Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: erlass, beschränkung, icao, ddr, gemeinde, behörde, widerruf, klagebefugnis, anwohner, flughafen

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 A 1.09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 6 LuftVG, § 8 LuftVG, § 9
LuftVG, § 29b LuftVG, § 49
VwVfG
Luftverkehrsrecht: luftrechtliche Genehmigung eines
Verkehrsflughafens (Berlin-Schönefeld); Planfeststellung;
Fiktion; Nachtflugverkehr; Teilwiderruf; Schutzanordnungen;
Forderung einer Gemeinde nach weitergehenden
Beschränkungen wegen unzumutbaren Lärms; Antragstellung
bei der Behörde vor der Inanspruchnahme gerichtlichen
Rechtschutzes
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, eine brandenburgische Gemeinde westlich bzw. südwestlich des
Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld, sieht die von dem Beklagten für diesen Flughafen
von Amts wegen verfügten nächtlichen Flugbeschränkungen als nicht ausreichend an
und begehrt darüber hinausgehende Einschränkungen des Nachtflugverkehrs.
Der Beklagte ordnete erstmalig unter dem 16. September 1993 mit Wirkung vom 1.
November 1993 Beschränkungen des Nachtflugverkehrs durch eine bis zum 31. Oktober
2003 befristete Änderung der für den Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld maßgeblichen
luftrechtlichen Genehmigung an. Durch Verfügung vom 27. Oktober 2003 verlängerte
der Beklagte die Befristung auf den 31. Oktober 2008. Mit an die Beigeladene
adressiertem Bescheid vom 28. Oktober 2008 änderte und verlängerte er die den
Nachtflugverkehr betreffenden Flugbeschränkungen bis zur Inbetriebnahme des
Verkehrsflughafens Berlin-Brandenburg International, längstens bis zum 31. Oktober
2013. Es handelt sich unter anderem um folgende Regelung:
Nr. 1 - Beschränkung des Nachtflugverkehrs
1.1 Starts und Landungen mit Strahlflugzeugen ohne Lärmzulassung nach ICAO, Anhang
16, und mit Lärmzulassung nach ICAO, Anhang 16, Bd. I, Kapitel 2, sind in der Zeit von
22.00 Uhr (21. 50 Uhr off blocks) bis 6.00 Uhr Ortszeit unzulässig.
1.2 Strahlflugzeuge mit Lärmzulassung nach ICAO, Anhang 16, Bd. I, Kapitel 3
1.2.1 Starts und Landungen mit Strahlflugzeugen, die nicht in der Bonusliste des BMVBS
vom 18. Februar 2003 (NfL I-83/03) aufgeführt werden, sind in der Zeit von 24.00 Uhr
(23.50 off blocks) bis 6.00 Uhr Ortszeit unzulässig.
1.2.2 Für verspätete Landungen im Fluglinien- und planmäßigen Bedarfsluftverkehr gilt
im Rahmen nachweisbar unvermeidbarer Verspätungen eine Ausnahmegenehmigung
von den Flugbeschränkungen nach Nr. 1.2.1 bis 1.00 Uhr Ortszeit als erteilt. Die
Unvermeidbarkeit der Verspätungen ist in jedem Einzelfall der Luftaufsicht des
Flughafens darzulegen und auch nachzuweisen.
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Zur Begründung führte der Beklagte gegenüber der Beigeladenen unter anderem an,
dass Flugbeschränkungen im Hinblick auf aktuelle Zahlen für den nächtlichen
Flugverkehr sowie erfolgte Lärmmessungen unter Berücksichtigung von § 29 b Abs. 2
LuftVG weiterhin erforderlich seien. Hinsichtlich der anzuordnenden Flugbeschränkungen
könne nunmehr auf die Bonusliste des BMVBS abgestellt werden. Die dort nicht
aufgeführten Flugzeuge seien generell zu verbieten. Dies reiche aus, weil sich die Zahl
entsprechender Flüge stetig verringert habe. Die Beigeladene ist gegen den Bescheid
nicht vorgegangen.
Mit ihrer am 16. Januar 2009 ohne vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens
erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst lediglich beantragt, den Bescheid des
Beklagten vom 28. Oktober 2008 aufzuheben. Mit der am 5. Februar 2009
eingegangenen Begründung begehrte die Klägerin neben der Anfechtung eine
Verpflichtung des Beklagten, die verfügten Beschränkungen mit geändertem Inhalt zu
erlassen. Ferner sollte der Beklagte verpflichtet werden, über die Beschränkungen des
Nachtflugverkehrs in der Zeit von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr und hilfsweise in der Zeit von
5.00 Uhr bis 6.00 Uhr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden.
Die Klägerin hält sich als Eigentümerin im Einzelnen bezeichneter Grundstücke mit
vermieteten Gebäuden für klagebefugt. Der angegriffene Bescheid, dem der Charakter
einer Planungsentscheidung zukomme, verstoße gegen das Gebot fehlerfreier
Abwägung ihrer Belange. Darauf könne sie sich schon deshalb berufen, weil der Beklagte
– unabhängig von der Frage, ob eine wesentliche Änderung der fachplanerischen
Zulassung vorliege – jedenfalls eine betriebsbeschränkende Regelung zugunsten vom
Fluglärm betroffener Anwohner unter Berücksichtigung von § 29 b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
LuftVG getroffen habe. Der Einwand, dass die Rechtsposition der Klägerin durch die
Beschränkung verbessert werde, so dass ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehle, greife
insoweit nicht durch. Die Klägerin begehre nicht die Verpflichtung zum Erlass von
Maßnahmen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, sondern wolle lediglich, dass der Beklagte,
wenn er eine Beschränkung des Flugbetriebs regele, die Belange der Klägerin fehlerfrei
abwäge. Insoweit habe es der Beklagte auch versäumt, die Klägerin anzuhören. Schon
dieser Verfahrensfehler führe zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung.
Die getroffene Regelung lasse das Schutzbedürfnis der vom nächtlichen Fluglärm
betroffenen Wohnbevölkerung im Sinne von § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG vollständig
außer Acht. Ein standortspezifischer Bedarf für Nachtflugbewegungen sowie deren
Gewicht in der Kernzeit und während der Tagesrandzeiten seien weder ermittelt noch
abgewogen worden. Die Bonusliste des BMVBS stelle kein verlässliches Kriterium dar.
Die Zahl der nächtlichen Flugbewegungen habe sich seit 1999 deutlich erhöht, was der
Beklagte nicht berücksichtigt habe. Mit einer weiteren Erhöhung sei zu rechnen. Es
könne den Anwohnern nicht zugemutet werden, während des Baus des neuen
Großflughafens mehr nächtliche Flugbewegungen hinzunehmen als nach dessen
Inbetriebnahme.
Mit Schriftsatz vom 9. März 2010 bezieht sich die Klägerin auf den inzwischen erlassenen
Planergänzungsbeschluss „Lärmschutzkonzept BBI“ vom 20. Oktober 2009. Obwohl sie
diesem Konzept nicht folgt, möchte sie im vorliegenden Verfahren zumindest erreichen,
dass die im Planergänzungsbeschluss getroffenen Regelungen bis zur Inbetriebnahme
von BBI gelten. Dementsprechend passt sie ihren ursprünglichen Klageantrag an.
Die Klägerin beantragt,
I. den Bescheid des Beklagten vom 28. Oktober 2008 zur Änderung und
Verlängerung der örtlichen Flugbeschränkungen am Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld
aufzuheben,
II. den Beklagten zu verpflichten, eine befristete Verlängerung und Änderung der
örtlichen Flugbeschränkungen am Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld nur mit
folgendem Inhalt zu erlassen:
1. in der Zeit zwischen 23.30 Uhr und 5.30 Uhr Ortszeit dürfen keine
Luftfahrzeuge starten oder landen.
2. In der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr Ortszeit dürfen strahlgetriebene
Flugzeuge mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von mehr als 20.000 kg auf dem
Flughafen nur starten oder landen, wenn sie nachweisen, dass ihre gemessenen
Lärmzertifizierungswerte in der Summe mindestens 10 EPNdB unter der Summe der für
sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum
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sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum
Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (ICAO-Abkommen) liegen. Der Nachweis
erfolgt in der Regel durch Vorlage eines amtlichen Lärmzeugnisses in englischer
Sprache, aus dem die gemessenen Lärmzertifizierungswerte hervorgehen.
3. Von den unter Nr. 1 und Nr. 2 genannten Regelungen sind ausgenommen:
a) Landungen von Luftfahrzeugen, wenn die Benutzung des Flughafens als Not-
oder Ausweichflughafen aus meteorologischen, technischen oder sonstigen
Sicherheitsgründen erfolgt,
b) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die sich im Einsatz für den
Katastrophenschutz oder für die medizinische Hilfeleistung befinden, oder die für
Vermessungsflüge von Flugsicherungen bzw. in deren Auftrag eingesetzt werden,
c) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die bei Staatsbesuchen und für
Regierungsflüge sowie Militär- und Polizeiflüge eingesetzt werden.
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über örtliche Flugbeschränkungen am
Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr erneut unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die auf Änderung der örtlichen Flugbeschränkungen gerichtete
Verpflichtungsklage für unzulässig. Die Klägerin habe es versäumt, vor Klageerhebung
einen Antrag auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes bei dem Beklagten zu stellen.
Demnach könne auch der Anfechtungsantrag keinen Erfolg haben, weil hierdurch die
Rechtsposition der Klägerin nicht verbessert werde. Der Klägerin fehle ferner die
Klagebefugnis. Außerdem sei die Klage auch unbegründet.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage mangels Klagebefugnis und Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig.
Es fehle an substantiiertem Vortrag, inwieweit das Vorhaben eine hinreichend bestimmte
Planung der Klägerin nachhaltig störe bzw. inwieweit wesentliche Teile ihres
Gemeindegebietes einer durchsetzbaren Planung entzogen oder kommunale
Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt würden. Die angegriffene
Entscheidung stelle keine Planungsentscheidung zu Lasten der Klägerin dar. Anders als
bei der fachplanungsrechtlichen Zulassung, die eine Abwägung erfordere, könne sich die
Klägerin hier nicht auf Lärmschutzbelange im Sinne von § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG
berufen. Eine isolierte Aufhebung des angegriffenen Bescheides komme schon deshalb
nicht in Betracht, weil die Klägerin dadurch ihre Situation verschlechtere. Unabhängig
davon sei die Klage auch unbegründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte sowie den beigezogenen
Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen, der vorgelegen hat und
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts ist gegeben. Dies gilt
auch dann, wenn man die von der Klägerin geforderten, über den Bescheid vom 28.
Oktober 2008 hinausgehenden weiteren Nachtflugbeschränkungen als Verpflichtung des
Beklagten zum Erlass nachträglicher Schutzanordnungen gemäß § 75 Abs 2 Satz 2
VwVfG deutet. Auch in diesem Fall ist der Betrieb eines Verkehrsflughafens im Sinne von
§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr.6 VwGO betroffen (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 9. Mai 2003, OVGE
24, 206; VGH Kassel, Urteil vom 3. Juni 2004, NVwZ-RR 2005, 805).
II.
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1. Der in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrecht erhaltene
Anfechtungsantrag zu I. ist unzulässig. Eine isolierte Aufhebung des Bescheides vom 28.
Oktober 2008 kommt nicht in Betracht. Der Klägerin fehlt hierfür das
Rechtsschutzbedürfnis, weil es sich ausschließlich um eine sie begünstigende Regelung
handelt. Der Beklagte hat den nach der ursprünglichen Genehmigungslage für den
Flughafen Berlin-Schönefeld uneingeschränkt zulässigen Nachtflugbetrieb seit 1993
zugunsten der Anwohner - jeweils zeitlich befristet - begrenzt, sodass von dem
angegriffenen Bescheid für die Klägerin keine belastende Wirkung ausgeht. Die Regelung
in dem angegriffenen Bescheid kann auch nicht dahingehend verstanden werden, dass
sie eine für die Beigeladene begünstigende Genehmigung beinhaltet, die ihr den danach
zulässigen Nachtflugbetrieb erlaubt. Es handelt sich - schon dem Wortlaut des
Bescheides zufolge – um einen (belastenden) Teilwiderruf der uneingeschränkt erteilten
luftrechtlichen Genehmigung, deren Regelungsgehalt durch die früheren
Beschränkungen des Nachtflugbetriebs wegen der jeweiligen zeitlichen Befristungen
nicht dauerhaft modifiziert worden ist (vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation BVerwG,
Urteil vom 21. Mai 1997, NVwZ-RR 1998, 22).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Bescheid vom 28. Oktober 2008 nicht
wie ein Planfeststellungsbeschluss im Sinne von §§ 8 ff. LuftVG oder die einem
Flugplatzbetreiber gemäß § 6 LuftVG erteilte luftrechtliche Genehmigung im Wege der
Drittanfechtung isoliert mit der Forderung nach weiter gehenden Beschränkungen
angegriffen werden, um ihn nach den von der Rechtsprechung für
Planungsentscheidungen entwickelten Grundsätzen im Hinblick auf Abwägungsfehler
überprüfen zu lassen. Diesem Begehren steht entgegen, dass die
luftverkehrsrechtlichen Entscheidungen, auf deren Grundlage der Verkehrsflughafen
Berlin-Schönefeld derzeit betreiben wird, bestandskräftig sind. Der Flugbetrieb beruht
sowohl auf einer bestandskräftigen fiktiven luftrechtlichen Genehmigung im Sinne von §
6 LuftVG als auch auf einer bestandskräftigen fiktiven Planfeststellung im Sinne von §§ 8
ff. LuftVG und ist hiervon u.a. im Hinblick auf die vorhandenen Anlagen und die Kapazität
gedeckt.
Der Ministerrat der DDR – Ministerium für Verkehr – erteilte am 20. September 1990
anstelle einer bis zu diesem Zeitpunkt nur befristet gültigen Genehmigung eine
unbefristete und uneingeschränkte Genehmigung für den Betrieb des Flughafens Berlin-
Schönefeld für den nationalen und internationalen Verkehr auf der Grundlage von § 32
des Luftfahrtgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 27. Oktober 1983
(GBl I DDR, S. 277), § 2 der Anordnung über die Genehmigung von zivilen Flugplätzen
vom 20. Juni 1990 (GBl. I DDR. S. 721) sowie der Weisung Nr. 21/90 des Ministeriums für
Verkehr vom 7. September 1990 (vgl. dazu im Einzelnen OVG für das Land
Brandenburg, Urteil vom 29. Oktober 1997, LKV 1998, 272; Ministerium für
Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg,
Planfeststellungsbeschluss Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13. August
2004, Band I, S. 217). Das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg entschied
mit Urteil vom 29. Oktober 1997 (LKV 1998, 272), dass die am 20. September 1990
erteilte Genehmigung im Hinblick auf Art. 19 des Einigungsvertrages weder nichtig noch
aus sonstigen Gründen aufzuheben sei, sondern vielmehr auch nach dem Beitritt der
DDR zur Bundesrepublik Deutschland weiterhin Bestand habe.
Außerdem gilt der Verkehrsflughafen Berlin-Schönfeld gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG
als genehmigt im Sinne von § 6 LuftVG und, da er der Planfeststellung bedurft hätte, als
im Plan festgestellt (§§ 8 ff. LuftVG). Es handelt sich – wie in § 71 Abs. 1 LuftVG gefordert
– um einen bis zum 2. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet angelegten Flugplatz, der am 1.
März 1999 noch betrieben wurde. Ist nach alledem sowohl von einer bestandskräftigen
(fingierten) luftrechtlichen Genehmigung als auch von einem bestandskräftigen
(fingierten) Planfeststellungsbeschluss auszugehen, kann die Klägerin ihr Ziel, eine
weitere Einschränkung des Nachtflugverkehrs zu erreichen, nicht mittels Anfechtung des
sie begünstigenden Bescheides vom 28. Oktober 2008 durchsetzen.
Anderes könnte nur dann gelten, wenn der Beklagte die luftrechtliche Genehmigung
oder Planfeststellung geändert und eine neue Betriebsregelung zu Lasten der Anwohner
getroffen oder in diesem Zusammenhang Schutzvorkehrungen angeordnet hätte. Unter
diesen hier nicht gegebenen Voraussetzungen unterliegen Regelungen zum Schutz
gegen nächtlichen Fluglärm dem fachplanerischen Abwägungsgebot (vgl. BVerwG, Urteil
vom 20. April 2005, BVerwGE 123, 261). Hier kann sich die Klägerin hingegen selbst
dann nicht auf Abwägungsfehler berufen, wenn der Entscheidung des Beklagten
Planungscharakter zukommt, denn der Vergleich mit der Genehmigungslage zeigt, dass
es nicht um eine Erweiterung der genehmigten Nachtflugregelungen, sondern vielmehr
um deren Beschränkung geht.
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2. Der Verpflichtungsantrag (Antrag zu II.) ist unzulässig.
a) Eine auf Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtete Verpflichtungsklage setzt
vorbehaltlich entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften regelmäßig voraus, dass der
Kläger vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes einen entsprechenden
Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes bei der zuständigen Behörde gestellt hat,
den diese entweder abgelehnt oder innerhalb der Frist des § 75 VwGO nicht beschieden
hat. Dieses aus §§ 68 Abs. 2, 75 Satz 1 VwGO und dem Grundsatz der Gewaltenteilung
abgeleitete Erfordernis gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob der erstrebte
Verwaltungsakt auf Antrag oder von Amts wegen erlassen worden ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 16. Dezember 2009 – 6 C 40.07 -, Juris; Urteil vom 28. November 2007, BVerwGE
130, 39 ff. m.w.N.: Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage, § 42 Rn. 37;
Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 42 Abs. 1 Rn. 96).
Daran fehlt es hier, denn die Klägerin hat es versäumt, das erforderliche
Verwaltungsverfahren durchzuführen.
Das Begehren stellt sich als Verpflichtungsklage dar, weil es in der Sache darauf zielt,
den Beklagten zum Erlass von (zusätzlichen) die Klägerin begünstigenden und die
Beigeladene belastenden Regelungen - d.h. zum Erlass eines Verwaltungsaktes im Sinne
von § 35 Satz 1 VwVfG - zu verpflichten. Die Verwirklichung dieses Begehrens, das über
die in dem Bescheid vom 28. Oktober 2008 getroffene Regelung hinausgeht und eine
weitere Einschränkung des Flugbetriebs zur Folge hätte, setzt einen (erneuten) Eingriff in
die bestandskräftige (fingierte) luftrechtliche Genehmigung bzw. in den
bestandskräftigen (fingierten) Planfeststellungsbeschluss oder zumindest nachträgliche
Schutzanordnungen gemäß § 9 Abs. 3 LuftVG, § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG voraus. Hier
geht es - wie dargelegt - wegen der bestandskräftigen luftrechtlichen Genehmigung und
wegen der bestandskräftigen Planfeststellung nicht darum, welchen
Lärmschutzanforderungen ein nach dem Luftverkehrsrecht planfeststellungsbedürftiges
Vorhaben genügen muss, um zugelassen werden zu können. Ebenso wenig handelt es
sich wegen der bereits eingetretenen Bestandskraft um einen - mit der
Verpflichtungsklage durchzusetzenden - Planergänzungsanspruch im Sinne von § 10
Abs. 8 LuftVG.
Den einschlägigen verwaltungsrechtlichen Vorschriften lassen sich keine abweichenden
Regelungen entnehmen, die hier zu einem anderen Ergebnis führen könnten oder
müssten. Das prozessrechtliche Erfordernis einer vorherigen Antragstellung bei der
Behörde wird hierdurch vielmehr bestätigt. So setzen nachträgliche Schutzanordnungen
im Sinne von § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gemäß § 75 Abs. 3 VwVfG ausdrücklich einen
schriftlichen Antrag an die Planfeststellungsbehörde voraus. Dies muss erst recht gelten,
wenn nicht nur Schutzanordnungen, sondern sogar ein Teilwiderruf der luftrechtlichen
Planfeststellung oder Genehmigung begehrt wird, der erst nach der Ausschöpfung von
Schutzanordnungen in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997, BVerwGE
105, 6 ff.; BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2003, NVwZ 2004, 97; Beschluss vom 16.
Dezember 2003, in NVwZ 2004, 865; Beschluss vom 26. Februar 2004, NVwZ 2004, 869;
VGH Kassel, Urteil vom 2. April 2003, NVwZ-RR 2003, 729; Grabherr/ Rheidt/ Wysk,
LuftVG, Kommentar, § 71 Rn. 24).
Schließlich kann auf die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens auch deshalb nicht
verzichtet werden, weil das Begehren der Klägerin eine Entscheidung des Beklagten
erfordert, bei der er zahlreiche gegenläufige Belange, insbesondere auch die der
Beigeladenen, zu berücksichtigen hat (vgl. zur Verpflichtungsklage mit dem Ziel der
Auferlegung von weitergehenden Regulierungsverpflichtungen nach §§ 9, 13 TKG
BVerwG, Urteil vom 26. November 2007, BVerwGE 130, 39). Aus den dargelegten
Gründen können die im gerichtlichen Verfahren von der Klägerin gestellten Anträge den
versäumten Antrag bei dem Beklagten nicht mit heilender Wirkung ersetzen. Abgesehen
davon stellt die vorherige Antragstellung bei der Behörde eine Klagevoraussetzung dar,
die im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden kann.
2. Die Klage wäre im Übrigen selbst dann unzulässig, wenn man eine vorherige
Antragstellung bei dem Beklagten für entbehrlich hielte oder diese erfolgt wäre. Die
Klägerin ist als Gemeinde nicht klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Sie hat weder dargelegt
noch ist ersichtlich, dass sie durch eine Versagung der begehrten beschränkenden
Maßnahmen in einem ihr zustehenden Recht verletzt sein könnte.
Ein Eingriff in die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte kommunale Planungshoheit,
die eine wehrfähige, in die planerische Abwägung einzubeziehende Rechtsposition gegen
ein Vorhaben vermittelt, wenn das Vorhaben eine hinreichend konkrete und verfestigte
Planung der Gemeinde nachhaltig stört, wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile
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Planung der Gemeinde nachhaltig stört, wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile
des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder
gemeindliche Einrichtungen erheblich beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.
März 2008, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 197), ist unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt gegeben.
Die Klägerin kann sich zwar sowohl im (isolierten) Genehmigungsverfahren nach § 6
LuftVG als auch im Planfeststellungsverfahren nach §§ 8 ff. LuftVG auf eine Verletzung
von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berufen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1969,
DVBl. 1969, 362; Schiller, in: Grabherr/Rheidt/Wysk, LuftVG, § 6 Rn. 640, § 9 Rn. 116).
Hier geht es jedoch nicht um die Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit als
abwägungserheblicher Belang im Rahmen einer Planungsentscheidung, sondern um
einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Teilwiderruf der
luftrechtlichen Genehmigung bzw. Planfeststellung (§ 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG, § 6 Abs. 2
Satz 4 LuftVG) bzw. um einen Anspruch auf Erlass von Schutzanordnungen gemäß § 75
Abs. 2 Satz 2 VwVfG in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung.
Da Beseitigungs- und Änderungsansprüche gegenüber planfestgestellten Anlagen
grundsätzlich ausgeschlossen sind (§ 9 Abs. 3 LuftVG, § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG),
können Drittbetroffene gegen nachträglich eingetretene nachteilige Auswirkungen eines
planfestgestellten Verkehrsflughafens in der Regel nur im Wege nachträglicher
Schutzanordnungen unter den Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG
vorgehen. Diese Duldungs- und Ausschlusswirkung gilt auch im Fall einer fingierten
Planfeststellung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997, LKV 1998, 148; OVG
Berlin, Urteil vom 2. Mai 1996, OVGE 22, 67; Grabherr/Rheidt/Wysk, LuftVG, Kommentar,
§ 71 Rn. 13).
Die durch § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG eröffnete Möglichkeit, nachträgliche
Schutzanordnungen zu erlassen, bedeutet im Hinblick auf die bestandskräftige
Planfeststellung, dass daneben ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
über einen (teilweisen) Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses gemäß § 49 VwVfG,
der grundsätzlich im Fachplanungsrecht anwendbar ist, nur als ultima ratio in Betracht
kommt, falls Schutzanordnungen nachweislich nicht ausreichen, um
Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Gesundheitsgefahren abzuwehren (BVerwG, Urteil
vom 21. Mai 1997, BVerwGE 105, 6 ff.; BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2003, NVwZ
2004, 97; Beschluss vom 16. Dezember 2003, in NVwZ 2004, 865; Beschluss vom 26.
Februar 2004, NVwZ 2004, 869; VGH Kassel, Urteil vom 2. April 2003, NVwZ-RR 2003,
729; Grabherr/Rheidt/Wysk, LuftVG, Kommentar, § 71 Rn. 24). Gleiches gilt in Bezug auf
einen Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung aufgrund einer Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Fluglärm. Ein derartiges Vorgehen setzt
regelmäßig voraus, dass der Fluglärm zu einer Gesundheitsgefahr führt und damit eine
Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG droht, die nicht anders als durch den Widerruf
abgewendet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 2005, BVerwGE 123, 261,
274; BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2003, NVwZ 2004, 865; Schiller, in:
Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 6 Rn. 512, 518).
Auf ein vergleichbares, aus einer Grundrechtsposition (Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1
GG) abgeleitetes Recht kann sich die Klägerin nicht berufen, weil sie nicht Trägerin von
Grundrechten ist (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 3. Juni 2004, NVwZ-RR 2005, 805). Selbst
wenn man ihr ein einfachgesetzliches Recht als Eigentümerin von Grundstücken und
Gebäuden und damit einen Anspruch auf Schutz vor unzumutbarem Fluglärm
zugesteht, fehlt es an jeder Darlegung, worin eine derartige Rechtsverletzung bestehen
könnte. Dies betrifft sowohl Messwerte als auch den Bezug dieser Werte zu kommunalen
Grundstücken. Es fehlt ferner an einer konkreten und hinreichend substantiierten
Darlegung, inwieweit nachteilige Auswirkungen zu einer nachhaltigen Störung der
kommunalen Planungshoheit führen können, die den Erlass der begehrten Maßnahmen
rechtfertigt. Dies gilt umso mehr, als der (nächtliche) Flugbetrieb in den vergangen
Jahren zwar deutlich zugenommen hat, jedoch seit 1993 mindestens in dem derzeitigen
Umfang durchgeführt werden darf und schon vor der Verlängerung der Beschränkung im
Jahr 2003 auch in erheblichem Umfang durchgeführt worden ist.
Unabhängig davon hat die Klägerin weder hinreichend konkret dargelegt noch ist
ersichtlich, dass der derzeit zugelassene Nachtflugverkehr ursächlich für eine etwaige
nachhaltige Störung der Planungshoheit ist, die gerade durch die von ihr begehrten
weiteren Maßnahmen beseitigt werden könnte. Beschränkungen der Planungshoheit
folgen hier in erster Linie aus dem Planfeststellungsbeschluss „Ausbau des
Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld“ vom 13. August 2004 des Ministeriums für
Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg.
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III. Der Hilfsantrag hat aus den dargelegten Gründen (fehlende Durchführung des
erforderlichen behördlichen Verfahrens, mangelnde Klagebefugnis) ebenfalls keinen
Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der
in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
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