Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: hochgradige schwerhörigkeit, ärztliches gutachten, öffentliches recht, wissenschaft, versorgung, auskunft, zustand, markt, berufsausübungsfreiheit, ausschluss

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 B 9.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 3 StVG, § 11 Abs 1 FeV,
§ 11 Abs 9 FeV, § 48 Abs 4 Nr 3
FeV, Anl 4 Nr 2.1 FeV
Kompensation des Hörverlusts bei Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung
Leitsatz
Unter Berücksichtigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist eine ausreichend
zuverlässige Kompensation eines Hörverlusts von 60 oder mehr v.H. bei der Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung durch moderne Hörgeräte im Einzelfall möglich.
Der allgemeine Ausschluss einer Kompensation des Hörverlusts durch Hörgeräte, wie ihn die
Begutachtungs-Leitlinien für die Kraftfahrereignung für die Hörprüfung vorsehen, ist
rechtswidrig.
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 wird geändert. Der
Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und
Ordnungsangelegenheiten vom 27. Januar 2005 und des Widerspruchsbescheides
derselben Behörde vom 10. Mai 2005 verpflichtet, der Klägerin bei Vorlage eines
aktuellen Nachweises nach Anlage 5 zur Fahrerlaubnisverordnung eine Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung für die Dauer von fünf Jahren unter den Auflagen zu erteilen,
1. Beidseitiges Tragen geeigneter, dem Erlaubnisinhaber angepasster Hörhilfen;
2. Jährlich, jeweils zum Termin der Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung,
Nachweis des Hörvermögens mit Hörhilfen durch fachärztliche Bescheinigung eines
Arztes für Hals- Nasen- Ohrenheilkunde.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtsstufen trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
Die im Jahre 1952 geborene Klägerin ist Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, A,
BE, C1E, CE, M und L. Sie leidet an einer beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Ihr war erstmals im Jahre 1978 eine befristete Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung
erteilt worden, die zuletzt bis zum 8. April 2004 verlängert worden war. Unter dem 22.
März 2004 beantragte die Klägerin die weitere Erteilung. Auf Anordnung der
Fahrerlaubnisbehörde erstattete die Ärztin für HNO-Heilkunde Dr. R. ein fachärztliches
Gutachten vom 23. November 2004, wonach die Ermittlung des prozentualen
Hörverlustes aus den Werten der sprachaudiometrischen Untersuchung für das rechte
Ohr einen Hörverlust von nunmehr 70 % und für das linke Ohr von nunmehr 75 %
ergeben habe. In Anwendung der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung sei die
Klägerin beidseits hochgradig schwerhörig. Sie erfülle daher die Eignungsanforderungen
der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht.
Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten lehnte den Antrag mit
Bescheid vom 27. Januar 2005 unter Hinweis auf Anlage 4, Nr. 2.1 der
Fahrerlaubnisverordnung ab. Nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung
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Fahrerlaubnisverordnung ab. Nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung
sei für Träger von Hörgeräten das ohne Hörhilfen ermittelte Audiometrieergebnis
maßgebend, da eine Hörverbesserung durch Hörhilfen mit Blick auf die Anforderungen,
die an Führer von Fahrzeugen zur Fahrgastbeförderung gestellt werden müssten, keine
ausreichende Kompensation hochgradiger Schwerhörigkeit bewirken könne. Der
Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Mit der Klage trug die Klägerin vor, moderne Hörsysteme seien in der Lage, eine
Hörminderung bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren. So habe sie sich nach
weiterer Verschlechterung ihres Hörvermögens und Ablehnung ihres Antrags ein
volldigitales Hörsystem anpassen lassen, welches über eine Geräusch-, Sprach- und
Situationserkennung verfüge, das derzeit Beste auf dem Markt sei und mit welchem sie
eine bessere Hörleistung erziele als zu den Zeiten, als sie bei mittelgradiger
Schwerhörigkeit ohne Hörhilfe noch Fahrgäste habe befördern dürfen. Sie berief sich
insoweit auf zwei ergänzende ärztliche Atteste der Frau Dr. R. vom 15. Februar 2006 und
28. März 2006, nach denen der Hörgewinn durch das von der Klägerin genutzte Hörgerät
bei 75 db ca. 40 % betrage, was eine ausreichende Hörfähigkeit für den normalen
Umgangssprachbereich bedeute. Aufgrund der technischen Neuerungen auf dem Gebiet
der Hörgeräteakustik sei nunmehr sicherlich davon auszugehen, dass Hörhilfen bei der
oben genannten Patientin einen zuverlässigen Ausgleich des eingetretenen Hörverlusts
gewährleisten könnten. Die Klägerin machte weiter geltend, dass das ausreichende
Hörvermögen bei der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht etwa dem Zweck der
Verkehrssicherheit, sondern allein der Sicherstellung einer guten Verständigung mit den
Fahrgästen diene. Im Zeitraum von 1977 bis 2004 sei es bei ihr weder zu Beschwerden
von Fahrgästen noch zu Unfällen oder Verkehrsordnungswidrigkeiten gekommen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 15. Dezember 2006 abgewiesen
und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe wegen Ihrer hochgradigen
Schwerhörigkeit keinen Anspruch auf die Erteilung einer Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung. Die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung sei zu erteilen, wenn
der Bewerber u.a. seine geistige und körperliche Eignung nachweise. Die körperliche
Eignung bemesse sich nach den Bestimmungen der Anlage 4 zu § 11 Abs. 1 Satz 1
Fahrerlaubnisverordnung. Diese bestimme u.a., dass bei einer hochgradigen
Schwerhörigkeit (Hörverlust von 60 % und mehr) beidseitig die Eignung zur
Fahrgastbeförderung fehle. Das sei bei der Klägerin der Fall. Indem der
Verordnungsgeber in Anlage 4 diesen medizinischen Begriff der Schwerhörigkeit unter
der Rubrik „Krankheiten, Mängel“ aufgreife, ziele er auf den Zustand des Gehörorgans
ab, wie er unabhängig von etwaigen Korrekturmöglichkeiten festzustellen oder
auszuschließen sei. Dass bei der Ermittlung der Eignung keine Korrekturmöglichkeit
vorgesehen sei, werde durch einen systematischen Vergleich mit anderen
Bestimmungen belegt, in welchen die Anforderungen an das Sehvermögen detailliert
geregelt seien. Der Begriff des Sehvermögens stelle nicht auf den medizinischen Defekt
selbst, sondern auf die Auswirkungen dieses Leidens und die in einem Sehtest zu
ermittelnde Tagessehschärfe ab. Dass diese auch mit einer Sehhilfe ermittelt werden
dürfe, habe der Verordnungsgeber ausdrücklich bestimmt und dazu im Einzelnen
festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Korrektur mit Gläsern nicht mehr
zulässig sei. Wenn bei der Ermittlung der Schwerhörigkeit keine Korrekturmöglichkeiten
zugelassen seien, belege dies, dass es auf den Zustand des Gehörorgans als solches
ankomme. Ein anderes Verständnis führte auch dazu, dass die Eignungsbeurteilung mit
der Art, der Leistungsstärke und dem Anpassungsstadium des jeweils benutzten
Hörgerätes einer variablen und schwer kalkulierbaren Größe unterworfen wäre. Die damit
einhergehende Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit sei verhältnismäßig. Zweck
der besonderen Anforderungen an das Hörvermögen dieser Sondergruppe von
Fahrzeugführern innerhalb der Gruppe 2 (Klassen D, D1, DE, D1E und Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung) sei es, eine ausreichende Verständigung mit den Fahrgästen
sicher zu stellen. Sie dienten damit neben der Sicherstellung einer reibungslosen
Berufsausübung zugleich dem Interesse der Allgemeinheit an einer zuverlässigen Arbeit
solcher Fahrzeugführer und ergänzten die darüber hinaus bestehenden weiteren
Anforderungen an deren Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung,
Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit nach Anlage 5. Die Bestimmung sei
hierfür geeignet und erforderlich sowie auch bei Berücksichtigung des generellen
Ausschlusses von Korrekturmöglichkeiten nicht unverhältnismäßig. Eine korrigierende
Auslegung durch Anknüpfung an das mit Hörhilfe ermittelte Audiometrieergebnis wäre
lediglich dann geboten, wenn die technische Entwicklung bei der Behandlung von
Hörstörungen seit dem Jahre 2000 einen Stand erreicht hätte, dass zwischenzeitlich -
vergleichbar der Korrektur durch Sehhilfen - generell und unabhängig von der konkreten
Art der Erkrankung und deren Therapie von einer zuverlässigen und störungsfreien
Korrektur ausgegangen werden müsste. Diese Korrektur müsste, soweit es die hier in
Rede stehende Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (ohne Fahrerlaubnisklasse D)
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Rede stehende Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (ohne Fahrerlaubnisklasse D)
betreffe, zudem sämtliche Rahmenbedingungen der in Betracht kommenden
Personenbeförderungen umfassen, also nicht lediglich eine Tätigkeit als
Mietwagenfahrerin für die S. oder den B., wie sie die Klägerin bis zum Jahre 2004
tatsächlich ausgeübt habe und bei welcher geringere akustische Störmöglichkeiten bei
der Verständigung mit Fahrgästen bestehen mögen, sondern auch solche von der
Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung umfasste Personenbeförderungen wie den
Krankentransport oder den Linienverkehr mit Fahrzeugen, die bis zu 8 Sitzplätze hätten,
und bei denen andere Bedingungen hinsichtlich des akustischen Umfeldes bestehen
könnten. Allein in diesem Falle würde die pauschalierende Einschätzung des
Verordnungsgebers einer nicht ausreichend sichergestellten Kommunikation mit
Fahrgästen eindeutig der sachlichen Grundlage entbehren und einen
unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit bedeuten. Entsprechendes könne aber
nicht festgestellt werden. Nach der eingeholten Auskunft des Bundesamtes für
Straßenwesen vom 30. August 2006 hätten sich die Möglichkeiten zur Diagnostik und
Behandlung von schwerhörigen und ertaubten Patienten aufgrund des rasanten
technischen Fortschrittes seit dem Jahre 2000 zwar ständig verbessert. Die
Rehabilitation sei jedoch noch immer nicht befriedigend und es bestehe auf diesem
Gebiet weiterer Forschungsbedarf. In welchen Fällen und mit welchen Maßgaben und
Auflagen gleichwohl eine bedingte Eignung angenommen werden könne, bleibe bei
dieser Sachlage der Gestaltung und Regelung durch den Verordnungsgeber vorbehalten.
Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin
ihr Begehren weiter. Der Eignungsmangel eines den nach der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung noch hinnehmbaren Grad überschreitenden Hörverlusts werde
in ihrem Fall durch die von ihr beidseitig verwendeten Hörgeräte zuverlässig
kompensiert. Im Lichte der Berufsausübungsfreiheit müsse dies im Einzelfall geprüft
werden; den aus der Verwendung eines Hilfsmittels sich ergebenden Einschränkungen
könne durch entsprechende Auflagen zur Fahrerlaubnis Rechnung getragen werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 zu ändern
und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und
Ordnungsangelegenheiten vom 27. Januar 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 10. Mai 2005 zu verpflichten, ihr unter
geeigneten Auflagen eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für die Dauer von fünf
Jahren zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil; es entspreche der weiterhin
sachgerechten Rechtslage.
Der Senat hat mit Beschluss vom 31. Mai 2008 durch Einholung eines schriftlichen
medizinischen Sachverständigengutachtens dazu Beweis erhoben, ob die Annahme der
Fahrerlaubnisverordnung (Nr. 2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14), dass bei
hochgradiger Schwerhörigkeit (Hörverlust von mehr als 60 %) beidseitig die Eignung für
die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß § 48 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung
unabhängig vom Einsatz von technischen Hörhilfen nicht gegeben ist, aus medizinisch-
audiologischer Sicht unter Berücksichtigung des Standes der Technik zutrifft und, wenn
dies nicht (mehr) der Fall sein sollte, ob die Klägerin bei Verwendung der ihr angepassten
Hörgeräte aus medizinischer Sicht in der Lage ist, den körperlich-geistigen
Anforderungen an eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu genügen. Der
medizinische Sachverständige Prof. Dr. Scherer hat das schriftliche Gutachten unter
dem 28. Oktober 2008 vorgelegt; wegen des Inhalts im Einzelnen wird darauf Bezug
genommen. Zusammengefasst gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass
sich seit dem Jahr 2000 die Hörgerätetechnik ganz erheblich verbessert habe, so dass
die Regelung in der bisherigen Form nicht mehr aufrecht erhalten werden könne; im
Einzelfall könnten moderne Hörgeräte eine zuverlässige Kompensation ermöglichen. Bei
beidohrigem Tragen der Hörgeräte sei eine Verbesserung des Gehörs um mindestens
20 v.H. im Einsilberverstehen garantiert. Bei jährlicher Kontrolle des Hörvermögens mit
den angepassten Hörgeräten und Erfüllung der übrigen Voraussetzungen sollte die
Erlangung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung möglich sein. Die Klägerin sei bei
Verwendung der ihr angepassten Hörgeräte aus medizinischer Sicht in der Lage, den
körperlichen und geistigen Anforderungen an eine Fahrerlaubnis zu Fahrgastbeförderung
zu genügen. Der Sachverständige hat das Gutachten in der mündlichen Verhandlung
erläutert und hierzu eine weitere Unterlage vorgelegt, hinsichtlich derer auf die
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erläutert und hierzu eine weitere Unterlage vorgelegt, hinsichtlich derer auf die
Sitzungsniederschrift verwiesen wird. Der Sachverständige hat anhand des
Tonschwellenaudiogramms ergänzend aufgezeigt, dass die Erkrankung der Klägerin
günstig für den Einsatz von Hörgeräten gelagert sei, weil sie auf einem Ausfall der um
die Rezeptorzellen im Innenohr jeweils angeordneten Verstärkerzellen beruhe, die
Rezeptorzellen hingegen gegenwärtig intakt seien und ihre Funktion sogar besser als
dem Alter der Klägerin entsprechend gegeben sei. Deshalb bedürfe es bei der Klägerin
lediglich einer Verstärkung der Schallwellen um - nach der aktuellen Einstellung des der
Klägerin angepassten Hörsystems - 30 dB, damit das Sprachverständnis bei einsilbigen
ähnlich klingenden Worten, wie etwa Haus und Maus, bei normaler
Umgangssprachlautstärke (65 dB) etwa 45 v.H. erreiche und damit fast dem eines
normal hörfähigen Menschen entspreche. Bezogen auf das Tonschwellenaudiogramm,
das für die Funktionsfähigkeit von Hörgeräten nicht aussagekräftig und deshalb als
Untersuchungsmethode zur Prüfung der Hörgeräteanpassung nicht üblich sei, bedeute
dies bei dem weitgehend regelmäßigen Verlauf der Hörkurve bei der Klägerin etwa einen
Hörverlust von 45 v.H., womit sie deutlich innerhalb des Bereichs bis zu 60 v.H.
Hörverlust liege, innerhalb dessen aus verkehrsmedizinischer Sicht keine Bedenken
gegen die körperlich-geistige Eignung für die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung
bestünden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
neben der Streitakte auf die Fahrerlaubnisakte der Klägerin, die vorgelegen hat und
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat ihre
Verpflichtungsklage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten; sie hat Anspruch auf Erteilung
der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit den aus der Urteilsformel ersichtlichen
Auflagen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis ist § 2 Abs. 3 Satz 1 StVG
– Straßenverkehrsgesetz - i.V.m. § 48 Abs. 4 FeV – Fahrerlaubnisverordnung - vom 18.
August 1998 (BGBl. I S. 2214). Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 StVG kann nach näherer
Bestimmung durch Rechtsverordnung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und g StVG für die
Personenbeförderung in anderen Fahrzeugen als Kraftomnibussen zusätzlich zur
Fahrerlaubnis nach Absatz 1 eine besondere Erlaubnis verlangt werden. Auf dieser
Grundlage bestimmt § 48 Abs. 1 FeV, dass einer solchen zusätzlichen Erlaubnis bedarf,
wer ein Taxi, einen Mietwagen, einen Krankenkraftwagen oder einen Personenkraftwagen
im Linienverkehr oder bei gewerbsmäßigen Ausflugsfahrten oder Ferienziel-Reisen führen
will. Die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ist neben anderen, hier nicht im Streit
befindlichen Anforderungen gem. § 48 Abs. 4 Nr. 3 FeV zu erteilen, wenn der Bewerber
seine geistige und körperliche Eignung gem. § 11 Abs. 9 FeV nach Maßgabe der Anlage
5 nachweist. Die Anforderungen an die körperliche und geistige Eignung sind in der
Anlage 4 zu § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV ausgestaltet. In dem hier interessierenden Punkt des
Hörvermögens bestimmt Nr. 2.1., dass bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit
(Hörverlust von 60 % und mehr) beidseitig sowie Gehörlosigkeit beidseitig keine Eignung
für die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gegeben ist.
Die Klägerin wird dieser Anforderung gerecht, soweit sie sich der ihr angepassten
Hörgeräte der Fa. S. vom Typ bedient, weil die bei ihr vorliegende hochgradige
Schwerhörigkeit durch die Hörhilfen zuverlässig soweit kompensiert wird, dass die
Anwendung der Bestimmung nach ihrem Wortsinn ihren Zweck verfehlen würde.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass Zweck der besonderen
Anforderungen an das Hörvermögen dieser Sondergruppe von Fahrzeugführern
innerhalb der Gruppe 2 (Klassen D, D1, DE, D1E und Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung) ist, eine ausreichende Verständigung mit den Fahrgästen sicher
zu stellen. Es bedarf auch keiner näheren Ausführungen, dass dieser Zweck bei
hochgradiger Schwerhörigkeit nicht erreicht werden kann und in Ziffer 2.1 der Anlage 4
deshalb im Ansatz zutreffend geregelt ist, dass eine gehörlose oder hochgradig
schwerhörige Person grundsätzlich ungeeignet zur Fahrgastbeförderung ist.
Das besagt indessen noch nichts darüber, ob der betreffende Eignungsmangel –
abgesehen von Fallgestaltungen, in denen die Ursachen des Mangels dies von
vornherein ausschließen - kompensationsfähig ist. Die Notwendigkeit dieser Frage
nachzugehen, ergibt sich schon aus den Vorbemerkungen der Anlage 4, in denen es
unter Ziffer 3 heißt, dass die nachstehend – also zu den einzeln aufgeführten
Krankheiten oder Mängeln – vorgenommenen Bewertungen (nur) für den Regelfall gelten
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Krankheiten oder Mängeln – vorgenommenen Bewertungen (nur) für den Regelfall gelten
und darauf hingewiesen wird, dass Kompensationen durch besondere menschliche
Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere
Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich sind und Zweifel im Einzelfall
gutachtlich zu klären sind. Auch die Nr. 2 weist darauf hin, dass Grundlage der
Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegt, in der Regel ein
ärztliches Gutachten ist. Die Anlage 4 zur FeV gibt damit zwar für den Regelfall
Bewertungen normativ vor (vgl. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 20. November 2007
– 3 So 147/06 – NJW 2008, 1465; Beschluss des Senats vom 15. Februar 2008 – OVG 1 S
186.07 – juris Rn. 5); sie will aber - auch im Hinblick auf die in der Anlage ausdrücklich
behandelten Eignungsmängel - nicht ausschließen, im Hinblick auf Besonderheiten des
Einzelfalls der Frage nachzugehen, ob die Eignung abweichend vom Regelfall gegeben
ist. Die Verneinung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Anlage 4 ist
demnach keine abschließende Festlegung, sondern eine nur den Regelfall betreffende
Wertung, deren Richtigkeit bei atypischen Sachverhalten im Einzelfall nachzuweisen ist.
Eine andere Sichtweise ist mit Blick auf die mit der Verneinung der Eignung zum Führen
von Kraftfahrzeugen einhergehende Beschränkung der persönlichen Handlungsfreiheit
des Einzelnen (Art. 2 Abs. 1 GG), bei Berufskraftfahrern auch des Berufszugangs (Art. 12
Abs. 1 GG), und das insoweit zu beachtende Übermaßverbot (Art. 20 Abs. 3 GG)
verfassungsrechtlich nicht vertretbar; die normative Vorgabe eines Eignungsmangels,
die sich nicht auch im jeweiligen Einzelfall gemessen am (Gefahrenabwehr-)Zweck der
jeweiligen Anforderung als geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne
erweist, könnte insoweit keinen Bestand haben und wäre gegebenenfalls
verfassungskonform dahin zu interpretieren, dass sie die Prüfung im Einzelfall nicht
ausschließt. Hiervon ausgehend stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ein
entsprechender Mangel oder eine Behinderung durch den Körper unterstützende
Hilfsmittel oder besondere Ausstattung des Kraftfahrzeuges hinreichend zuverlässig
kompensiert werden kann (so grds. auch Dauer, in Hentschel/König/Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 11 FeV, Rn. 7).
Den sich aus diesen Grundsätzen ergebenden Anforderungen wird das Urteil des
Verwaltungsgerichts nicht gerecht. Es stellt vordergründig auf - in der Tat - in der Nr. 2.1
der Anlage 4 zur FeV verwendete Begrifflichkeiten und für die Zulässigkeit einer
Kompensation auf einen systematischen Vergleich mit den das Sehvermögen
betreffenden Vorschriften ab. Das ist schon deshalb unpassend, weil die Frage, welche
Kompensationsmöglichkeiten bestehen und ob diese ausreichen, nur aus einer
verkehrsmedizinischen Sicht auf den spezifischen Körperschaden, den es auszugleichen
gilt, zutreffend beantwortet werden kann. Der erkennende Einzelrichter hat die insoweit
gebotene Sachaufklärung unterlassen, obwohl sich ihm nach dem Vorbringen der
Klägerin, wonach sie mit Hörgeräten besser höre als zu Zeiten, als ihr die Fahrerlaubnis
zur Fahrgastbeförderung bei mittelgradiger Schwerhörigkeit noch erteilt wurde, und
aufgrund der Auskunft der Bundesanstalt für Straßenwesen, wonach die
Hörgeräteakustik seit dem Jahre 2000 erhebliche Fortschritte gemacht habe, geradezu
aufdrängen musste, dass die Regelung der Fahrerlaubnisverordnung zum Hörvermögen
und ihre Konkretisierung in den Begutachtungs-Leitlinien für die Kraftfahrereignung
möglicherweise nicht mehr dem Stand der medizinisch-audiologischen Wissenschaft
entsprechen und deshalb mit sachkundiger Hilfe der Frage nachzugehen war, ob
moderne Hörgeräte hinreichend zuverlässige Kompensationsmöglichkeiten bei
hochgradiger Schwerhörigkeit bieten und ob dies auch im Fall der Klägerin so ist. Diese
Fragen können nach den einschlägigen Vorschriften, die der Klägerin ein subjektives
öffentliches Recht auf die Erteilung der Fahrerlaubnis vermitteln, wenn sie körperlich und
geistig geeignet ist, nur dann einer generellen Regelung durch den Normgeber
zugänglich sein, wenn der aktuelle Stand der Wissenschaft eine eindeutige Beurteilung
hinsichtlich der Kompensation des Mangels und ihrer Zuverlässigkeit nicht zulässt. Auf
eine solche Position hätte sich das Verwaltungsgericht jedoch erst zurückziehen dürfen,
wenn es den aktuellen Stand der Wissenschaft erkundet hätte, wofür die hier eingeholte
behördliche Auskunft nach ihrem Inhalt jedoch nicht ausreichend war; denn sie bot
Anhaltspunkte dafür, dass der Stand der Wissenschaft sich geändert haben könnte und
schloss daran anknüpfende verkehrsmedizinische Folgerungen nicht aus.
Der vom Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Kompensation von Schwerhörigkeit
angeführte Umstand, dass die Eignungsbeurteilung selbst mit der Art, der
Leistungsstärke und dem Anpassungsstadium des jeweils benutzten Hörgerätes einer
variablen und schwer kalkulierbaren Größe unterworfen wäre, steht einem Anspruch der
Klägerin nicht entgegen. Dieses Argument wird vom Verwaltungsgericht in dem
Zusammenhang eingeführt, dass es für die Eignungsbeurteilung auf eine
audiometrische Untersuchung ohne Hilfsmittel ankommen soll. Daran ist nur richtig,
dass sich die Eignungsbeurteilung in ihrem Ausgangspunkt zunächst am natürlichen
Hörvermögen des Fahrerlaubnisbewerbers orientieren muss, ehe die Frage einer
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Hörvermögen des Fahrerlaubnisbewerbers orientieren muss, ehe die Frage einer
hinreichenden Kompensation durch die dem Bewerber angepasste Hörgeräte zu prüfen
ist. Inwiefern diese mit Mitteln der ärztlichen Kunst und der Hörgeräteakustik
klärungsfähige Frage einer Prüfung entzogen sein soll, erschließt sich nicht. Die
Argumentation lässt eine überzeugende Begründung dafür, warum eine Kompensation
durch Hörgeräte unzulässig sein soll, vermissen. Die Eignung infolge Kompensation
eines bestehenden Eignungsmangels ist stets im Einzelfall festzustellen. Es handelt sich
insofern auch nicht um eine Variable. Zwar mag die infolge der Hilfsmittel zu erreichende
Hörverbesserung individuell verschieden sein. Für eine Kompensation kann es jedoch –
insoweit nicht anders als bei einer Sehhilfe - nur darauf ankommen, ob im Ergebnis die
Eignung gewährleistet ist. Das bedeutet mit Blick auf das für die begehrte Fahrerlaubnis
zur Fahrgastbeförderung erforderliche Hörvermögen, dass es mit Hilfe von Hörgeräten
zuverlässig bis in einen Bereich hinein verbessert werden muss, der nach Ziffer 2.1 der
Anlage 4 einem noch hinzunehmenden Hörverlust entspricht, der also geringer als 60
Prozent sein muss.
Die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung entsprechen in der Nr. 3.2.1. nicht
mehr dem Stand der medizinischen Wissenschaft, soweit sie allgemein auf die
Anforderungen an Kraftfahrer der Gruppe 2 und auf das ohne Hörhilfen ermittelte (Ton-
)Audiometrieergebnis abstellen und zur Begründung darauf verweisen, dass der Hinweis
auf diese Methode unbedingt notwendig sei, da im Schwerbehindertenrecht überwiegend
vom Sprachverständnis bzw. von der Sprachaudiometrie ausgegangen werde, die für die
Anforderungen an das Hörvermögen im Straßenverkehr nicht ausschlaggebend sein
könne.
Schon im Ausgangspunkt wird nicht deutlich, von welchen Anforderungen die Verfasser
der Leitlinien ausgehen und ob ihre Aussage danach hinreichend differenziert ist. Mit
dem Hinweis auf die Gruppe der Berufskraftfahrer und die Anforderungen an das
Hörvermögen im Straßenverkehr werden die Anforderungen nämlich unter
Gesichtspunkten typisiert, die das sichere Führen des Fahrzeuges im Verkehr selbst
betreffen. Dieser Aspekt ist allerdings bei der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit
Fahrzeugen in Fahrzeugklassen, für die selbst bei Gehörlosigkeit nach der normativen
Wertung des Verordnungsgebers im Regelfall die Eignung für die allgemeine
Fahrerlaubnis zuerkannt wird, dadurch abgedeckt, dass dem Bewerber eine
entsprechende Fahrerlaubnis für die Fahrerlaubnisklasse, der das Beförderungsfahrzeug
angehört, erteilt worden sein muss (vgl. § 48 Abs. 4 Nr. 1 FeV). Die Anforderungen im
Zusammenhang mit der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung beschränken sich
danach gerade auf die akustische Wahrnehmung innerhalb des Fahrzeuges,
insbesondere die Verständigung mit den Fahrgästen und die Vermeidung von
Verständigungsproblemen bei Nebengeräuschen (vgl. auch die Kommentierung zu den
Begutachtungs-Leitlinien von Schorn, in Schubert u.a., 2. Aufl., S. 98). Begreift man die
Anforderungen an den Bewerber für eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung in
diesem Sinne, kann der Ausschluss der Kompensationsmöglichkeit nur dann
gerechtfertigt sein, wenn die Aussage, hochgradige Schwerhörigkeit könne diesen
Anforderungen gegenüber nicht ausreichend kompensiert werden, umfassend zutrifft.
Das ist jedoch nicht der Fall. Das vom Senat zu diesen Fragen eingeholte medizinische
Gutachten geht nachvollziehbar davon aus, dass der Stand der Hörgerätetechnik bei
einer binauralen Versorgung mit digitalen Geräten mit pegelabhängiger nichtlinearer
Verstärkung, Rückkopplungsunterdrückung und Störgeräuschunterdrückung, die der
aktuellen EMV-Norm IEC 29/645/CD:2008 entsprechen, eine Hörverbesserung
zuverlässig erreicht. Führe die erreichte Hörverbesserung im Einzelfall zu einer
ausreichenden Kompensation, könne aus heutiger Sicht an der pauschalen Aussage der
Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, dass eine Kompensation durch
Hörgeräte nach den Anforderungen, die an Kraftfahrer der Gruppe 2 zu stellen seien,
nicht mehr festgehalten werden. Der medizinische Sachverständige hat bei der
Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt,
dass durchaus nicht jede hochgradige Schwerhörigkeit durch Hörhilfen kompensiert
werden könne. Insbesondere lasse sich bei Patienten, bei denen der Hörverlust etwa auf
traumatische Ursachen mit Beschädigung der Reizleitung zurückzuführen sei, durch
Hörhilfen keine ausreichende Verbesserung des Sprachverständnisses herbeiführen. Sei
die Reizleitung hingegen intakt, seien durch Verstärkung des Schalls wesentliche
Verbesserungen erreichbar. Moderne volldigitale Hörgerätesysteme, wie sie seit etwa
2004 auf dem Markt seien, stellten einen „Quantensprung“ in der Hörgeräteakustik dar;
sie seien unanfällig für Störungen durch den ubiquitär vorhandenen Mobilfunk und
technisch so ausgereift, dass mit einem überraschenden Ausfall nicht gerechnet werden
müsse. Solche modernen Hörgeräte verfügten bei binauraler Versorgung über eine
interne Funkkommunikation beider Seiten, sie könnten störende Hintergrundgeräusche
unterdrücken, andererseits aber auch Umweltgeräuschen folgen und damit einen
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unterdrücken, andererseits aber auch Umweltgeräuschen folgen und damit einen
plastischen Höreindruck vermitteln. Bei einem seine Frequenz verändernden Geräusch,
wie es von den in Fahrzeugen zum Einsatz mit Sonderrechten eingesetzten Sirenen
ausgehe, sei eine Unterdrückung hingegen nicht möglich, so dass es mit solchen
Hörgeräten wahrgenommen werde. Sei das Leiden als solches durch Hörgeräte
kompensierbar, seien sprachaudiometrisch gute Ergebnisse im Einsilberverstehen zu
erreichen, die in der Regel abhängig von Motivation und Intellekt – wie neuere
Untersuchungen belegten – ein noch besseres allgemeines Sprachverständnis mit sich
brächten. Welche Verbesserungen zu erreichen seien, sei jedoch individuell verschieden
und von der Einstellung der Hörhilfen abhängig, deren Verstärkungspotential
insbesondere im Fall der Klägerin noch keineswegs ausgeschöpft sei; bei der Klägerin sei
derzeit eine Verstärkung von 30 dB eingestellt, um angemessene Hörergebnisse zu
zeitigen, wobei das Gerät der Klägerin eine Verstärkung um bis zu 55 dB zulasse. Auch
seien die Krankheitsverläufe nicht zuverlässig genug prognostizierbar, so dass auf eine
laufende Überprüfung des Hörvermögens und der Anpassung der Hörgeräte in
angemessenen zeitlichen Abständen nicht verzichtet werden könne. Insgesamt sei das
Abstellen auf das Hörvermögen im Tonaudiogramm in der Anlage zur
Fahrerlaubnisverordnung und den Begutachtungs-Leitlinien in Bezug auf die
Anforderungen der Fahrgastbeförderung nicht mehr angemessen, da der erreichte
Stand der Hörgeräteakustik im Einzelfall eine zuverlässige und ausreichende
Kompensation ermögliche.
Bezogen auf den Einzelfall hat der medizinische Sachverständige festgestellt, dass bei
der Klägerin eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit nach dem Sprachaudiogramm
und eine hochgradige Schwerhörigkeit nach dem Tonaudiogramm (Hörverlust beidseits
75 Prozent) bestehe. Ursache des Hörverlusts sei der nahezu vollständige Ausfall der
um die Rezeptorzellen angeordneten Verstärkerzellen im Innenohr durch fortschreitende
Zerstörung der sie überdeckenden Membran. Die Rezeptorzellen selbst und die
Reizleitung seien bei weitgehend regelmäßigem Verlauf der Tongehörkurve hingegen
vollkommen intakt, so dass lediglich eine Verstärkung des Schalls um 30 bis 35 dB
ausreiche, um eine gute Hörverbesserung über den gesamten Frequenzbereich
herbeizuführen. Die von der Klägerin getragenen digitalen Hörgeräte entsprächen
aktuellem Standard und ermöglichten bei binauraler Versorgung ein Sprachverständnis
von 45 Prozent bei 65 dB, bei einseitiger Versorgung rechts 45 Prozent, links 40 Prozent.
Dies entspreche, lege man die Ergebnisse des ohne Hörhilfen ermittelten
Tonschwellenaudiogramms bei einer Verstärkung um 30 dB auf beiden Frequenzen
zugrunde, einem Hörverlust von deutlich unter 60 Prozent; die Klägerin liege etwa bei 45
Prozent. Bei Verwendung der ihr angepassten Hörgeräte sei die sonst in gutem
geistigen und körperlichen Zustand befindliche Klägerin daher aus medizinischer Sicht in
der Lage, den körperlichen und geistigen Anforderungen an eine Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung zu genügen. Dies entspricht im Übrigen dem Eindruck, den die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf den Senat gemacht hat. Sie hat der
mündlichen Verhandlung, die in normaler Lautstärke vonstatten ging, mühelos und ohne
jede Wahrnehmungsschwierigkeit folgen können; ihre Schwerhörigkeit hat man ihr nicht
angemerkt.
Hiernach ist eine ausreichende Kompensation des vorliegenden natürlichen Hörverlusts
durch eine beidseitige Versorgung mit Hörgeräten gegeben, weil sie der Klägerin
insbesondere ein deutlich besseres Sprachverständnis ermöglicht, als bei einem
Hörverlust von bis zu 60 Prozent noch zu erwarten ist. Unter Verwendung der ihr
angepassten Hörhilfen verfügt die Klägerin über ein ausreichendes Hörvermögen für die
Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Ihr kann daher diese Fahrerlaubnis
wie beantragt unter den Auflagen, dass sie das ihr angepasste Hörsystem verwendet
und jährlich den Nachweis führt, dass ihr Hörvermögen mit entsprechend angepassten
Hörhilfen noch ausreichend ist, erteilt werden, wenn sie ihre körperliche und geistige
Eignung im Übrigen durch eine aktuelle Bescheinigung nach Anlage 5 nachweist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr.
10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zugelassen worden.
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