen kann, steht der Annahme einer durch die Straßenbaumaßnahme
vermittelten Vorteilslage grundsätzlich nicht entgegen (vgl. zur Rechtslage in
Brandenburg OVG Brandenburg, Beschluss vom 12. Dezember 2002 - 2 B 133/02 -) und
wird auch nicht durch die bloße Behauptung des Antragstellers, eine Nutzung der
betreffenden Außenbereichsfläche sei nicht möglich, ernsthaft in Zweifel gezogen. Der -
im Gegensatz zur bebaubaren Innenbereichsfläche - nur eingeschränkten Nutzbarkeit
der Außenbereichsfläche wird in dem angefochtenen Beitragsbescheid durch ihre
Vervielfachung mit dem gemäß § 4 Abs. 4 Buchstabe d) für Außenbereichsgrundstücke
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Vervielfachung mit dem gemäß § 4 Abs. 4 Buchstabe d) für Außenbereichsgrundstücke
mit landwirtschaftlicher Nutzung geltenden Nutzungsfaktor 0,05 Rechnung getragen, der
sich in der für Außenbereichsflächen in Betracht kommenden Faktorenbandbreite von
0,0167 bis 1,0 (vgl. hierzu Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Auflage
2007, § 36 Rdnr. 7 ff.) bewegt. Soweit der Antragsteller den gewählten Nutzungsfaktor
dennoch als inäquivalent rügt und sich dabei auf eine ständige, nicht näher dargelegte
Rechtsprechung im Land Brandenburg beruft, ist sein Vorbringen zu unsubstanziiert, um
die vom Satzungsgeber im Rahmen seines Bewertungsermessens getroffene
Entscheidung in Frage zu stellen.
Auch die vom Antragsteller beanstandete degressive Staffelung der Nutzungsfaktoren
bei bebaubaren Grundstücken in § 4 Abs. 4 Buchstaben a) bis c) erweckt keine
Rechtmäßigkeitszweifel, die eine Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen könnten. Die
abgabenrechtliche Zulässigkeit einer degressiven Ausgestaltung der Nutzungsfaktoren
bei höherer Geschossigkeit ist bisher nicht eindeutig geklärt (vgl. Driehaus, a.a.O., § 18
Rdnr. 72; Möller in Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 1926) und im Hinblick darauf, dass hierzu
keine Rechtsprechung für das Land Brandenburg vorliegt, der Beurteilung im
Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
Gleichfalls der Beantwortung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss die
vom Antragsteller aufgeworfene Frage nach der Fehlerhaftigkeit der Regelung des
Beitragsschuldners in § 5 ESABS. Eine Beitragssatzung, die eine mit den Bestimmungen
in § 8 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 KAG (in der jeweils maßgeblichen Fassung) unvereinbare
Regelung hinsichtlich der Nutzer nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz enthält
(vgl. zur Rechtslage in Brandenburg Becker in derselbe pp., a.a.O., § 8 Rdnr. 149 ff.),
kann nach dem Grundsatz der regionalen Teilbarkeit für die abzurechnende
Ausbaumaßnahme eine hinreichende satzungsrechtliche Grundlage bilden, wenn
auszuschließen ist, dass in dem Abrechnungsgebiet Nutzungsverhältnisse nach dem
Sachenrechtsbereinigungsgesetz bestehen (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 23. März
2000 - 2 A 226/98 -, Mitt. StGB Bbg 2000, 213, 218). Ob Letzteres der Fall ist, bedarf
jedoch einer eingehenden, nicht im summarischen Verfahren vorzunehmenden Prüfung.
Der Einwand des Antragstellers, dass die Beitragssatzung in ihrem § 1 nur die
Tatbestände der „Erneuerung“ und „Verbesserung“ anführe und damit die
„Herstellung“ der Gehwege und der Oberflächenentwässerung der Straße
beitragsrechtlich nicht erfasse, verfängt nicht. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG muss eine
Satzung den die Abgaben begründenden Tatbestand, d.h. die Leistung der Gemeinde
angeben, an die die Erhebung von Beiträgen anknüpft. Diesem aus dem
Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der
Abgabenpflicht wird in der Praxis weitgehend dadurch entsprochen, dass in § 1 der
jeweiligen Beitragssatzung die beitragsfähigen Maßnahmen im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz
1 KAG aufgezählt werden. Hieraus folgt aber noch nicht, dass vorliegend der
Beschreibung des Beitragstatbestandes in § 1 ESABS ein ausschließlicher Charakter
zukommt, der keine weiteren tatbestandlichen Festlegungen durch die übrigen
Satzungsnormen zulässt. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht auf § 2 Abs. 1 ESABS
hin, der offensichtlich in Ergänzung zu § 1 ESABS auch die „Herstellung“ namentlich der
Gehwege und der Oberflächenentwässerung der Straße erfasst. Ist demnach auch der
Tatbestand der „Herstellung“ in der Satzung ausdrücklich aufgeführt, besteht kein
Anlass, insoweit an einer ausreichenden, den Anforderungen des § 2 Abs. 1 Satz KAG
genügenden satzungsrechtlichen Grundlage für die Begründung der Beitragspflicht zu
zweifeln.
Schließlich verhilft der Einwand des Antragstellers, dass die Beitragsforderung verjährt
sei, weil die sachliche Beitragspflicht mangels Bauprogramms bereits mit der
Schlussrechnung vom 28. November 1996 entstanden und der angefochtene
Beitragsbescheid vom 28. September 2005 erst nach Ablauf der vierjährigen
Festsetzungsfrist ergangen sei, der Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach den vom
Antragsgegner im Beschwerdeverfahren eingereichten und vom Antragsteller
eingesehenen Unterlagen, die zumindest den Anforderungen an ein formloses
Bauprogramm genügen dürften (vgl. hierzu Driehaus, a.a.O., § 30 Rdnr. 33, 34; § 33
Rdnr. 4 ff.), ist der Grunderwerb als Herstellungsmerkmal der Anlage anzusehen, vor
dessen Verwirklichung die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen konnte. Für eine
derartige Deutung spricht auch, dass der Satzungsgeber in § 2 Abs. 1 letzter
Spiegelstrich ESABS den Grunderwerb als beitragsfähige Maßnahme aufgezählt hat.
Demnach ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die
bauprogrammgemäße endgültige Herstellung der Anlage (§ 8 Abs. 7 Satz 1 KAG) erst
mit Vollzug des letzten nach dem vorgelegten Maßnahmenplan erforderlichen
Grunderwerbs im Jahr 2003 erfolgt und somit die festgesetzte Beitragsforderung nicht
verjährt ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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