Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 05.11.2009

OVG Berlin-Brandenburg: befangenheit, vorbefassung, unparteilichkeit, link, sammlung, quelle, form, verwaltungsprozess, erlass, verfahrensrecht

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 3 B 5.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 54 VwGO, § 41 Nr 6 ZPO, § 42
ZPO
Befangenheit eines Richters beim Beschwerdegericht aufgrund
Vorbefassung desselben mit der Angelegenheit in I. Instanz im
Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen Richter am Oberverwaltungsgericht wegen
Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Richter am Oberverwaltungsgericht hat in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 5.
November 2009 gem. § 54 Abs. 1 VwGO, § 48 ZPO darauf hingewiesen, dass er in der
vorliegenden Streitsache, für die er am 3. August 2009 die Berichterstattung
übernommen habe, an dem den Beteiligten bekannten Beschluss des
Verwaltungsgerichts vom 29. August 2005 mitgewirkt habe, mit dem der Antrag der
Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das gerichtliche Verfahren erster
Instanz abgelehnt worden ist. Das daraufhin gestellte Ablehnungsgesuch der Klägerin ist
nicht begründet.
Nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter sowohl in
den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes
ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Von
der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist ein Richter u.a. in
Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen
Entscheidung mitgewirkt hat (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO). Wegen Besorgnis
der Befangenheit findet gemäß § 42 Abs. 2 ZPO die Ablehnung statt, wenn ein Grund
vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu
rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen Sachverhalt handeln, der vom Standpunkt
des Ablehnenden aus bei vernünftiger Würdigung Anlass gibt, an der
Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der hier allenfalls in Betracht kommende Ausschließungsgrund des § 41 Nr. 6 ZPO ist
nicht gegeben, weil er auf die Mitwirkung gerade bei der angefochtenen Entscheidung
abstellt, an der abgelehnte Richter nicht beteiligt war. Eine analoge Anwendung der
Vorschrift auf Fälle der vorliegenden Art scheidet aus. Das deutsche Verfahrensrecht
wird von der Auffassung getragen, dass der Richter auch dann unvoreingenommen an
die Beurteilung einer Sache herangeht, wenn er sich schon früher über denselben
Sachverhalt ein Urteil gebildet hat; § 41 Nr. 6 ZPO will lediglich verhindern, dass ein
Richter im Rechtsmittelzug seine eigene Entscheidung überprüft (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 2. Oktober 1997 - 11 B 30/97 -, NVwZ-RR 1998, 268, m.w.N.). Erst Recht liegt der
von der Klägerin angeführte Ausschließungsgrund nach § 54 Abs. 2 VwGO nicht vor, weil
dieser eine Mitwirkung im (dem Verwaltungsprozess vorangegangenen)
Verwaltungsverfahren voraussetzt.
Es wäre mit der gesetzlichen Wertung des abschließenden Charakters des
Ausschlussgrundes nach § 41 Nr. 6 ZPO nicht vereinbar, würde - über diesen
Ausschlusstatbestand hinaus - der bloße Umstand, dass sich der zuständige Richter
bereits in der Vorinstanz mit der Sache befasst und dazu geäußert hat - etwa im
Rahmen eines Beweisbeschlusses, einer Entscheidung über Prozesskostenhilfe oder
über vorläufigen Rechtsschutz -, als hinreichender Grund angesehen, um Misstrauen
gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Das gilt unabhängig
davon, ob und inwieweit sich das angefochtene Urteil die in den früheren Entscheidungen
vertretene Rechtsauffassung zu Eigen macht. Vielmehr müssen besondere zusätzliche
Umstände hinzutreten, um in Fällen der "Vorbefassung" die Besorgnis der Befangenheit
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Umstände hinzutreten, um in Fällen der "Vorbefassung" die Besorgnis der Befangenheit
(§ 42 Abs. 2 ZPO) zu begründen (vgl. BVerwG, a.a.O.; Beschluss vom 28. Mai 2009 - 5
PKH 6/09, 5 PKH 6/09 (5 PKH 1/09) -, NVwZ-RR 2009, 662, m.w.N.). Das ist hier nicht der
Fall. Mit seiner dienstlichen Stellungnahme vom 5. November 2009 hat der abgelehnte
Richter unter Bezugnahme auf § 54 Abs. 1 VwGO, § 48 ZPO lediglich auf seine Mitwirkung
im erstinstanzlichen Prozesskostenhilfeverfahren hingewiesen und damit vorsorglich
einen Umstand angezeigt, der seine Ablehnung rechtfertigen „könnte“. Irgendeine Form
innerer Festlegung ist der dienstlichen Stellungnahme vom 5. November 2009 ebenso
wenig zu entnehmen wie derjenigen vom 17. November 2009, mit der der abgelehnte
Richter Zweck und Inhalt seiner ersten dienstlichen Stellungnahme erläutert hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 146 Abs. 2, 152 Abs. 1 VwGO).
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